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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 08.08.2023, RV/7200102/2021

Aufhebung einer Beschwerdevorentscheidung mangels Vorliegens einer rechtswirksam eingebrachten Bescheidbeschwerde

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7200102/2021-RS1
Eine mittels E-Mail beim Zollamt eingebrachte „Beschwerde“ stellt keine rechtswirksam ergangene Bescheidbeschwerde gem. § 243 BAO dar. Ein solches Anbringen gilt vielmehr als nicht eingebracht. Nimmt das Zollamt eine derartige Eingabe dennoch in Behandlung und entscheidet trotz fehlender Bescheidbeschwerde darüber mit Beschwerdevorentscheidung, hat das Bundesfinanzgericht nach erfolgter Vorlage (§ 265 BAO) die Beschwerdevorentscheidung (ersatzlos) aufzuheben.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***R*** in der Beschwerdesache ***NN.***, vertreten durch ***RA***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Zollamtes Österreich vom , Zl. ***1***, betreffend Beschlagnahme gem. § 26 Abs. 1 Z 3 und Abs. 2 ZollR-DG

I. zu Recht erkannt:

1. Die im Streitfall ergangene Beschwerdevorentscheidung des Zollamtes Österreich vom , Zl. ***2***, wird wegen Unzuständigkeit der bescheiderlassenden Behörde ersatzlos aufgehoben.

2. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

II. beschlossen:

1. Die Parteien werden gem. § 281a BAO davon in Kenntnis gesetzt, dass nach der Überzeugung des Bundesfinanzgerichts im Streitfall ein Vorlageantrag nicht rechtswirksam eingebracht wurde.

2. Das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesfinanzgericht wird eingestellt.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit dem an die Österreichische Post AG gerichteten Bescheid vom , Zl. ***1***, beschlagnahmte das Zollamt Österreich 750 Stk. Ultrabrain (Huperzine A) 100 mg Tabletten im Grunde des § 26 Abs 1 Z 3 iVm Abs 2 ZollR-DG als Beweismittel.

Gegen diesen Bescheid wendet sich der Einschreiter, Herr ***NN*** (kurz: NN), vertreten durch Herrn **RA**, mit dem als "Beschwerde" (Bescheidbeschwerde gem. § 243 BAO) intendierten per E-Mail eingebrachten und keine Unterschrift aufweisenden Anbringen vom .

Das Zollamt Österreich erließ daraufhin noch am selben Tag unter Zl. ***2***, eine Beschwerdevorentscheidung betreffend die Zurückweisung der Beschwerde mangels Aktivlegitimation des NN.

Mit E-Mail vom stellte Herr NN daraufhin den Vorlageantrag. Auch diese Eingabe weist keine Unterschrift auf.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Am erging ein Aviso an Herrn NN. Mit diesem Schreiben wurde Herrn NN aufgetragen, für eine aus den USA in Österreich eingelangte und für ihn als Empfänger bestimmte Briefsendung eine Einfuhrbescheinigung gem. § 3 Arzneiwareneinfuhrgesetz vorzulegen.

Nachdem Herr NN dieser Aufforderung keine Folge geleistet hatte, erging seitens des Zollamtes der o.a. Beschlagnahmebescheid vom an die Österreichische Post AG.

Nach der Aktenlage ist dieser Bescheid weder an Herrn NN adressiert noch ist er an ihn rechtswirksam ergangen (siehe auch die diesbezüglichen unwidersprochen gebliebenen Feststellungen in der o.a. Beschwerdevorentscheidung vom , denen Vorhaltcharakter zukommt).

2. Beweiswürdigung

Die Beweiserhebung seitens des Bundesfinanzgerichtes erfolgte durch Einsichtnahme in den vom Zollamt elektronisch vorgelegten Verwaltungsakt.

Daraus ergibt sich der oben wiedergegebene Sachverhalt und der geschilderte Verfahrensgang.

Im Rahmen einer telefonischen Rücksprache mit dem Zollamt Österreich am konnte erhoben werden, dass der Einschreiter sowohl die Beschwerde als auch den Vorlageantrag ausschließlich per E-Mail an das Zollamt übermittelte.

Der Vertreter des Herrn NN bestätigte in einem Telefonat mit dem Richter am die Richtigkeit dieser Ermittlungserkenntnisse.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.1. (Aufhebung)

Rechtslage

Gemäß § 85 Abs 1 BAO sind Anbringen zur Geltendmachung von Rechten (insbesondere Rechtsmittel) schriftlich einzureichen. Gem § 86a Abs 1 BAO können Anträge, für die Abgabenvorschriften Schriftlichkeit vorsehen oder gestatten, auch telegraphisch, fernschriftlich oder, soweit es durch Verordnung des Bundesministers für Finanzen zugelassen wird, im Wege automationsunterstützter Datenübertragung oder in jeder anderen technisch möglichen Weise eingereicht werden.

Gemäß § 262 Abs 1 BAO ist über Bescheidbeschwerden nach Durchführung der etwa noch erforderlichen Ermittlungen von der Abgabenbehörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, mit als Beschwerdevorentscheidung zu bezeichnendem Bescheid abzusprechen.

Gegen eine Beschwerdevorentscheidung kann nach § 264 Abs 1 BAO innerhalb eines Monats ab Bekanntgabe (§ 97) der Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Verwaltungsgericht gestellt werden (Vorlageantrag). Der Vorlageantrag hat die Bezeichnung der Beschwerdevorentscheidung zu enthalten.

Gemäß § 264 Abs 4 BAO kann gegen eine Beschwerdevorentscheidung innerhalb eines Monats ab Bekanntgabe der Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Verwaltungsgericht gestellt werden (Vorlageantrag).

Gemäß § 262 Abs 1 BAO iVm § 45 ZollR-DG ist im Zollrecht über Bescheidbeschwerden zwingend eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen. Eine Bescheidbeschwerde ist somit unabdingbare Voraussetzung für die Erlassung einer Beschwerdevorenscheidung.

Außer in den Fällen des § 278 hat das Verwaltungsgericht nach § 279 Abs 1 BAO immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

Eine ersatzlose (meritorische) Aufhebung hat zu erfolgen, wenn der angefochtene Bescheid von einer hiezu nicht zuständigen Behörde erlassen wurde. Eine ersatzlose (meritorische) Aufhebung im Sinne des § 279 Abs 1 BAO darf dann erfolgen, wenn in dieser Sache keine weitere Entscheidung in Betracht kommt (, , Ritz, BAO5, Rz 6 zu § 279).

Erwägungen

Nach ständiger Rsp des VwGH löst ein mittels E-Mail eingebrachtes Anbringen weder eine Entscheidungspflicht der Behörde aus noch berechtigt es die Behörde eine bescheidmäßige Entscheidung zu fällen, die von einem Anbringen (Eingabe) abhängig ist (vgl ). Eine ausschließlich durch E-Mail übermittelte Bescheidbeschwerde gilt daher als nicht eingebracht.

Laut Rechtsprechung ist die Behörde nicht einmal befugt, das "Anbringen" als unzulässig zurückzuweisen, weil es sich bei einem solchen E-Mail eben nicht um eine Eingabe an die Behörde handelt (vgl. nochmals ).

Herr NN hat die "Beschwerde" mittels E-Mail an das Zollamt Österreich übermittelt. Es liegt demnach keine rechtswirksame Bescheidbeschwerde vor.

In Angelegenheiten, die überhaupt noch nicht (oder zumindest nicht in der von der Rechtsmittelbehörde in Aussicht genommenen rechtlichen Art) Gegenstand des Abgabenverfahren gewesen waren, ist es der Abgabenbehörde verwehrt mittels Beschwerdevorentscheidung einen Sachbescheid im Ergebnis erstmals zu erlassen, da ein derartiges Vorgehen eine unzulässige Verkürzung des Instanzenzuges bedeuten würde.

Wurde trotz fehlender Bescheidbeschwerde eine Beschwerdevorentscheidung erlassen und der Fall dem Verwaltungsgericht vorgelegt, so hat das Verwaltungsgericht die Beschwerdevorentscheidung (ersatzlos) aufzuheben (zB ).

Die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung, obwohl keine Beschwerde vorlag, bewirkt die Rechtswidrigkeit dieses Bescheides infolge Unzuständigkeit des Zollamtes ().

Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt I.2. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die vorliegende Entscheidung kann sich bei der Frage der ersatzlosen Aufhebung nach § 279 Abs 1 BAO bei Unzuständigkeit der bescheiderlassenden Behörde und in jenen Fällen, in denen keine weitere Entscheidung in Betracht kommt auf die zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stützen. Die Tatfrage, ob eine Beschwerde erhoben wurde, ist der Revision nicht zugänglich (). Es musste daher der Revisionsausschluss zum Tragen kommen.

3.3. Zu Spruchpunkt II:

§ 281a BAO bestimmt:

Wenn das Verwaltungsgericht nach einer Vorlage (§ 265) zur Auffassung gelangt, dass noch eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen ist oder ein Vorlageantrag nicht eingebracht wurde, hat es die Parteien darüber unverzüglich formlos in Kenntnis zu setzen.

Zum "Vorlageantrag" vom wird ausgeführt:

Aufgrund der Vorlage der Beschwerde gem. § 265 BAO durch das Zollamt wurde beim Bundesfinanzgericht ein Beschwerdeverfahren anhängig (gemacht), ohne dass ein rechtlich als solcher zu qualifizierender Vorlageantrag des Einschreiters vorliegt.

Denn die ebenfalls ausschließlich per E-Mail an das Zollamt übermittelte Eingabe vom gilt aus den oben dargestellten Gründen ebenfalls als nicht eingebracht.

Dies wird den beiden Parteien gem. § 281a BAO im Rahmen der vorliegenden Entscheidung zur Kenntnis gebracht.

Das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesfinanzgericht war daher einzustellen.

Obiter dictum

Selbst wenn eine rechtswirksame Beschwerde und ein ebensolcher Vorlageantrag eingebracht worden wäre, könnte Herr NN mit seiner Ansicht, er sei als Käufer und Eigentümer der beschlagnahmten Tabletten zur Einbringung einer Bescheidbeschwerde befugt, aus den folgenden Gründen nicht durchdringen:

Der Zollkodex und das ZollR-DG regeln nicht, an wen eine Beschlagnahmeanordnung zu ergehen hat. Aus dem Zweck der Beschlagnahme als eine unmittelbar wirksame, aber vorläufige Maßnahme mit dem Ziel, nicht das Eigentum, sondern die Gewahrsame an einer Sache zur Aufrechterhaltung der Zollaufsicht zu entziehen, hat die Beschlagnahmeanordnung grundsätzlich auf den Inhaber der zu beschlagnehmenden Sache ausgestellt zu sein. Der Behörde obliegt es in diesem Verfahrensstadium nicht, Eigentumsrechte zu prüfen oder festzustellen ().

Dass die Österreichische Post AG nicht Inhaberin der betreffenden Waren gewesen sei, wird weder in der "Beschwerde" noch im "Vorlageantrag" behauptet.

Der in Rede stehende Bescheid war weder an Herrn NN adressiert noch ist er an diesen wirksam ergangen.

Wird eine Beschwerde von einem hiezu nicht Legitimierten eingebracht, so ist sie gemäß § 260 Abs 1 lit. a BAO zurückzuweisen. Zuständig sind hiezu die Abgabenbehörde (mit Beschwerdevorentscheidung) sowie das Verwaltungsgericht (mit Beschluss; vgl. Ritz, BAO5, § 246 Tz 7).

Der Eigentümer der Waren kann seine Rechte im Rahmen des vor der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde durchzuführenden Verfahrens (Verwaltungsübertretung gem. § 21 Abs 1 Z 1 Arzneiwareneinfuhrgesetz 2010) geltend machen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Zoll
betroffene Normen
§ 281a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 243 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 85 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 21 Abs. 1 Z 1 AWEG 2010, Arzneiwareneinfuhrgesetz 2010, BGBl. I Nr. 79/2010
§ 86a Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 262 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 264 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 264 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 45 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994
§ 279 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 265 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 260 Abs. 1 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7200102.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at