Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 25.07.2023, RV/7103420/2019

Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7103420/2019-RS1
Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, muss das Bundesfinanzgericht den bekämpften Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos aufheben ().
RV/7103420/2019-RS2
Im Falle einer gleichzeitigen Anfechtung sowohl des Wiederaufnahme- als auch des Sachbescheids durch eine Bescheidbeschwerde gilt die Regel, dass zuerst über die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid und anschließend über den Sachbescheid zu entscheiden ist (). Auch wenn die Abgabenbehörde zunächst über die Beschwerde gegen die Sachbescheide und erst später über die Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide abgesprochen hat, führt dies nicht zwangsläufig zu einer Rechtswidrigkeit des Erkenntnisses des Bundesfinanzgerichtes, da entscheidend ist, dass zumindest das Bundesfinanzgericht in der zutreffenden Reihenfolge entschieden hat ().

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des ***FA*** (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2010 und Einkommensteuer 2011, Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht:

I. Die angefochtenen Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Im vorliegenden Verfahren geht es um die Prüfung der Rechtsfrage, ob die amtswegige Wiederaufnahme der Verfahren gemäß § 303 BAO auf rechtlich taugliche Wiederaufnahmegründe gestützt wurde.

1. Verfahrensgang und Sachverhalt

Am bzw am erließ die Abgabenbehörde die Einkommensteuerbescheide der Jahre 2010 bzw 2011 der Beschwerdeführerin (in Folge kurz: Bf) erklärungsgemäß.

Nachdem die Einkommensteuerbescheide ergangen waren, erhielt die Abgabenbehörde gemäß Art 9 des Steuerabkommens zwischen der Republik Österreich und der Schweiz Informationen über Konten der Bf, die bei einer schweizerischen Zahlstelle geführt wurden.

Mit Vorhalt vom ersuchte die Abgabenbehörde die Bf, die Höhe der von ihr in den Jahren 2003 - 2012 in der Schweiz erzielten steuerpflichtigen Einkünfte offenzulegen. Nicht festgestellt werden kann, zu welchem Zeitpunkt der Vorhalt in den Verfügungsbereich der Bf gelangte.

Die Abgabenbehörde nahm - nach nicht beantwortetem Vorhalt - mit Bescheiden vom die Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2010 und 2011 wieder auf und erließ am selben Tag neue - vorläufige - Sachbescheide.

Die Wiederaufnahmebescheide führten begründend aus, dass die Wiederaufnahme der Verfahren gem § 303 BAO erfolgt sei, weil Tatsachen und Beweismittel neu hervorgekommen seien, die im abgeschlossenen Verfahren nicht geltend gemacht wurden und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Die Wiederaufnahme sei unter Abwägung von Billigkeits- und Zweckmäßigkeitsgründen (§ 20 BAO) verfügt worden. Im vorliegenden Fall überwiege das Interesse der Behörde an der Rechtsrichtigkeit der Entscheidung das Interesse auf Rechtsbeständigkeit, und die Auswirkungen seien nicht als geringfügig anzusehen.

In den Wiederaufnahmebescheiden wurde nicht auf die Sachbescheide bzw andere Schriftstücke verwiesen.

Die Einkommensteuerbescheide führten zusammengefasst aus, die Kapitalerträge seien geschätzt worden, da keine Unterlagen beigebracht wurden.

Schließlich brachte die Bf mit Eingabe vom rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide 2010 und 2011 sowie gegen die Einkommensteuerbescheide 2010 und 2011 ein. Die Bf brachte entscheidungswesentlich zusammengefasst vor, dass die Begründung der Wiederaufnahmebescheide in der ganz allgemein verfassten Textierung im gegenständlichen Verfahren nicht anwendbar sei.

In weiterer Folge wurden mit Beschwerdevorentscheidungen vom die Einkommensteuerbescheide 2010 und 2011 abgeändert. Die Beschwerdevorentscheidungen wurden mit Zustellnachweis versendet. Die Verständigung über die Hinterlegung wurde am in den Briefkasten eingelegt. Die Abholfrist begann am .

Die Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide wurde zunächst keiner Erledigung zugeführt.

Am brachte die Bf fristgerecht die Vorlageanträge betreffend Einkommensteuerbescheide 2010 und 2011 ein.

Die Beschwerden gegen die Einkommensteuerbescheide 2010 und 2011 (und auch jenen gegen die Wiederaufnahmebescheide) wurden dem Bundesfinanzgericht am vorgelegt. Mit Vorlagebericht wurde seitens der Abgabenbehörde ausgeführt, die Beschwerden seien auch gegen die Wiederaufnahmebescheide gerichtet. Über diese Rechtsmittel sei jedoch irrtümlich noch nicht abgesprochen worden.

Schließlich wurde die Abgabenbehörde mit Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom aufgefordert, die Beschwerdevorentscheidungen betreffend die angefochtenen Bescheide vom über die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2010 sowie Einkommensteuer 2011 dem Bundesfinanzgericht zu übermitteln, sobald diese erlassen worden seien.

Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wurde sodann die Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide abgewiesen und begründend ausgeführt, dass das Finanzamt einen Fragenkatalog der Bf übermittelt habe, welcher nicht beantwortet worden sei. Die Abgabenbehörde könne daher die Richtigkeit der Besteuerungsgrundlagen nicht überprüfen.

Die Bf stellte fristgerecht am den Antrag auf Entscheidung der Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht.

Mit weiteren Beschwerdevorentscheidungen vom wurde die Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide nochmals abgewiesen. Die Bf brachte wiederum fristgerecht einen Vorlageantrag ein.

Laut Verfügung des GV-Ausschusses wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung ***GA*** am zugeteilt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Verfahrensablauf insbesondere zum Inhalt der Erledigungen der Abgabenbehörde ergeben sich zweifelsfrei aus dem Abgabenakt der Bf und den vorgelegten Aktenteilen. Hinsichtlich der Echtheit dieser Urkunden hat das Bundesfinanzgericht keine Bedenken.

Die Negativfeststellung betreffend Zustellungszeitpunkt des Vorhalts war einerseits zu treffen, da der Vorhalt ohne Zustellnachweis versendet wurde. Andererseits konnte die Bf auch nach Vorhalt des Bundesfinanzgerichtes vom zu dieser Thematik aufgrund der verstrichenen Zeit keine Angaben mehr machen. Es lag daher für das Treffen einer Positivfeststellung die erforderliche Gewissheit nicht vor, weshalb im Zweifel eine Negativfeststellung zu treffen war.

3. Rechtliche Beurteilung

1.1. Zu Spruchpunkt I. (Aufhebung)

Gemäß § 303 Abs 1 BAO (idF BGBl I Nr 97/2002) ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und

a) der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, oder

c) der Bescheid von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

[…]

Gemäß § 303 Abs 4 leg cit ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Gemäß § 279 Abs 1 BAO hat das Bundesfinanzgericht immer in der Sache selbst zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid in jede Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Bei einer Beschwerde gegen eine Wiederaufnahme von amtswegen ist die Sache, über welche das Bundesfinanzgericht gemäß § 279 Abs 1 BAO zu entscheiden hat, nur die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen, also jene wesentlichen Sachverhaltsmomente, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hat ( mit Verweis auf ).

Aufgabe des Bundesfinanzgerichts bei Entscheidungen über ein Rechtsmittel gegen die amtswegige Wiederaufnahme durch ein Finanzamt ist es daher zu prüfen, ob dieses Verfahren aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen wieder aufgenommen werden durfte, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme auch aus anderen Wiederaufnahmegründen zulässig gewesen wäre. Liegt der vom Finanzamt angenommen Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, muss das Bundesfinanzgericht den bekämpften Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos aufheben ().

In der Begründung der Wiederaufnahmebescheide führt die Abgabenbehörde oberflächlich die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 303 BAO und § 20 BAO an, ohne jedoch konkrete neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel zu benennen.

Erst mit den Beschwerdevorentscheidungen vom wurde erstmals die Wiederaufnahme auf - nach Auffassung der Abgabenbehörde - neu hervorgekommene Tatsachen, nämlich der Nichtbeantwortung des Vorhalts, gestützt.

Grundsätzlich können Begründungsmängel im Rechtsmittelverfahren saniert werden (). Fehlende Wiederaufnahmegründe können im Wiederaufnahmeverfahren jedoch nicht nachgeschoben werden. Dementsprechend können die in den Beschwerdevorentscheidungen angeführten Wiederaufnahmegründe nicht nachgeholt werden (vgl. auch Ritz, BAO6, § 307 Tz 3).

Anzumerken ist auch, dass der von der Abgabenbehörde herangezogene Wiederaufnahmegrund - die Nichtbeantwortung eines Vorhalts - nach Ansicht des erkennenden Gerichts als nicht tauglich angesehen werden muss. Tatsachen oder Beweismittel sind einer Wiederaufnahme nur zugänglich, wenn sie im Zeitpunkt der Bescheiderlassung über das abgeschlossene Verfahren bereits existiert haben, aber nicht bekannt waren und erst später hervorgekommen sind. Zweifelslos war der Umstand der Nichtbeantwortung des Vorhalts im Jahr 2013 in den streitgegenständlichen Jahre 2010 und 2011 nicht existent.

Insofern waren daher die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2010 und 2011 ersatzlos aufzuheben.

Wird ein Wiederaufnahmebescheid aufgehoben, so tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat. Durch die Aufhebung des Wiederaufnahmebescheids kommt es ex lege zum Ausscheiden des neuen Sachbescheides aus dem Rechtsbestand () und damit einhergehend zum Wiederaufleben des alten Sachbescheides (, 0017; ). Der frühere Bescheid tritt durch die Wiederaufnahme des Verfahrens zur Gänze außer Kraft (; keine Teilrechtskraft).

Ergänzend ist noch festzuhalten, dass ein Wiederaufnahmebescheid und ein neu erlassener Sachbescheid zwei Bescheide sind, welche jeder für sich einer Bescheidbeschwerde zugänglich ist (). Sind beide Bescheide mit Bescheidbeschwerde angefochten, so ist zunächst über die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid und dann über den Sachbescheid zu entscheiden (vgl. Ritz, BAO6, § 307 BAO Rz 7 unter Hinweis auf ; ; ).
Obwohl die Abgabenbehörde zunächst über die Beschwerde gegen die Sachbescheide und erst später über die Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide abgesprochen hat, führt dies nicht zwangsläufig zu einer Rechtswidrigkeit des gegenständlichen Erkenntnisses, da entscheidend ist, dass zumindest das Bundesfinanzgericht in der zutreffenden Reihenfolge entschieden hat ().

Der Beschluss über die Gegenstandsloserklärung der Beschwerde gegen die wiederaufgenommenen Einkommensteuerbescheide ergeht mit einer gesonderten Erledigung.

1.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das gegenständliche Erkenntnis orientiert sich an der höchstgerichtlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes in Zusammenhang mit der Begründung einer Wiederaufnahme iSd § 303 BAO. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt daher nicht vor, weshalb die Revision nicht zulässig ist.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7103420.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at