Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 05.07.2023, RV/7101938/2023

Wiederaufnahme auf Antrag - das Neuhervorkommen von Tatsachen ist aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Anna Mechtler-Höger in der Beschwerdesache ***BF1***, vertreten durch Dr. Rebekka Stern, Hintere Zollamtsstraße 15/1/30, 1030 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , mit welchem der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2012 abgewiesen wurde, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführer sind die Erben der am tt Jänner 2015 verstorbenen Dr. X. Mit Schreiben vom stellten sie einen Antrag auf Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 2012 und führten unter Hinweis auf eine am ausgestellte ärztliche Bestätigung aus, im Jahr 2012 seien bisher nicht berücksichtigte Pflegeheimkosten in Höhe von 35.630,15 € angefallen.

Angefochtener Bescheid:

Mit Bescheid vom wurde der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2012 abgewiesen und ausgeführt, bei einem Wiederaufnahmeantrag der Partei sei es nach nunmehr ständiger Judikatur des VwGH (als Beispiele für viele: , , ) erforderlich, dass die Tatsachen oder Beweismittel für die Partei neu hervorgekommen seien.

Der Umstand, dass Dr. X in einer Seniorenresidenz gewohnt habe und für diese Unterbringung entsprechende Kosten angefallen seien, sei keine neue Tatsache. Bereits in der "Erklärung zur Arbeitneherlnnenveranlagung 2012" sei unter der Kennzahl 735 ("Sonstige außergewöhnliche Belastungen") ein Betrag von 30.696,00 € steuerlich als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht und handschriftlich in dieser Spalte das Wort "Miete" ergänzt worden.

Auch die nachträglich erstellte "ärztliche Bestätigung" mit Datum ändere nichts an der Tatsache, dass der oben angeführte Umstand für die Steuerpflichtige selbst keine neue Tatsache dargestellt habe. Diese nachträglich erstellte "ärztliche Bestätigung", welche fast zwei Jahre nach dem Veranlagungsjahr 2012 verfasst worden sei, sei kein taugliches Beweismittel, das eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu tragen vermöge, weil sich (alleine) auf Grundlage dieses formlosen Schreibens die Unrichtigkeit des Bescheidspruches nicht als erwiesen darstelle.

Selbst für den Fall, dass dem Finanzamt ein ärztliches Attest vorgelegt worden wäre (was unstrittig nicht der Fall sei), hätte dieses für sich alleine den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zu tragen vermocht, weil aus der vorgelegten Bestätigung der Pensionistenresidenz lediglich zu entnehmen sei, dass FÜR die Steuerpflichtige die dort angeführten Beträge beglichen worden seien. Der Umstand, dass und gegebenenfalls in welchem Umfang die Steuerpflichtige den angeführten Betrag selbst wirtschaftlich getragen habe, sei nicht nachgewiesen worden.

Die Voraussetzungen für einen Antrag auf Wiederaufnahme lägen im vorliegenden Fall nicht vor, weshalb der Wiederaufnahmeantrag abzuweisen gewesen sei.

Beschwerde:

Der abweisenden Begründung der Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 lit b BAO liege eine unzutreffende Interpretation der Rechtsprechung des VwGH sowie der ErläutRV und des FVwGG 2012 zugrunde.

Infolge des Inkrafttretens des FVwGG 2012 sei es zu einer Harmonisierung der Rechtslage für die amtswegige und antragsgebundene Wiederaufnahme des Verfahrens gekommen. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Verfahrenstiteln sei gewesen, dass bei der Wiederaufnahme auf Antrag der alten Fassung kein grobes Verschulden des Abgabepflichtigen am Nichtvorbringen der neuhervorgekommenen Tatsachen und Beweisen vorliegen habe dürfen.

Seit dem FVwGG 2012 stehe ein grobes Verschulden des Abgabepflichtigen am Nichtvorbringen von neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweisen einer Wiederaufnahme nicht mehr entgegen. Vielmehr sei die Voraussetzung des fehlenden Verschuldens aufgrund des Harmonisierungsgedankens der Verfahrenstitel ersatzlos gestrichen worden.

Im Mittelpunkt der Wiederaufnahme des Verfahrens stehe die Verwirklichung eines rechtsrichtigen Ergebnisses. Der Rechtsrichtigkeit werde hierbei der Vorrang gegenüber der Rechtsbeständigkeit gegeben.

Dr. X sei aus Krankheitsgründen in ein Senioren- und Pflegeheim übersiedelt, da ihr die Bewältigung der Anforderungen des Alltages nicht mehr möglich gewesen sei. Bei der Beantragung von außergewöhnlichen Belastungen habe die Klientin nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gehandelt. Um die Tatsache ihrer Krankheit und Behinderung zu beweisen, habe sie von ihrem langjährig behandelnden Arzt ein medizinisches Gutachten erbeten. Darin habe dieser bestätigt, dass Frau Dr. X aus zwingenden medizinischen Gründen und von ihm befürwortet in ein Pflegeheim übersiedelt sei.

Darüber hinaus habe Frau Dr. X auch einen Antrag auf Behindertenbescheinigung gestellt. Mit Sachverständigengutachten vom sei eine Behinderung von 80% festgestellt. Dass diese Behinderung nicht erst seit 2014, wie im Gutachten angeführt, bestehe, sei aufgrund ihrer Krankengeschichte nachvollziehbar und von Dr. Hennebach bestätigt.

Als Beweismittel würden Mittel zur Herbeiführung eines Urteils über Tatsachen angesehen. Das könnten etwa Urkunden, Aufzeichnungen, Sachverständigengutachten, Zeugenaussagen oder sonstige Auskünfte sein. Mit der Beibringung eines ärztlichen Gutachtens sowie des Sachverständigengutachtens des Sozialministeriumservice seien Beweise für die Tatsache erbracht worden, dass Frau Dr. X aus Krankheitsgründen ihren Wohnsitz im Pflegeheim genommen habe.

Entscheidende Voraussetzung der Wiederaufnahme des Verfahrens sei, dass durch Berücksichtigung der Umstände ein im Spruch anders lautender Bescheid herbeigeführt worden wäre. Da im aktuellen Fall bei Berücksichtigung der Umstände der Spruch des Bescheides auf ein Guthaben von mehr als 11.000,00 € gelautet hätte und nicht auf ein Guthaben von 87,00 €, könne nicht von einer Geringfügigkeit der neu hervorgekommenen Tatsachen gesprochen werden.

§ 303 Abs. 2 BAO idF FVwGG 2012 besage, dass der Wiederaufnahmeantrag die Umstände iSd § 303 Abs. 1 BAO zu bezeichnen habe, auf die sich der Antrag stütze. Der Wiederaufnahmegrund des § 303 Abs. 1 lit. b BAO besage, dass Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sein müssen. Weder aus § 303 Abs. 1 lit. b BAO noch aus § 303 Abs. 2 BAO lasse sich ableiten, für wen die Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen sein müssten. Voraussetzung sei, dass Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkämen, die während des abgeschlossenen Verfahrens bestanden hätten und die Kenntnis dieser Umstände einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Einziger Anhaltspunkt sei, dass die Kenntnis einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Da nur die Behörde den Bescheid erlasse und nur diese im Rahmen der Beweiswürdigung der Sachverhaltselemente und Subsumtion unter eine Norm den Spruch beeinflussen könne, nicht jedoch der Abgabenpflichtige, könne nur der Wissenstand der Behörde von Relevanz sein. Schließlich sei es so, dass, wenn der Abgabenpflichtige neue Tatsachen vorbringe, die der Behörde unbekannt gewesen seien, und bei deren Kenntnis tatsächlich der Bescheid anders lauten hätte müssen, nach Wortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b BAO die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme erfüllt seien. Das Wissen des Abgabenpflichtigen hätte hingegen nie einen Einfluss auf den Bescheid. Erst durch die Kenntniserlangung der Behörde könne dies einen anderslautenden Bescheid herbeiführen.

Der VwGH spreche sich in der Entscheidung vom , Ra 2014/15/0058, erstmals zu der Novellierung des § 303 BAO aus. Laut VwGH habe sich nicht verändert, dass der Wiederaufnahmeantrag die Bezeichnungen der Umstände, auf die er sich stütze, zu enthalten habe. Welche Wiederaufnahmegründe herangezogen würden, bestimme bei der Wiederaufnahme auf Antrag die Partei und bei der Wiederaufnahme von Amts wegen die zuständige Behörde.

Die Beschwerdeführer seien der Ansicht, dass die Behörde zu Unrecht die Wiederaufnahme nicht einleite.

Wenn Tatsachen oder Beweismittel der Abgabenbehörde im abgeschlossenen Verfahren nicht bekannt gewesen seien und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte, so seien alle objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des Wiederaufnahmetatbestands gegeben.

Da alle Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Einkommensteuerveranlagung 2012 erfüllt seien, sei dem Grundsatz der Rechtsrichtigkeit der Vorrang einzuräumen und die Wiederaufnahme rechtens.

Im abweisenden Bescheid vom werde in der Begründung angeführt, dass aufgrund der vorgelegten Heimkostenbestätigung Zweifel bestünden, ob die Steuerpflichtige die Kosten tatsächlich aus eigener Leistung getragen habe.

Diesem Zweifel sei entgegenzuhalten, dass die Heimkostenbestätigungen der Kursana Residenz Tivoli im Wortlaut standardisiert ausgestellt würden. Im Übrigen finde sich der von der Behörde angeführte Wortlaut: FÜR die Steuerpflichtige beglichen in der vorgelegten Kostenbestätigung nicht. Des weiteren sei dem der Behörde vorliegenden Lohnzettel 2012 zu entnehmen, dass die Steuerpflichtige wirtschaftlich in der Lage gewesen sei, die Heimkosten selbst zu tragen, was sie auch bis zu ihrem Tode gemacht habe.

Hiermit werde nochmals der Antrag gestellt, den Einkommensteuerbescheid 2012 vom aufzuheben und die beantragten Pflegeheimkosten für das Kalenderjahr 2012 steuerlich als außergewöhnliche Belastung neu zu veranlagen.

Beschwerdevorentscheidung:

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und ergänzend zu den Ausführungen im Abweisungsbescheid vom festgehalten, dass das Vorbringen in der Beschwerde in Ansehung des Sachverhaltes zum Teil aktenwidrig und zum Teil als "am Thema vorbeigehend" zu qualifizieren sei. In Ansehung des Sachverhaltes brächten die Beschwerdeführer vor, bei Dr. X hätte bereits im Jahr 2012 eine Behinderung und eine Unfähigkeit, ihren Haushalt selber zu führen, vorgelegen. Zu diesem Vorbringen sei festzuhalten, dass das Bundessozialamt (BSA), nunmehr Sozialministeriumservice (SMS), -trotz Vorlage aller relevanten Befunde - eine Behinderung gerade nicht rückwirkend ab 2012 attestiert habe. Das Vorbringen der Beschwerdeführer dahingehend, dass eine Behinderung nicht erst seit 2014 vorgelegen habe, sei daher schlichtweg aktenwidrig und unzutreffend. Eine rückwirkende Feststellung des Grades der Behinderung von Dr. X sei gerade nicht vorgelegen. Auch in der angeblichen Unfähigkeit, den Haushalt selber zu führen, sei keine für die Antragsteller neue Tatsache gelegen, die einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens hätte rechtfertigen können. Das vorgelegte Schreiben des Arztes vom , dass Dr. X vor Jahren einen Wohnsitzwechsel habe durchführen müssen, sei kein ärztliches Attest. Dass ein Arzt über Jahre rückwirkend bestätigen möchte, dass für einen Wohnungswechsel zwingende medizinische Gründe vorgelegen seien, sei schlichtweg als Gefälligkeitsbestätigung anzusehen.

Festzuhalten sei an dieser Stelle auch, dass es sich bei der von Dr. X in den Jahren vor ihren Umzug in die Pensionistenresidenz bewohnten Wohnung um eine solche gehandelt habe, die in einer dreistöckigen Wohnhausanlage mit Aufzug gelegen sei. Eine medizinische Notwendigkeit, eine Wohnung im zweiten "Liftstock" aufzugeben, sei sohin - auch unter Zugrundelegung des Schreibens des Arztes - nicht vorgelegen. Selbst für den Fall, dass eine medizinische Notwenigkeit für Dr. X bestanden hätte, in eine Pensionistenresidenz zu übersiedeln, wäre in diesem Umstand keine für Dr. X oder die Beschwerdeführer neue Tatsache zu ersehen gewesen, weil die Unfähigkeit, einen eigenen Haushalt zu führen, zu dem Zeitpunkt, als der Einkommensteuererstbescheid 2012 erlassen worden sei, nämlich am , für die Partei schon längst bekannt gewesen sei. Zu dem Schreiben des Arztes vom sei an dieser Stelle auch festzuhalten, dass dieses Schreiben erst nach Erlassung des Einkommensteuerbescheides 2012 (Erlassung des Erstbescheides am ) ausgestellt worden sei und daher keine neue Tatsache oder kein neues Beweismittel darstellen könne: Neue Tatsachen oder/und Beweismittel kämen nämlich nur insofern als Wiederaufnahmegrund infrage, als sie im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits vorhanden gewesen seien und lediglich deren Verwertung erst nachträglich möglich geworden sei (sog. "nova reperta"). Umstände, die erst nach Bescheiderlassung entstanden seien (sog. "nova producta") seien vom Wiederaufnahmetatbestand nicht umfasst (; ). Das Schreiben des Arztes vom könne daher eine Wiederaufnahme nicht rechtfertigen. Der Verfahrenstitel der Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO habe nicht den Zweck, Nachlässigkeiten der Steuerpflichtigen oder auch der Behörde zu beheben und habe ein Antrag auf Wiederaufnahme eines Verfahrens - nach der oben dargelegten, ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - ausschließlich den Zweck, dass für die Partei neu hervorgekommene Tatsachen oder/und Beweismittel (nämlich "nova reperta" - siehe dazu die Ausführungen oben) im Abgabenverfahren berücksichtigt werden könnten. Da im gegenständlichen Verfahren für die Partei keine Tatsachen oder/und Beweismittel neu hervorgekommen seien, sei der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Einkommensteuerveranlagung 2012 abzuweisen gewesen.

Vorlageantrag:

Im fristgerecht eingebrachten Vorlageantrag führte die steuerliche Vertreterin der Beschwerdeführer aus, im Zuge der Harmonisierung des Neuerungstatbestandes sei bei der Wiederaufnahme auf Antrag einerseits die grobe Verschuldung entfallen und anderseits weise aufgrund des mangelnden Informationszuganges der Abgabenbehörde der VwGH in seiner Rechtsprechung darauf hin, dass bei der Wiederaufnahme auf Antrag die betreffende Partei bestimme, welcher gesetzliche Wiederaufnahmegrund im konkreten Sachverhalt herangezogen werde ().

Die Beweise für die Krankheiten und Behinderungen der verstorbenen Klientin wie Krankenhausbefunde und Aufzeichnungen des behandelnden Arztes seien schon vor dem abgeschlossenen Verfahren vorhanden gewesen, nur hätten sie nicht dem für die Finanzbehörde erforderlichen Formerfordenis entsprochen. Im Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice vom 29. Jänner2015 seien Leiden, Krankheiten und Behinderungen festgehalten, welche nicht plötzlich auftreten würden, sondern teils chronisch, teils über viele Jahre hinweg bestehen würden, so die degenerative Veränderung der Wirbelsäule mit der Folge von massiven Einschränkungen im Alltag. Die Implantation der Aortenklappe liege viele Jahre zurück, habe jedoch Folgewirkungen gehabt, die zu einer Behinderung geführt hätten.

In der Entscheidung des BFG vom25.11.2020, GZ. RV/7101321/2016, sei der Sachverhalt ebenso beurteilt worden.

Die entscheidende Voraussetzung für die Wiederaufnahme des Verfahrens sei, dass in Kenntnis oder durch Berücksichtigung der Umstände ein im Spruch anders lautender Bescheid herbeigeführt worden wäre. Die neu hervorgebrachten Tatsachen und Beweismittel hätten eine beträchtliche steuerliche Auswirkung. Im Mittelpunkt der Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO stehe die Verwirklichung eines rechtsrichtigen Ergebnisses. Die Abweisung der Wiederaufnahme des Verfahrens stehe der Verwirklichung eines rechtsrichtigen Ergebnisses diametral entgegen.

Nachdem die Beschwerdeführer alle Erfordernisse für die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO betreffend die Einkommensteuerveranlagung 2012 erfüllen würden, entspreche der Spruch des Bescheides vom27.7.2022 und der Spruch der Beschwerdevorentscheidung nicht dem Gesetz, weswegen der Inhalt der Bescheide nicht richtig sei.

Es werde ersucht, das Gericht möge sein Ermessen unter Bedachtnahme auf Billigkeit iS von Angemessenheit in bezug auf die berechtigten Interessen der Beschwerdeführer ausüben und der Beschwerde stattgeben.

Vorlagebericht:

Mit Vorlagebericht vom legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. Sie merkte ergänzend an, dass eine rückwirkende Feststellung des Grades der Behinderung nicht erfolgt sei.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Beschwerdeführer sind die Erben der am tt Jänner 2015 verstorbenen Dr. X.

Ihren Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Einkommensteuer 2012, die mit Bescheid vom veranlagt worden ist, stützen sie auf die Tatsache, dass die Erblasserin aufgrund einer schweren Gesundheitsbeeinträchtigung in einer Seniorenresidenz lebte, wofür im Jahr 2012 Kosten in Höhe von 35.630,16 € anfielen. Als Beweismittel legen sie eine Bestätigung der Seniorenresidenz vom und eine ärztliche Bestätigung vom vor.

2. Beweiswürdigung

Dieser Sachverhalt gründet sich auf die aktenkundigen Unterlagen und ist insoweit unstrittig.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.

Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Gemäß § 303 Abs. 2 BAO hat der Wiederaufnahmsantrag zu enthalten:

a. die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt wird;

b. die Bezeichnung der Umstände (§ 303 Abs. 1 BAO), auf die der Antrag gestützt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hielt zum Gesetzeswortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b BAO in seinem Erkenntnis vom , Ra 2014/15/0058, in den Rzen 20 ff Folgendes fest:

Die Wendung ,im abgeschlossenen Verfahren' beruht erkennbar auf einem Redaktionsversehen. Zweck der Wiederaufnahme wegen Neuerungen ist - wie schon nach der Regelung vor dem FVwGG 2012 - die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen (Ritz, BAO5 § 303 Tz 24). Gemeint sind also Tatsachen, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung ,im abgeschlossenen Verfahren' bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (vgl. Ro 2014/15/0035).

Mit dem FVwGG 2012 erfolgte eine Harmonisierung der Wiederaufnahme von Amts wegen mit jener auf Antrag (vgl. auch diesbezüglich die Erläuterungen zur Regierungsvorlage 2007 BlgNR 24. GP 22). Nicht geändert wurde aber insbesondere, dass der Wiederaufnahmeantrag u.a. die Bezeichnung der Umstände, auf die der Antrag gestützt wird, zu enthalten hat (§ 303a lit. b BAO idF vor FVwGG 2012; § 303 Abs. 2 lit. b BAO idF FVwGG 2012).

Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme auf Antrag die betreffende Partei, bei der Wiederaufnahme von Amts wegen die für die Entscheidung über die Wiederaufnahme zuständige Behörde (vgl. 90/14/0262).

Ein Antrag auf Wiederaufnahme hat sohin - bei Geltendmachung neu hervorgekommener Tatsachen - insbesondere die Behauptung zu enthalten, dass Tatsachen oder Beweismittel ,neu hervorgekommen sind'. Damit setzt aber diese Bestimmung voraus, dass diese Tatsachen im Zeitpunkt der Antragstellung bereits bekannt geworden sind. Aus dem insoweit klaren Wortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b iVm Abs. 2 lit. b BAO ist somit abzuleiten, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen ist. Gleiches gilt spiegelbildlich für die Wiederaufnahme von Amts wegen, bei der die - für die Behörde - neu hervorgekommenen Tatsachen im Wiederaufnahmebescheid anzuführen sind."

Nach der in der Folge ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. bspw. ; ; /01059 sowie ) wurde die Rechtsfrage zur Reichweite der antragsgebundenen Wiederaufnahme nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO idF FVwGG 2012 und zur diesbezüglichen Bedeutung des Kenntnisstandes der Partei bereits mit Erkenntnis vom , Ra 2014/15/0058, beantwortet. Demnach hat ein Antrag auf Wiederaufnahme - bei Geltendmachung des Wiederaufnahmetatbestandes der neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel - insbesondere die Behauptung zu enthalten, dass Tatsachen oder Beweismittel für den Steuerpflichtigen "neu hervorgekommen sind". Aus dem insoweit klaren Wortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b iVm Abs. 2 lit. b BAO ist somit abzuleiten, dass bei einem derartigen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen ist.

Die Wiederaufnahme auf Antrag erfordert somit, dass es sich um eine für den Antragsteller neu hervorgekommene Tatsache bzw. ein neu hervorgekommenes Beweismittel handelt.

Wenn die steuerliche Vertreterin in der Beschwerde ausführt, es könne nur auf den Wissenstand der Behörde ankommen, da nur sie den Bescheid erlasse und dabei im Rahmen der Beweiswürdigung den Spruch beeinflussen könne, so sind ihr die folgenden Ausführungen ergänzend zu den obigen Anmerkungen entgegenzuhalten:

Zweck der Wiederaufnahme nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO ist die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen (vgl. ). Gemeint sind also Tatsachen/Beweismittel, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung "im abgeschlossenen Verfahren" bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (vgl. ). Das Neuhervorkommen von Tatsachen/Beweismitteln ist bei der beantragten Wiederaufnahme aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen (, mwN; ; sowie Ritz/Koran, BAO7, § 303 Rz 11).

Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung allein oder iVm dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften (vgl. , mwN; ).

Neu hervorkommen können als Beweismittel (§ 166 BAO) etwa Urkunden (§ 168 BAO) und Aufzeichnungen (z.B. solche gemäß § 124 BAO).

Tatsachen, die der Erblasserin und den Beschwerdeführern schon immer bekannt gewesen sind (wie hier der Aufenthalt in einer Seniorenresidenz und die Tatsache, dass dafür Kosten angefallen sind), eröffnen ihnen daher keinen Antrag auf Wiederaufnahme (vgl. ), weil es für die Wiederaufnahme auf Antrag nicht auf den Wissenstand der Behörde, sondern auf den Wissensstand der Antragsteller ankommt.

Darüber hinaus erfüllen die als Beweismittel vorgelegten und mit datierte Bestätigung über die Entrichtung von 35.630,16 € für den Aufenthalt in der Seniorenresidenz im Jahr 2012 und die mit datierte ärztliche Bestätigung nicht die Kriterien, die an neu hervorgekommene Beweismittel anzulegen sind. In beiden Fällen wurden die Bestätigungen erst nachträglich erstellt, es handelt sich daher nicht um "nova reperta", sondern um "nova producta". Beide Schreiben kommen daher nicht als Wiederaufnahmegrund in Betracht.

Bei der Wiederaufnahme des Verfahrens ist zwischen der Rechtsfrage, ob der Tatbestand einer Wiederaufnahme gegeben ist, und der Frage der Durchführung der Wiederaufnahme, die im Ermessen der Behörde liegt, zu unterscheiden (vgl. ). Die Subsumption, ob ein bestimmter Sachverhalt den Wiederaufnahmetatbestand der neu hervorgekommenen Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO erfüllt, stellt somit keine Ermessensentscheidung dar (vgl. etwa ; , 2006/13/0114; , 2002/13/0029; , 2006/14/0002; , 98/13/0026; ).

Die steuerliche Vertreterin der Beschwerdeführer fordert damit zu Unrecht eine Ermessensentscheidung ein, weil bereits das Vorliegen eines Wiederaufnahmsgrundes verneint werden muss.

Im Übrigen wird auf die Ausführungen des Abweisungsbescheides und der Beschwerdevorentscheidung verwiesen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da über die im gegenständlichen Fall zu beurteilende Rechtsfrage, wann ein Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO vorliegt, im Sinne der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs entschieden wurde, war die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision auszusprechen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303a lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise


















ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7101938.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at