Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 16.08.2023, RV/1100195/2022

Rechtmäßigkeit einer Haftungsinanspruchnahme

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Haftung gemäß § 9 iVm § 80 BAO, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Im Ausmaß von 3.120,95 € wurde der Haftungsbetrag bereits im Wege einer Umbuchung gemäß § 215 Abs. 1 BAO entrichtet.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Schreiben vom teilte das Finanzamt dem Beschwerdeführer (im Folgenden abgekürzt Bf.) mit, dass auf dem Abgabenkonto der Primärschuldnerin die im beiliegendem Rückstandsausweis angeführten Abgaben in Höhe von insgesamt 4.751,20 € uneinbringlich aushafteten. Aufgrund der Funktion des Bf. als das zur Vertretung der Gesellschaft berufene Organ habe ihm die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Verpflichtungen oblegen. Da die im Rückstandsausweis angeführten Abgabenbeträge während der Vertretungsperiode des Bf. fällig bzw. nicht entrichtet worden seien, müsse das Finanzamt bis zum Beweis des Gegenteiles davon ausgehen, dass der Bf. der ihm obliegenden Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten der Gesellschaft nicht ausreichend nachgekommen sei.

Vertreter von Kapitalgesellschaften hafteten mit ihrem persönlichen Einkommen und Vermögen für deren Abgaben, wenn sie an deren Nichtentrichtung ein Verschulden treffe, wobei hierfür bereits leichte Fahrlässigkeit genüge. Kein Verschulden bestünde beispielsweise, wenn alle anderen Gesellschaftsgläubiger gleich behandelt worden seien wie das Finanzamt. Die Pflichtverletzung müsse darüber hinaus in ursächlichem Zusammenhang mit der Nichtentrichtung stehen.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes müsse das Finanzamt somit bis zum Beweis des Gegenteiles von einer schuldhaften und für den Abgabenausfall zudem auch ursächlichen Verletzung der Pflicht des Bf. zur Entrichtung der fällig gewordenen Abgaben aus den verwalteten Mitteln ausgehen. Unter diesen Umständen müsste der Bf. mit der Erlassung eines Haftungsbescheides im Ausmaß der uneinbringlich gebliebenen Abgaben rechnen.

Sofern die Gesellschaft bereits zu den Fälligkeitszeitpunkten der betreffenden Abgaben nicht mehr über ausreichend liquide Mittel zur (vollen) Bezahlung aller Verbindlichkeiten verfügt habe, könne dieser Umstand durch eine Auflistung sämtlicher Gläubiger mit zum Zeitpunkt der Abgabenfälligkeiten gleichzeitig oder früher fällig gewordenen Forderungen dargelegt werden. In dieser Aufstellung müssten alle damaligen Gläubiger der Gesellschaft (auch die zur Gänze bezahlten) sowie die auf einzelne Verbindlichkeiten (Gläubiger) geleisteten Zahlungen (Quoten) enthalten sein. Anzugeben bzw. gegenüberzustellen seien zudem alle verfügbar gewesenen liquiden Mittel (Bargeld und offene Forderungen) und es sei die Verschuldenssituation umfassend darzustellen.

Mit E-Mail vom teilte der Bf. dem Finanzamt sinngemäß mit, dass er den Haftungsvorhalt des Finanzamtes vom aus folgenden Gründen für gegenstandslos erachte: Mit Mitteilung vom und vom habe er die Beschwerdevorentscheidung erhalten, mit der über die Beschwerde vom gegen den Umsatzsteuerbescheid 2011 sowie den Umsatzsteuerbescheid 2013 abgesprochen worden sei. Im sei fristgerecht ein Antrag auf Vorlage der Beschwerde an das BFG gestellt worden. Bis gegenwärtig habe er weder eine Antwort noch eine Entscheidung des BFG erhalten.

Mit Bescheid vom sei die Einhebung der strittigen Umsatzsteuer 2011 in Höhe von 3.307,00 € sowie der ebenfalls strittigen Umsatzsteuer 2013 in Höhe von 1.444,20 € ausgesetzt worden.

Am habe er seine Geschäftsführerfunktion niedergelegt und am sei die amtliche Löschung der Primärschuldnerin im Firmenbuch erfolgt.

Da zur Zeit der Löschung der Primärschuldnerin im Firmenbuch die Einhebung der Abgabenschuldigkeiten ausgesetzt gewesen sei und er vor Ablauf der Aussetzung der Einhebung seine Geschäftsführertätigkeit zurückgelegt habe, läge keine schuldhafte Pflichtverletzung vor. Überdies seien die gegenständlichen Forderungen bereits verjährt.

Mit Haftungsbescheid vom wurde der Bf. gemäß § 9 iVm § 80ff BAO zur Haftung für folgende aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der Primärschuldnerin in Höhe von insgesamt 4.751,20 € herangezogen:


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Abgabenart
Zeitraum
Fälligkeitstag
Betrag
Umsatzsteuer
2011
3.307,00 €
Umsatzsteuer
01-09/2013
1.444,20 €
4.751,20 €

Dem Haftungsbescheid beigefügt war die teilweise stattgebende Beschwerdevorentscheidung vom , mit der aufgrund der Beschwerde vom die Umsatzsteuer 2011 anstelle von bisher 3.389,20 € mit 3.307,00 € festgesetzt wurde. Ebenfalls beigefügt war der Bescheid vom , mit dem die Umsatzsteuer 2013 mit 1.444,20 € festgesetzt wurde.

Begründend wurde ausgeführt, der Bf. sei als ehemaliger Geschäftsführer der Primärschuldnerin in Hinblick auf die Bestimmung des § 80 Abs. 1 BAO insbesondere verpflichtet gewesen, dafür Sorge zu tragen, dass die Abgaben des Betriebes entrichtet würden. Bei der gegebenen Aktenlage müsse das Finanzamt bis zum Beweis des Gegenteiles davon ausgehen, dass der Bf. diese gesetzliche Verpflichtung schuldhaft verletzt habe. Die Haftung sei auszusprechen gewesen, da Einbringungsmaßnahmen gegen die GmbH, auf welche Exekution geführt werden habe können, bisher erfolglos verlaufen seien.

In der fristgerecht eingebrachten Beschwerde begehrte der Bf. die ersatzlose Aufhebung des Haftungsbescheides. Zur Begründung brachte er sinngemäß vor, er sei mit Haftungsvorhalt vom zur Zahlung der Haftungssumme bzw. zur Angabe von Gründen, weshalb keine Pflichtverletzung hinsichtlich der Nichtentrichtung der in Haftung gezogenen Abgabenschuldigkeiten vorliege, aufgefordert worden. In seinem Antwortschreiben vom habe er sodann dem Finanzamt die Gründe, weshalb ihn keine Haftung treffe, dargelegt. Auf dieses Vorbringen werde nochmals verwiesen. Das Finanzamt habe sein Antwortschreiben unbeantwortet gelassen und ihn in der Folge in Haftung gezogen.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde abgewiesen. Begründend wurde unter Wiedergabe der §§ 9 Abs. 1 und 80 Abs. 1 BAO sowie der zu diesen Normen ergangenen höchstgerichtlichen Judikatur ausgeführt, der Bf. sei am als Director der Primärschuldnerin eingetragen und am gelöscht worden. In der Folge habe es keine weiteren Directors mehr gegeben, der compulsory Strike-off sei am erfolgt.

Die Fälligkeiten der im Haftungsbescheid angeführten Abgabenschuldigkeiten lägen vor dem Strike-off-Termin und würden daher das existente Steuersubjekt treffen. Die Abgabenschuldigkeiten (Umsatzsteuer) seien jedoch von Gesetzes wegen fällig (vgl. die Fälligkeitstermine in der Tabelle). Zu diesen Terminen sei der Bf. als Director registriert gewesen.

Das BFG habe die Beschwerden gegen die in Haftung gezogenen Abgabenschuldigkeiten mit Beschluss vom als unzulässig geworden zurückgewiesen, weil die Primärschuldnerin nach dem "compulsory Strike-off" als Partei nicht mehr existent und sohin das BFG auch außerstande gewesen sei, den Beschluss an die LTD zuzustellen. Der Bf. hätte jedoch die Möglichkeit gehabt, im Zuge der Haftungsinanspruchnahme auch gegen die Abgabenschuldigkeiten ein Rechtsmittel zu ergreifen (vgl. § 248 BAO). Von dieser Möglichkeit habe der Bf. jedoch keinen Gebrauch gemacht.

Soweit der Bf. Verjährung der gegenständlichen Abgaben einwende, werde angemerkt, dass die Einhebungsverjährung der Abgaben mit Ablauf des Kalenderjahres beginne, in welchem sie fällig geworden seien. Die Umsatzsteuer 2011 sei am fällig geworden, die Einhebungsverjährung beginne sohin am , jene der Umsatzsteuer 2013 (fällig am ) sohin am . Die Verjährung sei durch die beantragte Aussetzung der Einhebung gehemmt worden, das heiße, der Fristenlauf stehe auf Pause. Die Aussetzung der Einhebung der Umsatzsteuer 2011 sei am verfügt worden und habe bis zu deren Ablauf am gedauert. Bei der Umsatzsteuer 01-09/2013 sei die Aussetzung ebenfalls am verfügt worden und habe bis gedauert. Die Fünfjahresfrist sei daher in beiden Fällen gehemmt gewesen, bei der Umsatzsteuer 2011 seien zu diesem Zeitpunkt 1 Jahr, 5 Monate und 5 Tage verstrichen und noch etwas mehr als 3,5 Jahre offen gewesen. Bei der Umsatzsteuer 01-09/2013 seien zu diesem Zeitpunkt 5 Monate und 5 Tage verstrichen und somit noch etwas mehr als 4,5 Restjahre offen gewesen. Die Hinzurechnung dieser Zeiträume ab dem Zeitpunkt des Ablaufs jeweils an einem anderen Tag im Jänner 2019 führe daher nicht zum Verjährungseintritt.

Soweit der Bf. vermeine, dass die Zurücklegung seiner Geschäftsführung per einen Ausschluss seiner Haftung bewirke, werde angemerkt, dass die Haftung für Abgabenschuldigkeiten bestehe, deren Fälligkeit in die Zeit seiner Geschäftsführung falle. Der Bf. sei Director vom bis zum gewesen. Die gegenständlichen Abgaben datierten fälligkeitsmäßig in den Zeitraum bzw. , also während aufrechter Geschäftsführung durch den Bf. Der Umstand, dass die LTD mittlerweile gelöscht worden sei, hindere nicht die Inanspruchnahme des ehemaligen Directors als Haftungspflichtigen. Ebenso wenig seien die Umstände der Nichtzustellung des BFG-Beschlusses infolge Löschung der abgabepflichtigen LTD sowie der Aussetzung der Einhebung während des laufenden BFG-Verfahrens von Relevanz. Zum Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme sei die LTD bereits gelöscht und der Ablauf der Aussetzung der Einhebung bereits verfügt gewesen.

Das Beschwerdevorbringen enthalte darüber hinaus keine Darstellung der Gläubigergleichbehandlung, wie mit Haftungsvorhalt des Finanzamtes vom gefordert worden sei. Die Vorhaltsbeantwortung vom enthalte ebenso nur das in der späteren Beschwerde wiederholte Vorbringen.

Im fristgerecht eingebrachten Vorlageantrag verwies der Bf. ergänzend unter Bezugnahme auf die Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung auf die Entscheidung des . In diesem gleichgelagerten Fall habe der UFS im Fall der Aussetzung der Einbringung bei der Haftung eines Geschäftsführers eine andere Rechtsmeinung vertreten. Im Sinne der Gleichmäßigkeit der Besteuerung sei die abweichende Rechtsmeinung des Finanzamtes ***2*** nicht verständlich.

Auch werde wiederholt ein Insolvenzverfahren angeführt. Die Primärschuldnerin sei nicht in Insolvenz gewesen und habe auch keine Einnahmen verzeichnet. Angezweifelt würden auch die vom Finanzamt angeführten Verjährungfristen.

Im Vorlagebericht vom führte das Finanzamt in seiner Stellungnahme aus, der Bf. unterliege bei seiner Ansicht, dass er keine Zahlungspflichten verletzt habe, weil zum Zeitpunkt der Löschung der Primärschuldnerin im Firmenbuch die Aussetzung der Einhebung der in Haftung gezogenen Umsatzsteuern 2011 und 2013 noch aufrecht gewesen sei, einem Irrtum. Der Bf. übersehe, dass die von ihm zitierte Entscheidung des UFS Haftungsschulden für Körperschaftsteuern betreffe. Im Unterschied zu der hier gegenständlichen Umsatzsteuer kenne die Körperschaftsteuer keine gesetzlichen Zahlungstermine. Die in Haftung gezogenen Umsatzsteuern 2011 und 2013 seien jeweils zu den vordefinierten gesetzlichen Terminen fällig geworden. Die im Zuge der Beschwerdeführung gegen die Umsatzsteuerbescheide gestellten Aussetzungsanträge würden diese Fälligkeits- bzw. Zahlungstermine daher nicht berühren.

Zudem verwechsle der Bf. bei seinem Vorbringen betreffend Verjährung erneut Festsetzungs- und Einhebungsverjährung.

Es werde daher beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Bei der Primärschuldnerin handelte es sich um eine in Großbritannien mit Gesellschaftsvertrag vom nach englischem Recht gegründete "private limited company" mit einer seit im österreichischen Firmenbuch eingetragenen inländischen Zweigniederlassung. Gesellschaftszweck war die Errichtung und Finanzierung eines Low Budget Design Hotels in ***1***. Nach Auflösung der Auslandsgesellschaft mit erfolgte mit auch eine amtswegige Löschung der inländischen Zweigniederlassung im Firmenbuch.

Der Bf. war im Zeitraum vom bis zum alleiniger Geschäftsführer der Primärschuldnerin. Nach Zurücklegung dieser Funktion durch den Bf. mit wurde kein neuer Geschäftsführer bestellt.

Haftungsgegenständlich sind die Umsatzsteuer 2011 mit Fälligkeitstag und die Umsatzsteuer 01-09/2013 mit Fälligkeitstag .

Mit Bescheid vom wurde die Einbringung der in Haftung gezogenen Abgaben ausgesetzt. Mit Bescheid vom wurde der Ablauf der Aussetzung der Einhebung der Umsatzsteuer 2011 verfügt. Der Ablauf der Aussetzung der Einhebung der Umsatzsteuer 01-09/2013 erfolgte mit Bescheid vom .

Der Bf. wurde bereits mit rechtskräftigen Haftungsbescheid vom für folgende Abgabenschuldigkeiten der zwischenzeitlich nicht mehr existenten Primärschuldnerin in Höhe von insgesamt 2.874,00 € in Anspruch genommen: Für die Körperschaftsteuervorauszahlungen der ersten drei Quartale 2014 in Höhe von jeweils 125,00 €, für die Körperschaftsteuervorauszahlung für das vierte Quartal 2014 in Höhe von 1.062,00 €, für die Körperschaftsteuervorauszahlungen für die ersten drei Quartale 2015 in Höhe von jeweils 359,00 € sowie für die Körperschaftsteuervorauszahlung für das vierte Quartal 2015 in Höhe von 360.00 €.

Der Bf. bezieht seit einzig eine Alterspension in Höhe von derzeit 27.496,56 € brutto.

Gegenwärtig weist das Abgabenkonto des Bf. weder eine Abgabenschuld noch ein Guthaben aus.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus den seitens der Abgabenbehörde vorgelegten Akten sowie den vom BFG durchgeführten Abfragen im Abgabeninformationssystem, insbesondere aus den gegenüber der Primärschuldnerin erlassenen Umsatz- und Körperschaftsteuerbescheiden der Jahre 2005 bis 2015, den Erkenntnissen des , und vom , RV/1100002/2015, sowie des .

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

In Streit steht die Rechtmäßigkeit der Haftungsinanspruchnahme gemäß § 9 in Verbindung mit § 80 BAO.

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Gemäß § 224 Abs. 1 BAO werden die in Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten.

Gemäß § 224 Abs. 3 BAO ist die erstmalige Geltendmachung eines Abgabenanspruches anlässlich der Erlassung eines Haftungsbescheides gemäß Abs. 1 nach Eintritt der Verjährung des Rechtes zur Festsetzung der Abgabe nicht mehr zulässig.

Gemäß § 238 Abs. 1 BAO verjährt das Recht eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe. § 209a gilt sinngemäß.

Gemäß § 238 Abs. 3 lit. b BAO ist die Verjährung gehemmt, solange die Einbringung auf Grund eines Aussetzungsantrages oder einer Beschwerde gegen die Abweisung eines Aussetzungsantrages gemäß § 230 Abs. 2 oder 6 gehemmt ist.

Voraussetzung für eine Haftung sind eine Abgabenforderung gegen den Vertretenen, die Stellung als Vertreter, die Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung, eine Pflichtverletzung des Vertreters, dessen Verschulden an der Pflichtverletzung und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit.

Im Beschwerdefall ist die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgabenforderungen bei der Primärschuldnerin ebenso unbestritten wie der Umstand, dass der Bf. im haftungsgegenständlichen Zeitraum alleinvertretungsbefugter Geschäftsführer der Primärschuldnerin war. Der Bf. bestreitet jedoch ein pflichtwidriges Verhalten, indem er vorbringt, die Einbringung der in Haftung gezogenen Abgaben sei zum Zeitpunkt der Niederlegung seiner Geschäftsführerfunktion zum bzw. zum Zeitpunkt der Löschung der Primärschuldnerin im Firmenbuch am ausgesetzt gewesen. Ihn hätten deshalb keine abgabenrechtlichen Zahlungspflichten getroffen. Zur Untermauerung dieser Rechtsmeinung verweist der Bf. auf die Entscheidung des .

Zu den abgabenrechtlichen Pflichten des Vertreters gehört insbesondere, für die rechtzeitige, richtige und vollständige Entrichtung der Abgaben zu den sich aus den abgabenrechtlichen Vorschriften ergebenden Fälligkeitstagen zu sorgen. Bei bescheidmäßig festzusetzenden Abgaben wie der Körperschaftsteuer ist grundsätzlich die erstmalige Abgabenfestsetzung entscheidend. Im Unterschied dazu ist bei Selbstbemessungsabgaben wie der Umsatzsteuer, der in den jeweiligen Materiengesetzen festgelegte Abfuhrzeitpunkt maßgebend, unabhängig davon, ob bzw. wann die Abgaben bescheidmäßig festgesetzt wurden (siehe dazu z.B. Ritz, BAO6, § 9 Tz 10, sowie die dort angeführte Judikatur).

Die in Haftung gezogenen Abgaben hatten die folgenden Fälligkeitstage: Die Umsatzsteuer 2011 gemäß § 210 Abs. 1 BAO iVm § 21 Abs. 1 und Abs. 5 UStG 1994 den und die Umsatzsteuer 01-09/2013 gemäß § 210 Abs. 1 BAO iVm § 21 Abs. 1 UStG 1994 den .

Die mit Bescheid vom verfügte Aussetzung der Einhebung der Umsatzsteuer 2011 sowie der Umsatzsteuer 01-09/2013 erfolgte erst geraume Zeit nach Eintritt der Fälligkeit dieser Abgaben. Der dadurch bewirkte Zahlungsaufschub änderte somit nichts daran, dass die Unterlassung der Zahlung zu den jeweiligen Fälligkeitstagen einen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Abgabenentrichtung darstellte (vgl. ).

Im Unterschied dazu wurde in der vom Bf. zitierten Entscheidung des , ein Antrag auf Aussetzung der Einhebung bereits vor Fälligkeit der in Haftung gezogenen Abgaben (Körperschaftsteuer und Anspruchszinsen) gestellt. Aufgrund der Einhaltung der Fristenkette - Eintritt eines Zahlungsaufschubes gemäß § 212a Abs. 5 BAO bereits vor Fälligkeit - bestand erst nach dem bescheidmäßig verfügten Ablauf der Aussetzung der Einhebung erstmalig eine Entrichtungsverpflichtung. Zu diesem Zeitpunkt war der in Haftung gezogene Haftungsschuldner jedoch nicht mehr Geschäftsführer, sodass ihm keine schuldhafte Pflichtverletzung an der Nichtentrichtung der Abgaben angelastet werden konnte.

Der Einwand des Bf., ihn hätten aufgrund der aufrechten Aussetzung der Einbringung der in Haftung gezogenen Abgaben bis zum Zeitpunkt der Niederlegung seiner Geschäftsführerfunktion zum bzw. zum Zeitpunkt der Löschung der Primärschuldnerin im Firmenbuch am keine Zahlungspflichten getroffen, ist somit unzutreffend.

Hinsichtlich der Verjährungseinrede des Bf. wird insbesondere auf das Erkenntnis des , verwiesen. In diesem Erkenntnis wird festgehalten, dass "die zeitliche Begrenzung, einen Vertreter zur Haftung nach § 9 BAO heranzuziehen, einerseits klar dem Gesetz zu entnehmen ist, nämlich einerseits innerhalb der Verjährungsfrist des § 238 BAO, andererseits gemäß § 224 Abs. 3 leg. cit. bei erstmaliger Geltendmachung des Abgabenanspruchs anlässlich der Erlassung eines Haftungsbescheides innerhalb der Fristen der Verjährung des Rechtes zur Festsetzung der Abgabe".

Im Beschwerdefall wurden die in Haftung gezogenen Abgaben - Umsatzsteuer 2011 und Umsatzsteuer 01-09/2013 - nicht erstmalig mit dem beschwerdegegenständlichen Haftungsbescheid geltend gemacht. Vielmehr wurde gegenüber der Primärschuldnerin am ein zwischenzeitlich rechtskräftiger Umsatzsteuerbescheid 2011 erlassen und am ein rechtskräftiger Umsatzsteuerbescheid 2013.

Somit kommt im Beschwerdefall die Einhebungsverjährungsfrist des § 238 BAO und nicht gemäß § 224 Abs. 3 BAO die Festsetzungsverjährungsfrist zur Anwendung (siehe dazu auch ; ; ; ).

Beginn der Einhebungsverjährung ist gemäß § 238 Abs. 1 BAO der Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die jeweilige Abgabe fällig geworden ist. Fälligkeitszeitpunkt der beschwerdegegenständlichen Umsatzsteuer 2011 war der , sodass diesbezüglich die Einhebungsverjährung am zu laufen begann. Fälligkeitszeitpunkt der beschwerdegegenständlichen Umsatzsteuer 2013 war der , die Einhebungsverjährung begann somit am zu laufen.

Wie in der Beschwerdevorentscheidung zutreffend ausgeführt wurde, wurde der Lauf der fünfjährigen Verjährungsfrist gemäß § 238 Abs. 3 lit. b BAO durch die mit Bescheid vom bewilligte Aussetzung der Einhebung bis zum verfügten Ablauf der bewilligten Aussetzung gehemmt. Da hinsichtlich der Umsatzsteuer 2011 der Ablauf der Aussetzung der Einhebung mit Bescheid vom verfügt wurde, hätte die fünfjährige Verjährungsfrist erst am geendet. Hinsichtlich der Umsatzsteuer 2013 ist der Ablauf der Aussetzung der Einhebung mit Bescheid vom verfügt worden, sodass die fünfjährige Frist zur Einhebung der Abgabe am geendet hätte. Entgegen dem Beschwerdevorbringen war somit am , dem Zeitpunkt der Erlassung des beschwerdegegenständlichen Haftungsbescheides noch keine Einhebungsverjährung eingetreten.

Dafür, dass das obig dargestellte pflichtwidrige Verhalten des Bf. diesem nicht vorzuwerfen ist bzw. nicht kausal ist für die Uneinbringlichkeit der in Haftung gezogenen Abgaben besteht nach den Akten kein Anhaltspunkt.

Die im Rahmen des § 224 BAO zu treffende Ermessensentscheidung im Sinne des § 20 BAO ist innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung des berechtigten Interesses der Bf. beizumessen, nicht zur Haftung für Abgaben herangezogen zu werden, deren Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin feststeht und deren Nichtentrichtung durch sie verursacht wurde. Unter dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" ist das "öffentliche Interesse an der Einhebung der Abgaben" zu verstehen.

Der Bf. bezieht seit eine Alterspension in Höhe von derzeit 27.496,56 € brutto. Ob der Bf. über Vermögen verfügt, geht aus den Akten nicht hervor. Dies ist gegenständlich nach Auffassung des BFG aber deshalb nur von eingeschränkter Bedeutung, weil zum einen von den in Haftung gezogenen Abgaben in Höhe von 4.751,20 € ein Haftungsbetrag im Ausmaß von 3.120,95 € bereits im Wege einer Umbuchung gemäß § 215 Abs. 1 BAO entrichtet wurde. Eine Einbringlichkeit der Haftungsschuld in Höhe von 3.120,95 € war somit gegeben. Hinsichtlich des noch verbleibenden Haftungsbetrages von 1.630,25 € geht das BFG aufgrund der Höhe des derzeitigen Einkommens des Bf. von einer Einbringlichkeit aus. Hinzu kommt, dass der zulässige Umfang einer Haftungsinanspruchnahme nicht mit der Höhe der aktuellen Einkünfte bzw. des aktuellen Vermögens des Haftungspflichtigen begrenzt ist (vgl. ; ; ; mwN).

Die Zweckmäßigkeit der Geltendmachung der Haftung liegt vor allem darin, dass nur durch diese Maßnahme eine zumindest teilweise Einbringlichkeit der betreffenden Abgaben gegeben ist, und nur so dem öffentlichen Interesse an der Abgabenerhebung nachgekommen werden kann. Gesamthaft war daher in Ausübung des freien Ermessens dem öffentlichen Interesse an der Einbringung der Abgaben gegenüber dem Interesse des Bf., nicht zur Haftung herangezogen zu werden, der Vorzug zu geben.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig, da die im Beschwerdefall zu beurteilenden Rechtsfragen bereits ausreichend durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, von der das gegenständliche Erkenntnis nicht abweicht, geklärt sind.

Gesamthaft war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Feldkirch, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 224 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 224 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 238 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 238 Abs. 3 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.1100195.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at