Ansässigkeit und (kein) Vorrang der persönlichen Bindungen
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RV/1200006/2019-RS1 | Art 212 Abs 3 lit a und b UZK-DA, der auf die Ansässigkeit im Drittstaat abstellt, lässt nicht erkennen, dass persönliche Bindungen (im Zweifel) eine besondere (ausschlaggebende) Bedeutung haben sollten. Die Ansässigkeit ist unionsrechtlich nach dem Zweck der UZK-DA auszulegen; für einen Vorrang der persönlichen Bindungen im Zuge der Prüfung der Ansässigkeit bleibt kein Raum. |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***2*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Dr. Karl Heinz Plankel, Bartensteingasse 16 Tür 11, 1010 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Zollamtes Feldkirch Wolfurt (nunmehr Zollamt Österreich) vom betreffend Vorschreibung von Zollabgabe, Einfuhrumsatzsteuer und Verzugszinsen zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig .
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit Bescheid vom wurden dem Beschwerdeführer (Bf.) gemäß Artikel 102 UZK die Abgabenschuld zu dem drittländischen unverzollten Beförderungsmittel der Marke Volvo vorgeschrieben (Zoll: € 1.831,88; EUSt: € 4.030,14 sowie Verzugszinsen: € 39,19).
Die bescheiderlassende Behörde führte aus, dass das Fahrzeug vorschriftswidrig verbracht worden sei: "Dadurch, dass der Abgabenschuldner selbständig bzw. als Einzelunternehmer (***1***) im Zolllausland (Adresse_in Schweiz) tätig ist, sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen - sprich sein Wohnsitz, gemeinsam mit seiner Ehefrau (und dem Stiefsohn), im Unionsgebiet befindet, ist dieser somit nicht berechtigt das in Rede stehe drittländische unverzollte Fahrzeug im Rahmen der formlosen vorübergehenden Verwendung zu lenken. Hinsichtlich des Zeitpunktes der Zollschuldentstehung für das verfahrensgegenständliche Beförderungsmittel wurde seitens des Zollamtes Feldkirch Wolfurt dahingehend ermittelt, dass die Zollschuld für das gegenständliche Beförderungsmittel mit der am stattgefundenen Einfahrt in das Zollgebiet der Union entstanden ist. Somit ist für das obgenannte Beförderungsmittel die Zollschuld in der Höhe von EUR 5.901,21 gem. Artikel 79 Abs. 1 UZK kraft Gesetzes entstanden.".
Unter Hinweis auf Art. 212 Abs. 3 Buchstabe a UZK-DA, führte das Zollamt aus:
"Ergibt eine Kontrolle, dass eine Willensäußerung im Sinne des Art. 141 UZK-DA erfolgt ist, die verbrachten oder ausgeführten Waren aber nicht die Voraussetzungen der Art. 138, 139 und 140 UZK-DA erfüllen, so gilt die Zollanmeldung für diese Waren als nicht abgegeben Art. 219 UZK-IA. 6. Gemäß Art. 79 Absatz 1 Buchstabe a UZK entsteht die Einfuhrzollschuld, wenn eine in den zollrechtlichen Vorschriften festgelegte Verpflichtung in Bezug auf das Verbringen von Nichtunionswaren verletzt wird."
Und weiter: "In einem ersten Schritt zu prüfen, ob im vorliegenden Fall alle in Art. 212 Abs. 3 Buchstabe a UZK-DA geforderten Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu ist zu klären, ob der Bescheidadressat seinen gewöhnlichen Wohnsitz (= Ansässigkeit) im Drittland oder der EU hat. Gemäß § 4 Abs. 1 Ziff. 8 ZollR-DG hat eine natürliche Person ihren normalen oder gewöhnlichen Wohnsitz (§ 26 der Bundesabgabenordnung) dort, wo sie wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder - im Falle einer Person ohne berufliche Bindungen - wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen der Person und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, das heißt während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt. Jedoch gilt als gewöhnlicher Wohnsitz einer Person, deren berufliche Bindungen an einem anderen Ort als dem ihrer persönlichen Bindungen liegen und die daher veranlasst ist, sich abwechselnd an verschiedenen Orten innerhalb und außerhalb des Zollgebiets der Union aufzuhalten, der Ort ihrer persönlichen Bindungen, sofern sie regelmäßig dorthin zurückkehrt. Die letztere Voraussetzung entfällt, wenn sich die Person im Zollgebiet der Union zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter Dauer aufhält. Der Universitäts- und Schulbesuch hat keine Verlegung des gewöhnlichen Wohnsitzes zur Folge.
Der Abgabenschuldner gab bereits in der am aufgenommenen Sachverhaltsdarstellung, als Erstaussage, gegenüber dem Zollamt Feldkirch Wolfurt, Zollstelle Höchst, wie folgt an: "Er fahre an den Wochenenden und gelegentlich unter der Woche zu seiner Ehefrau mit welcher er seit xx.xx2017 verheiratet sei und ebenfalls bei ihr übernachtet.
Der Abgabenschuldner hat einen Wohnsitz im Zollgebiet der Union und einen solchen außerhalb des Zollgebietes der Union. Entsprechend den Angaben des Bescheidadressaten hat dieser seine beruflichen Bindungen in der Schweiz, die persönlichen Bindungen befinden sich in Österreich (Gattin und Stiefsohn). Gemäß Zentralem Melderegisterauszug, welcher dem Zollamt Feldkirch Wolfurt, vorgelegt wurde, ist der Abgabenschuldner seit Juni2018 in Nebenwohnsitzadresse, Österreich gemeldet, jedoch bereits seit xx.xx2017 mit seiner Ehefrau Name_der_Gattin verheiratet. Wie bereits oben angeführt und gemäß "Erstaussage vom ", fährt der Abgabenschuldner an den Wochenenden, sprich regelmäßig sowie gelegentlich unter der Woche zu seiner Ehefrau, zu der vorgenannten Wohnadresse, in das Zollgebiet der Union. Damit ist der gewöhnliche Wohnsitz des Bescheidadressaten gemäß § 4 Abs. 1 Ziff. 8 ZollR-DG in Österreich gelegen. Die in Art. 212a Abs. 3 Buchstabe a UZK-DA geforderte Ansässigkeit im Drittland ist somit nicht gegeben."
In der Beschwerde führte die Partei aus: "Die Behörde geht bisher von einem unrichtigen Sachverhalt aus. Richtig ist, dass die betroffene Verfahrenspartei seinen Lebensmittelpunkt nicht im Unionsgebiet hat, sondern wie bereits erwähnt in der Schweiz. Die Partei übernachtet zwar gelegentlich bei seiner Frau in Österreich, diese jedoch auch regelmäßig bei ihm in der Schweiz. Sein beruflicher und privater Lebensmittelpunkt ist eindeutig in der Schweiz. Er ist dort auch hauptwohnsitzlich gemeldet und hat in Österreich seit Juni2018 lediglich einen Nebenwohnsitz gemäß dem österreichischen Meldegesetz angemeldet. Das gegenständliche Fahrzeug ist in der Schweiz zugelassen und angemeldet. Die betroffene Partei besitzt in der Schweiz ein Haus und betreibt dort ein Unternehmen. Er ist außerdem in der Schweiz steuerpflichtig und beabsichtigt auch nicht seinen Lebensmittelpunkt nach Österreich zu verlegen."
Die Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen und im Wesentlichen damit begründet, dass es bei der rechtlichen Beurteilung nach dem Vorliegen eines gewöhnlichen Wohnsitzes im Zollgebiet nicht darauf ankommt, ob sich eine Person ständig im Zollgebiet aufhält. Bei beruflichen Bindungen zum Zollausland und persönlichen Bindungen zum Zollgebiet reiche für eine zulässige Annahme eines gewöhnlichen Wohnsitzes im Zollgebiet aus, dass die betreffende Person regelmäßig zum Ort der persönlichen Bindungen zurückkehrt (-Z3K/02).
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)
Gemäß Art 212 Abs 3 lit a und b UZK-DA wird für im Straßenverkehr eingesetzte Beförderungsmittel die Einfuhrabgabenfreiheit gewährt, sofern diese auf den Namen einer außerhalb des Zollgebiets der Union ansässigen Person amtlich zugelassen sind oder im Falle der Nichtzulassung einer solchen gehören und werden unbeschadet der Artikel 214, 215 und 216 von einer außerhalb des Zollgebiets der Union ansässigen Person verwendet. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen gelten die Beförderungsmittel gemäß Art 139 Abs 1 lit a UZK iSd Art 141 UZK-DA durch konkludente Handlung als zur vorübergehenden Verwendung angemeldet.
Ergibt eine Kontrolle, dass eine Willensäußerung iSd Art 141 UZK-DA erfolgt ist, die verbrachten oder ausgeführten Waren aber nicht die Voraussetzungen der Art 138, 139 und 140 UZK-DA erfüllen, so gilt die Zollanmeldung für diese Waren als nicht abgegeben. Zur Frage, ob die Voraussetzungen für Art 212 Abs 3 lit a und b UZK-DA gegeben sind, ist sohin in der Tat zu prüfen, ob der Beschwerdeführer seinen gewöhnlichen Wohnsitz im Drittland (Schweiz) oder in der EU hat.
Gemäß Art 5 Ziffer 31 lit a UZK ist eine im Zollgebiet ansässige Person eine natürliche Person, die ihren gewöhnlichen Wohnsitz im Zollgebiet der Union hat. Der gewöhnliche Wohnsitz orientiert sich dabei an § 4 Abs 2 Ziffer 8 ZollR-DG.
Nach § 4 Abs 1 Ziffer 8 ZollR-DG hat eine natürliche Person ihren normalen oder gewöhnlichen Wohnsitz (§ 26 BAO) dort, wo sie wegen persönlicher und beruflicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen der Person und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, das heißt während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt. Jedoch gilt als gewöhnlicher Wohnsitz einer Person, deren berufliche Bindungen an einem anderen Ort als dein ihrer persönlichen Bindungen liegen und die daher veranlasst ist, sich abwechselnd an verschiedenen Orten innerhalb und außerhalb des Zollgebiets der Union aufzuhalten, der Ort ihrer persönlichen Bindungen, sofern sie regelmäßig dorthin zurückkehrt. Die letztere Voraussetzung entfällt, wenn sich die Person im Zollgebiet der Union zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter Dauer aufhält.
Soweit ersichtlich steht folgender Sachverhalt fest:
Der Bf. ist mit einem Hauptwohnsitz in der Schweiz (Schweiz, ***3*** laut Fahrzeugpapiere), aber auch mit einem Nebenwohnsitz in Österreich gemeldet (***Bf1-Adr*** laut ZMR). Er betreibt in der Schweiz an seinem Hauptwohnsitz ein Unternehmen (Volvo mit der Werbeaufschrift: www. xxxx.ch). Sein Einsatzgebiet, wie der aktenkundigen Homepage zu entnehmen ist, ist vorwiegend die Stadt Ort_Kanton_Schweiz, ca 60 km von seinem Nebenwohnsitz entfernt, ca 40 Minuten Fahrzeit. Er wohnt sohin in der Schweiz und ist steuerlich erfasst, im Gegensatz zu Österreich. Es sind an seinem Steuerkonto keine Daten vorhanden, er ist nicht veranlagt in Österreich und auf ihn sind auch keine KFZ zugelassen (im Gegensatz zur Schweiz). Seine Bindung zu Österreich ist ausschließlich persönlicher Natur; er besucht fallweise (ca 1x pro Woche, fallweise auch am Wochenende) seine Frau und nächtigt dann auch am Nebenwohnsitz.
Unter Berufung auf die Rechtsprechung des UFS vertritt nun die bescheiderlassende Behörde, dass durch diese familiären Bindungen der gewöhnliche Wohnsitz jedenfalls in Österreich gelegen sei: "Zufolge der oben dargelegten Normen (§ 4 ZollR-DG etc.) kommt es demnach bei der rechtlichen Beurteilung nach dem Vorliegen eines gewöhnlichen Wohnsitzes im Zollgebiet nicht darauf an, ob sich eine Person ständig im Zollgebiet aufhält. Bei beruflichen Bindungen zum Zollausland und persönlichen Bindungen zum Zollgebiet reicht für eine zulässige Annahme eines gewöhnlichen Wohnsitzes im Zollgebiet aus, dass die betreffende Person regelmäßig zum Ort der persönlichen Bindungen zurückkehrt (- Z3K/02).
Nach Ansicht des BFG vermag die Rechtsprechung des UFS auf den (außer Kraft getretenen) ZK der Beschwerde nicht den Erfolg zu versagen, da Art 212 Abs 3 lit a und b UZK auf die Ansässigkeit im Drittstaat abstellt und dieser Terminus nicht erkennen lässt, dass persönlichen Bindungen (im Zweifel) eine besondere (ausschlaggebende) Bedeutung haben sollten; die Ansässigkeit bleibt unionsrechtlich auszulegen; für einen Vorrang der persönlichen Bindungen im Zuge der Prüfung des Ansässigkeit bleibt kein Raum; Summersberger, ZfZ 2020, 30 (31) FN 24; zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts s Kofler in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2 (2020), Auslegung und Anwendung des harmonisierten Steuerrechts Rn 13.14 ff.
Überdies greife selbst bei einer "Vorrangprüfung der persönlichen Bindung" eine Anknüpfung nur an den Wohnort des Ehepartners zu kurz; es bestehen in der Regel persönliche Bindungen ja nicht nur zum Ehegatten, sondern auch zu Verwandten, Freunden und Bekannten, ja zum gesamten sozialen Umfeld des Wirtschaftsbeteiligten. In der Regel gibt es auch soziale Bindungen am Arbeitsort.
Fest steht: Für den Bf, der in der Schweiz seinen Hauptwohnsitz hat, dort sein Unternehmen betreibt, sein KFZ zugelassen ist, er steuerlich veranlagt ist, aber in Österreich fallweise an seinem Nebenwohnsitz bei seiner Frau nächtigt, liegt unzweifelhaft der Lebensmittelpunkt in der Schweiz. Auf eine solche Prüfung stellt im Ergebnis auch der EuGH ab; s , Rigsadvokaten Rn 19; zit von Summersberger, ZfZ 2020, 30.
Der Beschwerde war der Erfolg sohin nicht zu versagen; der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Dass es auf die Ansässigkeit und nicht im Vordergrund auf die persönlichen Bindungen ankommt, kann schon der VO entnommen werden.
Salzburg, am
Zusatzinformationen
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Materie | Zoll |
betroffene Normen | Art. 212 Abs. 3 UZK-DA, DelVO 2015/2446, ABl. Nr. L 343 vom S. 1 |
Verweise | UZK, Zollkodex Art. 79 Abs. 1 UZK-DA Art. 212 Abs. 3 Buchstabe a UZK-DA Art. 141 UZK-IA Art. 219 UZK-DA Art. 212 Abs. 3 lit. a und b UZK, Zollkodex Art. 102 UZK, Zollkodex Art. 5 Z 31 lit. a UZK, Zollkodex Art. 212 Abs. 3 lit. a und b , Rigsadvokaten -Z3K/02 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.1200006.2019 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at