Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 03.08.2023, RV/6100213/2022

Verspäteter Antrag nach § 295 Abs. 4 BAO

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***8***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Zurückweisung eines Antrags gemäß § 295 Abs. 4 BAO auf Aufhebung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1995, 1996 und 2000 zu Recht erkannt:

I.) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II.) Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I.) Verfahrensgang/Sachverhalt:

1.) Die Bf (Beschwerdeführerin) war in den Streitjahren Kommanditistin der ***1*** [(StNr ***2*** (früher: ***3***)]. Mit , wurde die Beschwerde der angeführten Gesellschaft gegen die Bescheide des Finanzamtes ***4*** betreffend Nichtfeststellung von Einkünften aus Gewerbebetrieb für die Jahre 1995 - 2000 als unzulässig zurückgewiesen. Begründend wurde ua ausgeführt, im Spruch der Erledigungen würden jene Personen, die den Zufluss von Einkünften geltend gemacht hätten, nicht namentlich genannt. Die Bescheide könnten daher keine Rechtswirkung entfalten. Dem angeführten Beschluss des BFG ist (auch) zu entnehmen, dass die angefochtenen Erledigungen (Nichtfeststellungsbescheide) für die Jahre 1995 bis 2000 jeweils mit Datum vom erlassen worden sind und zur Begründung auf einen BP-Bericht vom verwiesen wurde.

2.) Der Einkommensteuerbescheid 1995 vom wurde (mehrfach) gemäß § 295 Abs. 1 BAO geändert. Im Bescheid vom wurde ausgeführt, die Änderung gem. § 295 BAO seien aufgrund der bescheidmäßigen Feststellungen des Finanzamtes ***5***. in ***6*** zu Steuernummer ***7*** vom erfolgt. Die letzte Änderung des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 1995 nach § 295 Abs. 1 BAO ist mit Bescheid vom erfolgt.

Der Einkommensteuerbescheid 1996 erging mit Ausfertigungsdatum . Auch dieser Einkommensteuerbescheid wurde gemäß § 295 Abs. 1 BAO (mehrfach), zuletzt mit , geändert. Im Einkommensteuerbescheid vom wurde wiederum dargelegt, die Änderung gem. § 295 BAO seien aufgrund der bescheidmäßigen Feststellungen des Finanzamtes ***5***. in ***6*** zu Steuernummer ***7*** vom erfolgt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung der Bf wurde zurückgenommen und von der Abgabenbehörde als gegenstandslos erklärt (Bescheid vom ).

Der Einkommensteuerbescheid 2000 wurde am erlassen. Bescheidänderungen nach § 295 Abs. 1 BAO erfolgten am und . Auch im Bescheid vom wurde ausgeführt, die Änderung gem. § 295 BAO seien aufgrund der bescheidmäßigen Feststellungen des Finanzamtes ***5***. in ***6*** zu Steuernummer ***7*** vom erfolgt. Die gegen den Einkommensteuerbescheid vom erhobene Beschwerde der Bf wurde ebenfalls zurückgenommen und von der Abgabenbehörde als gegenstandslos erklärt (Bescheid vom ).

3.) Mit Eingabe vom wurde ein Antrag gemäß § 295 Abs. 4 BAO auf Aufhebung der Einkommensteuerbescheide 1995, 1996 und 2000 gestellt und ausgeführt, der Antrag werde auf § 295 Abs. 4 BAO in der Fassung BGBl I 2013/70 gestützt. Das BFG habe mit Beschluss vom , RV/7102115/2004, den Einspruch der ***1*** gegen die Erledigungen des Finanzamtes ***4*** vom betreffend Nichtfeststellung von Einkünften aus Gewerbebetrieb für die Jahre 1995 bis 2000 mangels tauglicher Anfechtungsobjekte als unzulässig zurückgewiesen. Die aufzuhebenden Bescheide seien allesamt Änderungsbescheide im Sinne des § 295 BAO; die festgesetzten Nachforderungen würden aus der Beteiligung an der ***1*** resultieren. Da den bezüglichen Grundlagenbescheiden keine Bescheidqualität zukomme, erweise sich die daraus abgeleitete Steuer als unberechtigt und ungerecht.

Der gegenständliche Antrag sei zeitgerecht; die in den gesetzlichen Bestimmungen genannte Dreijahresfrist habe erst mit Zustellung des zitierten zu laufen begonnen.

4.) Mit Bescheid vom wurde der Antrag vom zurückgewiesen. Unter Hinweis auf die geltende Rechtslage (§ 295 Abs. 4 BAO in der Fassung des COVID-19-Steuermaßnahmengesetz, BGBl I 2021/3) wurde ausgeführt, der gegenständliche Antrag sei als verspätet zurückzuweisen; er sei nicht innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft des nichtigen Grundlagenbescheides gestellt worden. Der Antrag vom sei aber auch nach der von der Bf zitierten Rechtslage als verspätet zu beurteilen; er sei nämlich nicht innerhalb von drei Jahren ab Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuerbescheides (im Beschwerdefall vom ) gestellt worden.

5.) In der gegen den genannten Bescheid fristgerecht erhobenen Beschwerde vom wurde das Vorliegen eines verspäteten Antrages bestritten. Darüber hinaus wurde ausgeführt, selbst wenn das Finanzamt mit dieser Beurteilung im Recht wäre, erweise sich die Rechtsgrundlage als evident verfassungswidrig, weil der Steuerpflichtige für die Langsamkeit auf staatlicher Seite nicht "bestraft" werden könne.

6.) Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Am wurde fristgerecht der Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Verwaltungsgericht gestellt.

7.) In der Eingabe vom wurde (ergänzend) noch vorgebracht, die Bf erachte die vom Finanzamt als maßgebliche erachte Rechtslage für verfassungswidrig. Eine (Neu) Regelung, die ein Fristende normiere, welches vor ihrem Inkrafttreten eingetreten sei, erweise sich als nicht sachgerecht. Es werde auf die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes zur Aufhebung des § 304 BAO () und zur Aufhebung des § 295 Abs. 4 BAO () verwiesen.

II.) Rechtslage und Erwägungen:

1.) § 295 Abs. 4 BAO in der ab geltenden Fassung BGBl. I Nr. 62/2019 lautete:

"Wird eine Bescheidbeschwerde, die gegen ein Dokument, das Form und Inhalt eines Feststellungsbescheides (§ 188 BAO) oder eines Bescheides, wonach eine solche Feststellung zu unterbleiben hat, gerichtet ist, als nicht zulässig zurückgewiesen, weil das Dokument kein Bescheid ist, so sind auf das Dokument gestützte Änderungsbescheide (§ 295 Abs. 1 BAO) auf Antrag der Partei (§ 78) aufzuheben. Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 maßgeblichen Frist zu stellen".

2.) § 304 BAO in der ab 2019 geltenden Fassung BGBl. I Nr. 62/2018 lautet:

"Nach Eintritt der Verjährung ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens nur zulässig, wenn sie vor Eintritt der Verjährungsfrist beantragt wird oder innerhalb von drei Jahren ab Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides beantragt oder durchgeführt wird."

Der 2. Tatbestand des § 304 BAO (drei Jahre ab Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides) trat mit in Kraft und wurde eingefügt, weil der Verfassungsgerichtshof die vorherige Bestimmung des § 304 BAO (idF BGBl. I Nr. 14/2013) als verfassungswidrig aufgehoben hatte ().

3.) Die in § 295 Abs. 4 letzter Satz BAO, BGBl. I Nr. 62/2019, enthaltene Befristung erwies sich als unsachlich, weshalb der Verfassungsgerichthof mit Erkenntnis vom () die Bestimmung des § 295 Abs. 4 BAO als verfassungswidrig aufgehoben hat. Die Aufhebung trat mit Ablauf des in Kraft.

4.) In Reaktion auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom wurde die Bestimmung des § 295 Abs. 4 BAO durch das COVID-19-Steuermaßnahmengesetz (COVID-19-StMG, BGBl. I Nr. 3/2021) abgeändert. § 295 Abs. 4 BAO idF COVID-19-StMG, BGBl. I Nr. 3/2021, lautet nunmehr:

""Wird eine Bescheidbeschwerde, die gegen ein Dokument, das Form und Inhalt eines
- Feststellungsbescheides (§ 188) oder eines
- Bescheides, wonach eine solche Feststellung zu unterbleiben hat,
gerichtet ist, als nicht zulässig zurückgewiesen, weil das Dokument kein Bescheid ist, sind auf das Dokument gestützte Bescheide auf Antrag der Partei aufzuheben. Der Antrag ist innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft der Zurückweisung zu stellen. Der an die Stelle des aufgehobenen Bescheides tretenden Abgabenfestsetzung steht, soweit sie im das Dokument ersetzenden Bescheid enthaltene Feststellungen übernimmt, der Eintritt der Verjährung nicht entgegen, wenn die Festsetzung innerhalb eines Jahres ab Aufhebung erfolgt. § 209a Abs. 2 erster Satz gilt sinngemäß, wenn gegen den das Dokument ersetzenden Bescheid fristgerecht Beschwerde erhoben wird."

Mit der Neufassung dieser Bestimmung wurde die Befristung des Antrags auf Aufhebung vollkommen neu geregelt, um den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofes zu entsprechen: Es wird nicht mehr auf die Frist für Wiederaufnahmeanträge gemäß § 304 BAO abgestellt und damit weder auf den Eintritt der Verjährung noch auf die Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides. Vielmehr stellt die Frist auf die Rechtskraft der Zurückweisung der Beschwerde gegen das als (Nicht-)Feststellungsbescheid intendierte Dokument ab (vgl. Vock, AVR, 2020, 202).

Die Bestimmung des § 295 Abs. 4 BAO ist eine Verfahrensvorschrift (vgl. Ritz/Koran, BAO7 , § 295 Tz 21a). Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (, mwN) hat das Verwaltungsgericht auf Grund der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung geltenden verfahrensrechtlichen Rechtslage zu entscheiden. Die Neufassung des § 295 Abs. 4 BAO idF COVID-19-StMG, BGBl. I Nr. 3/2021, ist am in Kraft getreten und ist somit, soweit diesbezügliche Beschwerden betroffen sind, auf alle an diesem Tag unerledigten Rechtsmittel anzuwenden.

Im Beschwerdefall ist die Zurückweisung der Beschwerden gegen die Nichtfeststellungsbescheide mit Beschluss vom , RV/7102115/2004, erfolgt. Der Antrag vom ist daher verspätet.

5.) Im Beschwerdefall wäre der Antrag vom auch nach der von der Bf zitierte Rechtslage als verspätet eingebracht zu beurteilen. Wortlaut und Sinnzusammenhang lassen nämlich keinen Zweifel daran, dass sich die wiedergegebene Wendung auf den in § 304 BAO festgelegten Ablauf der Frist für Wiederaufnahmen im Verfahren zur Festsetzung der Einkommensteuer bezieht. Dies ergibt sich auch aus den Erläuterungen der Regierungsvorlage zum Abgabenänderungsgesetz 2011, BGBl. I Nr. 76/2011, mit dem § 295 Abs. 4 BAO eingeführt wurde, soweit dort als eines der mit der Änderung verfolgten Ziele die Vermeidung aufwändiger Wiederaufnahmsverfahren in Einkommen- oder Körperschaftsteuerverfahren genannt ist (1212 BlgNR 24. GP 30, ). Auf das Feststellungsverfahren kann sich der Verweis auf die in § 304 BAO getroffenen Regelungen für Wiederaufnahmen "nach Eintritt der Verjährung" nicht beziehen, weil derartige Verfahren keiner Verjährung unterliegen (vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 207 Tz 8).

6.) Die von der Bf behauptete Verfassungswidrigkeit liegt nicht vor, der zitierten Rechtsprechung ( und , G 159/2019) ist nicht zu entnehmen, dass eine verfassungskonforme Gestaltung des § 295 Abs. 4 BAO keine Befristung der Antragstellung enthalten darf bzw. eine uneingeschränkte Antragstellung gewähren muss.

Anzumerken ist, dass die Berufungen gegen die Einkommensteuerbescheide 1996 und 2000 (jeweils mit Ausfertigungsdatum ) zurückgenommen wurden; die Bf hat sich hinsichtlich dieser Bescheide ihrer Möglichkeit zur Rechtsverfolgung selbst begeben. Der gegenständliche Antrag nach § 295 Abs. 4 BAO vom bezieht sich überdies auf die Beurteilung von Bescheiden vom durch das Bundesfinanzgericht (RV/7102115/2004). Die Bescheide, deren Aufhebung begehrt wird, stützen sich hingegen auf Feststellungsbescheide vom . Die Antragstellung war daher von vornherein unzulässig.

III.) Zulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Fall liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor. Die Beantwortung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage (der fristgerechten Stellung eines Antrages nach § 295 Abs. 4 BAO) ergibt sich nämlich unmittelbar aus dem Gesetz. Eine ordentliche Revision ist daher nicht zulässig.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 295 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.6100213.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at