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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 09.06.2023, RV/6100059/2023

Familienbonus Plus - Zuständigkeit nach der VO (EG) 883/2004

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Maria-Luise Wohlmayr über die Beschwerde von Bf., vertreten durch Dr.Dr. Hawel Wirtschaftstreuhand WP & Stb GmbH & CoKG, Michael Walz Gasse 37, 5020 Salzburg vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer 2019 zu Recht erkannt:

1. Der angefochtene Bescheid wird dahingehend abgeändert, dass die Festsetzung der Einkommensteuer gemäß § 200 Abs 2 BAO endgültig erfolgt.

2. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß Art. 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) eine Revision nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

A. Verfahrensgang

A/1. Die Beschwerdeführerin (kurz: Bf.) ist mit ihrer Familie in Deutschland wohnhaft und in Österreich als Zahnärztin selbständig tätig. Neben den selbständigen Einkünften in Österreich (2019: EUR 143.977,97) erzielte sie im Jahr 2019 in Deutschland Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von EUR 14.088 und negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von EUR 2.245.

In ihrer Einkommensteuererklärung für 2019 beantragte die Bf. die Zuerkennung des Familienbonus Plus für ihren Sohn E., geboren 2018. Mit Einkommensteuerbescheid vom versagte das Finanzamt den Familienbonus Plus mit dem Argument, dieser sei an den Anspruch auf österreichische Familienbeihilfe geknüpft.

Am stellte die Bf. durch ihren steuerlichen Vertreter den Antrag auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2019 gemäß § 299 BAO. Die Bf. habe ihren Wohnsitz in Deutschland, erziele aber mehr als 90% ihres Jahreseinkommens in Österreich und nur geringfügige Nebeneinkünfte in Deutschland. Daher würden die Familienleistungen in Deutschland bezogen. Da diese höher seien als in Österreich, seien die österreichischen Familienleistungen mit Null festzusetzen. Damit stehe aber der Familienbonus Plus zu und der Spruch des Bescheides erweise sich als falsch.

Bereits am hatte die Bf. einen Antrag auf Differenzzahlung für ihren Sohn gestellt. Mit Abweisungsbescheid vom wies das Finanzamt diesen Antrag ab mit der Begründung, nach der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 sei für Familienleistungen jener Staat vorrangig zuständig, in dem eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Würden Erwerbstätigkeiten in mehreren Staaten ausgeübt, sei der Wohnsitzstaat des Kindes zuständig.

Die dagegen eingebrachte Beschwerde wurde dem Bundesfinanzgericht vorgelegt.

A/2. Mit Bescheid vom hob das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid vom gemäß § 299 BAO auf und erließ gleichzeitig einen vorläufigen Einkommensteuerbescheid 2019. Als Begründung führte das Finanzamt aus, dass der Familienbonus gewährt werde, wenn im Zuge des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesfinanzgericht der Anspruch auf Differenzzahlung bestätigt werde.

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Bf. mit folgender Begründung:

Die Bf., mit ihrer Familie wohnhaft in Deutschland, erziele neben ihrer selbständigen Tätigkeit in Österreich Einkünfte aus unselbständiger Tätigkeit in Deutschland und unterliege somit gemäß Artikel 13 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit den Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaates, in dem sie eine Beschäftigung ausübt; somit unterliege sie den deutschen Rechtsvorschriften und sei dementsprechend in Deutschland kranken- und pensionsversichert. Der Ehegatte der Bf. sei ebenso in Deutschland im gemeinsamen Haushalt wohnhaft und gehe dort einer unselbständigen Beschäftigung nach. Aus vorstehendem Sachverhalt ergebe sich die Zuständigkeit hinsichtlich der Familienleistungen für den Sohn der Bf. nach dem Wohnortstaatprinzip, im vorliegenden Fall Deutschland. Aufgrund der im gegenständlichen Jahr erzielten Einkünfte wurde ein Antrag auf unbeschränkte Steuerpflicht gemäß § 1 Abs 4 EStG 1988 gestellt und gleichzeitig gemäß § 33 EStG 1988 der Familienbonus Plus geltend gemacht. Der Ansatz des Familienbonus Plus sei jedoch mit der Begründung einer fehlenden Anspruchsberechtigung auf Familienbeihilfe abgelehnt und auf die Beantragung einer Ausgleichs-bzw. Differenzzahlung verwiesen worden. Selbige sei beantragt und mittels Beschwerdevorentscheidung vom abgewiesen worden.

Gemäß dem Erkenntnis des VwGH Ra 2021/15/0067 vom sei in Fällen, in denen (teilweise) an Stelle der Familienbeihilfe eine gleichartige ausländische Beihilfe iSd § 4 FLAG gewährt wird, in gleicher Weise die in § 33 Abs 3a erster Satz EStG 1988 normierte Voraussetzung der "Beihilfengewährung" erfüllt. Im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 33 EStG 1988 wäre bei Vorliegen der unbeschränkten Steuerpflicht in Österreich der Nachweis über den Bezug einer der Familienbeihilfe gemäß FLAG 1967 gleichwertigen Leistung eines anderen EU-Landes der Gewährung einer Differenzzahlung gleichwertig zu stellen und die Anspruchsvoraussetzungen für den Familienbonus Plus als erfüllt anzunehmen. Demgemäß ist die Gewährung des Familienbonus Plus nicht von etwaigen Ansprüchen auf österreichische Familienleistungen abhängig zu machen, sondern vom Vorliegen der Voraussetzungen in Bezug auf anspruchsberechtigte Kinder und der unbeschränkten Steuerpflicht gemäß § 1 Abs 2 oder 4 EStG 1988 in Österreich. Versteuere eine Person ihr gesamtes Einkommen in Österreich, müsse ihr im Umkehrschluss auch der Absetzbetrag zugestanden werden, egal ob der Anspruch auf Familienbeihilfe in Österreich oder einem anderen EU-Land besteht.

A/3. Mit Beschwerdevorentscheidung vom änderte das Finanzamt den angefochtenen Bescheid dahingehend ab, dass es die Einkommensteuer endgültig festsetzte und den Familienbonus Plus nicht gewährte. Da die Bf. neben ihrer selbstständigen Tätigkeit in Österreich auch eine nichtselbstständige Tätigkeit in Deutschland ausübe, seien nach der V0 883/2004 die deutschen Rechtsvorschriften anzuwenden. Aufgrund der Beschäftigung des Kindsvaters und des Wohnortes des Kindes jeweils in Deutschland, sei Deutschland ausschließlich für die Familienleistungen zuständig. Es bestehe daher kein Anspruch auf Familienbeihilfe oder Ausgleichszahlung iSd FLAG 1967, somit stehe auch kein Familienbonus Plus zu. Aus Sicht der Abgabenbehörde sei eine Auslegung des § 33 EStG, dass auch eine Familienleistung aus einem anderen EU-Land bei Vorliegen einer unbeschränkten Steuerpflicht in Österreich ausreicht, um die Anspruchsvoraussetzungen des Familienbonus Plus zu erfüllen, aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlautes mit dem ausschließlichen Verweis auf das FLAG 1967 nicht möglich.

Dagegen richtet sich der Antrag der Bf. auf Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht. Mit Vorlagebericht vom legte das Finanzamt die Beschwerde dem BFG mitsamt den Akten vor.

Da sich in der elektronischen Datenbank der Abgabenbehörde eine Bestätigung des deutschen Finanzamtes (E 9) findet, wonach die Bf. in Deutschland Einkünfte aus einer selbständigen Tätigkeit beziehe, wandte sich das Finanzamt an den steuerlichen Vertreter der Bf. zur Klärung dieser Frage. Mit Mail vom bestätigte der steuerliche Vertreter, dass die Bf. in Deutschland nichtselbständige Einkünfte bezieht. Die E 9 Bescheinigung werde beim deutschen Finanzamt geprüft, es müsse sich dabei aber um einen Fehler handeln. Die Bf. sei in den gegenständlichen Jahren in Deutschland einer nichtselbständigen Tätigkeit nachgegangen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

B. Sachverhalt und Beweiswürdigung

Das Bundesfinanzgericht legt seiner Entscheidung den folgenden Sachverhalt zugrunde, der aus den vom Finanzamt vorgelegten Akten hervorgeht und unstrittig ist:

Die Bf. ist in Österreich als Zahnärztin selbständig tätig und erzielt hier mehr als 90% ihrer Einkünfte. Sie hat in Österreich keinen Wohnsitz, sondern lebt mit ihrer Familie in Deutschland und ist deutsche Staatsbürgerin. Neben ihren Einkünften in Österreich (2019: EUR 143.977,97) bezog sie 2019 in Deutschland Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von EUR 14.088 und negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von EUR 2.245. Auch ihr Ehemann bezieht in Deutschland Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Die Bf. ist in Österreich aufgrund ihres Antrages und der Höhe ihrer inländischen Einkünfte unbeschränkt steuerpflichtig. Sie unterliegt mit ihren gesamten Einkünften den Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit von Deutschland (siehe im Akt erliegende Bescheinigung Formular A1).

Für ihren im Jahr 2018 geborenen Sohn E., der ebenfalls in Deutschland lebt, beantragte die Bf. für 2019 den Familienbonus Plus. Die Familienbeihilfe für den Sohn erhält der Ehemann der Bf. von Deutschland. Dass die Bf. in Deutschland einer nichtselbständigen Arbeit nachgeht, wurde über Nachfrage durch das Finanzamt durch den steuerlichen Vertreter der Bf. ausdrücklich bestätigt.

Strittig ist nun ausschließlich, ob der Bf. aufgrund des gegebenen Sachverhalts der Familienbonus Plus zusteht.

C. Rechtslage und rechtliche Würdigung

C/1. Gemäß § 33 Abs 3a EStG 1988 steht für ein Kind, für das Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 gewährt wird und das sich ständig in einem Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhält, auf Antrag ein Familienbonus Plus zu. Der Familienbonus Plus beträgt bis zum Ablauf des Monats, in dem das Kind das 18. Lebensjahr vollendet, für jeden Kalendermonat 125 Euro.

Anspruch auf Familienbeihilfe haben gemäß § 2 Abs 1 FLAG Personen, die im Bundesgebiet ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.

Personen, die Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe haben, haben gemäß § 4 Abs 1 FLAG keinen Anspruch auf Familienbeihilfe.
Gemäß § 4 Abs. 2 FLAG erhalten österreichische Staatsbürger, die gemäß Abs. 1 oder gemäß § 5 Abs. 5 vom Anspruch auf Familienbeihilfe ausgeschlossen sind, eine Ausgleichszahlung, wenn die Höhe der gleichartigen ausländischen Beihilfe, auf die sie oder eine andere Person (§ 5 Abs. 5) Anspruch haben, geringer ist als die Familienbeihilfe, die ihnen nach diesem Bundesgesetz ansonsten zu gewähren wäre.

Gemäß § 53 Abs 1 FLAG sind Staatsbürger von Vertragsstaaten des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hiebei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraumes nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.

C/2. Im Falle eines grenzüberschreitenden Sachverhalts mit einem anderen Mitgliedstaat kommen zunächst die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom , Amtsblatt der EU L 166/ vom (idF kurz VO), und die dazu ergangene Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (idF kurz DVO) zur Anwendung (Anwendungsvorrang des Unionsrechts).

Gemäß Art 2 Abs 1 der VO gilt diese ua für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten, sowie für ihre Familienangehörigen (persönlicher Geltungsbereich) und gemäß Art 3 Abs 1 der genannten VO ua für Familienleistungen (sachlicher Anwendungsbereich). Den Familienleistungen iSd Art 3 VO ist auch der Familienbonus Plus zuzuordnen (Gebhart in Lenneis/Wanke, FLAG2, § 53 Rz 148).

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem unstrittigen Sachverhalt, dass die Bf. mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn in Deutschland lebt und sowohl in Österreich als auch in Deutschland Einkünfte erzielt. Durch die Erwerbstätigkeit in zwei Mitgliedstaaten ist die Anwendbarkeit der oben angeführten Verordnungen der Europäischen Union gegeben.

C/3. Eine Person im Anwendungsfall der Verordnung unterliegt immer nur den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates (Art 11 Abs 1 VO). Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach den Art. 11 bis 16 der VO.

Bei den Familienleistungen ist im Regelfall für beide Elternteile festzustellen, welchen Rechtsvorschriften jede Person unterliegt. Die VO geht vom Grundsatz aus, dass auch hinsichtlich einer Familie immer nur die Rechtsvorschriften eines einzigen Mitgliedstaates zur Anwendung gelangen und nur die Familienleistungen dieses Mitgliedstaates gewährt werden (keine Kumulierung von Familienleistungen). Unterliegen die beiden Elternteile den Rechtsvorschriften unterschiedlicher Mitgliedstaaten, legt die VO in ihren Artikeln 67 und 68 anhand von Prioritätsregeln fest, welche Rechtsvorschriften primär zur Anwendung kommen (Csaszar in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG1, § 53 Rz 45 ff.).

C/4. Gemäß Art 11 Abs 3 lit a VO unterliegt eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaates. Daher bezieht nach dieser Bestimmung der in Deutschland wohnhafte und beschäftigte Ehemann der Bf. für den ebenfalls in Deutschland wohnhaften gemeinsamen Sohn E. in Deutschland Familienleistungen (Kindergeld).

Zu prüfen ist nunmehr, ob die Bf. in Österreich einen Anspruch auf Differenzzahlung hat. Das entsprechende Beschwerdeverfahren zu RV/6100422/2022 wurde über Antrag der Bf. eingestellt, weil aufgrund der höheren deutschen Familienleistungen die Voraussetzung des § 4 Abs 2 FLAG nicht gegeben ist.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs können, wenn die in Rede stehende Differenzzahlung iSd § 4 Abs. 2 ff FLAG "betragsmäßig Null" ist, Antragstellende auf Familienbonus Plus jedenfalls (subsidiär) auch in ihrem Einkommensteuerverfahren nachweisen, dass alle inhaltlichen Voraussetzungen für einen Familienbeihilfen- bzw. Ausgleichsanspruch erfüllt sind ().

Für die Klärung der Frage, welche Rechtsvorschriften für die Bf. anzuwenden sind, sind - wie bereits dargestellt - die Art 11 bis 16 der VO heranzuziehen. Art 13 der VO regelt den Fall der Ausübung von Tätigkeiten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten, wie er bei der Bf. gegeben ist. Nach Art 13 Abs 3 der VO unterliegt eine Person, die gewöhnlich in verschiedenen Mitgliedstaaten eine Beschäftigung und eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sie eine Beschäftigung ausübt. Beschäftigung bedeutet dabei eine abhängige Beschäftigung, also Arbeitnehmer, geringfügig Beschäftigte, mit Dienstleistungsscheck Beschäftigte und auch freie Dienstnehmer im Sinne des § 4 Abs 4 ASVG (vgl. Csaszar in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG1, § 53 Rz 74).

C/5. Übt ein Elternteil in einem Mitgliedstaat eine nichtselbständige, in einem anderen Mitgliedstaat eine selbständige Tätigkeit aus, unterliegt dieser nach der VO (EG) 883/2004 ausschließlich den Rechtsvorschriften des erstgenannten Mitgliedstaates. Übt der andere Elternteil ausschließlich im erstgenannten Mitgliedstaat eine Erwerbstätigkeit aus, unterliegt auch der andere Elternteil ausschließlich den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaates. Lebt zudem die gesamte Familie im erstgenannten Mitgliedstaat, besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe oder Differenzzahlung gegenüber dem zweitgenannten Mitgliedstaat ().

Der Anspruch auf Familienleistungen besteht nach den unionsrechtlichen Regelungen gegenüber dem "zuständigen Mitgliedstaat". Dies unabhängig davon, ob die anspruchsvermittelnde Person oder deren Familienangehörige im zuständigen oder in einem anderen Mitgliedstaat wohnen. Als "zuständigen Mitgliedstaat" bestimmt die VO jenen Staat, in dem der "zuständige Träger" seinen Sitz hat. "Zuständiger Träger" ist jener Träger, bei dem die betreffende Person zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Leistungen versichert ist (Art 1 VO).

Im vorliegenden Fall ergibt sich, dass beide Elternteile den Rechtsvorschriften Deutschlands unterliegen, bei einem deutschen Träger versichert sind und daher Deutschland jeweils "zuständiger Mitgliedstaat" ist. Da sich der Wohnsitz der gesamten Familie in Deutschland befindet und Deutschland sowohl für den Kindesvater als auch für die Bf. "zuständiger Mitgliedstaat" ist, sind die Familienleistungen ausschließlich von Deutschland nach den dortigen nationalen Rechtsvorschriften zu erbringen. Ein weiterer "zuständiger Mitgliedstaat", der die Anwendbarkeit der Prioritätsregeln des Art 68 VO herbeiführen und eine unionsrechtliche Prüfung von vorrangiger und nachrangiger Zuständigkeiten bedingen würde, besteht nicht.

C/6. Für den Anspruch auf Familienleistungen spielt im gegenständlichen Fall auch keine Rolle, dass die Bf. einen Großteil ihrer Einkünfte in Österreich erzielt, da beim Zusammentreffen einer in einem Mitgliedstaat ausgeübten nichtselbständigen mit einer in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübten selbständigen Tätigkeit nach den Unionsregelungen die Höhe der im jeweiligen Staat erzielten Einkünfte für die Zuordnung keine Rolle spielt (unbedingter Vorrang der nichtselbständigen Tätigkeit nach Art 13 Abs 3 VO).

Eine andere Sichtweise wäre dann geboten, wenn es sich bei den in Deutschland erzielten nichtselbständigen Einkünften um eine unbedeutende Tätigkeit im Sinne des Art 14 Abs 5b und Art 16 der DVO 987/2009 handeln würde. Nach dieser Vorschrift sind nämlich marginale Tätigkeiten für die Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften nach Art 13 VO nicht zu berücksichtigen (siehe dazu , Szoja, Rn 36 bis 40).

Diese Voraussetzungen sind gegenständlich jedoch nicht gegeben. Die in Deutschland erzielten nichtselbständigen Einkünfte der Bf. sind weder absolut (EUR 14.088) noch relativ marginal, handelt es sich doch um etwa 9 Prozent ihrer Gesamteinkünfte. Diese Sichtweise wird auch vom Mitgliedstaat Deutschland geteilt, wie aus der Bestätigung des deutschen Trägers (Formular A1) hervorgeht, wonach die Zuständigkeit des deutschen Trägers verbindlich festgelegt ist (siehe Art 5 Abs 1 DVO).

C/7. Mangels Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt bzw. Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich kann die Bf. auch aus dem rein innerstaatlichen österreichischem Recht keine - über die Verordnungsregelungen hinausgehenden - Ansprüche auf Familienbeihilfe ableiten.

Damit steht für den vorliegenden Fall fest, dass ein Anspruch auf Familienleistungen ausschließlich gegenüber dem - einzig zuständigen - Mitgliedstaat Deutschland innerhalb der Grenzen des deutschen innerstaatlichen Rechts besteht. Ein Anspruch auf österreichische Familienleistungen besteht weder prioritär, noch subsidiär oder alleine auf Grund des innerstaatlichen Rechts. Daran ändert auch nichts, dass die Bf. auf Grund eines Antrages in Österreich als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt wurde, da die - im vorliegenden Fall auf einem freiwillig gestellten Antrag beruhende - steuerliche Behandlung von Einkünften kein Kriterium bei der Anwendung der VO, der DVO oder der innerstaatlichen Rechtsgrundlagen für den Bezug der in Rede stehenden Familienleistungen darstellt (vgl. ).

C/8. Einer Auslegung des § 33 EStG 1988, wie sie die Bf. für geboten hält, dass nämlich für die Gewährung des Familienbonus Plus auch der Bezug einer ausländischen, der Familienbeihilfe gleichwertigen Leistung ausreichen müsse, steht nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts der eindeutige Gesetzeswortlaut des § 33 Abs 3a EStG 1988 mit Verweis auf das FLAG 1967 entgegen. Auch würde diese Auslegung den zitierten unionsrechtlichen Grundsätzen widersprechen, wonach gegenständlich ausschließlich Deutschland für die Familienleistungen zuständig ist. Dass der Familienbonus Plus den Familienleistungen zuzurechnen ist, obwohl er im Einkommensteuergesetz geregelt ist, wurde bereits ausgeführt (siehe C/2.) und entspricht der herrschenden Auffassung.

Der angefochtene Bescheid war daher nur insoweit abzuändern, als die Festsetzung der Einkommensteuer endgültig erfolgt.

D. Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist eine Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird (Art 133 Abs 4 B-VG).

Im vorliegenden Beschwerdefall wurden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Das Bundesfinanzgericht orientierte sich bei der zu lösenden Rechtsfrage an der zitierten höchstgerichtlichen Judikatur. Im Übrigen ergeben sich die Schlussfolgerungen aus dem festgestellten Sachverhalt und dem klaren und eindeutigen Gesetzes- bzw. Verordnungstext. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist daher unzulässig.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Art. 13 Abs. 3 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
§ 33 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 33 Abs. 3a EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1
VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Verweise


VwGH, Ra 2021/15/0067
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.6100059.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at