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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 26.06.2023, RV/3100556/2022

Mangels hinreichender Indizien (Befunde etc,) aus der Zeit VOR dem 21. Lj. der Bf ist es den SMS-Sachverständigen nicht möglich, den Eintritt der Erwerbsunfähigkeit im gesetzlich relevanten Zeitraum festzustellen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, Adr, vertreten durch RA Rechtsanwältin, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , Ordnungsbegriff Nr1, betreffend Abweisung des Antrages auf die erhöhte Familienbeihilfe nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof
nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensablauf:

1. Mit Anträgen Beih3 und Beih100 vom hat Frau ***Bf1*** (= Beschwerdeführerin, Bf), geb. 01/1967, die Zuerkennung von Familienbeihilfe (FB) sowie des FB-Erhöhungsbetrages wegen erheblicher Behinderung für sich beantragt. Es werde kein Pflegegeld bezogen. Zur erheblichen Behinderung/Erkrankung wurde angeführt: "geistig-intellektuelle Beeinträchtigung".

2. Im Akt erliegen folgende Unterlagen:
- Beschluss des Bezirksgerichtes Ort1 v. betr. die Bestellung der RA
MagB zur (neuen) Erwachsenenvertreterin der Bf, für diese folgende
Angelegenheiten zu besorgen: Vertretung vor Gerichten, Behörden etc; Vermögens-
und Einkünfteverwaltung; Vertretung in Rechtsgeschäften.
- Schreiben der Erwachsenenvertreterin v. , worin mitgeteilt wird:
Bei der Bf sei eine geistig-intellektuelle Einschränkung festgestellt worden und sei davon
auszugehen, dass sie nie in der Lage sein werde, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen.
- Klinisch-Psychologisches Gutachten des Dr. C v. , worin
ausführlich im Ergebnis dargelegt wird, dass bei der Bf eine psychische Erkrankung
in Form einer intellektuellen Grenzbegabung vorliege.

3. Auf Anforderung durch das Finanzamt wurde vom Sozialministeriumservice (kurz: SMS; vormals Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen) am ein Sachverständigengutachten (mit Untersuchung) von Dr.in D, Fachärztin f. Orthopädie und Allgemeinmedizinerin, vidiert von Dr. E am , auszugsweise folgenden Inhaltes erstellt:

"Anamnese:
Volksschule und Hauptschule (A-Zug) absolviert. Sie wollte Köchin werden, aber sie bekam Drüsenfieber. Der Vater war Sonderschullehrer. Die Mutter erkrankte schwer an Brustkrebs, Blasenkrebs usw., sie starb bei einer Rauchgasvergiftung, damals war sie als Haushälterin der Eltern angestellt, dann war sie noch Haushälterin des Vaters; er hatte Rheuma und verstarb 2017 an einem Herzinfarkt. Sie versuchte dann Arbeit zu finden, aber immer bekam sie Absagen. Jetzt bekommt sie Mietzinsbeihilfe und Mindestsicherung. Außer einer Herzschwäche hat sie nichts. Als es heuer heiß war, bekam sie Schmerzen im linken Arm. Sie geht viel mit Freundinnen spazieren, sie selbst wohnt im ersten Stock, das ist kein Problem. Gestern war sie beim Neurologen in
Ort2, der nahm Blut ab, er sagte, alles sei in Ordnung. Über die Diözese bekommt sie nun ein Flüchtlingskind zur Betreuung.

Derzeitige Beschwerden: Intelligenzminderung

Behandlungen …: keine

Sozialanamnese: lebt alleine

Zusammenfassung relevanter Befunde …:
mitgebrachte Dokumente:
Klinisch-psycholog. Gutachten vom : intellektuelle Grenzbegabung, deutliche Defizite im komplexen Denken … Kritikminderung; im tägl. Leben auf Hilfe angewiesen; Vertretung vor Gericht/Behörden …. leichte Leistungsbeeinträchtigung im verbalen und rechnerischen Denken
Clearingbericht vom Vertretungsnetzwerk : Begleitperson vor Gericht notwendig, benötigt ständige Anleitung bei der ehrenamtl. Tätigkeit
……
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
1 Kognitive Leistungseinschränkung, Intelligenzminderung
mit maßgeblichen sozialen Anpassungsstörungen,
benötigt Vertretung in mehreren Teilbereichen …
ehrenamtl. Tätigkeit nur unter ständiger Anleitung möglich,
keine Ausbildung nach dem polytechn. Lehrgang Pos. Nr. GdB 50 %
Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
…..
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern: ja

GdB liegt vor seit: 10/2021

Frau ***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA
Dies besteht seit: 10/2021

Anmerkung bzw Begründung betreffend die Fähigkeit bzw voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Tätigkeiten nur unter ständiger Aufsicht und Anleitung möglich, keine abgeschlossene Lehre o.ä.
Dauerzustand …..".

4. Das Finanzamt hat daraufhin mit Bescheid vom , Ordnungsbegriff Nr1, den Antrag der Bf für den Zeitraum "ab Oktober 2021" mit folgender Begründung abgewiesen:
"Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, wenn ein Kind voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig ist. Die Erwerbsunfähigkeit muss vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag eingetreten sein. Bei Ihrem Kind ist das nicht der Fall (§ 2 Abs. 1 lit c Familienlastenausgleichsgesetz 1967)."

5. In der dagegen rechtzeitig erhobenen Beschwerde wird die Bescheidaufhebung und Zuerkennung der erhöhten FB beantragt und eingewendet:

Das Finanzamt habe den Sachverhalt nicht ermittelt, die Begründung des Abweisungs-bescheides sei mangelhaft und nicht nachvollziehbar. Zudem sei die dem Bescheid zugrunde gelegte Bescheinigung des Sozialministeriumservice trotz Urgenz nicht an die Bf übermittelt worden, weshalb mehrere Verfahrensmängel vorlägen. Es liege eine unrichtige rechtliche Beurteilung vor, da aufgrund des Gutachtens des Dr. C und der Gesamtumstände von einer Erwerbsunfähigkeit bereits vor dem 21. Lebensjahr der Bf auszugehen sei. Die Begutachtung durch eine Fachärztin für Orthopädie und Allgemeinmedizin sei ungeeignet, weshalb die Begutachtung durch einen Psychologen bzw. Entwicklungspsychologen beantragt werde.

6. Auf Anforderung des Finanzamtes wurde nochmals ein SMS-Sachverständigengutachten nunmehr (mit Untersuchung) durch Dr. F, Facharzt für Psychiatrie, am 9.5./ auszugsweise wie folgt erstellt:

" … Anamnese:
Die Probandin gibt an, sie sei bereits einmal aufgrund des Antrages auf erhöhte Familienbeihilfe untersucht worden. Ihre Sachwalterin habe gegen den letzten Bescheid ein Rechtsmittel eingelegt. Sie sei wegen der angeblichen Unfähigkeit, ihre finanziellen Angelegenheiten selbst zu besorgen, besachwaltet worden. Allerdings glaube sie selbst durchaus, dazu in der Lage zu sein. Sie habe die Pflichtschule absolviert und anschließend zwei Jahre den Beruf der Köchin erlernt. Dann sei sie schwer an einem Pfeifferschen Drüsenfieber erkrankt und habe deshalb über 1,5 Jahre eine erhöhte Temperatur gehabt. Da die Mutter an Myocarditis, Haut-, Brust- und Blasenkrebs erkrankt sei, habe sie sich um den Haushalt kümmern müssen. Die Mutter sei 2010 bei einem Wohnungsbrand ums Leben gekommen. Anschließend habe sie dann für den Vater den Haushalt geführt, der aufgrund mehrerer Schlaganfälle dazu nicht in der Lage gewesen sei. In den letzten Jahren habe sie mehrfach versucht, eine Arbeit zu finden, sei dabei aber erfolglos geblieben. Sie führe einen geregelten Tagesablauf, führe den Haushalt alleine, koche täglich für sich selbst. Sie habe einen ausreichend großen Bekannten- bzw. Freundeskreis. Für die alltäglichen Herausforderungen benötige sie keine Unterstützung. Sie hoffe, dass die Erwachsenenvertretung im November 2023 beendet werden könne.

Derzeitige Beschwerden:
subjektiv keinerlei Einschränkungen: objektiv einfache Sprache, etwas perseverierend, etwas kritikgemindert imponierend, Auffassungs- und Konzentrationsfähigkeit leicht reduziert

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Erwachsenenvertretung; derzeit keine spezifische Therapie
….
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
- Klinisch-psychologisches Gutachten, Dr.
C, Ort1 (): heterogenes kognitives Leistungsvermögen mit sowohl intakten als auch deutlich beeinträchtigten Leistungen. Intakt waren das verbale Kommunikationsvermögen, die Wortflüssigkeit und das Leseverständnis. Grenzwertig bis leicht beeinträchtigt war das verbale Gedächtnis. Leichte Leistungsminderungen fanden sich im rechnerischen Denken. Deutliche Defizite zeigten sich in unterschiedlichen Denk- und Problemlösefähigkeiten (logisches, planendes und schlussfolgerndes Denken). Kritikfähigkeit der eigenen Leistung gegenüber ist deutlich reduziert.
- Neurologisch-psychiatrisches Gutachten, Dr.
G, Ort2 (): intellektuelle Grenzbegabung; Es zeigen sich neben einigen intakten bzw. grenzwertigen Leistungen deutliche Defizite vor allem in jenen Bereichen, die komplexe Denkprozesse erfordern. Erwerbsunfähigkeit liegt vor. Es ist NICHT gesichert zu beweisen oder darzustellen, dass der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit bereits seit Vollendung des 18. Lebensjahres aufgetreten ist. Es liegt nur eine geringe Wahrscheinlichkeit vor, dass bereits ab 1985 eine derartige Störung bestanden hat bzw. sich eine solche bis 1994 entwickelt hat. Es ist davon auszugehen, dass im Lauf von Jahrzehnten eine immer weiter gehende Fixierung auf die jetzige Lebensweise (der Unselbständigkeit in Bezug auf gewisse Lebensabläufe) eingetreten ist.
- Befundbericht, Dr.
H, Ort1 ():
Paroxysmale SV-Tachykardien, MK-Insuffizienz, Hypercholesterinämie
…..
Psycho(patho)logischer Status:
wach und bewussteinsklar, in allen vier Ebenen voll orientiert, Auffassung und Konzentration leichtgradig gemindert, Gedächtnis und Aufmerksamkeit grobklinisch unauffällig, psychomotorisch ruhig, Antriebslage im Normbereich, Stimmungslage euthym, Affizierbarkeit im Normbereich, einige Perseverationen, ansonsten keine formalen Denkstörungen, Kritikminderung, keine Wahrnehmungsstörungen, keine Ich-Psychopathologie, vegetativ unauffällig, keine selbst- oder fremdaggressive Muster

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
1 Kognitive Leistungseinschränkung, Intelligenzminderung
mit maßgeblichen sozialen Anpassungsstörungen
Erwachsenenvertretung in mehreren Teilbereichen, keine
vollständige Unabhängigkeit Pos. Nr. GdB 50 %
2 Herzklappeninsuffizienz, Mitralklappeninsuffizienz leichten Grades
und paroxysmale supraventrikuläre Tachykardien
klinisch ohne signifikante Symptomatik, von kardialer Seite
unauffälliger fachärztlicher Befund Pos. Nr. GdB 10 %

Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Leiden 2 erhöht den Gesamt-GdB aufgrund seiner geringgradigen funktionellen Relevanz nicht weiter.
……
Stellungnahme zu Vorgutachten:
Im letzten Vorgutachten wurde der GdB durch die Intelligenzminderung korrekt eingestuft. In diesem Vorgutachten wurde die leichtgradige Mitralklappeninsuffizienz jedoch noch nicht erwähnt. Aufgrund seiner geringgradigen funktionellen Relevanz bleibt der Gesamt-GdB von 50 v. H. davon jedoch unbeeinflusst.

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern: ja

GdB liegt vor seit: 09/2020

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
Die Intelligenzminderung wurde erstmals 09/2020 in einem der vorgelegten Befunde beschrieben. Aus der Untersuchung der Probandin und den vorgelegten Befunden lässt sich nicht sicher nachvollziehen, ab welchem Zeitpunkt bereits vorher ein GdB von 50 v. H. erreicht wurde.

Frau ***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA
Dies besteht seit: 09/2020

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Die derzeit vorliegende Symptomatik wurde erstmals vergleichbar 09/2020 im klinisch-psychologischen Gutachten von Dr.
C beschrieben. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist von einer Unfäigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, auszugehen. Ob diese Unfähigkeit bereits vorher eingetreten ist, lässt sich weder aus der Untersuchung der Probandin noch aus den vorgelegten Befunden schließen.

X Dauerzustand

Gutachten erstellt am von Dr. F
Gutachten vidiert am von Dr.
E …"

7. Die abweisende Beschwerdevorentscheidung vom wurde vom Finanzamt, nach Darstellung der gesetzlichen Bestimmungen ua. nach § 8 Abs. 5 und 6 FLAG, dahin begründet, dass lt. aktuellem SMS-Gutachten vom ein GdB von 50 % und eine ab - sohin nach dem 21. Lebensjahr - eingetretene Erwerbsunfähigkeit nachgewiesen sei. Es bestehe daher kein FB-Anspruch.

8. Im Vorlageantrag wurde vollinhaltlich auf das bisherige Beschwerdevorbringen verwiesen und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht beantragt.

9. Das Bundesfinanzgericht (BFG) hat nach Vorlage der Beschwerde folgende Erhebungen durchgeführt:

a) Vorhaltschreiben vom an die Bf samt Übermittlung der beiden SMS-Gutachten v. und :

" … 1. Gemäß § 6 Abs. 5 iVm Abs. 2 lit d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG), BGBl 1967/376 idgF., besteht ein Eigenanspruch auf Familienbeihilfe (FB) ua. dann, wenn wegen einer VOR Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung jemand voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Nach § 8 Abs. 5 FLAG gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich besteht, dh. voraussichtlich für die Dauer von mehr als 3 Jahren. Der Grad der Behinderung (GdB) muss zumindest 50 % betragen, soweit nicht eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt.
2. Der Grad der Behinderung (GdB) oder die voraussichtliche dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr Sozialministeriumservice/SMS) aufgrund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen (§ 8 Abs. 6 FLAG).
Diesbezüglich ist festzuhalten, dass die Abgabenbehörden sowie das Bundesfinanzgericht grundsätzlich an die lt. Gutachten getroffenen Feststellungen gebunden sind.
3. Festzuhalten ist weiters, dass die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde bei Sachverhalten, die teils Jahrzehnte zurückliegen, eingeschränkt sind.
Auch der Sachverständige beim SMS kann nur den aktuellen Gesundheitszustand beurteilen. Hinsichtlich der Feststellung, ob eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt, kann er nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden, Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt eine erhebliche Behinderung eingetreten ist.
Es liegt deshalb vorrangig beim Beschwerdeführer/der Beschwerdeführerin, den behaupteten Sachverhalt (= eingetretene Erwerbsunfähigkeit VOR dem 21. Lj.) zweifelsfrei nachzuweisen (siehe zB UFS-Erkenntnis v. ,
RV/0687-W/05).
4. Bei Antragstellung (Eigenantrag) im April 2021 waren Sie 54 Jahre alt.
Wie aus dem Akt ua. hervorgeht (zB lt. Anamnese im SMS-Gutachten v. ), haben Sie nach absolvierter Pflichtschule zwei Jahre den Beruf der Köchin erlernt und in späteren Jahren (vor dem Tod der Mutter 2010) für die Mutter, anschließend für den Vater den Haushalt geführt.
Sie haben lt. eigenen Angaben in den letzten Jahren (letztlich erfolglos) versucht, eine Arbeitsstelle zu finden, was nach Ansicht des BFG eine - zumindest nach Ihrer eigenen Einschätzung - grundsätzlich gegebene Arbeitsfähigkeit impliziert.
5. Laut den gegenständlich erstellten SMS-Gutachten (siehe nochmals zur Kenntnis in der Beilage) wurden zwei ärztliche Gutachten aus 09/2020 und 10/2021 sowie ein Befund aus 05/2022 als relevante Befunde berücksichtigt.
Im Zweitgutachten ist der SV, nunmehr ein Facharzt f. Psychiatrie, zum Ergebnis gelangt, dass (wie im Vorgutachten) der GdB 50 % betrage und eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit spätestens "seit 09/2020" vorliege. Dieser Zeitpunkt wurde bezugnehmend auf das Gutachten Dr.
C v. dahin begründet, dass es sich um die dort erstmalige Beschreibung der vorl. Symptomatik handle, insofern keinfrüherer Zeitpunkt feststellbar wäre.
Demgegenüber wenden Sie in der Beschwerde ua. ein, "aufgrund der Gesamtumstände" sei von einer bereits vor dem 21. Lj. eingetretenen Erwerbsunfähigkeit auszugehen.
6. Wie oben dargelegt, ist die erhebliche Behinderung bzw. die vor dem 21. Lj. eingetretene Erwerbsunfähigkeit von Seiten der Antragstellerin/Beschwerdeführerin ohne jeden Zweifel nachzuweisen. Hiezu bedürfte es ärztlicher Befunde oä. aus dem Zeitraum vor dem vollendeten 21. Lebensjahr, aufgrund derer der Sachverständige seine diesbezüglichen Feststellungen treffen könnte.
7. Zwecks allenfalls nochmaliger Anforderung eines Sachverständigen-Gutachtens im Hinblick auf die entscheidungswesentliche Feststellung des Zeitpunktes, ab wann die Erkrankung mit welchem GdB mit der Folge einer ev. Erwerbsunfähigkeit aufgetreten ist, wird daher ersucht, alle den Zeitraum VOR dem 21. Lj. betreffenden, allenfalls vorhandenen Nachweise (ärztliche Befunde etc.) dem Bundesfinanzgericht zur Weiterleitung an das SMS vorzulegen. …"

b) Antwortschreiben/Stellungnahme seitens der Bf v. (nach Fristerstreckung):

" … Der Erwachsenenvertreterin wurden nun erstmals die Sachverständigengutachten der Dr. D sowie des Dr. F zur Kenntnis gebracht. Wie bereits mehrfach ausgeführt, wurden der Erwachsenenvertreterin diese Gutachten weder von der belangten Behörde noch vom Sozialministeriumservice bislang zur Verfügung gestellt.
Aus den Sachverständigengutachten ergibt sich, dass bei der Beschwerdeführerin ein dauerhafter Behinderungsgrad von 50 % besteht. Dieser Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als drei Jahre andauern.
Die Beschwerdeführerin hat seit dem Jahr 2020 eine Erwachsenenvertretung, wobei diese zunächst von
HrX und nunmehr von RA MagB durchgeführt wird.
Die Beschwerdeführerin hat der Erwachsenenvertreterin in der Vergangenheit mehrfach mitgeteilt, dass bei einem Wohnungsbrand sämtliche Dokumente vernichtet wurden. Es liegen der Beschwerdeführerin bzw. der Erwachsenenvertreterin daher keine medizinischen Unterlagen vor, welche die ersten 21 bzw. 25 Lebensjahre der Beschwerdeführerin betreffen.
Der Sachverständige Dr.
F führt in seinem Gutachten aus, dass nicht gesichert beweisbar bzw. darstellbar sei, dass der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit bereits seit Vollendung des 18. Lebensjahres aufgetreten ist. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch auch, dass nicht gesichert beweisbar bzw. darstellbar ist, dass die Erwerbsunfähigkeit erst nach dem 21. bzw. 25. Lebensjahr eingetreten ist.
Die kognitiven Einschränkungen bestehen jedenfalls schon mehr als drei Jahre, zumal die Beschwerdeführerin nach dem Tod ihres Vaters im Jahr 2017 sozial verwahrloste. So habe die Beschwerdeführerin nicht verstanden, dass für die Wohnung Miete zu bezahlen ist und auch der Strom entsprechend beim Stromanbieter angemeldet und bezahlt werden muss.
Erst im Zuge eines angestrebten Räumungsverfahrens wurden die Behörden darauf aufmerksam, dass die Beschwerdeführerin solche Angelegenheiten gerade nicht selbst erledigen kann.
Aufgrund der Schilderungen von Seiten der Beschwerdeführerin geht die Erwachsenenvertreterin jedenfalls davon aus, dass eine Erwerbsunfähigkeit bereits vor dem 21. bzw. 25. Lebensjahr eingetreten ist, zumal die Beschwerdeführerin zu keiner Zeit einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgegangen ist.
So bezog die Beschwerdeführerin von September 1986 bis Oktober 1987 eine Beihilfe gem. § 20 Abs 2 AMFG. Ab Dezember 1987 war die Beschwerdeführerin bei ihrem Vater als Hausangestellte bis zu dessen Tod im Jahr 2017 gemeldet. Dies ist jedenfalls ein Indiz dafür, dass die Beschwerdeführerin zu keiner Zeit in der Lage war, am ersten Arbeitsmarkt eine entsprechende Anstellung zu finden.
Zudem war die Beschwerdeführerin aufgrund ihres Krankheitsbildes nicht in der Lage, eine ordentliche Berufsausbildung zu absolvieren. Aufgrund ihrer kognitiven Einschränkungen war es der Beschwerdeführerin offensichtlich nicht möglich, einer Beschäftigung nachzugehen. An diesem Zustand hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert.
Es wird daher beantragt, die vorliegenden Sachverständigengutachten unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin zu keiner Zeit am allgemeinen Arbeitsmarkt einer Tätigkeit nachging, dahingehend zu ergänzen, ob dies darauf hindeutet, dass die kognitiven Einschränkungen bei der Beschwerdeführerin bereits im Jahr 1985 bzw. 1994 bestanden haben.
Die Gutachten zeichnen hinsichtlich der Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. bzw. 25. Lebensjahr kein eindeutiges Bild, zumal Dr.
F selbst ausführt, dass nicht gesichert bewiesen werden kann, dass die Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 18. Lebensjahres aufgetreten ist. Vice versa bedeutet dies jedoch auch, dass nicht gesichert beweisbar ist, dass die Erwerbsunfähigkeit im Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres nicht gegeben war.
Dr.
C führt in seinem Gutachten vom aus, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer geistig minusintellektuellen Einschränkungen keine Krankheitswahrnehmung und kein Problembewusstsein habe. Aus dem Gutachten des Dr. C ergibt sich auch, dass bereits im Jahr 2010 die Minderbegabung der Beschwerdeführerin bekannt war; diesbezüglich liegt ein Befundbericht der Universitätsklinik für Psychiatrie in Ort1 vom vor.
Ihr Bruder habe damals ausgeführt dass die Beschwerdeführerin maximal zwei Stunden Schlaf finden könne und sie tagsüber zunehmend verwirrt sei; erschwerend hinzu komme eine Minderbegabung. Aufgrund dieses Umstandes ist davon auszugehen, dass die Minderbegabung bereits vor dem 21. bzw. 25. Lebensjahr vorgelegen hat und lediglich von Seiten der Eltern versucht wurde, diese Minderbegabung der Beschwerdeführerin zu kaschieren.
Es entspricht daher keinesfalls den Tatsachen, dass erst im Zuge der Gutachtenserstellung des Dr.
C vom eine erstmalige Beschreibung stattgefunden habe.
Da sämtliche Familienmitglieder der Beschwerdeführerin zwischenzeitlich verstorben sind und die Beschwerdeführerin darüber hinaus betreffend ihr eigenes Können eine verzerrte Wahrnehmung hat, ist davon auszugehen, dass die Behinderung bereits 1985 bzw. 1994 vorgelegen hat.
Es kann auch keinesfalls der Schluss gezogen werden, dass vor dem Jahr 2010 keine offensichtliche Erkrankung vorgelegen hat, weil es diesbezüglich keinerlei Befunde gibt, zumal davon auszugehen ist und alles darauf hindeutet, dass die Familie versucht hat, die Minderbegabung der Beschwerdeführerin zu kaschieren bzw. zu vertuschen.
Der Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe und Erhöhungsbetrag wird daher unverändert aufrechterhalten. …"

c) Mit der Stellungnahme wurde ein Befundbericht der Uni-Klinik für Psychiatrie, Ort1, vom zum stationären Aufenthalt der Bf v. 20.11. - (= nach Wohnungsbrand und Tod der Mutter), Diagnose: depressive Anpassungsstörung und Z.n. Rauchgasvergiftung, beigebracht.
Unter Pkt. "Therapie und Verlauf" wurde ua. noch festgehalten: "Die durchgeführte neuropsychologische Testung ergab geringe bis mittelgradige Defizite in einigen kognitiven Domänen, die zu den außenanamnestischen Angaben (Bruder, Schwägerin) gut passten."

d) Anforderung eines weiteren SMS-Gutachtens zur Ergänzung am unter Beischluss mehrerer Unterlagen (Vorgutachten ; BFG-Vorhalt v. ; Stellungnahme der Bf v. ; Befundbericht v. ) wie folgt:

" … Ersuchen an das Sozialministeriumservice:
In og. Beschwerdesache ist der Eigenanspruch auf Familienbeihilfe samt Erhöhung der Familienbeihilfe der Beschwerdeführerin (Bf)
***Bf1***, geb. , wg. erheblicher Behinderung, konkret wg. "geistig-intellektueller Einschränkung", iSd § 6 Abs. 2 lit d FLAG 1967 idgF "ab April 2016" strittig.
Wesentlichste Voraussetzung wäre, dass die Bf bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres, dh. vor dem Jänner 1988, voraussichtlich dauernd außerstande war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (= voraussichtliche dauernde Erwerbsunfähigkeit).

Zu den beim Sozialministeriumservice (SMS) bisher angeforderten Bescheinigungen:
a) Gestützt auf den vorliegenden relevanten Befund (= klinisch-psychologisches Gutachten des Dr.
C v. ) wurde "mit Untersuchung" am von Dr. D das Erstgutachten erstellt:
Demnach liege bei der Bf (Diagnose: Kognitive Leistungseinschränkung, Intelligenzminderung mit maßgeblichen sozialen Anpassungsstörungen) ein Gesamtgrad der Behinderung (GdB) von 50 % ab 10/2021 vor.
Weiters wurde die dauernde Erwerbsunfähigkeit, vorliegend ebenso seit 10/2021, festgestellt und begründend ausgeführt, dass Tätigkeiten nur unter Aufsicht/Anleitung möglich seien und keine abgeschlossene Lehre oä. vorliege.

b) Nach Abweisung des FB-Antrages, erhobener Beschwerde und nochmaliger Anforderung wurde in dem 2. SMS-Gutachten v. vom Sachverständigen Dr. F, FA f. Psychiatrie, unter Berücksichtigung von drei relevanten Befunden aus 2020 - 2022 wiederum ein GdB von 50 % sowie die Erwerbsunfähigkeit der Bf festgestellt. Dies vorliegend seit 09/2020 bzw spätestens ab diesem Zeitpunkt, da die Symptomatik erstmals im Gutachten von Dr. C beschrieben wurde, und weiter:
"Ob diese Unfähigkeit bereits vorher eingetreten ist, lässt sich weder aus der Untersuchung der Probandin noch aus den vorgelegten Befunden schließen" (im Einzelnen siehe das beigeschl. Gutachten v. ).

Beide BSB-Gutachten wurden der Bf mit Vorhalt des Bundesfinanzgerichtes (BFG) v. übermittelt.
Mit der nun eingegangenen Stellungnahme v. seitens der Erwachsenenvertreterin der Bf, RA
MagB, wurde zum Einen der noch einzig vorhandene frühere Befundbericht der Universitätklinik Ort1 v. vorgelegt; sämtliche andere Dokumente seien bei einem (vorhergehenden) Wohnungsbrand vernichtet worden.
Zum Anderen wird in der Stellungnahme ua. ausgeführt, dass
- die Begründung des SV Dr. F zur Erwerbsunfähigkeit bedeute, dass im
Umkehrschluss nicht gesichert davon ausgegangen werden könne, dass die
Erwerbsunfähigkeit bei der Bf erst nach deren 21. Lebensjahr eingetreten sei;
- die Bf von 09/1986 bis 10/1987 (= im Alter von ca. 19-20 Jahren) zunächst eine AMFG-
Beihilfe (Anm.: § 20, zu einer Lehrausbildung) bezogen, aber ab 12/1987 (nur mehr) als
Hausangestellte bei den Eltern gearbeitet habe;
- die Bf aufgrund ihres Krankheitsbildes zu keiner Zeit in der Lage gewesen sei, eine
ordentliche Berufsausbildung zu absolvieren und einer Erwerbstätigkeit auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen.
Nach Ansicht der Erwachsenenvertreterin deute sohin alles darauf hin, dass die geistig-intellektuelle Einschränkung der Bf seit jeher bestanden habe und von der Familie die "Vertuschung" deren Zustandes versucht worden sei.
Der BFG-Vorhalt sowie die Stellungnahme v. samt dem früheren Befund aus 2010 werden in der Beilage zur Kenntnis übermittelt.
Im Hinblick auf die umfassenden Ausführungen zum Sachverhalt in der Stellungnahme vom , worauf im Einzelnen verwiesen wird, erachtet das BFG die bisherigen Gutachten insoweit als ergänzungsbedürftig, dh. es bedarf - unter Bedachtnahme auch auf den neu beigebrachten Befundbericht v. - entweder eines weiteren SMS-Gutachtens oder zumindest einer ergänzenden Stellungnahme.
Das Sozialministeriumservice wird dazu ehestmöglich um Beantwortung insbesondere folgender Fragen ersucht:
a) Lassen die vorliegenden Gesamtumstände, dass die Bf nach dem Schulbesuch nie eine
Berufsausbildung absolviert bzw. fertig abgeschlossen hat und nie am allgemeinen
Arbeitsmarkt, sondern vielmehr nur im Haushalt der Eltern (ab 1987) tätig war, darauf
schliessen, dass die intellektuelle Minderbegabung (als erhebliche Behinderung mit
einem GdB von zumindest 50 %) hiefür ursächlich war und bereits "seit jeher",
dh. also bereits VOR Vollendung des 21. Lebensjahres, bestanden hat ?
b) Lassen diese vorgenannten Umstände weiters darauf schliessen, dass auch bereits
VOR vollendetem 21. Lj. bei der Bf eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit
eingetreten war ?
c) Können diesbezügliche Schlussfolgerungen allenfalls auch daraus gezogen werden,
dass die betr. Intelligenzminderung zwar erstmals (Anm.: wg. Vernichtung von
älteren Dokumenten aufgrund eines Wohnungsbrandes im Jahr 2010) im Befund
des Dr.
C aus 09/2020 beschrieben wurde, jedoch im 2. SMS-Gutachten des
Dr.
F v. ein früherer Eintritt der Erwerbsunfähigkeit dezidiert auch
nicht ausgeschlossen werden kann ?
d) Ist eine geistig-intellektuelle Minderbegabung als eine fortlaufend sich entwickelnde
(schlechter werdende) Erkrankung oder aber - und zwar unabhängig davon, wann dazu
eine erstmalige Beschreibung/Befundung erfolgt - vielmehr als ein von Geburt an
bestehendes gesundheitliches Defizit bzw. Behinderung zu beurteilen ?
e) Daneben erscheint dem BFG auch der im SMS-Erstgutachten v.
bescheinigte Eintritt von GdB und Erwerbsunfähigkeit auf den Zeitpunkt "10/2021"
im Hinblick auf den zugrunde gelegten relevanten Befund (Gutachten Dr.
C
v. ) als nicht nachvollziehbar und fehlte es hiezu an einer näheren
Begründung. ….."

e) Dem entsprechend wurde am das folgende neuerliche SMS-Gutachten durch Dr. F, Facharzt f. Psychiatrie, "aufgrund der Aktenlage" erstellt und an das BFG am weitergeleitet:

" … Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
- Befundbericht, Univ.-Klinik für Psychiatrie V,
Ort1 ():
stationärer Aufenthalt vom 20. 11. bis ; Entlassungsdiagnosen: Depressive Anpassungsstörung, Z. n. Rauchgasvergiftung am , Craniostenose (OP 1967); außerdem erwähnt (allerdings nicht als Entlassungsdiagnose angeführt) werden "geringe bis mittelgradige Defizite in einigen kognitiven Domänen", die sich bei der neuropsychologischen Testdiagnostik ergeben haben.
- FLAG-Gutachten, Dr.
D ():
Kognitive Leistungseinschränkung, Intelligenzminderung mit maßgeblichen Anpassungsstörungen; Gesamtgrad der Behinderung = 50 v. H.; voraussichtlich seit 10/2021 dauerhaft außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen
- FLAG-Gutachten, Dr.
F ():
Kognitive Leistungseinschränkung, Intelligenzminderung mit maßgeblichen Anpassungsstörungen (GdB 50 v. H.), Herzklappeninsuffizienz leichten Grades (GdB 10 v. H.); Gesamt-GdB = 50 v. H. (das Herzklappenleiden erhöht den Gesamt-GdB aufgrund seiner geringgradigen funktionellen Relevanz nicht.)

Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel:
Erwachsenenvertretung; aktuell keine störungsspezifische Therapie

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
1 Kognitive Leistungseinschränkung, Intelligenzminderung mit
maßgeblichen sozialen Anpassungsstörungen
Erwachsenenvertretung notwendig, keine vollständige Unabhängigkeit
Pos. Nr. GdB 50 %
2 Herzklappeninsuffizienz, Mitralklappeninsuffizienz leichten Grades
klinisch ohne signifikante Symptomatik, von kardialer Seite
unauffälliger fachärztlicher Befund Pos. Nr. GdB 10 %

Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Leiden 2 erhöht den Gesamt-GdB aufgrund seiner geringgradigen funktionellen Relevanz nicht. Der Gesamt-GdB bleibt bei 50 v. H.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Depressive Anpassungsstörung und Zustand nach Rauchgasvergiftung: Diese im Dezember 2010 diagnostizierten Leiden haben sich mittlerweile vollständig zurückgebildet. Die im selben Befund erwähnte Craniostenose wurde bereits 1967 operativ behoben.

Stellungnahme zu Vorgutachten:
Stellungnahme zu den seitens des BFG am gestellten Fragen:

ad a):
Nein, die vorliegenden Gesamtumstände lassen nicht den Schluss zu, dass die intellektuelle Minderbegabung hiefür ursächlich war. Sie lassen auch nicht den Schluss zu, dass dieses Störungsbild seit jeher bestanden hat.

ad b):
Nein, diese Umstände lassen nicht darauf schließen, dass auch bereits vor vollendetem 21. Lebensjahr eine solche dauerhafte Erwerbsunfähigkeit bestanden hat.

ad c):
Die Beschwerdeführerin konnte die reguläre Pflichtschule und daran anschließend über zwei Jahre eine Lehre zur Köchin absolvieren, die aus nicht rekonstruierbaren Gründen abgebrochen wurde. Es ist also davon auszugehen, dass zumindest bis zum Abbruch der Lehrausbildung eine Erwerbsfähigkeit bestanden hat. Wann genau in den darauffolgenden Jahren die Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, ließ sich weder aus den vorliegenden Befunden noch aus der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin ermitteln. Im neu vorgelegten Befundbericht der Univ. -Klinik für Psychiatrie in
Ort1 vom werden zwar "geringe bis mittelgradige Defizite in einigen kognitiven Domänen" beschrieben, diese Defizite erreichten aber offenbar nicht ein Ausmaß, das die Diagnose einer Intelligenzminderung oder einer Entwicklungsstörung nach ICD-10 rechtfertigte. Im selben Befundbericht ist außerdem von einer "durchschnittlichen verbalen (prämorbiden) Intelligenzfunktion" die Rede.

ad d):
Intelligenzminderungen nach ICD-10, die umgangssprachlich häufig als "Minderbegabungen" bezeichnet werden, können definitonsgemäß sowohl angeboren als auch erworben werden, wenngleich ein Abbau intellektueller Funktionen zutreffender als "Demenz" bezeichnet wird, wenn vor Eintritt eines bestimmten Ereignisses (z. B. einer Hirnerkrankung) ein höheres intellektuelles Niveau vorhanden war. In der Gesamtbeurteilung der Befunde ergeben sich im gegebenen Fall jedenfalls deutliche Hinweise, dass bei der Beschwerdeführerin offenbar seit der Jugendzeit ein weiterer intellektueller Abbau stattgefunden hat. Für diese Annahme spricht, dass die Beschwerdeführerin bei der neuropsychologischen Untersuchung während des stationären psychiatrischen Aufenthaltes im November 2010 offenbar bessere Ergebnisse erreichen konnte als bei der Untersuchung durch Dr.
C im September 2020. Die Beurteilung dieser Differenz ist angesichts unterschiedlicher Testinstrumente jedoch nur eingeschränkt möglich. Auch im neurologisch-psychiatrischen Gutachten von Dr. G vom Oktober 2021 wird erwähnt, dass nur eine geringe Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass eine die Erwerbsfähigkeit ausschließende Störung bereits vor 1985 bestanden hat bzw. sich bis 1994 entwickelt hat.

ad e):
Der im SMS-Erstgutachten vom bescheinigte Eintritt des GdB und der Erwerbsunfähigkeit auf den Zeitpunkt "10/2021" erscheint nicht nachvollziehbar.

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:
ja

GdB liegt vor seit: 09/2020
……..
Frau
***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA

Dies besteht seit: 09/2020

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Die Intelligenzminderung wurde erstmals 09/2020 in einem der vorgelegten Befunde beschrieben. Aus der Untersuchung der Probandin und den vorgelegten Befunden lässt sich nicht sicher nachvollziehen, ab welchem Zeitpunkt bereits vorher ein GdB von 50 v. H. erreicht wurde.

X Dauerzustand

Gutachten erstellt am von Dr. F
Gutachten vidiert am von Dr.
E ……"

f) Die SMS-Anforderung des und das neue Gutachten v. 4./ wurden der Bf, andererseits der BFG-Vorhalt und die Stellungnahme der Bf v. dem Finanzamt jeweils zusammen mit der Ladung v. zur mündlichen Verhandlung zur Kenntnis übermittelt.

g) Am wurde per e-mail von der Erwachsenenvertreterin ein SV-Gutachten der Psychologin MMag. K v. (erstellt im Rahmen der Beantragung der Waisenrente für die Bf) nachgereicht, woraus ua. hervorgeht, die Bf habe nie psychologische oder psychiatrische Behandlungen gehabt (S. 6 unten). Durch zunehmenden Rückzug ins Privatleben und zunehmende Unselbständigkeit sei der IQ verbunden ua. mit Beeinträchtigungen in der Fähigkeit zum logischen Denken sukzessive gesunken (S. 11).
Zur dortigen konkreten Fragestellung wird im Ergebnis ausgeführt (S. 14-15):

"(1) Besteht bei Fr. Bf eine Erkrankung oder Behinderung infolge derer sie erwerbsunfähig ist ?
Bei Fr. Bf besteht derzeit und mit hoher Wahrscheinlichkeit dauerhaft eine Erkrankung bzw. Behinderung, infolge derer sie erwerbsunfähig ist, dies primär aufgrund der vorliegenden psychischen (geistigen) Beeinträchtigungen. … Eine Integration in den Arbeitsmarkt erscheint mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht möglich.

(2) Bei Bejahung der Frage (1), wenn ja, bestand diese Erkrankung von Fr. Bf bereits seit der Vollendung des 18. Lebensjahres oder ist sie erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgetreten ?
Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Fr. Bf bereits vor und somit auch seit der Vollendung des 18. Lebensjahres Beeinträchtigungen in ihrer visuellen Wahrnehmungsverarbeitung, eine umschriebene Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten aufgewiesen hat … Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Fr. Bf bereits vor Vollendung des 18. Lebensjahres eine deutlich verringerte Fähigkeit aufgewiesen hat, neue als auch komplexe Informationen zu verstehen, neue Fähigkeiten zu erlernen und vor allem anzuwenden. Dadurch hat sich in Ergänzung zum sozialen Rückzug in die Herkunftsfamilie ihre Fähigkeit, ein möglichst unabhängiges Leben zu führen, sukzessive verringert.

Wenn die Krankheit nicht bereits seit der Vollendung des 18. Lebensjahres bestanden haben sollte, wann ist sie aufgetreten ? Zwischen der Vollendung des 18. Lebensjahres und vor Vollendung des 27. Lebensjahres oder später ?
Es ist davon auszugehen, dass die Krankheit von Fr. Bf bereits vor Vollendung des 18. Lebensjahres bestanden hat. Weiter ist davon auszugehen, dass sich die Gesamteinschränkungen durch ihre durch die Eltern vorgegebene Lebensform sukzessive erweitert haben, sodass ihre Unselbständigkeit fortlaufend zugenommen hat."

Eine Ausfertigung dieses Gutachtens wurde umgehend dem Finanzamt zur Kenntnis übermittelt.

h) In der am vor dem BFG abgeführten mündlichen Verhandlung hat die Vertreterin der Bf im Wesentlichen noch Bezug genommen auf das vorgenannte Gutachten der SV MMag. K, wonach die Behinderung vor dem 18. Lj. vorgelegen sei. Des Weiteren sei die Aussage des SV Dr. F nicht nachvollziehbar, dass die Bf zwei Jahre lang einen Beruf erlernt habe. Abschließend wurde beantragt, der Beschwerde Folge zu geben.

Seitens des Finanzamtes wird auf die vorliegenden Bescheide und die Stellungnahme im Vorlagebericht verwiesen und die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Sachverhalt:

Die Bf, geb. 01/1967, hat im Jänner 1988 das 21. Lebensjahr vollendet. Sie hat im April 2021, dh. im Alter von 54 Jahren, die Anträge auf Familienbeihilfe und den FB-Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung bzw. "geistig-intellektueller Beeinträchtigung" gestellt.

Sie hat nach Absolvierung der Volks- und der Hauptschule für ca. 2 Jahre eine Lehre als Köchin gemacht, die Lehre jedoch nicht abgeschlossen. In dieser Zeit hat sie für 1 Jahr (09/1986 - 10/1987) eine Beihilfe zur Lehrausbildung (§ 20 Abs. 2 AMFG) bezogen. Nach einer Erkrankung hat sie, mangels erfolgreicher Bewerbungen auf anderweitige Arbeitsstellen, anschließend ab 12/1987 den Eltern den Haushalt geführt; die Mutter ist nach Krebserkrankung bei einem Wohnungsbrand im Jahr 2010 und der Vater im Jahr 2017 verstorben. Seither lebt sie alleine und erhält - nach erfolglosen Versuchen, Arbeit zu finden - Mindestsicherung und Mietzinsbeihilfe (lt. eigenen Angaben und lt. Anamnesen der mehreren SMS-Gutachten).
Seit 2020 ist für sie zur Vertretung vor Gerichten, Behörden und bei Rechtsgeschäften ein Sachwalter bzw. eine Erwachsenenvertreterin bestellt (BG-Beschluss v. ).

Aufgrund des Wohnungsbrandes war die Bf von 20.11. - in der Univ-Klinik f. Psychiatrie stationär aufhältig, wo eine Rauchgasvergiftung sowie eine depressive Anpassungsstörung diagnostiziert und daneben, nach neuropsychologischen Tests, "geringe bis mittelgradige Defizite in einigen kognitiven Domänen" erwähnt wurden (siehe Befundbericht v. ).

Aus der Zeit vor dem 21. Lebensjahr der Bf allenfalls vorhandene Befunde konnten nicht vorgelegt werden, da diese im Zuge des Wohnungsbrandes 2010 vernichtet wurden (lt. Stellungnahme v. ). Wie aus dem zuletzt beigebrachten Gutachten hervorgeht, wurde die Bf allerdings bis dahin (2010) nie psychologisch oder psychiatrisch behandelt (siehe SV-Gutachten MMag. K v. ).

In den mittlerweile drei beim Sozialministeriumservice eingeholten Gutachten wurde von den ärztlichen Sachverständigen, gestützt im Wesentlichen auf das klinisch-psychologische Gutachten des Dr. C v. und das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Dr. G v. , übereinstimmend bei der Bf ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 % und eine Erwerbsunfähigkeit aufgrund jeweils "Kognitiver Leistungseinschränkung-Intelligenzminderung" bescheinigt; dies im Erstgutachten v. 28.10./ zunächst "ab 10/2021", in den vom Psychiater Dr. F am und erstellten Folgegutachten spätestens "ab 09/2020", da die vorliegende Symptomatik erstmalig im Befund des Dr. C aus 09/2020 beschrieben wurde. Demgegenüber war die Minderbegabung im Befund vom - mangels entsprechendem Ausmaß - nicht diagnostiziert, sondern lediglich "erwähnt" worden.

Im abschließenden Gutachten vom wurde - auf konkrete Fragestellung des BFG zum Eintritt der Erwerbsunfähigkeit - vom Sachverständigen in Gesamtbeurteilung aller vorhandenen Befunde und auch der im Verfahren dargestellten "Gesamtumstände" (insbes. keine abgeschlossene Berufsausbildung und die Nichtteilnahme der Bf am regulären Arbeitsmarkt, siehe Stellungnahme v. ) dezidiert ausgeschlossen, dass die intellektuelle Minderbegabung bereits seit Geburt der Bf vorhanden und die Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr eingetreten war. Der tatsächliche Zeitpunkt des Eintrittes der Erwerbsunfähigkeit bzw. des GdB von 50 % lässt sich demnach nicht mehr sicher nachvollziehen (siehe zu vor im SMS-Gutachten v. , insbes. die dortige umfassende Fragenbeantwortung, ua. ad a), b) und d)) bzw. ist weder aus der durchgeführten Untersuchung der Bf noch aus den vorgelegten Befunden zu erschließen (siehe im SMS-Gutachten v. ).
Zufolge des zugrunde liegenden Befundes des Dr. G v. "liegt nur eine geringe Wahrscheinlichkeit vor, dass bereits ab 1985 eine derartige Störung bestanden hat bzw. sich eine solche bis 1994 entwickelt hat".

III. Beweiswürdigung:

Obiger Sachverhalt ergibt sich aus dem Akteninhalt, insbesondere anhand der eigenen Angaben seitens der Bf, der im Einzelnen angeführten Unterlagen sowie aus den drei eingangs dargestellten SMS-Sachverständigengutachten.

IV. Rechtslage:

A) Eigenanspruch:

Betreffend den "Eigenanspruch auf Familienbeihilfe" wird in § 6 Familienlastenausgleichs-gesetz (FLAG), BGBl 1967/376 idgF., bestimmt:

(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.
(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die
Voraussetzungen des Abs. 1 lit a bis c zutreffen und wenn sie ...
…..
d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren
Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres,
eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderungvoraussichtlich dauernd
außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen
, und deren Unterhalt
nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder - und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus
öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes
getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt ....
….
(5) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder - und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

Nach § 2 Abs. 1 lit c FLAG 1967 besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

B) FB-Erhöhungsbetrag:

Nach § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist.

Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 idF BGBl I 2022/226 (in Geltung ab ) gilt als erheblich behindert ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktions-beeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als sechs Monaten (vormals: mehr als drei Jahren). Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens alle fünf Jahre neu festzustellen, wenn nach Art und Umfang eine mögliche Änderung zu erwarten ist.

Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 idgF ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) dem Finanzamt Österreich durch eine Bescheinigung auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Gemäß § 8 Abs. 7 FLAG 1967 gelten die Abs. 4 bis 6 sinngemäß für Ansprüche nach § 6 FLAG.

Festgehalten wird, dass sohin nach Obigem ein "Eigenanspruch" der Bf dann in Betracht käme, wenn nach § 6 Abs. 2 lit d FLAG bei ihr vor Vollendung des 21. Lebensjahres aufgrund einer erheblichen Behinderung eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten wäre. Besteht keine vor dem 21. Lebensjahr eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder der Grund- noch der Erhöhungsbetrag an Familienbeihilfe zu.

C) Judikatur:

Zum Nachweis der Voraussetzung der dauernden Erwerbsunfähigkeit (sowie auch des Grades der Behinderung) ist eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice iSd § 8 Abs. 6 FLAG zwingend erforderlich. Die Abgabenbehörden sowie der UFS, nunmehr das Bundesfinanz-gericht/BFG, sind an die Feststellungen der im Wege des Bundessozialamtes (nunmehr Sozialministeriumservice/SMS) erstellten Gutachten grundsätzlich gebunden (vgl. ua.).

Auch ein "reines Aktengutachten" kann dabei ausreichend sein. Der Sachverständige hat sich bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes jener Hilfsmittel zu bedienen, die seine Wissenschaft entwickelt hat, um ein verlässliches Gutachten abzugeben. Die vom Sachverständigen bei der Aufnahme des Befundes anzuwendende Methode hängt ausschließlich von objektiven fachlichen Gesichtspunkten ab (s. ).
Gleichzeitig hat das BFG die Beweiskraft - insbesondere Nachvollziehbarkeit bzw. Schlüssigkeit - der Gutachten zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen (vgl. ).
(vgl. zu vor auch: Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, 2. Aufl., Rz. 29 f. zu § 8 FLAG).

Die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde sind eingeschränkt, wenn Sachverhalte zu beurteilen sind, die teilweise Jahrzehnte zurückliegen. Auch der Sachverständige kann aufgrund seines medizinischen Fachwissens ohne Probleme nur den aktuellen Gesundheitszustand des Erkrankten beurteilen. Hierauf kommt es aber nur dann an, wenn der derzeitige Behinderungsgrad zu beurteilen ist oder die Feststellung, ob eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt, zeitnah zum relevanten Zeitpunkt erfolgen kann. Der Sachverständige kann in den übrigen Fällen nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden, Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt eine erhebliche Behinderung (oder auch eine Erwerbsunfähigkeit) eingetreten ist. Dies ist insbesondere bei psychischen Krankheiten problematisch, die häufig einen schleichenden Verlauf nehmen, sodass es primär am Bf oder dessen Vertreter (zB Sachwalter) gelegen wäre, die vor dem 21. Lebensjahr eingetretene Erwerbsunfähigkeit nachzuweisen (vgl. u.a.; siehe in Lenneis/Wanke, aaO, Rz 32 zu § 8 FLAG).

§ 6 Abs. 2 lit d FLAG 1967 stellt darauf ab, dass der Vollwaise auf Grund einer zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetretenen Behinderung außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine derartige geistige oder körperliche Behinderung kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 6 Abs. 2 lit d erfüllt. Maßgeblich ist somit allein der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt; die vom Gesetzgeber geforderte Feststellung des tatsächlichen Eintritts der Erwerbsunfähigkeit eines Antragstellers kann immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen (; ).

Liegen keine Befunde vor einem bestimmten Zeitraum vor, so ist es einem Gutachter nicht möglich, bereits davor eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, festzustellen, sofern kein Leidenszustand vorliegt, der eindeutig eine Erwerbsfähigkeit bereits von vorneherein ausschließt (; siehe zu vor Lenneis/Wanke, aaO, Rz 20 zu § 8 FLAG).

V. Erwägungen:

In gegenständlichem Beschwerdefall wurden im Zuge des Verfahrens seitens der Fachärzte/-innen des Sozialministeriumservice zunächst zwei ärztliche Sachverständigen-Gutachten sowie - auf Veranlassung durch das BFG zur nochmaligen Überprüfung und Vervollständigung - ein ergänzendes und abschließendes Gutachten erstellt:

In allen Gutachten wurde bei der Bf übereinstimmend der Grad der Behinderung (GdB) mit 50 % und eine Erwerbsunfähigkeit aufgrund jeweils "Kognitiver Leistungseinschränkung-Intelligenzminderung" attestiert. Als maßgebend ist hier - nach oben dargelegten gesetzlichen Bestimmungen samt bezughabender Rechtsprechung - zu erachten, ob unabhängig vom GdB bereits vor vollendetem 21. Lebensjahr (= vor 01/1988) bei der Bf eine dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten war.

Die Erwerbsunfähigkeit ist laut den von Psychiater Dr. F am und zuletzt am erstellten Gutachten spätestens ab 09/2020 eingetreten, wobei sich diese Einschätzung auf die erstmalige Beschreibung und Diagnose der vorliegenden Symptomatik im Befund des Dr. C vom stützt.
Frühere Befunde sind nicht (mehr) vorhanden, sodass ein allenfalls weiter zurückliegender Eintritt der Erwerbsunfähigkeit von den Sachverständigen zwar nicht ganz ausgeschlossen, jedenfalls aber nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann.
In dem nachgereichten Befundbericht der Uni-Klinik für Psychiatrie, Ort1, vom wurden lediglich "geringe bis mittelgradige Defizite in einigen kognitiven Domänen" beschrieben, die wegen ihre Ausmaßes noch kein diagnostiziertes Leiden dargestellt haben. Selbst dann, wenn man dem diesbezüglichen Beschwerdevorbringen ("Minderbegabung war bereits 2010 bekannt") folgen und auf diese "erstmalige Beschreibung" des Leidens der Bf im Befundbericht vom abstellen, dh. den Eintritt der Erwerbsunfähigkeit sohin zum Dezember 2010 feststellen wollte, ist nicht zu übersehen, dass die Bf damals bereits 43 Jahre alt war.

Entgegen der - laienhaften - Vermutung des BFG samt hiezu konkreter Fragestellung (siehe lt. Anforderung an das SMS v. ), dass eine intellektuelle Minderbegabung allenfalls von Geburt an bestehe, hat der Gutachter Dr. F im abschließenden Gutachten vom 4./ - und zwar in Gesamtbeurteilung aller vorhandenen Befunde und der im Verfahren dargestellten "Gesamtumstände" (insbesondere laut der ihm übermittelten Stellungnahme der Bf v. ) - dezidiert ausführt, dass die dargestellten Umstände (zB nicht vollendete Ausbildung, keine Teilnahme am regulären Arbeitsmarkt) keine Schlussfolgerung dahingehend zulassen, dass die intellektuelle Minderbegabung seit jeher bzw. eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit bereits vor vollendetem 21. Lebensjahr bestanden hat. Vielmehr war im Hinblick auf die Absolvierung von Pflichtschule und zweijähriger Lehre bis dahin Erwerbsfähigkeit gegeben. Der Zeitpunkt des tatsächlichen Eintritts der Erwerbsunfähigkeit in den darauffolgenden Jahren ist lt. Gutachter nicht mehr eruierbar, wobei "sich im gegebenen Fall jedenfalls deutliche Hinweise (..ergeben..), dass bei der Beschwerdeführerin offenbar seit der Jugendzeit ein weiterer intellektueller Abbau stattgefunden hat. Für diese Annahme spricht, dass die Beschwerdeführerin bei der neuropsychologischen Untersuchung während des stationären psychiatrischen Aufenthaltes im November 2010 offenbar bessere Ergebnisse erreichen konnte als bei der Untersuchung durch Dr. C im September 2020. Die Beurteilung dieser Differenz ist angesichts unterschiedlicher Testinstrumente jedoch nur eingeschränkt möglich. Auch im neurologisch-psychiatrischen Gutachten von Dr. G vom Oktober 2021 wird erwähnt, dass nur eine geringe Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass eine die Erwerbsfähigkeit ausschließende Störung bereits vor 1985 bestanden hat bzw. sich bis 1994 entwickelt hat." (siehe SMS-Gutachten , Fragenbeantwortung Pkt d).

Dass es sich sohin um einen sich fortlaufend verschlechternden gesundheitlichen Zustand gehandelt hat, wird auch durch die Aussagen im nachgereichten Gutachten der Psychologin MMag. K mehrfach bestätigt, wenn dort von einer sukzessiven Erweiterung der Beeinträchtigungen und der Unselbständigkeit die Rede ist. Streng auseinanderzuhalten bzw. zu unterscheiden sind die diesbezüglichen Aussagen hinsichtlich "Erkrankung/Behinderung", die in gewissem Ausmaß höchstwahrscheinlich bereits vor dem 18. Lebensjahr eingetreten sei, sowie demgegenüber zur "Erwerbsunfähigkeit", die laut Gutachterin "derzeit besteht". Ebenso wie in den oben dargelegten SMS-Gutachten kann von MMag. K - unabhängig von einer möglicherweise schon länger bestehenden Erkrankung - der Eintritt einer hieraus sich entwickelnden Erwerbsunfähigkeit nur aktuell beurteilt werden.
Insgesamt gilt daher zu diesem Gutachten festzuhalten, dass es sich zum Einen nur um ein neueres Gutachten aus dem Jahr 2022 handelt, das keinen Aufschluss geben kann über den tatsächlichen gesundheitlichen Zustand der Bf, insbes. nicht über den Eintritt der Erwerbsunfähigkeit, im relevanten Zeitraum vor deren 21. Geburtstag; zum Anderen werden laut dortigem Ergebnis/Fragenbeantwortung ("derzeit" Erwerbsunfähigkeit; Beeinträchtigung/ Behinderung fortlaufend verschlechtert) die Feststellungen der SMS-Gutachten weitgehend bestätigt. Aus diesen Gründen ist auch keine Veranlassung auf nochmalige Einholung eines hiezu ergänzenden SMS-Gutachtens gegeben.

Die SMS-Gutachten sind nach dem Dafürhalten des BFG - abgesehen von dem im Erstgutachten zunächst bescheinigten Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit mit "10/2021", worauf allerdings das BFG gar nicht abstellt - durchaus als schlüssig zu befinden und ergibt sich kein Anhaltspunkt, die dortigen Feststellungen als nicht nachvollziehbar oder etwa als widersprüchlich in Zweifel zu ziehen.

Die in der Beschwerde zum Vorwurf gemachten Verfahrensmängel sind durch die mittlerweile erfolgte Übermittlung sämtlicher SMS-Gutachten an die Bf wie auch durch Erstellung des Zweitgutachtens sowie des ergänzend eingeholten Letztgutachtens durch einen Facharzt für Psychiatrie als behoben zu erachten.
Des Weiteren wurde dem Antrag der Bf entsprochen und vom BFG die Einholung eines ergänzenden Gutachtens zwecks Berücksichtigung aller dargestellten Gesamtumstände und des Befundberichtes vom veranlasst.

Wenn die Erwachsenenvertreterin noch moniert, die Aussage des SV Dr. F hinsichtlich einer zweijährig absolvierten Berufsausbildung der Bf sei nicht nachzuzvollziehen, so ist dem zu erwidern, dass es sich hiebei offenkundig um eine von der Bf selbst gemachte Angabe dahin handelt, dass sie "die Pflichtschule absolviert und anschließend zwei Jahre den Beruf der Köchin erlernt" hat (siehe lt. Anamnese im SMS-Gutachten vom 9.5./).

In einem Fall, bei dem (oftmals bei psychischen Erkrankungen) Jahrzehnte zurückliegende Sachverhaltselemente entscheidungsrelevant sind, liegt es allein am Antragsteller/der Antragstellerin, das Vorliegen der maßgeblichen Umstände klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels nachzuweisen (vgl. zB ).

Entgegen dem Dafürhalten seitens der Bf, es müsse anhand der vorliegenden Gesamtumstände davon ausgegangen werden, dass die Bf aufgrund der Minderbegabung zu keiner Zeit in der Lage gewesen sei, am regulären Arbeitsmarkt teilzunehmen, und daher die Erwerbsunfähigkeit jedenfalls vor dem 21. Lebensjahr eingetreten sei, wurde aber gegenständlich selbst unter eingehender Berücksichtigung all dieser geltend gemachten Umstände im Letztgutachten keine seit jeher bestehende Erwerbsunfähigkeit, sondern vielmehr ein sich über die Jahre fortlaufend entwickelnder intellektueller Abbau bei der Bf festgestellt. Insofern wurde im Ergebnis nichtklar und zweifelsfrei nachgewiesen (vgl. ), dass - wie nach dem Gesetz erforderlich - bereits vor der Vollendung des 21. Lebensjahres eine dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, eingetreten ist.

VI. Ergebnis:

Fest steht, dass mittels mehrfacher SMS-Bescheinigungen bei der Bf ein GdB von 50 % und der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit - letztlich abschließend und schlüssig - ab 09/2020 attestiert wurde; zu dieser Zeit war die Bf 53 Jahre alt.

Es besteht mangels vorhandener Nachweise (Befunde oä.) aus der Zeit vor dem 21. Lebensjahr der Bf keine Möglichkeit, einen tatsächlich früheren Eintritt einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit zweifelsfrei festzustellen.
Wie oben ausgeführt, ist ua. das Bundesfinanzgericht an die Feststellungen der im Wege des Sozialministeriumservice erstellten Gutachten gebunden.

Besteht keine zweifelsfrei nachgewiesene, vor dem 21. Lebensjahr eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder der Grund- noch der Erhöhungsbetrag an Familienbeihilfe zu.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Unzulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der gegenständlichen Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen die erhöhte Familienbeihilfe zusteht, ergibt sich bereits aus den bezughabenden Gesetzesbestimmungen. Hinsichtlich der Frage, ob noch vor dem 21. Lj. eine "voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit" eingetreten war, ist das BFG an die Bescheinigungen (gutachterlichen Feststellungen) des Sozialministeriumservice gebunden und liegt insofern keine zu lösende Rechtsfrage von "grundsätzlicher Bedeutung" vor. Eine Revision ist daher nicht zulässig.

Innsbruck, am

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