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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 27.07.2023, RV/5100642/2022

Ende des Zivildienstes bei vorzeitiger Entlassung aus gesundheitlichen Gründen

Beachte

Revision (Amtsrevision) beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2023/16/0125.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Ulrike Stephan in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom betreffend Familienbeihilfe 02.2022-09.2022 und betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum 07.2021 bis 08.2021 und 06.2022 bis 07.2022 SVNR: ***xyz*** zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben. Die angefochtenen Bescheide werden wie folgt abgeändert:

Die Abweisung des Antrages auf Familienbeihilfe wird auf den Zeitraum Februar 2022 bis Juni 2022 eingeschränkt.

Der Bescheid hinsichtlich Rückforderung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages wird auf den Zeitraum 06/2022 eingeschränkt.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (in der Folge kurz Bf.) beantragte nach vorzeitiger Entlassung seines Sohnes aus dem Zivildienst Familienbeihilfe ab 02/2022 bis 09/2022 (frühestmöglicher Beginn einer Berufsausbildung nach Zivildienst).

Mit Abweisungsbescheid vom wies die belangte Behörde den Antrag mit folgender Begründung ab:

"Der frühestmögliche Zeitpunkt einer Berufsausbildung wird nach objektiven Kriterien beurteilt. Wird eine angestrebte Ausbildung nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt begonnen, besteht für die Zeit zwischen dem Abschluss einer Schulausbildung und dem Beginn einer weiteren Berufsausbildung kein Anspruch auf Familienbeihilfe. (Wird z.B. ein geplantes Wunschstudium wegen eines fehlenden Studienplatzes nicht sofort, sondern später begonnen, besteht für die Zwischenzeit kein Anspruch auf Familienbeihilfe). Nach der vorzeitigen Beendigung des Zivildienstes wäre März 2022 der frühestmögliche Zeitpunkt für den Beginn des Studiums Rechtswissenschaften gewesen."

Zeitgleich erging der Bescheid über die Rückforderung der Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum Juni 2022 bis Juli 2022 und Juli 2021 bis August 2021 mit etwa gleichlautender Begründung.

Mit erhob der Bf. sowohl gegen den Abweisungsbescheid als auch gegen den Rückforderungsbescheid fristgerecht Beschwerde.

"Unser ***1*** hat jedoch den Zivildienst aus gesundheitlichen Gründen beenden müssen und er war vom bis im Krankenhaus und anschließend bis Ende April 2022 im Krankenstand. Ende Mai bis hat er eine 6wöchige Reha im ***Y*** absolviert. Aus diesem Grund war ein Studienbeginn mit absolut nicht möglich; Bestätigungen liegen bei. […]"

Am wies das Finanzamt sowohl die Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid betreffen Antrag auf Familienbeihilfe von 02/2022 bis 09/2022 als auch die Beschwerde gegen den Bescheid über die Rückforderung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages für den Sohn ***1*** für den Zeitraum Juli 2021 bis August 2021 sowie Juni 2022 bis Juli 2022 mit Beschwerdevorentscheidung als unbegründet ab. Die Bescheide wurden wie folgt begründet:

"Ihr Sohn ***1*** hat die Reifeprüfung im Juni 2021 erfolgreich abgelegt. Der Zivildienst wurde vom bis geleistet. Laut Bestätigung des Militärkommandos wurde der Zivildienst wegen Krankheit vorzeitig beendet, weitere fachärztliche Bestätigungen bescheinigen die Arbeitsunfähigkeit und ambulante Rehabilitation bis 07/2022. Laut Ihrer Angabe konnte die weitere Berufsausbildung zum nächstmöglichen Termin 03/2022 aufgrund der Krankheit von ***1*** nicht wahrgenommen werden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind bei der Beurteilung, ob eine Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt begonnen werde, persönliche oder andere nicht unmittelbar mit der Berufsausbildung im Zusammenhang stehende Gründe unbeachtlich. Der frühestmögliche Zeitpunkt ist nach rein objektiven Kriterien zu beurteilen (). Subjektive Aspekte sind nicht einzubeziehen, sodass etwa kein Familienbeihilfenanspruch für Zeiträume zwischen Beendigung der Schulausbildung und einem krankheitsbedingt verzögerten Beginn einer weiteren Berufsausbildung besteht (vgl. ). Wären anstelle der ausschließlich objektiven Betrachtung auch subjektive Merkmaleeinzubeziehen, dann würden auch beispielsweise das (krankheitsbedingte oder aus sonstigenGründen erfolgte) Nichtantreten zu einer Aufnahmeprüfung oder das Versagen einesStudienplatzes wegen Platzmangels dazu führen, dass ein um ein oder gar mehrere Jahrespäterer Studienbeginn immer noch als "frühestmöglich" anzusehen wäre (vgl. wiederum)."

Der Bf. beantragte mit Schreiben vom die Vorlageder Beschwerde an das Bundesfinanzgericht, verwies auf die Begründung in der Beschwerde und ergänzte wie folgt:

"Die Erkrankung meines Sohnes war unvorhersehbar und ist am eingetreten. Er war von diesem Datum bis stationär im Krankenhaus ***X***. Anschließend befand er sich im Krankenstand bis . Vom bis absolvierte er eine ambulante Reha im ***Y***. Die Anmeldefrist für das Diplomstudium Jus an der ***Uni*** für das Sommersemester 2022 war vom bis . Rein aus dieser Chronologie war ein Studienbeginn per nicht möglich. Wenn mein Sohn den Zivildienst ordnungsgemäß vom bis absolviert hätte, dann hätte er auch die Familienbeihilfe für die Monate Juli und August 2021 und vom Juni 2022 bis incl. September 2022 erhalten. Ich beantrage, dass wir die Familienbeihilfe ebenfalls für die Monate erhalten, die bei ordnungsgemäßer Zivildienstabsolvierung zugestanden wäre. Denn die Erkrankung bzw. die längere Arbeitsunfähigkeit konnte nicht vorhergesehen werden bzw. war unverschuldet."

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Auf Basis des oben geschilderten Verwaltungsgeschehens und der aktenkundigen Unterlagen wird folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt:

Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Bundesgebiet. Der am ***Datum***2002 geborene Sohn des Bf. schloss im Juni 2021 die Schulausbildung mit Ablegung der Reifeprüfung ab.

Ab leistete der Sohn des Bf. den Zivildienst. Er wurde am gemäß § 19a ZDG vorzeitig aus dem ordentlichen Zivildienst entlassen, da er zu diesem Zeitpunkt bereits 24 Kalendertage aus gesundheitlichen Gründen dienstunfähig war.

Wenn ein Zivildienstleistender vorzeitig aus dem Zivildienst entlassen wird, wird er nach seiner Genesung ehestmöglich wieder zum Zivildienst zugewiesen.

Der Sohn des Bf. war von bis in stationärer Behandlung im Kepler Universitätsklinikum und anschließend bis Ende April 2022 im Krankenstand.

Nach einer Untersuchung des Sohnes des Bf. bei einer Fachärztin für Psychiatrie teilte diese dem Militärkommando OÖ mit, dass er weiterhin nicht arbeitsfähig ist und es fraglich sei, ob er nach Genesung wieder als Zivildiener eingesetzt werden kann.

Vom bis hat der Sohn des Bf. an einem ambulanten Rehabilitationsprogramm im Zentrum für seelische Gesundheit teilgenommen.

Am wurde der Sohn des Bf. von der Stellungskommission OÖ mit Beschluss für untauglich erklärt. Der Präsenz/Zivildienst endete (nach Unterbrechung/Entlassung wegen Krankheit) am .

Ab dem am beginnenden Wintersemester 2022/23 war der Sohn des Bf. als ordentlicher Studierender an der ***Uni***, Diplomstudium der Rechtswissenschaften inskribiert. Er hat zum frühestmöglichen Zeitpunkt (im Herbst 2022) nach Ende des Zivildienstes (im Juli 2022) mit dem Studium der Rechtswissenschaften an der ***Uni*** begonnen.

2. Beweiswürdigung

Die obigen Sachverhaltsfeststellungen sind allesamt aktenkundig bzw. ergeben sich diese aus den nicht der Aktenlage widersprechenden und auch von der belangten Behörde nicht widerlegten Ausführungen des Bf.

Wenn ein Zivildienstleistender krankheitsbedingt vorzeitig aus dem Zivildienst entlassen wird, wird er nach seiner Genesung ehestmöglich wieder zum Zivildienst zugewiesen. Daher stellt diese vorzeitige Entlassung aus Sicht des Bundesfinanzgerichtes lediglich eine Unterbrechung des Zivildienstes und keine Beendigung desselben dar. Tatsächlich wurde erst mit Beschluss der Stellungskommission vom festgestellt, dass der Sohn des Bf. untauglich ist und keine weiter Zuweisung zum Zivildienst erfolgen wird.

Vor diesem Hintergrund können die obigen Sachverhaltsfeststellungen gemäß § 167 Abs. 2 BAO als erwiesen angenommen werden.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (teilweise Stattgabe)

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. d erster Halbsatz FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unter anderem Anspruch auf Familienbeihilfe "für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für die Zeit zwischen dem Abschluss der Schulausbildung und dem Beginn einer weiteren Berufsausbildung, wenn die weitere Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Abschluss der Schulausbildung begonnen wird".

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. e FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unter anderem Anspruch auf Familienbeihilfe "für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für die Zeit zwischen der Beendigung des Präsenz- oder Ausbildungs- oder Zivildienstes oder eines Freiwilligen Dienstes nach § 2 Abs. 1 lit. l sublit. aa bis dd und dem Beginn oder der Fortsetzung der Berufsausbildung, wenn die Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach dem Ende des Präsenz- oder Ausbildungs- oder Zivildienstes oder Freiwilligen Dienstes nach § 2 Abs. 1 lit. l sublit. aa bis dd begonnen oder fortgesetzt wird".

§ 26 Abs. 1 FLAG 1967 lautet:

"Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen."

§ 33 Abs. 3 EStG 1988 lautet auszugsweise:

"[…] Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 anzuwenden."

Der Sohn des Bf. hat im Oktober 2022 mit dem Studium der Rechtswissenschaften an der ***Uni*** begonnen. Strittig ist im Beschwerdefall, ob der Sohn des Bf. gem. § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach dem Abschluss der Schulausbildung im Juni 2021 bzw. gem. § 2 Abs. 1 lit. e FLAG 1967 zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach dem Ende des Zivildienstes mit der weiteren Berufsausbildung begonnen hat.

Dies sei nach der von der belangten Behörde vertretenen Rechtsauffassung zu verneinen, da der Sohn des Bf. den Zivildienst mit beendet habe und bereits im Sommersemester 2022 mit dem Studium hätte beginnen können.

Der "frühestmögliche Zeitpunkt" iS des § 2 Abs. 1 lit. e FLAG ist nach rein objektiven Kriterien zu beurteilen ist. Persönliche oder andere nicht unmittelbar mit der Berufsausbildung im Zusammenhang stehende Gründe die zu einem späteren bzw. zeitlich verzögerten Beginn einer Berufsausbildung führen, haben dabei außer Betracht zu bleiben. Als frühestmöglicher Zeitpunkt ist jener anzusehen, zu dem die Aufnahmevoraussetzungen erfüllt sind und die Ausbildung somit begonnen hätte werden können (vgl. ).

Der Zivildienst endete allerdings nicht mit der vorzeitigen Entlassung wegen Krankheit am , sondern erst mit dem Beschluss der Stellungskommission vom mit welchem die Untauglichkeit zum Wehrdienst ausgesprochen wurde.

Zivildienstpflichtige, die aus dem Zivildienst vorzeitig entlassen worden sind, haben den Wegfall der Voraussetzungen für die vorzeitige Entlassung unverzüglich der Zivildienstserviceagentur mitzuteilen (§ 19a Abs. 5 ZDG).

Für die verbleibende Dienstzeit hat nach Wegfall des Entlassungsgrundes sobald wie möglich eine weitere Zuweisung zu erfolgen (§ 19a Abs. 4 ZDG).

Der Zivildienst war krankheitsbedingt unterbrochen, aber nicht "beendet", da im Fall einer Genesung der Zivildienst fortgesetzt hätte werden müssen.

Der Sohn des Bf. begann daher das Studium zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Beendigung des Zivildienstes im Oktober 2022.

Für die Zeit der Unterbrechung des Zivildienstes wegen Krankheit besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt im gegenständlichen Fall nicht vor, weil durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausreichend geklärt ist, dass ein Anspruch auf Familienbeihilfe nach § 2 Abs. 1 lit. e FLAG für einen Elternteil dann besteht, wenn das nunmehr vom Kind betriebene Studium zum objektiv frühestmöglichen Zeitpunkt begonnen wurde. Ob jedoch diese Voraussetzung vorliegt, ist eine im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu lösende reine Sachverhaltsfrage.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.5100642.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at