Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 17.04.2023, RV/6100102/2022

Wiederaufnahme des Verfahrens

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Pallauf Meißnitzer Staindl & Partner, Rechtsanwälte, Petersbrunnstraße 13, 5020 Salzburg, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer 2014 und 2015 sowie gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2014 und 2015, Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Soweit sich die Beschwerden vom gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2014 und 2015 richten, wird den Beschwerden gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Die angefochtenen Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.

Das Bundesfinanzgericht hat beschlossen:

II. Soweit sich die Beschwerden vom gegen die Einkommensteuerbescheide für 2014 und 2015 richten, werden die Beschwerden gemäß § 261 Abs 2 BAO als gegenstandslos erklärt.

III. Gegen dieses Erkenntnis und diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Bescheiden vom hat das Finanzamt die Verfahren betreffend Einkommensteuer 2014 und 2015 gemäß § 303 Abs 1 Bundesabgabenordnung (BAO) wiederaufgenommen und neue Sachbescheide erlassen.


Die Wiederaufnahmebescheide wurden wie folgt begründet:
"Wir haben das Verfahren nach § 303 (1) Bundesabgabenordnung wiederaufgenommen, da es nachträglich eine oder mehrere der folgenden Änderungen gegeben hat:
Ein Lohnzettel wurde berichtigt oder neu übermittelt, eine Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe wurde berichtigt oder neu übermittelt.
Die nähere Begründung finden Sie im neu erlassenen Einkommensteuerbescheid."

Die Begründung der Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 wiederholt die pauschale Begründung der Wiederaufnahmebescheide und führt nicht aus welche neuen Tatsachen hervorgekommen sind bzw. wie die Sachbezugswerte bezüglich von Naturalwohnungen berechnet wurden.

Mit zwei Schriftsätzen vom hat der Beschwerdeführer (Bf) gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2014 und 2015 sowie gegen die Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 Beschwerde erhoben.

Mit Beschwerdevorentscheidungen (BVE) vom hat das Finanzamt die Beschwerden gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2014 und 2015 sowie gegen die Bescheide betreffend Einkommensteuer 2014 und 2015 abgewiesen.

Mit Schriftsatz vom hat der Bf die Entscheidung über diese Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht (BFG) beantragt.
Gleichzeitig wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung angeregt.

Mit Schriftsatz vom wurde der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die verfahrensgegenständlichen Beschwerden zurückgezogen.

Mit Vorlagebericht vom hat die Finanzbehörde die og Beschwerden dem BFG elektronisch zur Entscheidung vorgelegt und beantragt, die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2014 und 2015 (und Sachbescheide) aufzuheben, weil in den angefochtenen Bescheiden keine konkreten, neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel angeführt wurden.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Das Finanzamt hat nach einem durch ein anderes Finanzamt durchgeführten Außenprüfungsverfahren beim (ehemaligen) Dienstgeber des Bf und unter Verwendung einer standardisierten Begründung des Bundesweiten Fachbereiches Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2014 und 2015 erlassen.
Als Wiederaufnahmegrund wurden dabei die "nunmehr vorliegenden Lohnzettelangaben" angeführt, welche "neue Tatsachen und Beweismittel" darstellen.

Die Wiederaufnahmebescheide enthalten eine standardisierte Begründung, die keine Sachverhaltsdarstellung, keine konkreten Feststellungen oder belegmäßige Nachweise eines neu hervorgekommenen Sachverhaltes und keine rechnerische Darstellung etwa neu hervorgekommener steuerpflichtiger Bezüge enthält.

Dem bescheiderlassenden Finanzamt waren zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2014 und 2015 weder der über die Außenprüfung erstellte GPLA-Bericht, noch konkrete Tatsachen oder Beweismittel, welche im Zuge der Außenprüfung allenfalls gegenüber dem prüfenden Finanzamt neu hervorgekommen sind, bekannt.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus den vorgelegten Akten und dem Ermittlungsergebnis des Gerichtes und ist zwischen den Verfahrensparteien unstrittig.
Die Formulierung der Begründungen ist unmissverständliche. Jeweils wird der "nunmehr vorliegende Lohnzettel" als neue Tatsache und Beweismittel angeführt. Der jeweilige Verweis auf die Einkommensteuerbescheide geht ins Leere, weil diesen keine anderen neuen Tatsachen und Beweismittel zu entnehmen sind sondern ausschließlich eine rechtliche Würdigung.

Darüber hinaus ist aufgrund des Wissensstandes des Finanzamtes zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung keine andere Interpretation denkmöglich:
- Vom Finanzamt wurden auf Grundlage einer standardisierten Begründung des Bundesweiten Fachbereiches und ohne konkretes Wissen über neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel die Verfahren betreffend Einkommensteuer 2014 und 2015 wiederaufgenommen. Der Inhalt und Verfahrensstand des Außenprüfungsverfahrens beim ehemaligen Dienstgeber des Bf war dem Finanzamt zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme der genannten Verfahren nicht bekannt.
- Der den Wiederaufnahmebescheiden offenkundig zugrundeliegende GPLA-Bericht stand dem Finanzamt zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Verfahren nicht zur Verfügung.
- Auch hatte das Finanzamt zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis vom Verfahrensstand und Inhalt des Außenprüfungsverfahrens beim ehemaligen Dienstgeber.

Demzufolge konnten die im Zuge der Außenprüfung eventuell neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel, welche allenfalls im GPLA-Bericht angeführten sein könnten, dem Finanzamt zum Bescheiderlassungszeitpunkt nicht bekannt sein.

Das Finanzamt kann im Bescheid über die Wiederaufnahme eines Verfahrens nur jene Tatsachen und Beweismittel anführen, die bis zur Bescheiderlassung gegenüber dem Finanzamt hervorgekommen sind. Da außer den nunmehr vorliegenden, berichtigten Lohnzetteln dem Finanzamt keine anderen "neuen" Tatsachen und Beweismittel bekannt waren, war die Benennung dieser Lohnzettel als Wiederaufnahmegründe schlüssig und konsequent.

3. Rechtliche Beurteilung

§ 261 Abs 2 BAO lautet:
"Wird einer Bescheidbeschwerde gegen einen gemäß § 299 Abs 1 oder § 300 Abs 1 aufhebenden Bescheid oder gegen einen die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid (§ 307 Abs 1) entsprochen, so ist eine gegen den den aufgehobenen Bescheid ersetzenden Bescheid (§ 299 Abs 2 bzw. § 300 Abs 3) oder eine gegen die Sachentscheidung (§ 307 Abs. 1) gerichtete Bescheidbeschwerde mit Beschwerdevorentscheidung (§ 262) oder mit Beschluss (§ 278) als gegenstandslos zu erklären."

§ 303 Abs 1 lit b BAO lautet:
"Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn
a) …., oder
b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder
c) ….,
und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte."

§ 307 BAO lautet:
"(1) Mit dem die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid ist unter gleichzeitiger Aufhebung des früheren Bescheides die das wiederaufgenommene Verfahren abschließende Sachentscheidung zu verbinden. Dies gilt nur, wenn dieselbe Abgabenbehörde zur Erlassung beider Bescheide zuständig ist.
(Anm.: Abs. 2 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 97/2002)
(3) Durch die Aufhebung des die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat."

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Erkenntnis - Stattgabe)

Gemäß § 303 Abs 1 lit b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Solche Wiederaufnahmegründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existente Tatsachen, die später hervorkommen (nova reperta). Später entstandene Umstände (nova producta) sind keine Wiederaufnahmegründe (zB ).

Das Hervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln ist aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu beurteilen (zB ; , 2011/15/0106).

Die Wiederaufnahmegründe sind in der Begründung anzuführen. Dies ist nicht zuletzt deshalb notwendig, weil nach der Judikatur des VwGH (zB ; , 90/14/0044; , 91/14/0165; , 93/14/0187, 0188) sich die Rechtsmittel-behörde bei der Erledigung der gegen die Verfügung der Wiederaufnahme gerichteten Rechtsmittels auf keine neuen Wiederaufnahmegründe stützen kann. (Ritz/Koran, BAO-Kommentar, 7. Auflage, § 307 Rz 3).

Gemäß § 279 Abs 1 BAO hat das Verwaltungsgericht außer in den Fällen des § 278 in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

Die Änderungsbefugnis ("nach jeder Richtung") ist durch die Sache begrenzt. Sache ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches erster Instanz gebildet hat (zB ; , 2010/16/0032; , 2012/15/0161). Daher darf ein Erkenntnis beispielsweise nicht den vom FA herangezogenen Wiederaufnahmegrund durch einen anderen ersetzen (zB ; , 97/13/0199; , 2003/15/0141; , 2012/15/0172; , 2012/15/0030) (Ritz/Koran, BAO-Kommentar, 7. Auflage, § 279 Rz 10f).

Für die Auslegung von Bescheiden sind die für Gesetze geltenden Auslegungsregeln (§§6 und 7 ABGB) analog heranzuziehen (). Ausgangspunkt ist somit immer eine Wortinterpretation, allenfalls ergänzt durch die systematische, die teleologische oder die historische Auslegung ().

Für das gegenständliche Verfahren bedeutet dies nach dem klaren Wortlaut der Begründung der Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2014 und 2015, dass ein "nunmehr vorliegender Lohnzettel" als Wiederaufnahmegrund herangezogen wurde. Auch in der Beschwerdevorentscheidung vom stützt das Finanzamt die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2014 und 2015 darauf, dass die nunmehr vorliegenden (berichtigten) Lohnzettel vom ehemaligen Dienstgeber neue Tatsache und Beweismittel darstellten und damit die Voraussetzungen gem § 303 Abs 1 lit b BAO für eine Wiederaufnahme der genannten Verfahren vorlägen.

Diese Lohnzettel wurden jedoch erst 2019 erstellt. Es handelt sich nicht um neu hervorgekommene Beweismittel, sondern um später entstandene Beweismittel. Die diesen neuen Lohnzettel zugrundeliegenden und allenfalls im Prüfungsverfahren des anderen Finanzamtes neu hervorgekommenen Tatsachen konnten vom Finanzamt in den Bescheiden über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2014 und 2015 nicht angeführt werden, weil diese Tatsachen dem Finanzamt zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht bekannt waren.

Die og "neuen" Lohnzettel waren die einzigen dem Finanzamt bekannten neuen Tatsachen, die im Sinne der oben zitierten Entscheidungen jedoch keinen tauglichen Wiederaufnahmegründe gem § 303 Abs 1 lit b BAO darstellen.

Da die Entscheidung des BFG über die Beschwerden gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2014 und 2015 wie oben dargestellt durch die "Sache" (den vom Finanzamt angeführten Wiederaufnahmegrund) begrenzt ist, war den Beschwerden bereits aus diesem Grund stattzugeben.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Beschluss - Gegenstandsloserklärung)

Gemäß § 261 Abs 2 BAO ist eine gegen die Sachentscheidung gerichtete Beschwerde als gegenstandslos zu erklären, wenn der Beschwerde gegen einen mit der Sachentscheidung verbundenen und die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid entsprochen wird. Dementsprechend waren die Beschwerden gegen die Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 als gegenstandslos zu erklären.

Wird, wie in der gegenständlichen Beschwerdesache, der Wiederaufnahmebescheid aufgehoben, so tritt gem § 307 Abs 3 BAO das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat. Durch die Aufhebung des Wiederaufnahmebescheides scheidet somit ex lege der neue Sachbescheid aus dem Rechtsbestand aus, der alte Sachbescheid lebt wieder auf (Ritz/Koran, BAO-Kommentar, 7. Auflage, § 307 Rz 8).

Demzufolge scheiden sowohl der Einkommensteuerbescheid für 2014 vom als auch der Einkommensteuerbescheid für 2015 vom aus dem Rechtsbestand aus und leben der Einkommensteuerbescheide für 2014 vom und der Einkommensteuerbescheid für 2015 vom wieder auf.

Zulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Alle im vorliegenden Verfahren aufgeworfenen Rechtsfragen sind durch die oben zitierte Rechtsprechung des VwGH geklärt und wird in diesem Erkenntnis nicht von dieser Rechtsprechung abgewichen. Eine ordentliche Revision an den VwGH war daher nicht zuzulassen.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 261 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 307 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.6100102.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at