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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 12.07.2023, RV/2100584/2022

Bei Haushaltszugehörigkeit bei der Mutter besteht kein Eigenanspruch auf FB

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf vom betreffend erhöhte Familienbeihilfe (Eigenantrag) ab Juli 2020, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Die am xx.xx.1998 geborene Beschwerdeführerin (Bf.) beantragte am die Zuerkennung der Familienbeihilfe und die Gewährung des Erhöhungsbetrages wegen erheblicher Behinderung für sich ab Juni 2020.

In dem über Ersuchen des Finanzamtes und im Auftrag des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen ("Sozialministeriumservice") erstellten ärztlichen Sachverständigengutachten vom wurde unter Anführung der relevanten vorgelegten Befunde folgende Diagnose erstellt und dafür nach der angegebenen Richtsatzposition der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) ein Gesamtgrad der Behinderung (GdB) von 30 v. H. seit September 2020 festgestellt:

Weiters wurde ausgeführt:
"Frau ***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN
Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Es liegt kein Leiden vor, das eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit bedingt.
"
Dieses Gutachten vidierte der leitende Arzt am .

Im Bescheid vom wurde unter Hinweis auf § 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) der Antrag der Bf. für den Zeitraum ab Juli 2020 abgewiesen.

Dagegen brachte die Beschwerdeführerin fristgerecht die Beschwerde ein.

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom ab und führte begründend aus:
"Sie haben im Juli 2020 einen Antrag auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe ab 07/2020 gestellt.
Es wird laufend Familienbeihilfe von
Mutter der Bf. für Sie bezogen. Für ein Kind, das nicht zum gleichen Haushalt gehört, hat die Person Anspruch, die überwiegend für die Unterhaltskosten aufkommt, wenn das Kind bei keiner anderen anspruchsberechtigten Person im Haushalt lebt. vgl. § 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967
Kinder haben einen Eigenanspruch auf Familienbeihilfe sofern keine Haushaltszugehörigkeit vorliegt und ihre Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten. § 6 Abs. 5 FLAG 1967
Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe haben erheblich behinderte Kinder. Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht (mehr als drei Jahre). Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 % betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. § 8 Abs. 5 FLAG 1967
Sie haben laut Aktenlage seit einen eigenen Haushalt. Ihre Mutter trägt nach eigenen Angaben überwiegend die Kosten, weshalb Ihrer Mutter vorrangig die Familienbeihilfe zusteht. Aus diesem Grund ist, laut der oben genannten gesetzlichen Bestimmungen, der Antrag auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe abzuweisen. Laut dem vorliegenden Gutachten liegt eine Erkrankung vor, die länger als 3 Jahre dauert. Der Grad der Behinderung beträgt 30% und eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit liegt nicht vor.
Ein Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe ist auch bei Bezug der Familienbeihilfe, laut den oben genannten gesetzlichen Bestimmungen, abzuweisen.
"

Daraufhin stellte die Beschwerdeführerin fristgerecht den Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag) mit der Begründung, dass sie vom bis stationär an der Klinik ***1***, wegen einer schweren Depression behandelt worden sei und sie sich auf Grund dieser bereits diagnostizierten Erkrankung nicht selbst erhalten könne. Sie hätte zwar einen eigenen Haushalt gehabt, aber auf Grund der Krankheit habe sie nicht allein leben können und sei seit Jänner 2019 bis zur stationären Aufnahme in der Klinik von ihrer Mutter unterstützt worden. Sie sei auf Grund ihrer Erkrankung noch immer nicht im Stande sich selbst den Unterhalt zu verschaffen und ersucht um eine erneute Begutachtung, da eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliege.

Unter Vorlage des Vorlageantrages der Bf. forderte das Finanzamt ein weiteres Sachverständigengutachten an. In dem im Auftrag des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen ("Sozialministeriumservice") erstellten ärztlichen Sachverständigengutachten vom wurde unter Berücksichtigung weiterer vorgelegter relevanter Befunde folgende Diagnose erstellt und dafür nach der angegebenen Richtsatzposition der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) ein Gesamtgrad der Behinderung (GdB) von 50 v. H. seit Jänner 2021 festgestellt:

Als Begründung wurde ausgeführt:
"Stellungnahme zu Vorgutachten:
Verschlechterung gegenüber dem VGA, Depressionen sind wieder verstärkt, auch ist derzeit nur ein Arbeitstraining bei Pro Mente möglich.
[…]
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
Rez. langdauernde stationäre Betreuung war erforderlich
Frau
***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA
Dies besteht seit: 01/2021
Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Derzeit besteht trotz Therapie keine ausreichende Belastbarkeit und auch keine Konkurrenzfähigkeit am AAM
."
Dieses Gutachten vidierte die leitende Ärztin am .

Im Vorlagebericht vom führte das Finanzamt auszugsweise aus:
"Im Oktober 2018 maturierte Frau ***Bf1*** und begann im WS 2019/2020 ein BA-Studium Japanologie. Ein Studienerfolgsnachweis nach dem ersten Studienjahr wurde nicht erbracht.
Im Vorlageantrag gibt die Beschwerdeführerin an, dass sie aufgrund ihrer Krankheit nicht allein leben konnte und von ihrer Mutter, Frau
***2***) unterstützt wurde. Lt. Angaben der Kindesmutter wurde die Beschwerdeführerin überwiegend von ihr finanziell unterstützt, hat tatsächlich nur 10 Tage alleine in ihrer Wohnung leben können und hat daher bei der Kindesmutter gewohnt. Die Familienbeihilfe wurde laufend von der Kindesmutter bezogen. Dieser Bezug wurde ab September 2019 nun mangels Berufsausbildung der Beschwerdeführerin von der Kindesmutter rückgefordert.
[…]
Stellungnahme:
Da der Beschwerdeführerin überwiegend Unterhalt geleistet wurde, sie sich im Haushalt der Kindesmutter aufgehalten hat, nicht ernsthaft und zielstrebig einer Berufsausbildung nachgegangen ist und laut BSB-Bescheinigung ein Grad der Behinderung von 50% und eine dauernde Erwerbsunfähigkeit erst ab festgestellt wurde, wird um Abweisung der Beschwerde ersucht
."

Lt. dem Vorlagebericht des Finanzamtes vom betr. die Beschwerdevorlage der Mutter der Beschwerdeführerin an das BFG lebte die Tochter nach Auskunft der Mutter nur 10 Tage alleine in ihrer Wohnung. Auf Grund des gesundheitlichen Zustandes der Tochter habe diese nicht allein leben können und habe deshalb bis zur stationären Behandlung in der Klinik ***1*** (ab ) im Haushalt der Mutter gelebt. Die Mutter habe ihrer Tochter auch die monatliche Familienbeihilfe weiter überwiesen und zusätzliche Unterhaltskosten getragen, und weiters habe der Vater der Beschwerdeführerin Unterhalt in Höhe von 514 € bzw. ab September 2020 614 € monatlich geleistet (als Nachweis wurden umfangreiche Unterlagen vorgelegt).
Weiters wird im Vorlagebericht ausgeführt:
"Stationäre Aufenthalte in der Klinik ***1***: 9.6. - ; 11.9. - ;
- .
Lt. Finanzamt sei es glaubhaft, dass die Mutter im gemeinsamen Haushalt mit der Tochter gelebt und deren überwiegende Unterhaltskosten getragen habe.
Die Tochter habe 2019 keine Einkünfte erzielt, im Jahr 2020 nur 223,00 € und im Jahr 2021 2.439,51 €.
Am bestand die Tochter die Reifeprüfung und ab Okt. 2019 studierte sie an der UNI
***3***.
WS 2019/20 - WS 2021/22 Japanologie
SS 2020 - WS 2021/22 Slawistik
WS 2020 - WS 2021/22 Theater/Film-/Medienwissenschaft;
und ab dem WS 2021/22 div. andere Studienrichtungen.
In allen Studienrichtungen wurde sie am automatisch von der UNI abgemeldet.
Der Studienerfolgsnachweis für das 1. Studienjahr wurde mit 0 ECTS-Punkten nicht erbracht. Danach gab es keine Prüfungsantritte mehr
."

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) idgF haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben Anspruch auf Familienbeihilfe
lit. a) […];
lit. b) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. Bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen, ist eine Berufsausbildung nur dann anzunehmen, wenn sie die vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um nicht mehr als ein Semester oder die vorgesehene Ausbildungszeit um nicht mehr als ein Ausbildungsjahr überschreiten. Wird ein Studienabschnitt in der vorgesehenen Studienzeit absolviert, kann einem weiteren Studienabschnitt ein Semester zugerechnet werden. Die Studienzeit wird durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis (zB Krankheit) oder nachgewiesenes Auslandsstudium verlängert. Dabei bewirkt eine Studienbehinderung von jeweils drei Monaten eine Verlängerung der Studienzeit um ein Semester. Zeiten als Studentenvertreterin oder Studentenvertreter nach dem Hochschülerschaftsgesetz 1998, BGBl. I Nr. 22/1999, sind unter Berücksichtigung der Funktion und der zeitlichen Inanspruchnahme bis zum Höchstausmaß von vier Semestern nicht in die zur Erlangung der Familienbeihilfe vorgesehene höchstzulässige Studienzeit einzurechnen. Gleiches gilt für die Vorsitzenden und die Sprecher der Heimvertretungen nach dem Studentenheimgesetz, BGBl. Nr. 291/1986. Der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie hat durch Verordnung die näheren Voraussetzungen für diese Nichteinrechnung festzulegen. Zeiten des Mutterschutzes sowie die Pflege und Erziehung eines eigenen Kindes bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres hemmen den Ablauf der Studienzeit. Bei einem Studienwechsel gelten die in § 17 Studienförderungsgesetz 1992, BGBl. Nr. 305, angeführten Regelungen auch für den Anspruch auf Familienbeihilfe. Die Aufnahme als ordentlicher Hörer gilt als Anspruchsvoraussetzung für das erste Studienjahr. Anspruch ab dem zweiten Studienjahr besteht nur dann, wenn für ein vorhergehendes Studienjahr die Ablegung einer Teilprüfung der ersten Diplomprüfung oder des ersten Rigorosums oder von Prüfungen aus Pflicht- und Wahlfächern des betriebenen Studiums im Gesamtumfang von acht Semesterwochenstunden oder im Ausmaß von 16 ECTS-Punkten nachgewiesen wird; Gleiches gilt, wenn alle Lehrveranstaltungen und Prüfungen der Studieneingangs- und Orientierungsphase nach § 66 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, erfolgreich absolviert wurden, sofern diese mit mindestens 14 ECTS-Punkten bewertet werden. Der Nachweis ist unabhängig von einem Wechsel der Einrichtung oder des Studiums durch Bestätigungen der im § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannten Einrichtungen zu erbringen. Für eine Verlängerung des Nachweiszeitraumes gelten die für die Verlängerung der Studienzeit genannten Gründe sinngemäß,
lit. c) für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen,
[…]

Nach § 2 Abs. 2 FLAG 1967 hat die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört, Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

Gemäß § 2 Abs. 5 FLAG 1967 gehört ein Kind dann zum Haushalt einer Person, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt. Die Haushaltszugehörigkeit gilt nicht als aufgehoben, wenn
a) sich das Kind nur vorübergehend außerhalb der gemeinsamen Wohnung aufhält,
b) das Kind für Zwecke der Berufsausübung notwendigerweise am Ort oder in der Nähe des Ortes der Berufsausübung eine Zweitunterkunft bewohnt,
c) sich das Kind wegen eines Leidens oder Gebrechens nicht nur vorübergehend in Anstaltspflege befindet, wenn die Person zu den Kosten des Unterhalts mindestens in Höhe der Familienbeihilfe für ein Kind beiträgt; handelt es sich um ein erheblich behindertes Kind, erhöht sich dieser Betrag um den Erhöhungsbetrag für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4).

Ein bestehender gemeinsamer Haushalt wird etwa durch gewisse durch Lebensumstände bedingte, auf nicht allzu lange Zeit berechnete Unterbrechungen des Zusammenlebens (wie etwa Krankenhaus- und Erholungsaufenthalte) nicht beseitigt (vgl. Reinalter in Lenneis/Wanke (Hrsg) FLAG2 § 2 Rz 144).

Um ein Kind, das sich außerhalb der gemeinsamen Wohnung der Familie aufhält, noch als haushaltszugehörig ansehen zu können, darf der anderweitige Aufenthalt des Kindes nur ein "vorübergehender" sein (§ 2 Abs. 5). Die Ausdrucksweise des Gesetzes lässt erkennen, dass die Abwesenheit von der entstandenen Wohnungsgemeinschaft nur eine zeitlich beschränkte sein darf, und diese zeitliche Beschränkung, damit sie nicht zur Auflösung der Wohnungsgemeinschaft führt, nicht lange Zeit, sondern nur einen vorübergehenden Zeitraum dauern darf, wie dies bei einer Ausbildung oder Schulbesuch der Kinder der Fall ist (vgl. ).

Ein weniger als drei Monate dauernder Krankenhausaufenthalt des Kindes kann bei dieser Dauer als nur vorübergehender Aufenthalt außerhalb einer gemeinsamen Wohnung angesehen werden. Für die Frage, ob ein Aufenthalt ein vorübergehender oder ein ständiger ist, ist von einer Ex-ante-Betrachtung auszugehen (vgl. mit Verweis auf ).

Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967 haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

§ 6 Abs. 5 FLAG 1967 bezweckt die Gleichstellung von Kindern, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten, mit Vollwaisen, für die niemand unterhaltspflichtig ist und die deshalb einen eigenen Anspruch auf Familienbeihilfe haben. Der Gesetzgeber will mit dieser Bestimmung in jenen Fällen Härten vermeiden, in denen Kinder sich weitgehend selbst erhalten müssen ().

Gemäß § 6 Abs. 1 FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe auch minderjährige Vollwaisen, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

Nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Das nach dieser Bestimmung abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren durch ein ärztliches Gutachten (vgl. dazu , und , sowie ) hat sich darauf zu erstrecken, ob ein Antragsteller wegen einer vor Vollendung seines 21. Lebensjahres (oder - für den Beschwerdefall nicht relevant - während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl. etwa ).

Ein Gutachten zu einer solchen Sachfrage ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhaltes durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen, verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen, stützen. Alleine die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmter Sachverhalt vorgelegen sein könnte, reicht dabei keinesfalls aus, diesen Sachverhalt gutachterlich als gegeben anzusehen und zu bestätigen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Behörde an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechend waren (vgl. und , mwN).

Damit eine Person die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der erhöhten Familienbeihilfe erfüllt, muss die Erwerbsunfähigkeit bereits vor dem 21. Lebensjahr eingetreten sein und dies durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) aufgrund der erstellten Sachverständigengutachten bescheinigt werden.
Die Sachverständigen im Sozialministeriumservice ziehen bei ihrer Diagnoseerstellung bzw. um den Zeitpunkt des Eintrittes der Erwerbsunfähigkeit feststellen zu können, neben ihrem Fachwissen regelmäßig die von den Antragstellern vorgelegten Befunde heran. Hilfreich sind dabei vor allem "alte" Befunde, Arztbriefe etc., die darauf schließen lassen, dass die Erkrankung bereits vor dem 21. Lebensjahr bzw. während einer schulischen Ausbildung aufgetreten ist; aber derartige Befunde stehen den Sachverständigen erfahrungsgemäß kaum zur Verfügung, vermutlich auch deswegen, weil sich viele Erkrankungen mit zunehmendem Alter verschlechtern und demgemäß ärztliche Hilfe erst später in Anspruch genommen wird.
Die Ärzte haben somit medizinische Feststellungen über Zeiträume zu treffen, die oft Jahrzehnte zurückliegen.
Damit kann aber die vom Gesetzgeber geforderte Feststellung des tatsächlichen Eintrittes der Erwerbsunfähigkeit eines Antragstellers immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen (vgl. ).

§ 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 stellt darauf ab, dass der Vollwaise / "Sozialwaise" auf Grund einer zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetretenen Behinderung außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine derartige geistige oder körperliche Behinderung kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 6 Abs. 2 lit. d erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt; die vom Gesetzgeber geforderte Feststellung des tatsächlichen Eintritts der Erwerbsunfähigkeit eines Antragstellers kann immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen (; , und ). Liegen keine Befunde vor einem bestimmten Zeitraum vor, ist es einem Gutachter nicht möglich, bereits davor eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, festzustellen, sofern kein Leidenszustand vorliegt, der eindeutig eine Erwerbsfähigkeit bereits von vorneherein ausschließt ().

Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes sind im vorliegenden Beschwerdefall sämtliche Gutachten vollständig, ausführlich, schlüssig und widersprechen einander nicht.

Im ggst. Fall bringen die Beschwerdeführerin und ihre Mutter übereinstimmend vor, dass die Beschwerdeführerin trotz Vorhandensein einer eigenen Wohnung auf Grund ihrer Erkrankung im Haushalt der Mutter lebte und von ihr finanziell unterstützt wurde. Außerdem zahlte ihr Vater nach den im Akt befindlichen Belegen monatlichen Unterhalt.

Primär ist diejenige Person anspruchsberechtigt für die Familienbeihilfe, zu deren Haushalt ihr Kind gehört (§ 2 Abs. 2 FLAG 1967).

Durch den Aufenthalt der Bf. in der Klinik ***1*** wurde die Haushaltszugehörigkeit bei der Mutter nicht unterbrochen, da dieser Aufenthalt iSd Rechtsprechung nur ein vorübergehender war.

Daher liegen für den Eigenantrag der Bf. die Voraussetzungen der Gewährung der Familienbeihilfe nach § 6 Abs. 5 FLAG 1967 nicht vor.

Für den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung ist Voraussetzung, dass der Grundbetrag der Familienbeihilfe zusteht.
Abgesehen davon wurde im Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice eine dauernde Erwerbsunfähigkeit der Beschwerdeführerin erst nach Vollendung ihres 21. Lebensjahres festgestellt.

Somit war wie im Spruch zu entscheiden.

Zur Unzulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da im Beschwerdefall kein Rechtsproblem strittig ist, sondern der als erwiesen anzunehmende Sachverhalt in freier Beweiswürdigung festgestellt wurde und das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abweicht (siehe zitierte VwGH-Judikatur), ist gegen dieses Erkenntnis eine (ordentliche) Revision nicht zulässig.

Graz, am

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