Aufhebung und Zurückverweisung bei mangelhafter Sachverhaltsermittlung
Entscheidungstext
BESCHLUSS
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Andrea Ebner in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Alexandra Sedelmayer, Marxergasse 29/11, 1030 Wien, betreffend die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2020 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am beschlossen:
I. Gemäß § 278 Abs 1 BAO wird der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2020 sowie die in weiterer Folge erlassene Beschwerdevorentscheidung aufgehoben und die Sache zur Erledigung an die Abgabenbehörde zurückverwiesen.
II. Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art 133 Abs 9 B-VG iVm Art 133 Abs 4 B-VG eine Revision nicht zulässig.
Begründung
Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin machte in der Erklärung zur Arbeitnehmerinnenveranlagung für das Jahr 2020 vom ua die strittigen Aufwendungen für Arbeitsmittel iHv EUR 1.285,88 sowie Fortbildungskosten iHv EUR 1.199,56 als Werbungskosten (somit insgesamt EUR 2.485,44) geltend.
Nach einem Vorhalteverfahren durch die belangte Behörde ohne Belegübermittlung für das Jahr 2020 erkannte diese mit Bescheid vom Werbungskosten iHv EUR 2.423,70 an und setze die Einkommensteuer mit EUR -866,00 fest. Begründend wurde ausgeführt, dass die geltend gemachten höheren Kosten für Strom und Heizung (Gas) aufgrund von Homeoffice steuerlich nicht anerkannt werden würden, weil kein steuerlich anerkanntes Arbeitszimmer vorliege. Die Arbeitsmittel seien daher iHv EUR 721,20 berücksichtigt worden.
Mit Anbringen vom ersuchte die Beschwerdeführerin um Verlängerung der Beschwerdefrist betreffend den Einkommensteuerbescheid des Jahres 2020 bis . Am brachte die Beschwerdeführerin neuerlich einen Antrag auf Fristverlängerung bis ein.
Ebenfalls am langte die gegen den Bescheid vom gerichtete Beschwerde bei der belangten Behörde ein.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als nicht fristgerecht eingebracht zurück.
Am stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil das Fristversäumnis lediglich auf einen Tippfehler beim Fristverlängerungsantrag vom zurückführen sei und kein grobes Verschulden vorliege. Gleichzeitig übermittelte sie die Beschwerde vom und beantragte darin zusätzlich die steuerliche Berücksichtigung von anteiligen Betriebskosten iHv EUR 195,64. Die Beschwerdeführerin führte aus, dass bei ihr im Februar 2020 Multiple Sklerose diagnostiziert worden sei und sie Teil der Hochrisikogruppe sei. Sie habe deshalb ausschließlich zu Hause in einem räumlich abgetrennten Arbeitszimmer, welches den Mittelpunkt ihrer beruflichen Tätigkeit bilde, gearbeitet.
Die belangte Behörde gab dem Wiedereinsetzungsantrag statt und erließ am eine abweisende Beschwerdevorentscheidung. Begründend führte sie im Wesentlichen aus, dass eine bloße Empfehlung des Dienstgebers zur Arbeit im Homeoffice kein steuerlich abzugsfähiges Arbeitszimmer begründe.
Am beantragte die Beschwerdeführerin die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht sowie die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung.
Die belangte Behörde legte die Beschwerde am dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. Im Vorlagebericht vom selben Tag beantragte sie die Abweisung der Beschwerde.
Am fand vor dem Bundesfinanzgericht eine mündliche Verhandlung statt.
Sachverhalt
Mit Vorhaltbeantwortung vom übermittelte die Beschwerdeführerin Belege betreffend das Jahr 2019, nicht jedoch das Jahr 2020. Ein Privatanteil wurde bei den geltend gemachten Werbungskosten seitens der Beschwerdeführerin nicht angenommen. Hinsichtlich der Werbungskosten wurde von der belangten Behörde weder die berufliche Veranlassung noch ein allfälliger Privatanteil geprüft. Dass schon mangels Unterlagen keinerlei Prüfung oder Erhebungen im Zusammenhang mit den beantragten Werbungskosten erfolgt ist, bestätigt die belangte Behörde in der mündlichen Verhandlung vom (Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom ).
Die Unterlagen betreffend das Jahr 2020 - sowie darüberhinausgehende Unterlagen und Belege - wurden erstmalig im Rahmen der mündlichen Verhandlung am vorgelegt.
Feststellungen oder Ermittlungen zu dem Vorbringen, dass die Beschwerdeführerin Hochrisikopatientin sei und deshalb in Anlehnung an § 735 ASVG die Voraussetzungen für die steuerliche Abzugsfähigkeit eines Arbeitszimmers vorliegen würden, wurden von der belangten Behörde keine getroffen. Es wurden keinerlei Erhebungen in Zusammenhang mit dem Arbeitszimmer durchgeführt.
Die Feststellung des Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst ist im Beschwerdefall unstrittig nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden (Erörterung im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom ).
Beweiswürdigung
Die Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich aus dem Verwaltungsakt.
Die Beschwerdeführerin hat mit Vorhaltbeantwortung vom fälschlicherweise zweimal die Unterlagen für das Jahr 2019 übermittelt anstatt - wie als Beilage angeführt - für das Jahr 2019 und 2020. Dieser Umstand blieb seitens der belangten Behörde im verwaltungsbehördlichen Verfahren unerkannt. Wie in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, wurden die beantragten Werbungskosten vielmehr ungeprüft antragsgemäß anerkannt; lediglich die streitgegenständlichen Aufwendungen für Strom und Heizung wurden beanstandet. Dass hinsichtlich der geltend gemachten Werbungskosten für das Jahr 2020 von der belangten Behörde keine Ermittlungen durchgeführt wurden, ergibt sich schon in Zusammenschau der dargelegten Gesamtumstände insbesondere der mangelnden Unterlagen und wird von der belangten Behörde im Rahmen der mündlichen Verhandlung eingeräumt (Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom ).
Die Beschwerdeführerin bringt bereits in der Beschwerde vor, im Jahr 2020 Hochrisikopatientin gewesen zu sein und den Mittelpunkt ihrer beruflichen Tätigkeit dadurch in das häusliche Arbeitszimmer verlegt zu haben. Die belangte Behörde bezieht sich in der Beschwerdevorentscheidung vom jedoch bloß darauf, dass die Beschwerdeführerin "infolge der Corona-Pandemie von [ihrem] Arbeitgeber ersucht worden [sei], [ihre] Arbeit nach Möglichkeit im Homeoffice aus zu erledigen". "Der (vorübergehend) freiwillige Verzicht, den Arbeitsplatz an der Arbeitsstätte zu nutzen, spricht jedoch, […], gegen die Notwendigkeit der Einrichtung eines häuslichen Arbeitszimmers". Feststellungen oder Ermittlungen zu dem Vorbringen, dass die Beschwerdeführerin Hochrisikopatientin gewesen sei und deshalb in Anlehnung an § 735 ASVG sowie der (nichtabverlangten) Korrespondenz mit dem Dienstgeber die Voraussetzungen für die steuerliche Abzugsfähigkeit eines Arbeitszimmers vorliegen würden, weil der Mittelpunkt der gesamten beruflichen Tätigkeit in das häusliche Arbeitszimmer verlegt worden sei, wurden von der belangten Behörde keine getroffen. Ermittlungen, ob die Voraussetzungen eines steuerlich anzuerkennenden Arbeitszimmers vorlagen, wurden gänzlich unterlassen.
In der mündlichen Verhandlung wurden weitere Belege sowie Fotodokumentationen zu den geltend gemachten Werbungskosten insbesondere dem Arbeitszimmer vorgelegt. Dabei wurden auch weitere Unterlagen abverlangt. Nach Erörterung der Sachlage und der bisher nicht durchgeführten Ermittlungen seitens der belangten Behörde sowie der noch ausstehenden Erhebungen wurde mit beiden Parteien die Möglichkeit der Bescheidaufhebung und Zurückverweisung iSd § 278 BAO erörtert und auch seitens der belangten Behörde die Zweckmäßigkeit im konkreten Beschwerdefall hervorgehoben. Die vorzunehmenden Ermittlungen übersteigen im konkreten Beschwerdefall - unstrittig - ein Ausmaß, wonach die Feststellung des Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu Spruchpunkt I. (Aufhebung und Zurückverweisung)
§ 278 BAO lautet wie folgt:
"§ 278. (1) Ist die Bescheidbeschwerde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtes
a) weder als unzulässig oder nicht rechtzeitig eingebracht zurückzuweisen (§ 260) noch
b) als zurückgenommen (§ 85 Abs. 2, § 86a Abs. 1) oder als gegenstandslos (§ 256 Abs. 3, § 261) zu erklären,
so kann das Verwaltungsgericht mit Beschluss die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können. Eine solche Aufhebung ist unzulässig, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(2) Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat.
(3) Im weiteren Verfahren sind die Abgabenbehörden an die für die Aufhebung maßgebliche, im aufhebenden Beschluss dargelegte Rechtsanschauung gebunden. Dies gilt auch dann, wenn der Beschluss einen kürzeren Zeitraum als der spätere Bescheid umfasst."
Vor dem Hintergrund der oben festgestellten, gänzlich fehlenden Sachverhaltsermittlungen hat es die Abgabenbehörde unterlassen, sich mit den Werbungskosten im Generellen sowie insbesondere auch dem Vorbringen der Beschwerdeführerin zum Vorliegen eines steuerlich anzuerkennenden Arbeitszimmers auseinanderzusetzen. Erhebungen sowie Feststellungen zu den Werbungskosten insbesondere zur beruflichen Veranlassung der Arbeitsmittel bzw einem allfällig zu berücksichtigenden Privatanteil wurden unterlassen. Erhebungen und Feststellungen zu dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass diese gerade nicht freiwillig ihrer beruflichen Tätigkeit im Homeoffice nachgekommen sei, sondern krankheitsbedingt und allenfalls als Risikopatientin möglicherweise zu einem Zeitpunkt im Jahr 2020 den Mittelpunkt ihrer beruflichen Tätigkeit in ein allenfalls bestehendes häusliches Arbeitszimmer verlegt habe, wurden ebenfalls gänzlich unterlassen. In all diesen Schritten hätte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin Parteiengehör gewähren müssen. Bei Durchführung dieser wesentlichen Ermittlungsschritte, hätte ein anderslautender Bescheid erlassen werden können.
All diese für die Beurteilung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes erforderlichen und auch für das Bescheidergebnis wesentlichen Ermittlungen könnten zwar noch vom Bundesfinanzgericht im Rahmen eines das mangelhafte erstinstanzliche Ermittlungsverfahren substituierende Verfahren vorgenommen werden, reichen aber schon an ein Ausmaß heran, in dem für den Beschwerdefall von einer Verschiebung der der Abgabenbehörde zukommenden Ermittlungspflicht auf Ebene des Verwaltungsgerichtes gesprochen werden muss (vgl Sutter in Holoubek/Lang, Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesfinanzgericht; Die Entscheidung in der Sache im Steuerverfahren, S 275).
Da es im Beschwerdefall bei den ausstehenden Ermittlungshandlungen nicht bloß um punktuell und lückenschließend vorzunehmende Ermittlungshandlungen geht, sondern die der Abgabenbehörde zukommende Ermittlungspflicht geradezu originär substituiert werden müsste, kann nicht von einer erheblichen Kostenersparnis gesprochen werden, wenn das Bundesfinanzgericht gleichsam als Abgabenbehörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt erstmals ermittelt.
All diese Feststellungen hätten möglicherweise zu einem anderslautenden Bescheid geführt. Auch hierfür gilt, dass das Bundesfinanzgericht nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zwar grundsätzlich in der Sache zu entscheiden hat (vgl ), dies aber eben nicht so weit gehen kann, dass das Bundesfinanzgericht erstmals den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zu ermitteln hat.
Zur Ermessensübung ist auszuführen, dass das Kriterium der Billigkeit dafür spricht, gegenüber einer Partei bereits im Verfahren vor der Abgabenbehörde ein ordnungsgemäßes Beweisverfahren und somit insgesamt ein mängelfreies, die Parteienrechte wahrendes Ermittlungsverfahren nach den §§ 114 ff BAO durchzuführen. Die Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens wesentlicher Ermittlungsschritte einer Verwaltungsbehörde zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor das Verwaltungsgericht käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn ein Verwaltungsgericht, statt seine (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Organisation ist, die erstmals alle Aspekte des entscheidungswesentlichen Sachverhalts ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.
Im Hinblick auf das Kriterium der Zweckmäßigkeit stehen keine öffentlichen Interessen einer Aufhebung unter Zurückverweisung entgegen.
Die Beschwerdevorentscheidung ist ebenfalls aufzuheben, weil ihre Wirkung durch den Vorlageantrag nicht berührt wird (vgl Ritz/Koran, BAO7, §278 Tz 7).
Zulässigkeit einer Revision
Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Eine Revision ist unzulässig, weil die Frage, ob der Umfang der vom Bundesfinanzgericht zur Erforschung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes selbst vorzunehmenden Ermittlungen im konkreten Einzelfall jenes Ausmaß überschreitet, das eine Aufhebung und Zurückverweisung rechtfertigt, eine Sachfrage (nämlich Fehlen wesentlicher Sachverhaltsermittlungen) ist, die in freier Beweiswürdigung beurteilt wurde.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 278 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.7100063.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at