Zumutbarkeit der Familienwohnsitzverlegung eines Alleinstehenden mit (zuvor) befristetem Dienstverhältnis
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Hans Blasina in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer 2018 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Informativ wird mitgeteilt, dass die unter RV/7100967/2022 vorgelegte Rechtssache das selbe Verfahren betrifft und daher mit diesem Erkenntnis ebenso erledigt ist.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Bereits in den Vorjahren war regelmäßig fraglich, ob es dem Beschwerdeführer (Bf) zumutbar war, seinen Lebensmittelpunkt an den Ort der Beschäftigung zu verlegen. Dies wurde in der Vergangenheit ebenso regelmäßig mit Blick auf die Befristung des Dienstverhältnisses verneint. Im Jahr 2018 sei nun der belangten Behörde zufolge dem Bf zumutbar, seinen Lebensmittelpunkt an den Beschäftigungsort zu verlegen, wogegen der Bf wie in den Vorjahren einwendet, die familiäre Bindung an seine in Slowenien gelegene kleine Landwirtschaft, die ihm und seinem Vater eine signifikante Einnahmenquelle verschaffe, und Bewerbungsverfahren an ausländischen Universitäten, die das bloß zu Arbeitszwecken nur temporäre Verweilen in Wien bewiesen, machten eine Verlegung des Familienwohnsitzes unzumutbar.
Der Akt wurde von der belangten Behörde zunächst am (RV/7101330/2021) und ein weiteres Mal am (RV/7100967/2022) vorgelegt.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Der Bf ist unverheiratet und kinderlos, lebt seit 2012 in Wien, im Zeitraum März 2013 bis Juli 2020 in der A-Straße in Wien (Wohngemeinschaft mit einer Bekannten), seither alleine hauptgemeldet in der B-Straße in Wien.
In X (Y, Slowenien) hat er eine weitere Wohnung, die er an Wochenenden besucht, um dort bisweilen am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilzunehmen. Darüber hinaus ist er zivilrechtlicher Eigentümer eines rund 1,5 ha großen landwirtschaftlichen Anwesens in der Z (Slowenien), das er 2007 von seinem Vater erhalten hat, der dort im Rahmen einer lebenslangen Dienstbarkeit wohnt und den Fruchtgenuss an den landwirtschaftlichen Erträgnissen hat. Aus dieser rechtlichen Stellung heraus ist es weiters unmöglich, über das Grundstück wie ein Eigentümer zu disponieren, insbesondere durch Veräußerung. Dieses Grundstück und den Vater besucht der Bf sporadisch, um nach dem Rechten zu sehen, neue Leute anzuheuern, Reparaturen am Haus durchzuführen oder im Tagesgeschäft auszuhelfen. Die meisten Arbeiten in der Landwirtschaft werden von Freiwilligen gegen Naturalien erledigt, weil der bald 90jährige Vater dazu nicht mehr in der Lage ist.
Der Bf war von Oktober 2012 bis Oktober 2016 an einem Institut der DG1 angestellt, dann bis Mitte 2017 arbeitslos (Bezug von Arbeitslosengeld durch das österreichische AMS) und im ersten Quartal 2018 selbständig gemeldet und ab Mitte August 2018 Dienstnehmer bei DG2 Österreich. Er bewirbt sich laufend auf universitäre Stellen, zB in Deutschland (vgl Beschwerdebeilage).
Die väterliche Landwirtschaft dient dem Bf lediglich zur Ergänzung seiner Nahrungsmittel um Produkte aus biologischem Anbau, eine Einkunftsquelle stellt sie für ihn nicht dar, zumal die Früchte der Landwirtschaft seinem Vater im Rahmen des Fruchtgenusses zufließen.
2. Beweiswürdigung
Der Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt, insbesondere den Vorbringen und Urkundenvorlagen des Bf im Beschwerdeverfahren, den von der belangten Behörde vorgelegten Unterlagen aus Vorjahren und der Einsicht in behördliche Register (Veranlagungsakt, Sozialversicherung, Meldeamt).
Dass mit der Bekannten keine Lebens- sondern eine bloße Wohngemeinschaft besteht, ergibt sich aus dem insoweit schlüssigen Vorbringen des Bf in der Vorhaltsbeantwortung vom zur Einkommensteuer 2016.
Während der Bf in Vorjahren angegeben hat, zwei bis drei Mal monatlich seinen Vater zu besuchen, so macht er das im Jahr 2018 nur mehr "sporadisch", wobei die Intensität der Betätigung in der väterlichen Landwirtschaft aufgrund der geringen Besuchshäufigkeit ohnedies nie über eine gelegentliche familiäre Mitarbeit im elterlichen Betrieb hinausgegangen sein kann.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Gemäß § 16 Abs 1 EStG sind Werbungskosten die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen.
Aufwendungen des Steuerpflichtigen für eine doppelte Haushaltsführung (Familienwohnsitz, weiterer Wohnsitz am Beschäftigungsort) sind steuerlich nur zu berücksichtigen, wenn eine berufliche Veranlassung für die doppelte Haushaltsführung besteht. Von einer beruflichen Veranlassung ist dem Grunde nach auszugehen, wenn der Familienwohnsitz des Steuerpflichtigen so weit von seinem Beschäftigungsort entfernt ist, dass ihm die tägliche Rückkehr nicht zugemutet werden kann und die Beibehaltung des Familienwohnsitzes außerhalb des Beschäftigungsortes noch als durch die Einkunftserzielung veranlasst gilt (vgl. ; , 2008/15/0296).
Gemäß § 20 Abs 1 Z 2 lit e EStG dürfen Kosten der Fahrten zwischen Wohnsitz am Arbeits-(Tätigkeits-)ort und Familienwohnsitz (Familienheimfahrten) nicht abgezogen werden, soweit sie den auf die Dauer der auswärtigen (Berufs-)Tätigkeit bezogenen höchsten in § 16 Abs 1 Z 6 lit d EStG angeführten Betrag übersteigen.
§ 4 Abs 1 Pendlerverordnung lautet: "Ein Familienwohnsitz (§ 16 Abs. 1 Z 6 lit. f und § 20 Abs. 1 Z 2 lit. e EStG 1988) liegt dort, wo […] ein alleinstehender Steuerpflichtiger seine engsten persönlichen Beziehungen (zB Familie, Freundeskreis) und einen eigenen Hausstand (Abs. 2) hat."
§ 4 Abs 2 Pendlerverordnung lautet: "Der Steuerpflichtige hat einen eigenen Hausstand, wenn er eine Wohnung besitzt, deren Einrichtung seinen Lebensbedürfnissen entspricht. Ein eigener Hausstand liegt jedenfalls nicht vor, wenn der Steuerpflichtige Räumlichkeiten innerhalb eines Wohnverbandes einer oder mehrerer Person(en), die nicht (Ehe)Partner sind oder mit denen eine Lebensgemeinschaft besteht, mitbewohnt."
Ein Berufswohnsitz eines Steuerpflichtigen muss kein eigener Hausstand iSd § 4 Abs 2 Pendlerverordnung sein ().
In ständiger Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof erkannt, dass die Beibehaltung eines Familienwohnsitzes aus der Sicht einer Erwerbstätigkeit, die in unüblich weiter Entfernung von diesem Wohnsitz ausgeübt wird, nicht durch die Erwerbstätigkeit, sondern durch Umstände veranlasst ist, die außerhalb der Erwerbstätigkeit liegen. Der Grund, warum Aufwendungen für Familienheimfahrten und eine doppelte Haushaltsführung dennoch als Betriebsausgaben oder Werbungskosten bei den aus der Erwerbstätigkeit erzielten Einkünften Berücksichtigung finden, liegt darin, dass derartige Aufwendungen so lange als durch die Einkunftserzielung veranlasst gelten, als dem Steuerpflichtigen eine Wohnsitzverlegung in übliche Entfernung vom Ort der Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann. Die Unzumutbarkeit kann ihre Ursache insbesondere in der privaten Lebensführung des Steuerpflichtigen oder in einer weiteren Erwerbstätigkeit des Ehepartners haben (vgl ). Diese Unzumutbarkeit ist aus der Sicht des jeweiligen Streitjahres zu beurteilen (vgl ). Die Unzumutbarkeit, den Familienwohnsitz aufzugeben, muss sich aus Umständen von erheblichem objektiven Gewicht ergeben. Momente bloß persönlicher Vorliebe für die Beibehaltung des Familienwohnsitzes reichen nicht aus (vgl. , mwN und den ganzen Absatz betreffend ).
Die Wohnsitzverlegung ist einem alleinstehenden Steuerpflichtigen unzumutbar, wenn der Verbleib am Tätigkeitsort nur von (nach den Umständen gemessen) kurzer Dauer sein wird, weil das Beschäftigungsverhältnis zeitlich befristet und nach den Umständen des Einzelfalles von einer Rückkehr an den Hauptwohnsitz auszugehen ist (vgl. zu einem auf vier bzw. fünf Jahre angelegten Ausbildungsverhältnis ).
Davon abgesehen wird Alleinstehenden "für eine gewisse Übergangszeit" zugestanden, Aufwendungen für ein möbliertes Zimmer am Beschäftigungsort als Werbungskosten geltend zu machen (vgl zB ; , 2006/15/0024; , 2002/13/0153).
Den Aufwendungen für Heimfahrten wird für eine Übergangszeit auch bei einem alleinstehenden Arbeitnehmer mit einer Wohnung im Heimatort Rechnung zu tragen sein, weil diesem zuzubilligen ist, in gewissen Zeitabständen, etwa monatlich, in seiner Wohnung nach dem Rechten zu sehen. Fahrtkosten zum Besuch der Eltern stellen hingegen keine Werbungskosten dar, sondern sind der privaten Lebensführung zuzurechnen (; , 96/15/0259; , 88/14/0081).
Ins Kalkül zu ziehen ist weiters, dass eine Wohnmöglichkeit im Elternhaus der Zumutbarkeit, einen eigenen Hausstand zu unterhalten, nicht entgegensteht, weil auch bei einem befristeten Dienstverhältnis bzw einer möglichen baldigen Versetzung nicht gesagt ist, dass ein neuer Dienstort zur Rückverlegung des Berufswohnsitzes ins Elternhaus führt ().
Nach dem Vorbringen des Bf erscheint es ausgeschlossen, dass er bei angestrebter beruflicher Weiterentwicklung im universitären Bereich außerhalb Österreichs ausgerechnet in der Z einen adäquaten Posten erhält.
Aufgrund der Dienstbarkeiten des Wohnrechts und Fruchtgenusses (Vorbehaltsfruchtgenuss) ist die im zivilrechtlichen Eigentum des Bf stehende Landwirtschaft nach steuerrechtlichen Maßstäben seinem Vater zuzurechnen (§ 24 Abs 1 lit d BAO). "Sporadische" Besuche beim Vater vermögen schon von vornherein keinen eigenen Hausstand oder Familienwohnsitz an dessen Wohnort zu vermitteln.
Rechtlich gesehen steht der Qualifikation der Wohngemeinschaft in Wien, in der sich der Bf im Streitjahr überwiegend aufgehalten hat, aufgrund der Definition des § 4 Abs 2 Pendlerverordnung keinen Familienwohnsitz dar. Wie die belangte Behörde zutreffend festgestellt hat, liegt der Familienwohnsitz des Bf in X, weil er dort seinen ersten Hausstand gegründet hat und regelmäßig am kulturellen und gesellschaftlichen Leben teilnimmt.
Dessen ungeachtet war dem Bf, der ein befristetes Dienstverhältnis in Wien von 2012-2016 gehabt hat und auch in der Folge in Österreich gemeldet, versichert und ab Mitte 2018 wieder in Anstellung war, auch schon weit vor dem Jahr 2018 - und damit umso mehr im Jahr 2018 - eine Verlegung des Wohnsitzes an den Beschäftigungsort zumutbar. Liegt ein bloß befristetes Dienstverhältnis vor, muss für die Unzumutbarkeit der Wohnsitzverlegung noch hinzutreten, dass nach Ende der Befristung mit einer Rückkehr an den bisherigen Familienwohnsitz zu rechnen ist (vgl ; , 2006/15/0024).
Sporadische Besuche des Vaters reichen als familiärer Grund gegen eine Wohnsitzverlegung nicht aus. Wirtschaftliche Gründe liegen nicht vor, weil die Landwirtschaft dem Bf nicht als Einkunftsquelle zurechenbar ist, sondern seinem Vater als Fruchtgenussberechtigtem. Wird ein Betrieb, ein Mietobjekt oder sonstiges Vermögen unter gleichzeitiger Zurückbehaltung des Fruchtgenussrechtes übertragen (Vorbehaltsfruchtgenuss), so ergibt sich alleine daraus keine Änderung der bisherigen Zurechnung (vgl zuletzt mwN).
Der Bf wollte nach seinem ab 2012 in Wien verfolgten Karriereplan nicht in die Z und auch nicht nach X zurückkehren, sondern sich international weiterentwickeln, wie er in seinen Schriftsätzen selbst ausführt. Mangels Aussicht auf Rückkehr an den bisherigen Familienwohnsitz wäre schon in der Zeit seines befristeten Dienstverhältnisses eine Verlegung nach Wien zumutbar gewesen. Umso mehr ist die Verlegung im Jahr 2018 zumutbar, als in diesem Jahr wiederum in Wien ein Dienstverhältnis eingegangen worden ist, das jedenfalls auch im Jahr 2022 noch bestanden hat.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das gegenständliche Erkenntnis bewegt sich im Rahmen der reichlich vorhandenen höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Daher war die Revision nicht zuzulassen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 16 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 20 Abs. 1 Z 2 lit. e EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.7101330.2021 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at