Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 30.05.2023, RV/7106323/2019

Entsendung: Aufgabe des Wohnsitzes - unbeschränkte/beschränkte Steuerpflicht

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag.Dr. Katrin Allram in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Ernst & Young Steuerberatungs- gesellschaft m.b.H., Wagramer Straße 19, 1220 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf vom , Steuernummer ***BF1StNr1***, betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2016 zu Recht:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (Bf.) ist im Streitjahr 2016 sowohl im In- als auch im Ausland unselbständig erwerbstätig. Der Bf. war bis unstrittig ausschließlich in Österreich ansässig und unselbständig tätig. Streit besteht über die Ansässigkeit des Bf. ab .

In der Beilage zur Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2016 vom führte der Bf. aus, beginnend mit von seinem Arbeitgeber befristet bis voraussichtlich von Österreich nach Russland entsendet worden zu sein. Den Wohnsitz in Österreich habe der Bf. bis zum beibehalten und er habe mit Beginn der Entsendung einen Wohnsitz zur Dienstverrichtung in Russland begründet. Der Bf. sei daher im Veranlagungsjahr 2016 bis zum 3. April in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig. Anknüpfend an die Ansässigkeit des Bf. habe bis zum Österreich das Besteuerungsrecht auf das Welteinkommen, danach komme dieses Russland zu.

Mit Bescheid vom setzte die belangte Behörde die Einkommensteuer für das Jahr 2016 mit Euro -2.124,00 fest.

Dagegen erhob der Bf. mit Eingabe vom Beschwerde, in der eine Korrektur der Einkünfte unter Berücksichtigung der korrekten Lohnzettel beantragt wurde. Im Zeitraum 4. April bis habe der Bf. nicht in Österreich gearbeitet, weshalb die entsprechenden Bezüge in Österreich nicht steuerpflichtig seien. Der Gesamtbetrag der in Österreich steuerpflichtigen Bezüge betrage daher Euro 14.371,47. In der Anlage wurden die korrekten Auslands- und Inlandslohnzettel sowie die Beilage zur Arbeitnehmerveranlagung und die Kalenderaufzeichnungen des Bf. für das Jahr 2016 übermittelt.

Am erging ein Ergänzungsersuchen an den Bf., das dieser mit Schreiben vom beantwortete. Der Bf. wohne derzeit in der ***Bf1-Adr***. Der Wohnsitz werde weiterhin aufrechterhalten, weshalb es keine Abmeldung des österreichischen Wohnsitzes gebe. Der Bf. sei weiterhin in der österreichischen Sozialversicherung angemeldet. Sonstige Abmeldungen seien nicht erfolgt, weshalb es dazu keine Nachweise gebe.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom änderte die belangte Behörde den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016 ab und setzte die Einkommensteuer für das Jahr 2016 mit Euro -1.523,00 fest. Begründend wird ausgeführt, dass aufgrund des durchgehenden (Haupt-)Wohnsitzes in Österreich, einer aufrechten österreichischen Kontonummer und einer aufrechten österreichischen Sozialversicherungsnummer von einer durchgehenden Ansässigkeit in Österreich ausgegangen werde. Die Drittstaatsarbeitstage seien deshalb aufzunehmen gewesen.

Mit Eingabe vom stellte der Bf. den Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Bundesfinanzgericht.

Am legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Vorlagebericht und Verwaltungsakt dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.

Mit Beschluss vom forderte das Bundesfinanzgericht den Bf. auf, ergänzende Angaben zu den tatsächlichen Lebensumständen und der Wohnsituation im Streitjahr 2016 zu machen.

In der Eingabe vom nahm der Bf. zu den einzelnen Punkten Stellung und übermittelte den Entsendungsvertrag, den Calendar Report sowie die in Russland eingereichte Einkommensteuererklärung.

Mit Beschluss vom übermittelte das Bundesfinanzgericht die ergänzende Eingabe des Bf. vom der belangten Behörde mit der Möglichkeit zur Stellungnahme.

Die belangte Behörde gab mit Eingabe vom eine Stellungnahme ab und hielt darin fest, dass sie mangels überzeugender Beweismittel von einer Ansässigkeit in Österreich ausgehe.

Am fand ein Erörterungstermin vor dem Bundesfinanzgericht statt, bei dem die Wohnsituation des Bf. in Österreich und Russland, die Lebensgemeinschaft des Bf. sowie die Thematik der Wegzugsbesteuerung in Bezug auf das im Privatvermögen gehaltene Kapitalvermögen besprochen wurden.

II. Über die Beschwerde wurde erwogen:

1. Sachverhalt

Der Bf. war im Streitjahr 2016 von 1. Jänner bis in Österreich unselbständig beschäftigt. Mit wurde der Bf. von seinem Arbeitgeber nach Russland entsandt. Die Entsendung wurde befristet für den Zeitraum bis vereinbart.

Der Bf. war von bis mit Hauptwohnsitz an der Adresse ***Adresse 1***, von bis mit Hauptwohnsitz an der Adresse ***Adresse 2*** und ist seit mit Hauptwohnsitz an der Adresse ***Bf1-Adr*** gemeldet.

***M*** ist die Lebensgefährtin und seit die Ehefrau des Bf. Sie war von bis mit Hauptwohnsitz an der Adresse ***Adresse 1***, von bis mit Hauptwohnsitz an der Adresse ***Adresse 3*** und ist seit mit Hauptwohnsitz an der Adresse ***Bf1-Adr*** gemeldet.

Die Beziehung zwischen dem Bf. und seiner Lebensgefährtin befand sich Mitte des Jahres 2016 in einer schwierigen Phase und führte im Juli 2016 zur vorübergehenden Trennung. Erst im Jahr 2017 besserte sich das Verhältnis.

Der gemeinsame Wohnsitz mit der Lebensgefährtin an der Adresse ***Adresse 1*** wurde aufgrund von Unstimmigkeiten betreffend die Mietzahlungen zwischen dem Bf. und seiner Lebensgefährtin aufgegeben. Der Bf. reiste im Juli 2016 für zwei Tage nach Österreich, um seine verbleibenden persönlichen Sachen aus der Wohnung in der ***Adresse 1*** zu holen und zu seinen Eltern nach Budapest zu bringen. Am meldete der Bf. persönlich den Wohnsitz in der ***Adresse 1*** ab und übergab die Wohnungsschlüssel seiner Lebensgefährtin. Während dieses Aufenthalts hat der Bf. in der Wohnung genächtigt.

Die Lebensgefährtin ging im Zeitraum August 2015 bis Oktober 2018 einer Beschäftigung in den Niederlanden nach.

Ab war der Bf. mit Hauptwohnsitz an der Adresse ***Adresse 2*** gemeldet. Dabei handelt es sich um die Familienwohnung eines Arbeitskollegen, in der der Arbeitskollege des Bf. mit seiner Frau und zwei Kindern wohnt. Die Wohnung hat eine Größe von circa 85 m2. Das für den Bf. vorgesehene Schlafzimmer war circa 11 m2 groß. Der Bf. bezahlte keine Miete für das Zimmer. Der Bf. hatte keine Schlüssel zu der Wohnung und musste seine Aufenthalte vorab mit dem Arbeitskollegen abstimmen.

Die Familie des Bf. lebt in Ungarn und der Bf. hat keine Verwandtschaft in Österreich.

Nach der vorgelegten Days-by-country Liste verbrachte der Bf. den Zeitraum 1. Jänner bis ausschließlich in Österreich. Im Zeitraum 4. April bis hielt er sich in Russland (207 Tage; davon 3 Tage Urlaub) und in den Niederlanden (65 Tage; davon 34 Tage Urlaub) auf.

Der Bf. musste aufgrund seines Aufenthaltsstatus in Russland das Land alle drei Monate ein Mal verlassen. Der Bf. ist stets von Russland in die Niederlande geflogen und anschließend fallweise weiter nach Budapest oder Wien geflogen oder mit dem Zug gefahren. Im Zeitraum 4. April bis hat sich der Bf. jedenfalls zwei Tage im Juli in Österreich aufgehalten. Die im Calendar Report angegebenen Tage in den Niederlanden verbrachte der Bf. mit ziemlicher Sicherheit in Budapest, vereinzelt möglicherweise in Österreich. Die Arbeitstage in den Niederlanden wurden bei Freunden im Home-Office verbracht.

Abgesehen von den Home-Office Tagen in den Niederlanden übte der Bf. die unselbständige Tätigkeit ab ausschließlich in Russland aus. Der Bf. verfügte über eine Wohnung in Russland und hielt sich im Jahr 2016 207 Tage in Russland auf. Er wurde in Russland steuerlich als "Resident" qualifiziert. Aus der vorgelegten russischen Einkommensteuererklärung ist ersichtlich, dass betreffend den Zeitraum 4. April bis die Veranlagung des gesamten Welteinkommens beantragt wurde.

Während der Entsendung hielt sich der Bf. hauptsächlich in Russland auf. An den Wochenenden verbrachte er Zeit mit Kollegen und Freunden, besuchte einen Sportclub und lernte Russisch.

Die Urlaube im Juli und Dezember 2016 verbrachte der Bf. mit Freunden in den Niederlanden. Kontakt zu seiner Lebensgefährtin vermied der Bf. zu diesem Zeitpunkt. Den Urlaub im Oktober 2016 verbrachte der Bf. alleine in Russland.

Die Mitgliedschaft in einem Fitnesscenter in Österreich kündigte der Bf. vor der Entsendung. Das österreichische Bankkonto sowie Versicherungen hielt der Bf. während der Entsendung aufrecht. Der Bf. war durchgehend in der österreichischen Sozialversicherung angemeldet.

Der Bf. hielt sechs Aktienpakete im Privatvermögen. Ein Vergleich der Anschaffungskosten mit dem gemeinen Wert im Wegzugszeitpunkt () ergibt keine Wertsteigerung.

2. Beweiswürdigung

Die Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf den Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes, Datenbankabfragen, Internetrecherchen, ergänzende Nachfragen durch das Bundesfinanzgericht sowie auf die im Rahmen der Erörterung am hervorgekommenen Tatsachen.

Zu den Aufenthaltsorten laut Calendar Report im Zeitraum 4. April bis

Der Bf. hielt sich laut dem vorgelegten Calendar Report im Zeitraum 4. April bis nicht in Österreich auf. Im Rahmen des Erörterungstermins stellte sich heraus, dass die Angaben im Calendar Report in Hinblick auf die Aufenthalte des Bf. in Österreich wenig aussagekräftig sind. Dies ist deshalb der Fall, da der Bf. stets von Russland in die Niederlande geflogen ist und von dort weiter nach Wien oder Budapest gereist ist. Demnach konnten die im Calendar Report unter dem Aufenthaltsort Niederlande angegebenen Tage neben den Niederlanden auch in Österreich und Ungarn verbracht worden sein.

Der Bf. hat glaubhaft dargelegt, dass er die Arbeitstage in den Niederlanden bei Freunden im Home-Office und die Urlaube in den Niederlanden mit Freunden verbracht hat. Die Aufenthalte in den Niederlanden nutzte der Bf. im Jahr 2016 nicht für Besuche der Lebensgefährtin, da ab Mitte des Jahres 2016 eine schlechte Gesprächsbasis zwischen den beiden bestand und Kontakt vermieden wurde. Das konkrete Ausmaß der Anzahl der Aufenthaltstage in den Niederlanden konnte der Bf. nicht angeben.

Der Bf. hat sich im Zeitraum 4. April bis jedenfalls im Juli zwei Tage in Wien aufgehalten, um aus der Wohnung in der ***Adresse 1*** seine restlichen persönlichen Sachen abzuholen und nach Ungarn zu verbringen. Für den Rest des Jahres konnte der Bf. keine sicheren Angaben machen, ob er sich nochmals in Österreich aufgehalten hat. Möglicherweise hat er sich darüber hinaus noch einige Tage in Österreich aufgehalten.

Der Bf. konnte mit ziemlicher Sicherheit angeben, dass er im streitgegenständlichen Zeitraum nach dem Flug in die Niederlande nach Ungarn weitergereist ist und Zeit bei seinen Eltern in Budapest verbracht hat. Das konkrete Ausmaß der Anzahl der Aufenthaltstage in Ungarn konnte der Bf. nicht angeben.

Der Bf. hat im Zeitraum 4. April bis insgesamt 65 Tage außerhalb von Russland verbracht, die im Calendar Report alle unter dem Aufenthaltsort Niederlande vermerkt sind. Für das Bundesfinanzgericht erscheint es naheliegend, dass der Bf. einen Großteil davon einerseits in den Niederlanden bei Freunden, andererseits in Ungarn bei seiner Familie verbracht hat. Der Bf. hatte abgesehen von seiner Lebensgefährtin keinen familiären Anknüpfungspunkt in Österreich. Da sich die Beziehung zwischen dem Bf. und seiner Lebensgefährtin Mitte des Jahres 2016 in einer schwierigen Phase befand, die schließlich zur Trennung im Juli 2016 führte, und Kontakt zur Lebensgefährtin vermieden wurde, ist nicht davon auszugehen, dass sich der Bf. für einen über wenige Tage hinausgehenden Zeitraum in Österreich aufgehalten hat.

Zum Wohnsitz in der ***Adresse 1***

Einen Wohnsitz im Sinn der Abgabenvorschriften hat gemäß § 26 Abs. 1 BAO jemand dort, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

Nach übereinstimmender Ansicht von Lehre und Rechtsprechung ist steuerrechtlich das Bestehen eines Wohnsitzes stets an die objektive Voraussetzung des Besitzes - hier gleichbedeutend mit Innehabung - einer Wohnung geknüpft. Die polizeiliche Meldung oder die Unterlassung derselben ist ebensowenig für die Frage des Wohnsitzes entscheidend, wie der Umstand, ob Miete bezahlt wird oder nicht. Der Wohnsitzbegriff des Steuerrechts ist demnach auf keine bestimmte rechtsgeschäftliche Form abgestellt, sondern knüpft an die tatsächliche Gestaltung der Dinge an. Um einen Wohnsitz im Sinne der Abgabenvorschriften zu begründen, bedarf es daher nur der tatsächlichen Verfügungsgewalt über bestimmte Räumlichkeiten, die nach der Verkehrsauffassung zum Wohnen geeignet sind, also ohne wesentliche Änderungen jederzeit zum Wohnen benutzt werden können und ihrem Inhaber nach Größe und Ausstattung ein dessen persönlichen Verhältnissen entsprechendes Heim bieten. In diesem Sinn können auch Untermietzimmer, im Fall einer Dauermiete sogar Hotelzimmer eine Wohnung und damit einen Wohnsitz gemäß § 26 Abs. 1 BAO darstellen (vgl. ).

Es müssen daher die Voraussetzungen "Wohnung", "Innehabung derselben" sowie die "Beibehaltung und Benutzung" kumulativ vorliegen (vgl. Marschner in Jakom EStG16 (2023) § 1 Rz 25).

Bei der Wohnung in der ***Adresse 1*** handelt es sich unstrittig um eine Wohnung, über die der Bf. bis zur Rückgabe der Schlüssel am an die Lebensgefährtin die tatsächliche Verfügungsgewalt hatte.

Das "Innehaben" einer Wohnung allein genügt jedoch noch nicht, einen Wohnsitz zu begründen. Das "Innehaben" muss vielmehr "unter Umständen" erfolgen, die darauf schließen lassen, dass der Steuerpflichtige die Wohnung beibehalten und benutzen werde. Die "Umstände" müssen objektiver Natur, d.h. durch das äußerlich wahrnehmbare Verhalten des Steuerpflichtigen erkennbar sein. Auf die subjektive Absicht des Steuerpflichtigen kommt es nicht an (vgl. mwN).

Der Bf. war ab in Russland tätig und hat zu diesem Zweck Österreich verlassen und in Russland eine Wohnung bezogen (vgl. dazu die gesonderten Ausführungen unten). Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Beziehung des Bf. mit seiner Lebensgefährtin bereits in einer schwierigen Phase. Unter anderem gab es Streit betreffend die Mietzahlung für die Wohnung in der ***Gasse***. Laut den Ausführungen des Bf. im Rahmen der Erörterung bestand Mitte des Jahres 2016 eine sehr schlechte Gesprächsbasis und der Kontakt zur Lebensgefährtin wurde vermieden. Die Beziehung wurde im Juli 2016 schließlich beendet. Vor diesem Hintergrund kann nicht von Umständen gesprochen werden, die auf das Beibehalten und Benutzen der Wohnung in der ***Gasse*** über den Wegzugszeitpunkt nach Russland hinaus schließen lassen. Der polizeilichen Meldung bis zum kommt ebenso wie dem Umstand, dass der Bf. noch bis Ende Juli 2016 persönliche Sachen in der Wohnung lagerte, keine relevante Bedeutung zu (vgl. ).

Der Bf. verfügte daher ab dem über keinen Wohnsitz mehr in der ***Adresse 1***.

Zum Wohnsitz in der ***Adresse 2***

Nach der Rechtsprechung kann auch ein Untermietzimmer einen Wohnsitz begründen. Allerdings ist unter den im konkreten Fall vorliegenden tatsächlichen Verhältnissen zu verneinen, dass es sich bei dem Schlafzimmer in der Wohnung des Arbeitskollegen um einen Wohnsitz im Sinne des § 26 Abs. 1 BAO handelt.

Zunächst handelt es sich um eine etwa 85 m2 große Wohnung, in der eine vierköpfige Familie dauerhaft wohnt. Der Lebenserfahrung entsprechend ist daher davon auszugehen, dass alle Zimmer dieser Wohnung ständig benutzt werden und im Falle eines Aufenthalts des Bf. in Österreich eines der Zimmer der Wohnung als Gästezimmer freigemacht wird. Außerdem verfügte der Bf. über keinen Schlüssel zur Wohnung und musste seine Besuche vorab ankündigen und abstimmen. Von einer tatsächlichen Verfügungsgewalt des Bf. über die Wohnung in der ***Adresse 2*** kann daher nicht ausgegangen werden, als der Bf. von der jeweiligen Willensentscheidung des Arbeitskollegen als Unterkunftgeber abhängig war (vgl. dazu ; , 2011/15/0133).

Überdies ist auch der zeitliche Aspekt zu berücksichtigen. Der Bf. hat sich nach den obigen Feststellungen im Streitzeitraum nur wenige Tage in Österreich aufgehalten. Während dieser Kurzaufenthalte konnte der Bf. (unentgeltlich) in der Familienwohnung seines Arbeitskollegen ein Zimmer benutzen. Durch die bloße Überlassung eines Zimmers zur vorübergehenden Nutzung wird aber nicht eine rechtliche und tatsächliche Möglichkeit begründet, über eine Wohnung zu verfügen (vgl. ).

Die vorübergehende und notdürftige Unterkunftnahme in der Wohnung des Arbeitskollegen begründet daher keinen Wohnsitz im Sinn des § 26 Abs. 1 BAO.

Zum Wohnsitz in Russland

Dass sich der Bf. im streitgegenständlichen Zeitraum des Jahres 2016 für 207 Tage in Russland aufhielt und die unselbständige Tätigkeit - abgesehen von den Home-Office Tagen in den Niederlanden - in Russland ausübte, ergibt sich aus den Kalenderaufzeichnungen. Die Auslandsaufenthalte, die der Bf. über die Niederlande angetreten hat, sind dokumentiert. Es gibt für das Bundesfinanzgericht keine Anhaltspunkte, an diesen Angaben zu zweifeln. Diese Angaben werden überdies durch die Ausführungen des Bf. gestützt, wonach er sich während der Entsendung hauptsächlich in Russland aufgehalten und seine Freizeit mit Freunden und Kollegen in Russland verbracht hat. Der Umstand, dass der Bf. während der Entsendung über einen Wohnsitz in Russland verfügte, ist unstrittig. Die steuerrechtliche Qualifikation des Bf. als russischer "Resident" mit der Verpflichtung, das Welteinkommen in Russland zu versteuern, ergibt sich aus der vorgelegten Einkommensteuererklärung.

Nach dem Gesamtbild der Verhältnisse durfte das Bundesfinanzgericht daher in freier Beweiswürdigung von den obigen Sachverhaltsfeststellungen ausgehen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Zum Nichtvorliegen der unbeschränkten Steuerpflicht ab

Unbeschränkt steuerpflichtig sind nach § 1 Abs. 2 Einkommensteuergesetz 1988 (EStG 1988) jene natürlichen Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich auf alle in- und ausländischen Einkünfte.

Ob der Bf. im Zeitraum 4. April bis einen Wohnsitz im Sinne des § 26 Abs. 1 BAO in Österreich hatte, ist eine Tatfrage. Ein gewöhnlicher Aufenthalt in Österreich lag in diesem Zeitraum unstrittig nicht vor. Aufgrund des in freier Beweiswürdigung festgestellten Sachverhalts kam das Bundesfinanzgericht zum Ergebnis, dass der Bf. im genannten Zeitraum über keinen Wohnsitz in Österreich verfügte (siehe dazu die Ausführungen unter Punkt 2. oben sowie die dort angeführte Rechtsprechung des VwGH). Von 4. April bis ist der Bf. folglich in Österreich nicht unbeschränkt steuerpflichtig.

Zur beschränkten Steuerpflicht

Beschränkt steuerpflichtig sind nach § 1 Abs. 3 EStG 1988 jene natürlichen Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Die beschränkte Steuerpflicht erstreckt sich nur auf die im § 98 EStG 1988 aufgezählten Einkünfte.

Der beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 3) unterliegen nach § 98 Abs. 1 EStG 1988 (idF BGBl. I Nr. 105/2014) nur die folgenden Einkünfte:

[…]

4. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 25), die

- im Inland oder auf österreichischen Schiffen ausgeübt oder verwertet wird oder worden ist (Z 2),

- aus inländischen öffentlichen Kassen mit Rücksicht auf ein gegenwärtiges oder früheres Dienstverhältnis gewährt werden.

Eine Erfassung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nach dieser Ziffer hat zu unterbleiben, wenn die Einkünfte wirtschaftlich bereits nach Z 3 erfaßt wurden.

[…]

Der Bf. verfügte ab über keinen Wohnsitz in Österreich, sondern nur über einen Wohnsitz in Russland. Er wurde in Russland steuerlich als "Resident" qualifiziert. Aufgrund des Wohnsitzes und der damit verbundenen Steuerpflicht in Russland war der Bf. gemäß Art. 4 Abs. 1 DBA Österreich-Russland (BGBl. III Nr. 10/2003) in Russland ansässig.

Nach Art. 15 Abs. 1 DBA Österreich-Russland dürfen vorbehaltlich der Artikel 16, 18 und 19 Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so dürfen die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden.

Der Bf. ist ab in Russland abkommensrechtlich ansässig und übt die unselbständige Tätigkeit nicht in Österreich aus. Art. 15 Abs. 1 DBA Österreich-Russland ordnet demnach das ausschließliche Besteuerungsrecht im Zusammenhang mit der unselbständigen Arbeit dem Ansässigkeitsstaat (hier: Russland) zu. Daher wäre selbst im Fall des Zutreffens einer beschränkten Steuerpflicht des Bf. in Österreich der Besteuerungsanspruch Österreichs durch das DBA Österreich-Russland eingeschränkt. Die Frage, ob Österreich ein Besteuerungsrecht infolge beschränkter Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 3 iVm § 98 Abs. 1 Z 4 EStG 1988 dem Grunde nach zukommt, ist folglich nicht entscheidungsrelevant.

Zur Wegzugsbesteuerung betreffend Kapitalvermögen im Privatvermögen

Gemäß § 27 Abs. 6 Z 1 EStG 1988 (idF BGBl. I Nr. 163/2015) gelten Umstände, die zu einer Einschränkung des Besteuerungsrechts der Republik Österreich im Verhältnis zu anderen Staaten hinsichtlich eines Wirtschaftsgutes im Sinne des Abs. 3 oder eines Derivates im Sinne des Abs. 4 führen, als Veräußerung.

Der Bf. hat im Wegzugszeitpunkt Aktien und demnach Wirtschaftsgüter im Sinne des § 27 Abs. 3 EStG 1988 in seinem Privatvermögen gehalten. Folglich ist zu prüfen, ob infolge der Verlagerung der Ansässigkeit nach Russland mit die Wegzugsbesteuerung gemäß § 27 Abs. 6 Z 1 EStG 1988 schlagend wird.

Als Einkünfte sind im Falle der Einschränkung des Besteuerungsrechts gemäß § 27a Abs. 3 Z 2 lit. b EStG 1988 (idF BGBl. I Nr. 163/2015) der Unterschiedsbetrag zwischen dem gemeinen Wert zum Zeitpunkt des Eintritts der Umstände, die zur Einschränkung des Besteuerungsrechts führen, und den Anschaffungskosten anzusetzen.

Aus den vom Bf. beim Erörterungstermin vorgelegten Depotauszügen und Aufstellungen ist ersichtlich, dass der gemeine Wert der Aktien zum Wegzugszeitpunkt unter den Anschaffungskosten gelegen ist. Mangels Wertsteigerung liegen daher keine steuerpflichtigen Einkünfte aus Kapitalvermögen vor, die infolge des Wegzugs zu erfassen sind.

Insgesamt war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Fall war insbesondere die Frage des Bestehens eines Wohnsitzes im Inland zu beurteilen. Dabei handelt es sich um eine in freier Beweiswürdigung zu lösende Sachverhaltsfrage. Dieser Vorgang unterliegt nur beschränkt der Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof, nämlich hinsichtlich der Schlüssigkeit, insbesondere der Übereinstimmung mit den Denkgesetzen und menschlichem Erfahrungsgut (vgl. ). Im Übrigen ist das Bundesfinanzgericht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gefolgt. Insgesamt liegt damit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 1 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 98 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 1 Abs. 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 26 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7106323.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at