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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 10.07.2023, RV/1100117/2023

Familienbeihilfenanspruch im Zeitraum zwischen Schulabbruch und Beginn einer Lehre?

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri***

in der Beschwerdesache der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***,

betreffend den Bescheid des ***FA*** vom

über Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für ***1*** für den Zeitraum November 2021 bis Juli 2022, Ordnungsbegriff 8 155 462,

zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird im Umfang der Beschwerdevorentscheidung vom teilweise Folge gegeben: Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag werden für Jänner 2022 bis Juli 2022 zurückgefordert.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Im angefochtenen Bescheid wurden Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für die Tochter ***1*** der Beschwerdeführerin betreffend den Zeitraum November 2021 bis Juli 2022 zurückgefordert. Begründend wurde ausgeführt, ***1*** habe die staatliche Fachoberschule ***2*** am abgebrochen. Am habe sie eine Ausbildung zur ***3*** begonnen. Sie habe sich daher im Zeitraum bis nicht in Berufsausbildung befunden, weshalb kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe.

In ihrer dagegen gerichteten Beschwerde führte die Beschwerdeführerin aus: Die Bemessung der Rückforderung sei nicht richtig, da ihre Tochter bis zum die Fachoberschule besucht habe und damit in Schulausbildung gestanden sei. Das Finanzamt selbst führe in der Bescheidbegründung aus, dass sich ***1*** erst ab nicht mehr in Schulausbildung befunden habe. Daher sei die Rückforderung für das Jahr 2021 für die Monate November und Dezember nicht zutreffend. Darüber hinaus habe ihre Tochter den Lehrvertrag bereits am unterschrieben. Laut Homepage der Arbeiterkammer bestehe für volljährige Kinder zwischen dem Abschluss der Schulausbildung und dem frühestmöglichen Beginn einer weiteren Berufsausbildung ein Anspruch auf Familienbeihilfe, sofern das Kind noch nicht 24 Jahre alt sei. Die Lehrstellensuche habe sich aufgrund der Corona-Einschränkungen als schwierig erwiesen. ***1*** habe in der Zeit von Jänner bis Juli 2022 unentgeltliche Betriebspraktikumstage absolviert. Zumindest der Zeitraum vom bis zum möge berücksichtigt werden.

Für eine allfällige Rückzahlung werde um Ratenzahlung und Übersendung eines Tilgungsplanes ersucht.

Es erging eine teilweise stattgebende Beschwerdevorentscheidung. Aufgrund des Schulbesuches bis inklusive Dezember 2021 bestehe bis dahin Anspruch auf Familienleistungen.

Die Voraussetzung für die Gewährung der Familienbeihilfe gemäß § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 - nämlich für den Zeitraum zwischen Abschluss einer Schulausbildung und dem frühestmöglichen Beginn einer Berufsausbildung - treffe nicht zu.

Für die Beurteilung des Anspruches auf Familienleistungen sei die Ausbildungsdauer laut Lehrvertrag relevant, nicht, wann der Lehrvertrag unterschrieben worden sei. Im Zeitraum Jänner 2022 bis August 2022 bestehe daher kein Anspruch auf Familienleistungen.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

  1. ***1***, die Tochter der Beschwerdeführerin, ist am ***4*** geboren.

  2. Sie trat am in die staatliche Fachoberschule ***2*** ein verließ diese am ohne Abschluss.

  3. In der Folge befand sie sich auf Lehrstellensuche.

  4. Sie absolvierte einige Betriebspraktikumstage.

  5. Ende Juli 2022 erhielt sie die Zusage für einen Ausbildungsvertrag in einer ***5***.

  6. Seit befindet sie sich in Ausbildung zur ***6*** Fachangestellten.

  7. Es wurden der Beschwerdeführerin für ***1*** Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag bis einschließlich Juli 2022 gewährt.

Die Feststellungen zum Sachverhalt beruhen auf unstrittigem Akteninhalt.

2. Gesetzliche Grundlagen und rechtliche Würdigung

2.1.Zu Spruchpunkt I. (teilweise Stattgabe)

Wie bereits in der Beschwerdevorentscheidung ausgeführt, steht gemäß § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, die Familienbeihilfe während einer Berufsausbildung bzw. -fortbildung zu.

Nach § 2 Abs. 1 lit. d leg. cit. idF BGBl I 2017/156 gebührt Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für die Zeit zwischen dem Abschluss der Schulausbildung und dem Beginn einer weiteren Berufsausbildung, wenn die weitere Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Abschluss der Schulausbildung begonnen wird.

Gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 hat, wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.

Strittig ist: Ist die Rückforderung für Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum Jänner 2022 bis Juli 2022 zu Recht erfolgt?

Gemäß , spricht § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967, auf den sich die Beschwerdeführerin beruft, klar von der Zeit zwischen dem "Abschluss" der Schulausbildung und dem Beginn einer weiteren Berufsausbildung. Das Wort "Abschluss" kann dabei nur so verstanden werden, dass es sich um das erfolgreiche Beenden einer Schulausbildung handelt. Ein vorzeitiges Beenden einer Ausbildung, etwa weil die erforderlichen Leistungen nicht erbracht werden, stellt einen Abbruch und damit keinen Abschluss dar. Für die Zeit zwischen dem Abbruch einer Ausbildung und dem Beginn einer anderen Ausbildung sieht aber auch § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 keinen Familienbeihilfenanspruch vor (vgl. dazu Hebenstreit in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 2 Rz 130 sowie ).

In diesem Sinne hat der VwGH auch im Erkenntnis , 97/15/0111, ausgesprochen: "Der Zielsetzung des § 2 Abs 1 lit b FLAG, nämlich der Anspruchsvermittlung für die Familienbeihilfe (und damit über die Bestimmung des § 33 Abs 4 Z 3 lit a EStG 1988 auch des Kinderabsetzbetrages) nur durch eine zielgerichtete, ernstlich betriebene Berufsausbildung würde es widersprechen, wenn nach § 2 Abs 1 lit d FLAG ein vorzeitiger Abbruch der Berufsausbildung die dort normierte Weitergewährung für die Dauer von drei Monaten nach sich ziehen könnte".

Umgelegt auf den Streitfall ergibt sich aus dem Vorstehenden:

***1***, die die Schule nicht abgeschlossen, sondern abgebrochen hatte, konnte im (noch) in Streit stehenden Zeitraum Jänner 2022 bis Juli 2022 keinen Familienbeihilfenanspruch gemäß § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 vermitteln.

Die in diesem Zeitraum absolvierten Praktikumstage stellen keine Berufsausbildung dar.

Zum Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach es schwierig gewesen sei, aufgrund der Coronaeinschränkungen eine Lehrstelle im Gesundheitswesen zu finden, ist auszuführen:

Der mit Geltung ab , BGBl I 28/2020, dem § 2 FLAG 1967 angefügte Abs. 9, der durch die COVID-19-Krise eingetretenen Verzögerungen der Berufsausbildung durch allfällige Verlängerung der Familienbeihilfenanspruchsdauer um sechs Monate bzw. ein Semester/ein Ausbildungsjahr Rechnung trägt, ist im Beschwerdefall nicht anwendbar, weil sich die Tochter der Beschwerdeführerin - wie oben dargelegt - nicht in Berufsausbildung befand und den Tatbestand gemäß § 2 Abs. 1 lit. d nicht verwirklichte. Überdies hatte sie die im Abs. 9 leg. cit. relevante Altersgrenze von 24 bzw. 25 Jahren nicht überschritten.

Der als eine der Maßnahmen zur Bekämpfung der durch die COVID-19-Pandemie bedingten Armutsfolgen mit , BGBl I 58/2021, in Kraft gesetzte § 15 FLAG 1967, sieht einen fiktiven Familienbeihilfenanspruch für einen Zeitraum (März 2020 bis März 2021) vor, für welchen der Beschwerdeführerin - aufgrund des damaligen Schulbesuches ihrer Tochter - ohnehin ein Familienbeihilfenanspruch zustand.

Andere pandemiebedingt begünstigende und auf den Streitsachverhalt anwendbare Normen sind aus dem FLAG nicht ableitbar.

Dass für den Ausbildungsbeginn nicht der Zeitpunkt der Unterschrift des Lehrvertrages, sondern die tatsächliche Aufnahme der Lehre ausschlaggebend ist, hat das Finanzamt bereits in der Beschwerdevorentscheidung ausgeführt.

Für den Zeitraum Jänner 2022 bis Juli 2022 wurden daher Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 in Verbindung mit § 33 Abs. 3 EStG 1988 zu Unrecht bezogen. Die Rückzahlungsverpflichtung gemäß § 26 leg. cit. ist eine rein objektive. Allfällige subjektive Momente, wie etwa die Gutgläubigkeit des Empfangs der Familienbeihilfe oder die Verwendung der Familienbeihilfe sind nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung für die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge unerheblich (vgl. Wanke in Lenneis/Wanke, FLAG2 § 26 Rz 12-13 mit Hinweisen auf die VwGH-Judikatur).

Bezüglich des für eine allfällige Rückzahlung gewünschten Tilgungsplanes mit Ratenfestsetzungen ist die Beschwerdeführerin an das Finanzamt zu verweisen.

Insgesamt war wie im Spruch zu entscheiden.

2.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der in Streit stehenden Rechtsfrage findet Deckung in der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung.

Feldkirch, am

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at