Keine Anwendung des § 124b Z 53 EStG bei einem Vorbezug für Wohnraumschaffung
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Roman Galehr in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch WTJ SteuerberatungsgmbH & Co KG, Bundesstraße 70, 6830 Rankweil über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Feldkirch (nunmehr Finanzamt Österreich, Postfach 260, 1000 Wien) vom betreffend Einkommensteuer 2015 Steuernummer ***BF1StNr1*** in Anwesenheit der Schriftführerin Isabella Längle, nach mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Die belangte Behörde hat die Bescheidbeschwerde des Beschwerdeführers gegen den Einkommensteuerbescheid 2015 dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Aufgrund des in diesem Zuge elektronisch übermittelten Beschwerdeaktes der belangten Behörde, stellt sich der Verfahrensgang für das Bundesfinanzgericht wie folgt dar:
Der Beschwerdeführer brachte seine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2015 am via FON bei der belangten Behörde ein. Darin erklärte er unter der Kennzahl 359 (Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit ohne Lohnsteuerabzug) Einkünfte in der Höhe von € 48.922,28. Die belangte Behörde führte in der Folge die Veranlagung durch. Im Zuge dessen, korrigierte sie die Kennzahl 359 (Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit ohne Lohnsteuerabzug) von ursprünglich beantragten € 48.922,28 auf nunmehr € 73.752,37 und erließ den Einkommensteuerbescheid 2015 am .
In der separat ausgefertigten Bescheidbegründung führte sie aus wie folgt:
"Gemäß § 124b Z 53 dritter Satz EStG 1988 sind Zahlungen für Pensionsabfindungen von Pensionskassen auf Grund gesetzlicher oder statutenmäßiger Regelungen nach Abzug der darauf entfallenden Pflichtbeiträge zu einem Drittel steuerfrei zu belassen. Bei dieser Begünstigung wird darauf abgestellt, dass (insbesondere bei ausländischen Pensionskassen im Hinblick auf die dortige gesetzliche Situation) den Anspruchsberechtigten keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung eingeräumt ist. In einer solchen Situation wäre es unbillig, Pensionsabfindungen zur Gänze tarifmäßig zu versteuern, wenn kein Zwang zur Pensionsabfindung besteht, sondern der anwartschaftsberechtigte seine freie Wahl zwischen mehreren Ansprüchen (unter anderem dem Anspruch auf Einmalzahlung) trifft, diesem also im Rahmen einer obligatio alternativa (Wahlschuld iSd § 906 ABGB; zB Liechtensteiner Gesetz über die betriebliche Personalvorsorge) ein Wahlrecht eingeräumt wird, liegt nach ständiger Rechtsprechung keine "Abfindung" vor. Aufgrund der Wahlmöglichkeit und Entscheidung, sich die Freizügigkeitsleistung auf ein Personalvorsorgesperrkonto und somit später als Einmalzahlung ausbezahlen zu lassen, steht die Drittelbegünstigung des § 124b Z 53 EStG nicht zu. Die Auszahlung der Freizügigkeitsleistung ist daher zur Gänze steuerpflichtig."
Gegen den Einkommensteuerbescheid 2015 erhob der Beschwerdeführer in offener Frist das Rechtsmittel der Bescheidbeschwerde gemäß § 243 BAO. Darin führte er im Wesentlichen aus wie folgt:
Die Beschwerde richte sich gegen die volle Besteuerung der im August 2015 erfolgten Auszahlung der Pensionskasse in der Höhe von € 73.383,42. Es werde beantragt, die erfolgte Auszahlung zu einem Drittel steuerfrei zu belassen. Im Erkenntnis des BFG (GZ RV/1100654/2015) sei festgehalten, dass auch die Abfindung eines Anspruches aus einer Freizügigkeitspolice der Drittelbegünstigung unterliegt und die Freiwilligkeit der Entscheidung der Begünstigung nicht entgegenstünde.
Zudem beantragte der Beschwerdeführer eine mündliche Verhandlung durch den ganzen Senat gemäß § 274 Abs 1 Z 1 iVm § 272 Abs 2 Z 1 BAO.
Seitens der belangten Behörde wurde am ein Ersuchen um Ergänzung an den Beschwerdeführer gerichtet. Darin wurde um die Vorlage folgender Unterlagen gebeten:
Pensionskassenabrechnung anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der ***3*** (2009)
Antrag an den ehemaligen Arbeitgeber zur Aufrechterhaltung des Vorsorgeschutzes im Wege eines Freizügigkeitskontos (2009).
Bestätigungsschreiben der ***2*** Freizügigkeitsstiftung über die Einrichtung eines Freizügigkeitskontos bzw Vorlage des Freizügigkeitsausweises (2009)
Antrag auf Auszahlung des Freizügigkeitsguthabens (2015)
Nachweis der Auszahlung des Freizügigkeitsguthabens (Schreiben der ***2*** Freizügigkeitsstiftung über die Abrechnung des Freizügigkeitsguthabens, Überweisungsbeleg (2015))
Mit Schriftsatz vom antwortete der Beschwerdeführer auf das Ersuchen um Ergänzung und übermittelte die folgenden Unterlagen:
Austrittsabrechnung der Pensionskasse (2009)
Antrag auf Errichtung eines Freizügigkeitskontos (2009)
Freizügigkeitsausweis der ***2*** Freizügigkeitsstiftung (2009)
Antrag auf Auszahlung des Freizügigkeitsguthabens (2015)
Überweisungsbestätigung der ***2*** (2015)
Antrag auf Erstattung der schweizerischen Quellensteuer (2015)
Schreiben des BMF zur Besteuerung der Pensionsabfindung (2001)
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab. In der Bescheidbegründung führte sie zusammengefasst aus wie folgt:
Gemäß § 124b Z 53 EStG seien Zahlungen für Pensionsabfindungen von Pensionskassen auf Grund gesetzlicher oder statutenmäßiger Regelungen nach Abzug der darauf entfallenden Pflichtbeiträge ab dem Jahr 2001 und in den folgenden Jahren zu einem Drittel steuerfrei zu belassen. In seiner Entscheidung 2007/15/0026 vom habe der VwGH ausgeführt, dass es sich bei einer Auszahlung als Einmalzahlung, die auf Grund eines Wahlrechts anstatt einer Rentenzahlung bezogen werden kann, nicht um eine Abfindung des Pensionsanspruches im Sinne des § 124b Z 53 EStG, sondern um einen davon getrennten, eigenständigen Anspruch handle und daher die Drittelbegünstigung nicht zur Anwendung komme. Diese Rechtsansicht sei durch den VwGH im Erkenntnis 2009/15/0188 vom bestätigt.
Diesem Erkenntnis zufolge liege keine "Abfindung" vor, wenn bei einer sogenannten obligatio alternativa (Wahlschuld iSd § 906 ABGB) dem Gläubiger das Wahlrecht eingeräumt sei und er seine freie Wahl zwischen mehreren gleichwertigen (primären, aber alternativen) Ansprüchen treffe.
Gemäß Art 37 Abs 1 des Schweizer Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) seien die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenleistungen in der Regel als Rente ausgerichtet. Gemäß Art 30c BVG könne der Versicherte bis drei Jahre vor Entstehung des Anspruchs auf Altersleistungen von seiner Vorsorgeeinrichtung einen Betrag für Wohneigentum zum eigenen Bedarf geltend machen. Die gegenständliche Auszahlung sei auf Grund eines unter Bezugnahme auf diese Bestimmung und Art 331e des Schweizer Obligationenrechts (OR) gestellten Antrags erfolgt.
Gemäß Art 1 und 2 des Schweizer Bundesgesetzes über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (Freizügigkeitsgesetz, FZG) werde im Rahmen der beruflichen Vorsorge zwischen dem Vorsorgefall und dem Freizügigkeitsfall unterschieden. Während im Vorsorgefall eine Vorsorgeeinrichtung des privaten oder öffentlichen Rechts aufgrund ihrer Vorschriften (Reglement) bei Erreichen der Altersgrenze, bei Tod oder bei Invalidität einen Anspruch auf Leistungen gewährt, trete ein Freizügigkeitsfall dann ein, wenn Versicherte die Vorsorgeeinrichtung verlassen, bevor ein Vorsorgefall eintritt, und aus diesem Anlass einen Anspruch auf eine Austrittsleistung haben.
Treten Versicherte in eine neue Vorsorgeeinrichtung ein, so habe die frühere Vorsorgeeinrichtung die Austrittsleistung an die neue zu überweisen (Anm.: dieser Fall tritt regelmäßig bei einem Arbeitgeberwechsel ein), während Versicherte, die nicht in eine neue Vorsorgeeinrichtung eintreten würden, ihrer Vorsorgeeinrichtung mitzuteilen hätten, in welcher zulässigen Form sie den Vorsorgeschutz erhalten wollen (Art 3 und 4 FZG). Aufgrund Art 26 FZG ergingen die näheren Durchführungsbestimmungen im Wege der Verordnung über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (Freizügigkeitsverordnung, FZV).
Gemäß Art 10 FZV werde der Vorsorgeschutz durch eine Freizügigkeitspolice oder durch ein Freizügigkeitskonto erhalten. Freizügigkeitspolicen im Sinne dieser Bestimmung seien besondere, ausschließlich und unwiderruflich der Vorsorge dienende Kapital- und Rentenversicherungen, einschließlich allfälliger Zusatzversicherungen für den Todes- und Invaliditätsfall bei einer Versicherungseinrichtung.
Der Beschwerdeführer habe aufgrund der genannten gesetzlichen Regelungen aus Anlass des Austritts aus der Vorsorgeeinrichtung (Pensionskasse), welcher im Jahr 2009 stattfand (eine Austrittsabrechnung per liege dem Finanzamt vor) das Wahlrecht, den Vorsorgeschutz durch Übertragung des Pensionskassenguthabens auf ein Freizügigkeitskonto oder auf eine Freizügigkeitspolice zu erhalten, welche für den Fall der späteren Freizügigkeitsleistung mit einer Kapitalauszahlung oder einer möglichen Auszahlung in Rentenform verbunden sei.
Anstelle der Aufrechterhaltung des Vorsorgeschutzes im Wege einer Freizügigkeitspolice (bei einer Versicherung) sei die Überweisung des Pensionskassenguthabens auf ein Freizügigkeitskonto (bei einer Bankstiftung) veranlasst worden. Aus dem vorliegenden Antrag auf Eröffnung eines Freizügigkeitskontos vom sei ersichtlich, dass der Beschwerdeführer die Übertragung der Austrittsleistung auf ein Freizügigkeitskonto beantragt habe.
Im Hinblick auf die dem Beschwerdeführer zustehende Wahlmöglichkeit, den Vorsorgeschutz auf eine Weise aufrechtzuerhalten, dass eine spätere Auszahlung der Leistungen in Rentenform erfolge, könne die begünstigende Bestimmung des § 124b Z 53 EStG unter Berücksichtigung der genannten Rechtsprechung nicht zur Anwendung kommen.
Im Übrigen handle es sich bei den in § 124 b Z 53 EStG angeführten Zahlungen für Pensionsabfindungen um solche von einer Pensionskasse, während im gegenständlichen Fall die Überweisung der Freizügigkeitsleistung von einer dritten, von der Pensionskasse unterschiedlichen Einrichtung, nämlich der ***2*** Freizügigkeitsstiftung, erfolgte.
§ 124b Z 53 EStG sei somit tatbestandsmäßig enger gefasst als § 25 Abs 1 Z 2 lit b EStG, aufgrund dessen lediglich Bezüge und Vorteile aus ausländischen Pensionskassen als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit der Steuerpflicht unterliegen, während die erstgenannte Bestimmung zusätzlich voraussetze, dass die erhaltene Zahlung von einer Pensionskasse geleistet werde. Der durch die Übertragung auf das Freizügigkeitskonto bewirkte Schuldnerwechsel hätte demgemäß zur Folge, dass die von einem Dritten erwirkte Zahlung bei wörtlicher Auslegung des Gesetzes der Anwendung des § 124b Z 53 EStG entgegenstehen würde.
Im Hinblick auf das Schreiben des damaligen Finanzministers Karl-Heinz Grasser vom , in welchem dem Beschwerdeführer die Neuregelung der Besteuerung von Pensionsabfindungen, ohne Einschränkung auf Fälle, bei denen kein Wahlrecht zwischen Einmalzahlung und Rente vorliegt, mitgeteilt wurde, ergebe sich, dass jedenfalls mittlerweile das BMF aufgrund der eingangs angeführten VwGH-Rechtsprechung das Bestehen eines solchen Wahlrechtes als schädlich für die Anwendbarkeit des § 124b Z 52 EStG ansehe.
Am brachte der Beschwerdeführer via FON einen Vorlageantrag betreffend Einkommensteuer 2015 bei der belangten Behörde ein. Begründend verwies er darin auf die bereits in der Bescheidbeschwerde vorgebrachte Begründung.
Mit Schriftsatz seines steuerlichen Vertreters vom zog der Beschwerdeführer den Antrag auf Entscheidung durch den ganzen Senat (§ 272 Abs 2 Z 1 BAO) zurück. Der Antrag auf mündliche Verhandlung wurde aufrechterhalten.
In der am abgehaltenen mündlichen Verhandlung erläuterten die Parteien des finanzgerichtlichen Verfahrens ihre Standpunkte; diesbezüglich wird auf die entsprechende Verhandlungsniederschrift verwiesen. Soweit die Ausführungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung ausschlaggebendes Gewicht für die getroffene Entscheidung haben und über die in der Folge dargelegten Standpunkte in rechtlicher oder sachverhaltsmäßiger Hinsicht hinausgehen, finden sie Eingang in die nachfolgenden Überlegungen.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Das Bundesfinanzgericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt:
Der Beschwerdeführer war bis zum Grenzgänger nach Liechtenstein. Sein damaliger Arbeitgeber war die ***3***. Ab ging der Beschwerdeführer im Inland einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nach.
Im Zuge der Beendigung seiner Grenzgängertätigkeit - der Beschwerdeführer war damals 39 Jahre alt - hat er seinen Austritt aus der Versorgungseinrichtung seines damaligen Arbeitgebers der PVST (Personalvorsorgestiftung) der ***3*** (Pensionskasse) erklärt.
In diesem Zuge beantragte der Beschwerdeführer die Überweisung des angesparten Guthabens auf ein Freizügigkeitskonto, welches basierend auf dem Antrag vom bei der ***2*** eröffnet wurde. Am beantragte der Beschwerdeführer bei der ***2*** einen Vorbezug für Wohnungseigentum seines auf dem Freizügigkeitskonto angesparten Kapitals. Die ***2*** führte die Auszahlung des Vorsorgeguthabens noch im Jahr 2015 durch.
Gesetzliche Grundlage für die berufliche Vorsorge in Liechtenstein stellt das Landesgesetz über die betriebliche Personalvorsorge (kurz BPVG) vom 20. Oktober dar.
Nach Art. 8 Abs. 1 BPVG in der im Streitjahr geltenden Fassung beträgt das Rentenalter nach der staatlichen Alters- und Hinterlassenenversicherung 64 Jahre für Frauen und Männer.
Gemäß Abs. 2 leg. cit. ist ein Vorbezug von ein bis vier Jahren hinsichtlich der ganzen oder halben Rente für Personen, die nach dem Gesetz über die AHV Anspruch auf eine Altersrente haben, möglich.
Altersleistungen werden idR als lebenslängliche oder temporäre Renten ausgerichtet. Das Reglement der Vorsorgeeinrichtung kann vorsehen, dass die anspruchsberechtigte Person anstelle einer Altersrente eine Kapitalabfindung verlangen kann, die mindestens 90% des versicherungstechnischen Barwertes der abzulösenden Rente betragen muss (Art. 9 BPVG).
Nach Art. 3 Abs. 1 BPVG ist jeder Arbeitgeber in Liechtenstein verpflichtet, für seine Arbeitnehmer die betriebliche Vorsorge zu verwirklichen, sofern er versicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftigt. Nicht beitragspflichtig sind ua. Arbeitnehmer, die bereits für eine hauptberufliche Erwerbstätigkeit obligatorisch versichert sind oder im Hauptberuf eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben; weiters auch Arbeitnehmer von juristischen Personen, die daran maßgebend beteiligt sind und Arbeitgeberfunktionen ausüben (Art. 3 Abs. 3 lit. b und c BPVG).
Nach Art. 2 der Verordnung vom zum Gesetz über die betriebliche Personalvorsorge (BPVV) liegt eine solche maßgebende Beteiligung eines Arbeitnehmers an einer juristischen Person auch im Falle einer Minderheitsbeteiligung vor, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Beteiligung wesentlichen Einfluss auf die Geschäftsführung ausüben kann. Die Versicherungspflicht für die Altersleistungen beginnt gemäß Art. 4 Abs. 1 lit. c BPVG mit dem 1. Januar nach Vollendung des 23 Altersjahres, wenn das Arbeitsverhältnis unbefristet ist, und endet gemäß Art. 4 Abs. 4 BPVG ua., wenn das Arbeitsverhältnis aufgelöst wird. Scheidet ein Arbeitnehmer aus einem anderen Grunde als wegen Alter, Invalidität oder Tod aus der Vorsorgeeinrichtung aus, so hat diese gemäß Art. 11 Abs. 1 BPVG eine Freizügigkeitsleistung zu erbringen (Freizügigkeitsfall).
Nach Art. 12 Abs. 1 BPVG ist die Freizügigkeitsleistung weiterhin für die Vorsorge des aus der Versicherung ausscheidenden Arbeitnehmers zu verwenden; zu diesem Zweck wird sie an die Vorsorgeeinrichtung seines neuen Arbeitgebers überwiesen. Falls sich dies nicht durchführen lässt, ist sie gemäß Abs. 2 leg. cit. als Einlage für eine prämienfreie Freizügigkeitspolice bei einem in Liechtenstein zugelassenen Versicherungsunternehmen einzuzahlen oder auf ein für Versorgungszwecke gesperrtes Konto bei einer liechtensteinischen Bank einzulegen.
Die Freizügigkeitsleistung wird bar ausbezahlt, wenn diese weniger als einen Jahresbeitrag des Versicherten beträgt (Abs. 3 leg. cit.). Außerdem wird die Freizügigkeitsleistung gemäß Art. 12 Abs. 4 BPVG auf Verlangen des Arbeitnehmers bar ausbezahlt, falls er:
a) den Wirtschaftsraum Liechtenstein - Schweiz endgültig verlässt oder eine selbständige Erwerbstätigkeit aufnimmt; und
b) nicht nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats des Europäischen Wirtschaftsraumes für die Risiken Alter, Tod und Invalidität weiterhin obligatorisch in der Rentenversicherung versichert ist.
Eine (auch nur teilweise) Auszahlung der Freizügigkeitsleistung um Wohnraum zu schafften ist im BPVG nicht vorgesehen.
Die Möglichkeit eines Vorbezuges wegen Wohnungseigentumsförderung sieht das Vorsrogereglement der Personalvorsorgestiftung der ***3*** für Versicherte, die der AHV Liechtenstein unterliegen in Art 26 nicht vor. Art 26 des Regelement lautet wie folgt:
Art. 26 Vorbezug, Verpfändung (Wohneigentumsförderung) 2 *
1. Der Versicherte kann, sofern er arbeitsvertraglich der Eidgenössischen AHV untersteht, bis spätestens 3 Jahre vor dem Erreichen des Rücktrittsalters AHV resp. des Schlussalters einen Betrag für Wohneigentum zum eigenen Bedarf (nicht aber für Ferien- oder
Zweitwohnungen) geltend machen. Er kann auch für denselben Zweck diesen Betrag oder seinen Anspruch auf Vorsorgeleistungen verpfänden.
2. Der Versicherte darf dafür bis zum 50. Altersjahr einen Betrag bis zur Höhe seiner Freizügigkeitsleistung beziehen oder verpfänden. Der Versicherte, der das 50. Altersjahr überschritten hat, darf höchstens die Freizügigkeitsleistung, auf die er im 50. Altersjahr Anspruch gehabt hätte oder die Hälfte der Freizügigkeitsleistung im Zeitpunkt des Bezuges in Anspruch nehmen. Wurden in den letzten 3 Jahren vor dem Rücktrittsalter AHV
resp. dem Schlussalter Einkaufssummen geleistet, dürfen die daraus resultierenden Leistungen nicht in Kapitalform vorbezogen werden.
3. Der Versicherte kann Auskunft verlangen über den Betrag, der ihm für Wohneigentum zur
Verfügung steht und die Altersleistungskürzung, die mit einem solchen Bezug verbunden ist. Die Pensionskasse wird ihn dabei auch auf die Möglichkeiten zur Deckung der entstehenden Versicherungslücken und der Steuerpflicht aufmerksam machen.
4. Macht ein Versicherter vom Vorbezug oder der Verpfändung Gebrauch, so hat er die Ver-tragsdokumente über Erwerb oder Erstellung von Wohneigentum oder Amortisation von Hypothekardarlehen, das Reglement bzw. den Miet- oder Darlehensvertrag bei Erwerb von Anteilscheinen mit dem betreffenden Wohnbauträger und die entsprechenden Urkunden bei ähnlichen Beteiligungen einzureichen. Bei einem Vorbezug bedarf es bei verheirateten Versicherten zusätzlich der amtlich beglaubigten Unterschrift des Ehepartners.
2Nur für Versicherte, deren AHV-pflichtiger Lohn über die Eidgenössische AHV abgerechnet wird. Versicherte, deren Lohn über die Liechtensteinische AHV abgerechnet wird, können keinen Vorbezug tätigen resp. Verpfändung vornehmen. Sie sind dem BPVG unterstellt, das keinen Vorbezug oder Verpfändung für Wohneigentum vorsieht.
Der Vorbezug für Wohnraumschaffung ist von der ***2*** (irrtümlich) rechtwidrig auf Grundlage des Antrages des Beschwerdeführers vom zur Auszahlung gelangt.
Der vorliegende Sachverhalt ist unstrittig.
2. Beweiswürdigung
Die Feststellungen in Bezug auf die Beendigung der Grenzgängertätigkeit des Beschwerdeführers zum Stichtag leitet das Bundesfinanzgericht aus der Einsicht in den bei der belangten Behörde aufliegenden elektronischen Akt ab. Weiters aufgrund der Austrittsabrechnung der Pensionskasse der ***3*** samt Austrittsabrechnung vom .
Die Aufnahme einer unselbständigen Beschäftigung im Inland erschließt sich dem Bundesfinanzgericht aus einer Abfrage des bei der belangten Behörde geführten elektronischen Aktes des Beschwerdeführers und dem daraus ersichtlichen Lohnzettel des inländischen Arbeitgebers.
Die Eröffnung eines Freizügigkeitskontos bei der ***2*** leitet sich für das Bundesfinanzgericht aus vorliegendem Antrag auf Eröffnung eines Freizügigkeitskontos vom und dem in diesem Zusammenhang ausgestellten Freizügigkeitsausweis ab. Die Feststellungen betreffend die Auszahlung von CHF 75.779,85 leitet das Bundesfinanzgericht von den vorliegenden Bestätigungen der ***2*** vom und ab.
Die Feststellungen in Bezug auf das Gesetz über die betriebliche Personalvorsorge in Liechtenstein vom leitet das Bundesfinanzgericht aus dem Liechtensteinischen Landesgesetzblatt Nummer 12 vom ab.
Die Feststellungen bezüglich des Vorbezuges für Wohnraumschaffung der Personalvorsorgestiftung der ***3*** leitet das Bundesfinanzgericht aus Art 26 des Vorsorgereglements (Stand ) ab.
Die Feststellungen in Bezug auf die (irrtümliche) rechtswidrige Auszahlung des Vorbezuges für Wohnraumschaffung stützt das Bundesfinanzgericht auf den vorliegenden Antrag vom , welchen der Beschwerdeführer und seine Ehegattin unterfertigt haben und in welchem eine Auszahlung im maximal möglichen Rahmen von dem bei der ***2*** geführten Freizügigkeitskonto des Beschwerdeführers beantragt wurde.
Das Bundesfinanzgericht hegt keine Zweifel an der Echtheit und Glaubwürdigkeit der vorliegenden Beweismittel.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Der in Bezug auf den vorliegenden Sachverhalt maßgebliche § 124b Z 53 EStG lautet wie folgt:
Zahlungen für Pensionsabfindungen, deren Barwert den Betrag im Sinne des § 1 Abs. 2 Z 1 des Pensionskassengesetzes übersteigt, sind gemäß § 67 Abs. 10 im Kalendermonat der Zahlung zu erfassen. Dabei ist bei Pensionsabfindungen, die im Jahre 2001 zufließen, nach Abzug der darauf entfallenden Beiträge im Sinne des § 62 Z 3, 4 und 5 ein Viertel steuerfrei zu belassen. Zahlungen für Pensionsabfindungen von Pensionskassen auf Grund gesetzlicher oder statutenmäßiger Regelungen sind nach Abzug der darauf entfallenden Pflichtbeiträge ab dem Jahr 2001 und in den folgenden Jahren zu einem Drittel steuerfrei zu belassen.
Mit BGBl I Nr. 54/2002 wurde in § 124b Z 53 EStG 1988 ein Satz (dritter Satz) angefügt und dadurch normiert, dass Pensionsabfindungen von Pensionskassen auf Grund gesetzlicher oder statutenmäßiger Regelungen ab dem Jahr 2001 zu einem Drittel steuerfrei sind.
Den ErlRV, 927 BlgNR 21. GP, zufolge wird mit dieser Regelung darauf abgestellt, dass (insbesondere bei ausländischen Pensionskassen im Hinblick auf die dortige gesetzliche Situation) den Anspruchsberechtigten keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung eingeräumt ist. In einer solchen Situation wäre es "unbillig", Pensionsabfindungen in diesen Fällen zur Gänze tarifmäßig zu versteuern.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in der Vergangenheit bereits mehrfach ausführlich mit der Frage der Besteuerung von Pensionsabfindungen beschäftigt. Dabei hat er stets ausgesprochen, dass eine Abfindung eines Anspruches auf rentenmäßige Zahlung nicht vorliegt, wenn dem Anwartschaftsberechtigten das freie Wahlrecht (obligatio alternativa) zwischen der Rente einerseits und dem Rentenbarwert (als Kapitalanspruch) andererseits eingeräumt ist [vgl. , und ]. Eine Pensionsabfindung setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Abgeltung eines auf Renten lautenden, bereits entstandenen Anspruches voraus (vgl hierzu ).
Zweck des § 124b Z 53 EStG 1988 ist es, eine tarifmäßige Besteuerung von Pensionsabfindungen zu vermeiden, wenn keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme dieser Abfindung besteht (vgl. ). Wie der Verwaltungsgerichtshof mehrfach ausgeführt hat, setzt § 124b Z 53 EStG 1988 voraus, dass (insbesondere bei ausländischen Pensionskassen im Hinblick auf die dortige gesetzliche Situation) den Anspruchsberechtigten keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung eingeräumt ist (vgl. , mit weiteren Nachweisen) ().
Vor dem Hintergrund dieser Sach- und Rechtlage, war der gegenständliche Beschwerdefall wie folgt zu beurteilen:
Der Beschwerdeführer war im Zeitpunkt der Beendigung seines Dienstverhältnisses zur ***3*** und dem Verlassen des liechtensteinischen Wirtschaftsraumes 39 Jahre alt.
Durch die Beendigung des Dienstverhältnisses zu seinem damaligen Liechtensteiner Arbeitgeber, endete auch das bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Vorsorgeverhältnis mit der Pensionskasse seines bisherigen Arbeitgebers in Liechtenstein. Der Beschwerdeführer hat aus diesem Grunde die Vorsorgeeinrichtung (Pensionskasse) verlassen, noch bevor der Vorsorgefall eingetreten war.
Die Vorsorgeeinrichtung hatte folglich die Freizügigkeitsleistung zu erbringen und das bis dato angesparte Vorsorgekapital auf das vom Beschwerdeführer namhaft gemachte Freizügigkeitskonto bei der ***2*** zur Einzahlung zu bringen.
Der Beschwerdeführer hat sich in weiterer Folge im Jahre 2015 dazu entschieden zu beantragen, den Betrag von € 73.383,43 als Vorbezug von seinem Freizügigkeitskonto auszahlen zu lassen und diesen für Wohnraumschaffung zu verwenden. Die Auszahlung des beantragten Betrages vom Freizügigkeitskonto des Beschwerdeführers bei der ***2*** ist (irrtümlich) rechtswidrig erfolgt.
Ein Vorbezug für Wohnraumschaffung stellt den obigen Ausführungen des VwGH folgend keine Pensionsabfindung im Sinne des § 124b Z 53 EStG dar, welche in weiterer Folge zu einer begünstigten Besteuerung führt. Das bedeutet, dass die notwendigen Voraussetzungen für die Anwendung des § 124b Z 53 EStG nicht vorliegen.
Nur für den Fall, dass die Voraussetzungen für eine Pensionsabfindung im Sinne des § 67 EStG iVm dem § 124b Z 53 EStG vorgelegen hätten, wäre in einem nächsten Schritt zu prüfen gewesen, ob dem Beschwerdeführer eine Wahlmöglichkeit (obligatio alternativa) zwischen Einmalzahlung auf der einen Seite und Rentenbezug auf der anderen Seite eingeräumt war.
Diesbezüglich gibt das Bundesfinanzgericht zu bedenken, dass der Beschwerdeführer in der Wahl der Finanzierung seines privaten Wohnbedürfnisses gänzlich frei entscheiden konnte.
Durch die Antragstellung auf Auszahlung eines Teilbetrages, des auf dem Freizügigkeitskonto befindlichen Kapitals, hat der Beschwerdeführer ein Wahlrecht - eine obligatio alternativa - aktiv ausgeübt und wäre somit - hätte im beschwerdegegenständlichen Fall eine Pensionsabfindung vorgelegen - für die Anwendung des § 124b Z 53 EStG ebenso kein Raum mehr bestanden.
ad Schreiben des Finanzministers Karl Heinz Grasser vom :
In Bezug auf den Grundsatz von Treu und Glauben wird auf die äußerst detaillierten Ausführungen des Erkenntnis des BFG (RV/1100531/2017) verwiesen. Darin wird im Wesentlichen wie folgt zum Ausdruck gebracht:
"Der VwGH schützt kein Vertrauen in die Richtigkeit von Erlässen des BMF (; , 95/14/0035; , 94/13/0045; , 99/15/0119; , 2007/15/0253), sondern nur von Auskünften im Einzelfall. Solche Auskünfte müssen von der für die Abgabenangelegenheit zuständigen Abgabenbehörde erteilt worden sein (zB ; , 2000/15/0196); Treu und Glauben kann nur die Behörde "binden", die die entsprechenden Auskünfte erteilt hat (zB ; , 93/13/0295). Daher besteht nach der Judikatur kein Schutz von Treu und Glauben, wenn für die Abgabenfestsetzung ein Finanzamt zuständig ist und die Rechtsauskunft vom BMF erteilt wurde (vgl ).
Eine allgemein verbindliche Erklärung, in welchem Sinn ein Gesetz zu verstehen ist (authentische Interpretation), kann nach § 8 ABGB nur durch den Gesetzgeber, uzw in Form eines kundgemachten Gesetzes vorgenommen werden (hM, zuletzt 1 Ob 222/05m. Der Brief von Bundesminister Grasser an alle Grenzgänger ist daher keine authentische Interpretation sondern ein Wahlwerbungsschreiben. Selbst wenn der Brief von Bundesminister Grasser als eine Auskunft in einem Einzelfall zu werten wäre, wäre für die Beschwerdeführerin nichts zu gewinnen, da für die Abgabenfestsetzung das Finanzamt und nicht der BMF zuständig ist und daher keine Auskunft der zuständigen Behörde vorliegt ()."
Selbst wenn man das Schreiben von Finanzminister Karl Heinz Grasser als Erlass werten würde, wäre für die Rechtsposition des Beschwerdeführers nichts gewonnen, da der VwGH kein Vertrauen in die Richtigkeit von Erlässen des BMF (; , 95/14/0035; , 94/13/0045; , 99/15/0119; , 2007/15/0253), sondern nur von Auskünften im Einzelfall, schützt.
Der Grundsatz von Treu und Glauben steht daher der Anwendung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2007/15/0026 nicht entgegen.
Der gegenständlichen Beschwerde blieb der Erfolg somit gänzlich versagt.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Anwendungsvoraussetzungen des § 124b Z 53 EStG mittlerweile in ständiger Rechtsprechung gelöst. Die vorliegende Entscheidung steht im Einklang mit der ständigen Judikatur des BFG (vgl hierzu etwa RV/1100577/2016) als auch der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl hierzu etwa Ra 2019/15/0047-6, Ra 2016/15/0025, Ra 2021/15/0060 und Ra 2018/15/0086). Eine ordentliche Revision ist somit nicht zulässig.
Feldkirch, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 124b Z 53 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.1100057.2017 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at