Außergewöhnliche Belastung: Feststellung des Grades der Behinderung durch Gutachten des Sozialministeriumservice
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Einkommensteuer 2019, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (Bf.) erzielte im streitgegenständlichen Jahr 2019 Einkünfte aus selbständiger sowie aus nichtselbständiger Arbeit.
In seiner am beim ***FA*** elektronisch eingelangten Einkommensteuererklärung für 2019 machte er an außergewöhnlichen Belastungen mit Selbstbehalt für sich einen Betrag von 433,84 € (Krankheitskosten) und für seinen am ***Datum1*** geborenen Sohn ***C*** einen Betrag von 4.841,82 € geltend. Weiters beantragte der Bf. für seinen Sohn die Gewährung des monatlichen Pauschbetrages von 262,00 € gemäß § 5 Abs. 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1996 idF BGBl. II Nr. 430/2010 (im Folgenden kurz: VO); den Grad der Behinderung seines Sohnes gab er mit 50% an.
Am erließ das ***FA*** den Bezug habenden Einkommensteuerbescheid für 2019, mit dem es die Aufwendungen für außergewöhnlichen Belastungen, von denen ein Selbstbehalt (§ 34 Abs. 4 EStG 1988) abzuziehen ist, nicht berücksichtigte, da sie den im gegenständlichen Fall anzuwendenden Selbstbehalt von 13.922,47 € nicht überstiegen. Der monatliche Pauschbetrag von 262,00 € gemäß § 5 Abs. 1 der VO wurde von der Abgabenbehörde ebenfalls nicht gewährt; begründend führte sie dazu Folgendes aus:
"Vom Sozialministerium liegt kein Bescheid für die 50% Behinderung Ihres Sohnes […] vor, daher konnte der Freibetrag nicht gewährt werden."
Gegen den angeführten Einkommensteuerbescheid für 2019 erhob der Bf. am Beschwerde, in der er ausführte, diesen Bescheid aus folgendem Grund zu beeinspruchen:
Gemäß beiliegendem Schreiben des Sozialministeriumservice vom sei bei seinem Sohn ***C*** der Grad der Behinderung mit 50% festgestellt worden. Demnach stünden auch rückwirkend die erhöhte Familienbeihilfe und der monatliche Pauschbetrag von 262,00 € zu. Lt. Auskunft des Sozialministeriumservice sei dem Finanzamt das Gutachten zugestellt worden.
Der Bf. beantrage daher die erhöhte Familienbeihilfe für den Zeitraum November 2019 bis März 2021 (das Formular liege bei). Seine bisherigen Anträge in FinanzOnline seien nicht bearbeitet worden. Die Behinderung seines Sohnes bestehe seit Geburt.
Der Bf. beantrage, den Pauschbetrag von 262,00 € monatlich im Einkommensteuerbescheid für 2019 zu berücksichtigen.
Der Beschwerde waren ua. beigeschlossen:
- Ein Schreiben des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice), BASB Landesstelle ***Q***, vom ("Betrifft: Parteiengehör gem. § 45 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes - Ausstellung eines Behindertenpasses"), wonach gemäß ärztlichem Sachverständigengutachten der Grad der Behinderung des ***C*** mit 50% festgestellt wird (S 16/Rückseite, S 17 BFG-Akt).
- Ein vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice), BASB Landesstelle ***Q***, erstelltes "Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010)", "Rechtsgebiet: BBG", "Verfahren: Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses", vom , wonach der Gesamtgrad der Behinderung des Sohnes des Bf. 50% beträgt (S 17/Rückseite ff BFG-Akt).
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das ***FA*** die Beschwerde des Bf. vom als unbegründet ab, wobei es begründend dazu Folgendes ausführte:
"Für den Zeitraum - wurde Ihr Antrag abgewiesen, da die erforderliche 50%-ige Behinderung erst ab 07/2020 vorliegt."
In seinem dagegen erhobenen Vorlageantrag vom führte der Bf. aus, das Finanzamt verweise auf ein Gutachten, demnach sein Sohn ***C*** eine Behinderung erst ab Juli 2020 aufweise. Dieses Gutachten sei dem Bf. nicht zugestellt worden. Er lege Beschwerde gegen dieses Gutachten ein, da ihm ein klinisch-psychologischer Befund des [...] auf frühkindlichen Autismus, welcher seit Geburt bestehe, vorliege. Dieser Befund sei auch im Rahmen der ärztlichen Untersuchung seines Sohnes beim Sozialministeriumservice übergeben worden.
Am wurde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt. Im Bezug habenden Vorlagebericht führte die belangte Behörde aus, lt. den elektronisch übermittelten Metadaten des am und am durchgeführten ärztlichen Sachverständigengutachtens sei ein Grad der Behinderung von 50% des Sohnes des Bf. ab vorgelegen. Der Antrag des Bf. sei abzuweisen gewesen.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss dabei außergewöhnlich sein (Abs. 2), sie muss zwangsläufig erwachsen (Abs. 3) und sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4). Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein.
Nach § 35 Abs. 2 EStG 1988 sind die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Zuständig ist im Regelfall das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (außer in den Fällen einer Opferbescheinigung und bei Berufskrankheiten).
§ 5 Abs. 1 der zu den §§ 34 und 35 EStG 1988 ergangenen - eingangs zitierten - VO bestimmt:
"Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für unterhaltsberechtigte Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, sind ohne Nachweis der tatsächlichen Kosten mit monatlich 262 Euro vermindert um die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) zu berücksichtigen."
Bei der Lösung der hier vorliegenden Streitfrage, ob die 50%-ige Behinderung des Sohnes des Bf., ***C***, ab Juli 2020 (so die belangte Behörde) oder bereits seit dessen Geburt vorgelegen ist (so der Bf.), geht das Bundesfinanzgericht von folgendem festgestellten Sachverhalt aus:
Im gegenständlichen Fall liegen vier Bezug habende Sachverständigengutachten vor:
1) Ein vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice), BASB Landesstelle ***Q***, erstelltes "Sachverständigengutachten (mit Untersuchung) nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010)", "Rechtsgebiet: FLAG", "Verfahren: Familienlastenausgleichsgesetz", vom , wonach der Gesamtgrad der Behinderung des Sohnes des Bf. 50%, und zwar rückwirkend seit März 2021, beträgt. In diesem Gutachten wird auch auf den vom Bf. in dessen Vorlageantrag vom angeführten, klinisch-psychologischen Befund des ***1*** Bezug genommen (S 33 ff BFG-Akt).
2) Ein vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice), BASB Landesstelle ***Q***, erstelltes "Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010)", "Rechtsgebiet: BBG", "Verfahren: Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses", vom , wonach der Gesamtgrad der Behinderung des Sohnes des Bf. 50% beträgt (S 17/Rückseite ff BFG-Akt; zu diesem Gutachten siehe bereits oben in der Darstellung des Verfahrensgangs in diesem Erkenntnis).
3) Ein vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice), BASB Landesstelle ***Q***, erstelltes "Sachverständigengutachten (mit Untersuchung) nach der Ein-schätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010)", "Rechtsgebiet: FLAG", "Verfahren: Familien-lastenausgleichsgesetz", vom , wonach der Gesamtgrad der Behinderung des Sohnes des Bf. 50%, und zwar rückwirkend seit Juli 2020, beträgt. Aus diesem Gutachten (in dem wiederum auch auf den klinisch-psychologischen Befund des ***1*** Bezug genommen wird) geht hervor, dass nach dem Vorgutachten vom (siehe oben Punkt 1)) die rückwirkende Anerkennung des Grades der Behinderung des Sohnes des Bf. ab November 2019 beantragt worden war. Die ärztliche Sachverständige kam zu dem Schluss, dass der Gesamtgrad der Behinderung mit 50% unverändert zum Vorgutachten bleibt; "aufgrund der vorliegenden Befunde ist die rückwirkende Anerkennung des GdB ab 7/2020 (lt. VGA kinderfachärztliche Begutachtung wegen Sprachentwicklungsverzögerung) möglich" (S 37 f BFG-Akt).
4) Ein vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice), BASB Landesstelle ***Q***, erstelltes "Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage nach der Ein-schätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010)", "Rechtsgebiet: FLAG", "Verfahren: Familien-lastenausgleichsgesetz", vom , wonach der Gesamtgrad der Behinderung des Sohnes des Bf. 50%, und zwar rückwirkend seit Juli 2020, beträgt. In diesem Gutachten (S 40 f BFG-Akt) wird ua. ausgeführt:
"Stellungnahme zu Vorgutachten:
Entsprechend dem Vorgutachten vom 12/2022 [Anm.: gemeint ist das Sachverständigengutachten vom (siehe oben Punkt 3)] besteht bei ***C*** ein frühkindlicher Autismus - kinderfachärztlich erstdiagnostiziert im Juli 2020 wegen einer Sprachentwicklungsverzögerung. Der Gesamtgrad des Vorgutachtens als auch die rückwirkende Anerkennung wird ab Juli 2020 aufgrund der vorliegenden relevanten Befunde übernommen, da der Bub erst seit 11/2019 mit seiner Mutter in Österreich lebt und die Sprachentwicklung vorher nicht validiert wurde, auch ist der Wechsel einer anderen Sprache mit zu kalkulieren."
Rechtlich folgt daraus:
Für behinderte Kinder mit erhöhter Familienbeihilfe gilt, dass Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für unterhaltsberechtigte Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, durch Gewährung eines (gegenüber dem Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 wesentlich höheren) Freibetrages gemäß § 5 der VO in Höhe von 262,00 € monatlich, vermindert um die Summe der pflegebedingten Geldleistungen, zu berücksichtigen sind (Wanke in Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke, EStG 16. EL, § 35 Anm. 13, mit Judikaturverweis).
Aus dem Verweis des § 5 Abs. 1 der VO auf § 8 Abs. 4 FLAG ergibt sich, dass für die Gewährung des monatlichen Pauschbetrages von 262,00 € eine erhebliche Behinderung (grundsätzlich mindestens 50%) des Kindes vorliegen muss. Die Feststellung, ob und in welchem Ausmaß eine Person behindert ist, ist nicht von der Abgabenbehörde, sondern bindend (-I/11) von einer anderen Stelle zu treffen (). Der Entscheidung der Abgabenbehörde sind die jeweils vorliegenden Daten zugrunde zu legen (Jakom/Peyerl EStG, 2022, § 35 Rz 11, mit Verweis auf ).
Zuständig ist im Regelfall das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, nunmehr kurz "Sozialministeriumservice" (vgl. Jakom/Peyerl, § 35 Rz 7). Der Grad der Behinderung wird durch ärztliche Sachverständige des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen festgestellt (Wanke in Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke, EStG 16. EL, § 35 Anm. 36). Rückwirkende Feststellungen des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit kann das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund entsprechender Befunde in besonderen Ausnahmefällen mit einem Gutachten feststellen (-I/11, mit Judikatur- und Literaturverweisen).
Daraus folgt für den gegenständlichen Fall, dass der zutreffenden Argumentation der belangten Behörde in ihrem Vorlagebericht vom , wonach gemäß den elektronisch übermittelten Daten der ärztlichen Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) vom und vom (siehe oben Punkte 3) und 4)) der 50%-ige Grad der Behinderung des Sohnes des Bf., ***C***, rückwirkend seit Juli 2020 vorlag, nicht entgegenzutreten ist. Diese in jenen Gutachten durch ärztliche Sachverständige getroffenen, Bezug habenden Feststellungen erweisen sich als vollständig (es wurde auch auf den vom Bf. angeführten, klinisch-psychologischen Befund des ***1*** Bezug genommen) und schlüssig; die rückwirkende Anerkennung des Grades der Behinderung von 50% ab Juli 2020 wird nachvollziehbar begründet (siehe dazu va. die oben im Wortlaut wiedergegebene, im Sachverständigengutachten vom enthaltene "Stellungnahme zu Vorgutachten").
Aufgrund des in den oa. Sachverständigengutachten festgestellten Vorliegens des 50%-igen Grades der Behinderung des Sohnes des Bf. rückwirkend seit Juli 2020 ist die Gewährung des monatlichen Pauschbetrages von 262,00 € gemäß § 5 Abs. 1 der VO bereits im Jahr 2019 rechtlich nicht zulässig, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.
Unzulässigkeit einer Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im gegenständlichen Beschwerdefall lag keine Rechtsfrage vor, der grundsätzliche Bedeutung zukam. Weder weicht das gegenständliche Erkenntnis von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Die (ordentliche) Revision ist daher nicht zulässig.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 5 Abs. 1 Außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1996 § 34 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 35 Abs. 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.7101061.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at