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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 16.05.2023, RV/2100038/2019

Keine Vorsteuererstattung aus Roaminggebühren für Drittlandsunternehmer

Beachte

Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2023/15/0082.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch BINDER GRÖSSWANG Rechtsanwälte GmbH, Sterngasse 13, 1010 Wien, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des ***FA*** vom betreffend Bescheide über die Erstattung von Vorsteuern für 1-12/2010, 1-12/2011, 1-12/2012 Steuernummer ***BF1StNr1***, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerden betreffend Bescheide über die Erstattung von Vorsteuern für 1-12/2010, 1-12/2011 und 1-12/2012 werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

1. Verfahrensgang / Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin (Bf.) ist ein Telekommunikationsunternehmen mit Sitz im Drittland (***1***).

In den beschwerdegegenständlichen Zeiträumen machte die Bf. Vorsteuern aus von österreichischen Unternehmen für Roaminggebühren in Rechnung gestellter Umsatzsteuer im Erstattungsverfahren gem. VO BGBl 279/1995 in der jeweils geltenden Fassung geltend, da die Bf. der Ansicht war, keine Umsätze in Österreich zu erzielen.

Das Finanzamt erstattete zunächst die beantragten Vorsteuerbeträge mit Bescheiden betreffend die gegenständlichen Zeiträume.

Mit Bescheiden vom nahm das Finanzamt diese Verfahren wieder auf und setzte die Erstattung mit neuen Sachbescheiden vom mit Null fest.

Der Umstand, dass im Zuge von Ermittlungen der Außenprüfung Rabattzahlungen für die Jahre 2011 und 2012 festgestellt wurden, die eine Verminderung der beantragten und gewährten Vorsteuern bewirkten, und die Feststellung, dass die Bf. in Österreich Umsätze zu erklären hat, rechtfertigten die Wiederaufnahmen für alle gegenständlichen Zeiträume (vgl. das abweisende Erkenntnis des zu den Beschwerden betreffend Wiederaufnahmen der Verfahren betreffend Erstattung von Vorsteuern für 1-12/2010, 1-12/2011 und 1-12/2012).

Die Bf. bestritt zunächst die grundsätzliche Veranlagungspflicht im Inland und beeinspruchte sämtliche Bescheide.

Die Beschwerden gegen die Wiederaufnahmen wurden inzwischen vom BFG abschlägig entschieden (betreffend Verfahrensgang und Sachverhalt wird ergänzend auf dieses Erkenntnis des verwiesen).

Ebenso ist in der Zwischenzeit ein Veranlagungsverfahren mit Schätzung der Umsätze der Bf. beim BFG anhängig geworden, in dem sämtliche der Bf. zustehenden Vorsteuerbeträge gewährt wurden, welches Verfahren noch offen ist.

Nach einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage brachte die steuerliche Vertretung der Bf. neue Schriftsätze ein, ua. auch einen Antrag auf Aussetzung des gegenständlichen Erstattungsverfahrens (Dieser Antrag wurde mit Beschluss vom abgewiesen).

Dass die Bf. aufgrund ihrer Leistungen dem Grunde nach Umsätze in Österreich erzielt, ist nach den Ergebnissen des Erörterungstermines und der mündlichen Verhandlung nicht mehr strittig.
Die Bf. wendet jedoch Verjährung ein bzw. dass aufgrund der unzureichend begründeten Wiederaufnahmebescheide die neuen Sachbescheide zu Unrecht ergangen seien.
In der mündlichen Verhandlung vom stellte die Bf. durch ihre Vertretung auch noch einen weiteren Aussetzungsantrag: "Es wird ein Antrag gemäß §271 BAO auf Aussetzung der Entscheidung für das gegenständliche Verfahren gestellt, bis eine Entscheidung über die Beschwerden gegen die Wiederaufnahmsbescheide für die beschwerdegegenständlichen Zeiträume erfolgt (Verfahren zu RV/2100044/2019), vor allem bis eine rechtskräftige Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren vorliegt. Sollte den Beschwerden im Wiederaufnahmeverfahren stattgegeben werden, müsste nach § 261 BAO eine Gegenstandsloserklärung der Beschwerden im gegenständlichen Verfahren erfolgen, weil in einem solchen Fall könnte ja von der mündlichen Verhandlung abgesehen werden."
Weiters wurde seitens der steuerlichen Vertretung der Bf. in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die angefochtenen Erstattungsbescheide rechtswidrig seien, da bei Vorliegen von Umsätzen lediglich ein Bescheid im Veranlagungsverfahren und nicht im Erstattungsverfahren ergehen hätte dürfen.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage und dem Parteivorbringen und ist unstrittig.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Die Steuerpflicht der gegenständlichen Ausgangsumsätze der Bf. ist aufgrund des zwischenzeitlich ergangenen zur Rechtssache "SK Telecom", C-593/19, und der ständigen Rechtsprechung des VwGH (die auch Revisionen der Bf. betraf) mittlerweile auch seitens der Bf. unstrittig.
Demnach verlagert sich die Umsatzsteuerpflicht für die Umsätze der Bf. nach Österreich und ist das Veranlagungsverfahren statt des Vorsteuererstattungsverfahrens bei der Bf. anzuwenden.

Eine Erstattung der Vorsteuern im Erstattungsverfahren ist nicht möglich.
(Vgl. dazu auch die gefestigte Rechtsprechung des ; , Ra 2019/15/0008; , Ra 2019/15/0010; , Ro 2016/15/0035; weiters die Erkenntnisse des ; , RV/2100402/2019; , RV/2100114/2020; , RV/2100386/2022).
Es ist höchstgerichtlich klargestellt, dass sich die entsprechenden Umsätze der Bf. nach der mit dem Unionsrecht in Einklang stehenden Verordnung BGBl II 383/2003 idF BGBl II 221/2009 in das Inland verlagern. Somit ist die Anwendung des Erstattungsverfahrens ausgeschlossen, weil die Bf. Umsätze im Inland erzielt hat.
Die neuen Sachbescheide (Erstattung mit Null) entsprechen der Rechtslage.

Zum Einwand der Verjährung:
Der Erstbescheid Vorsteuererstattung 1-12/2010 erging am . Der neue Sachbescheid nach Wiederaufnahme des Verfahrens (Erstattung der Vorsteuer mit Null) erging am .
Die Bf. bringt vor, dass ein Vorsteuererstattungsbescheid nicht die Verjährung hinsichtlich eines später erfolgenden (berichtigenden) Sachbescheides (nach Wiederaufnahme) unterbreche, da damit kein Abgabenanspruch geltend gemacht werde.

Für die Umsatzsteuer gilt die fünfjährige Verjährungsfrist nach § 207 Abs. 2 BAO (vgl. Fischerlehner in Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren I, BAO3 (2021) § 207 Rz 7 mwN).

Die Vorsteuer(erstattung) ist als Teil der Umsatzsteuer zu werten (als "vereinfachtes Verfahren"), daher gilt auch hier die fünfjährige Verjährungsfrist.
Im Erstattungsverfahren wird bei einer Stattgabe des Vorsteuererstattungsantrages und Festsetzung des Vorsteuererstattungsbetrages insofern über einen Anspruch auf Vorsteuer (entrichtete Umsatzsteuer) abgesprochen, auch wenn dieser aus Sicht der Abgabenbehörde als "negativer" Anspruch in Form einer Gewährung der Vorsteuern besteht. Dies ist vergleichbar mit einer Umsatzsteuervoranmeldung /festsetzung, wenn ausschließlich eine Vorsteuergutschrift besteht.

Nach § 208 Abs. 1 BAO beginnt die Verjährung mit Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist.

Der Anspruch auf die (Rückerstattung der zu Unrecht erstatteten) Vorsteuer 2010 ist bis Ende 2015 zulässig.

Gemäß § 209 Abs. 1 BAO verlängert sich die Verjährungsfrist jeweils um ein weiteres Jahr, wenn innerhalb der Verjährungsfrist (§ 207 BAO) nach außen erkennbare Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruchs von der Abgabenbehörde unternommen werden.
Aus der Zusammenschau der §§ 2, 3 und 4 BAO gilt auch die Festsetzung bzw. Rückforderung von Vorsteueransprüchen als Amtshandlungen zur Geltendmachung eines Abgabenanspruchs iSd § 209 BAO.

Der Erstbescheid für 2010 (mit Erstattung des gesamten beantragten Vorsteuerbetrages idHv € 72.927,62) erging am und ist als Verlängerungshandlung zu werten, führt damit also nach zulässiger Wiederaufnahme (auch) als nach außen hin erkennbare Amtshandlung zu einer Verlängerung der Verjährungsfrist und Zulässigkeit der Erlassung des angefochtenen neuen Sachbescheides vom .
Laut , ist sogar ein Nichtbescheid als wirksame Verlängerungshandlung iSd § 209 BAO zu werten, umso mehr muss ein rechtswirksam ergangener Vorsteuererstattungsbescheid als solche gelten.

Der Erstbescheid Vorsteuererstattung für 1-12/2011 mit Gewährung des gesamten Vorsteuerbetrages (ohne entsprechende Berücksichtigung der Rabatte), erging am (für 1-12/2012 am ), die neuen Sachbescheide (Erstattung der Vorsteuer mit Null) am .
Auch hier ist die fünfjährige Verjährungsfrist des § 207 iVm § 209 BAO nicht überschritten worden und sind die neuen Sachbescheide zulässig.

Die Verjährung steht den neuen Sachbescheiden somit nicht entgegen.

Zum Einwand, dass bei Vorliegen von Umsätzen lediglich ein Bescheid im Veranlagungsverfahren und nicht im Erstattungsverfahren ergehen hätte dürfen:
Nach Wiederaufnahme des Verfahrens wird der Erstbescheid aufgehoben, der über einen gestellten Vorsteuererstattungsantrag abgesprochen hat (bzw. nach der in § 85a BAO normierten Entscheidungspflicht absprechen musste).
Daher hat ein neuer Sachbescheid nach § 307 BAO zu ergehen, der das wiederaufgenommene Verfahren (= Erstattung der Vorsteuer) abschließt.
Ein neuer Sachbescheid, der die Erstattung der Vorsteuern mit Null festsetzt, ist ein solcher zulässiger und richtiger Sachbescheid.
Dadurch, dass erst in einem späteren Veranlagungsbescheid über die Umsätze (und dies unter voller Berücksichtigung der zustehenden Vorsteuern) abgesprochen wird, kann die Bf. nicht beschwert sein, wenn zuvor (über den nach Wiederaufnahme wieder unerledigten) Antrag auf Vorsteuererstattung zurecht abweisend (Nullbescheid) abgesprochen wird.

BESCHLUSS:
Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag gemäß § 271 BAO auf Aussetzung der Entscheidung für das gegenständliche Verfahren, bis eine Entscheidung über die Beschwerden gegen die Wiederaufnahmsbescheide für die beschwerdegegenständlichen Zeiträume erfolgt (Verfahren zu RV/2100044/2019), vor allem bis eine rechtskräftige Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren vorliegt, wird abgewiesen.
Über die Beschwerden zur Wiederaufnahme wurde bereits abweisend entschieden ().
Dass ein Rechtsmittel im Fall einer Abweisung eingebracht wird, wurde zwar seitens der steuerlichen Vertretung angekündigt, das Ergebnis dazu abzuwarten, ist aber weder rechtlich geboten noch in Ausübung des Ermessens sinnvoll. Es ist billig und zweckmäßig und verfahrensökonomisch geboten, die gegenständlichen Beschwerden unmittelbar nach Ergehen des Erkenntnisses zur Wiederaufnahme zu erledigen, weil ein das wiederaufgenommene Verfahren abschließender Bescheid zu erfolgen hat. Es bleibt der Bf. unbenommen, ohne Rechtsnachteil auch gegen das Erkenntnis zu den Sachbescheiden ein Rechtsmittel zu ergreifen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 208 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 207 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 209 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 207 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 209 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 1 Verlagerung des Ortes der sonstigen Leistung bei Telekommunikationsdiensten sowie Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen, BGBl. II Nr. 383/2003
Verweise









ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.2100038.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at