Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 04.06.2023, RV/7101245/2023

Widerruf einer Löschung, keine Änderung der Verhältnisse

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch ***1*** über die Beschwerde des A, Adresse, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , Steuernummer s, über den Widerruf einer Löschung von Abgabenschuldigkeiten zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird stattgegeben.
Der Bescheid vom über den Widerruf einer Löschung von Abgabenschuldigkeiten wird aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid vom verfügte das Finanzamt Wien 8/16/17 (nunmehr Finanzamt Österreich) gegenüber dem Beschwerdeführer (Bf.) gegen jederzeitigen Widerruf die Löschung von einzeln angeführten, am Abgabenkonto StNr. s aushaftenden Abgabenschuldigkeiten in der Gesamthöhe von 2.017,24 € durch Abschreibung.
Begründend wurde ausgeführt, die Löschung sei erfolgt, weil alle Möglichkeiten der Einbringung erfolglos versucht wurden, Einbringungsmaßnahmen derzeit offenkundig aussichtslos sind und auf Grund der Aktenlage nicht angenommen werden kann, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt zum Erfolg führen werden.
Abgabengutschriften, die erst nach der Löschung am Abgabenkonto verwirklicht werden, führten jedoch zum Widerruf der Löschung in Höhe der Gutschriften.

Die für das Jahr 2021 durchgeführte antragslose Arbeitnehmerveranlagung (Einkommensteuerbescheid 2021 vom ) führte am Abgabenkonto des Bf., StNr. 02, zu einer Gutschrift in der Höhe von 463 €.

Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom widerrief das Finanzamt die Löschung der Abgabenschuldigkeiten im Ausmaß von 463 €, überrechnete den Gutschriftsbetrag von 463 € auf das Abgabenkonto StNr. s und verrechnete beide Beträge.
Aufgrund von Abgabengutschriften hätten sich die tatsächlichen Verhältnisse, die zur Annahme der Uneinbringlicheit als Vorrausetzung für die Löschung nach 235 BA0 geführt hatten, maßgeblich geändert.

Gegen den Widerrufsbescheid vom brachte der Bf. das als Berufung bezeichnete Rechtsmittel der Beschwerde mit der Begründung ein, die gesetzliche Verjährungsfrist zum Widerruf der Steuerschulden sei am abgelaufen. § 238 BAO regle die Verjährung fälliger Steuern und schränke die Einziehungsberechtigung des Finanzamtes ein. Einziehungsmaßnahmen seien nur für noch nicht "einziehungsverjährte" Steuerschulden zulässig. Es werde der Antrag gestellt, "die Zahlungsaufforderung vom als gegenstandslos zurückzunehmen".

Mit der Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab.
Am seien Abfragen getätigt und am die Löschung der Abgaben (aufgrund der negativen Abfragen) durchgeführt worden. Der Bf. habe eine automatisierte Buchungsmitteilung über die am durchgeführte Löschung der Abgaben erhalten. Dies seien nach außen hin erkennbare Amtshandlungen. Der Widerruf der Löschung vom sei daher innerhalb der 5-Jahresfrist erfolgt.

Im Schriftsatz vom ("Beschwerde an den Bundesfinanzgericht") beantragte der Bf. unter Wiederholung seines bisheriges Vorbringen die "vollständige Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung wegen rechtswidriger Inhalte und Verfahrensfehlern".
Der Bf. erachte sich durch den angefochtenen Bescheid "in seinem gesetzlich gewährleisteten subjektiven Recht auf Erlassung einer fehlerfreien Ermessensentscheidung, auf Anwendung des geltenden Rechtes, auf mangelfreies Verfahren, aus rechtliches Gehör, insbesondere aber auf Durchführung eines gesetzmäßigen Verfahrens, verletzt".
Dass sich die betroffene erstinstanzliche Behörde nicht mit der konkreten Situation des Bf. auseinandergesetzt habe, stelle einen Verfahrensmangel dar.

Das Bundesfinanzgericht hat über die Beschwerde erwogen:

Gemäß § 238 Abs. 1 BAO verjährt das Recht, eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe. § 209a BAO gilt sinngemäß.

Die Verjährung fälliger Abgaben wird durch jede zur Durchsetzung des Anspruches unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung, wie durch Mahnung, durch Vollstreckungsmaßnahmen, durch Bewilligung einer Zahlungserleichterung oder durch Erlassung eines Haftungsbescheides unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen (§ 238 Abs. 2 BAO).

Die Amtshandlung muss, damit ihr unterbrechende Wirkung zukommt, nach außen erkennbar sein; sie muss dem Abgabepflichtigen jedoch nicht zur Kenntnis gelangt sein ().

Neben den in § 238 Abs. 2 BAO demonstrativ aufgezählten Beispielen für Unterbrechungshandlungen sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes u.a. Erhebungen über die wirtschaftlichen Verhältnisse, Amtshilfeersuchen, Vollstreckungsbescheide, Zahlungsaufforderungen, Zusendung von Erklärungsformularen und Lastschriftanzeigen als Unterbrechungshandlungen anzusehen. Auch Meldeanfragen sind Unterbrechungshandlungen ( mwN).

Nach der Aktenlage führte das Finanzamt, wie in der Beschwerdevorentscheidung vom ausgeführt, im Jahr 2017 im Hinblick auf den Wohnsitz des Bf. eine Abfrage des Zentralen Melderegisters sowie zahlreiche weitere Abfragen durch, die der Durchsetzung der aushaftenden Abgabenansprüche dienten (Abfrage Sozialversicherung, Grundstücksdatenbank, Kfz-Abfrage).

Da somit im Jahr 2017 vom Finanzamt zur Durchsetzung des Anspruches nach außen erkennbare Amtshandlungen - mögen diese dem Bf. auch nicht zur Kenntnis gelangt sein - erfolgten, wurde die Einhebungsverjährung im Jahr 2017 unterbrochen und endete gemäß § 238 Abs. 1 BAO mit dem Ablauf des Kalenderjahres 2023. Die Einhebungsverjährungsfrist war daher im Zeitpunkt der Erlassung des Widerrufsbescheides vom noch nicht eingetreten.

Die Erlassung des angefochtenen Bescheides erweist sich aber aus einem anderen Grund als rechtswidrig:

Gemäß § 235 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten von Amts wegen durch Abschreibung gelöscht werden, wenn alle Möglichkeiten der Einbringung erfolglos versucht worden oder Einbringungsmaßnahmen offenkundig aussichtslos sind und auf Grund der Sachlage nicht angenommen werden kann, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Erfolg führen werden.
Durch die verfügte Abschreibung erlischt der Abgabenanspruch (§ 235 Abs. 2 BAO).
Wird die Abschreibung einer Abgabe widerrufen (
§ 294 BAO), so lebt der Abgabenanspruch wieder auf. Für die Zahlung, die auf Grund des Widerrufes zu leisten ist, ist eine Frist von einem Monat zu setzen (§ 235 Abs. 3 BAO).

Eine Änderung oder Zurücknahme eines Bescheides, der Begünstigungen, Berechtigungen oder die Befreiung von Pflichten betrifft, durch die Abgabenbehörde ist - soweit nicht Widerruf oder Bedingungen vorbehalten sind - gemäß § 294 Abs. 1 BAO nur zulässig,
a) wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben, die für die Erlassung des Bescheides maßgebend gewesen sind, oder

b) wenn das Vorhandensein dieser Verhältnisse auf Grund unrichtiger oder irreführender Angaben zu Unrecht angenommen worden ist.

Änderungen und Zurücknahmen von Löschungsbescheiden können nach § 294 BAO erfolgen. Für den Wideruf der Löschung im Sinne des § 294 Abs. 1 lit. a BAO kann die Löschung von Abgabenschuldigkeiten nur bei wesentlicher Änderung der zur Löschung geführt habenden Verhältnisse verfügt werden.

Das Finanzamt geht gemäß § § 294 Abs. 1 lit. a BAO davon aus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben, die für die Erlassung des Bescheides maßgebend gewesen sind und verweist in diesem Zusammenhang auf die sich aus der antragslosen Arbeitnehmerveranlagung 2021 ergebenden Gutschrift in der Höhe von 463 €.

Aus der Verbuchung dieser Gutschrift kann aber nicht nachvollziehbar auf eine (maßgebliche) Besserung der Wirtschaftslage des Bf. im Vergleich zu den Verhältnissen im Zeitpunkt der Löschung der gegenständlichen Abgabenschuldigkeiten geschlossen werden (siehe dazu ).

Zu Recht bringt der Bf. in diesem Zusammenhang vor, das Finanzamt habe sich nicht mit der konkreten Situation des Bf. auseinandergesetzt.

Zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Bf. ist nach der Aktenlage festzustellen:
Der Bf. bezog im Jahr 2017 Leistungen des Arbeitsmarkt Service Österreich in der Höhe von etwas mehr als 12.000 €. Vermögen besaß oder besitzt der Bf. nicht.
Aus dem Einkommensteuerbescheid vom geht hervor, dass der Bf. im Jahr 2021 vom 01.01.bis 31.03. Notstandshilfe in der Höhe von insgesamt 3.299,40 € und vom 01.04. bis 31.12. Leistungen aus der Pensionsversicherungsanstalt in der Höhe von brutto 11.353,72 € bezogen hat.
Aus dem dem Vorlageantrag beigelegten Antrag auf Verfahrenshilfe geht hervor, dass der Bf. eine monatliche Pension in der Höhe von 837 € bezieht und gegenüber Mutter, Gattin und vier Kindern sorgepflichtig ist. Die Miete für die Wohnung beläuft sich monatlich auf ca. 400 €.

Angesichts des am Existenzminimum liegenden Einkommens und der prekären wirtschaftlichen Lage des Bf. kann von einer maßgeblichen Besserung der tatsächlichen Verhältnisse im Vergleich zu den erhobenen finanziellen Verhältnissen des Bf. im Jahr 2017 nicht ausgegangen werden. Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 294 Abs. 1 lit. a BAO für die Zurücknahme des Löschungsbescheides sind daher nicht erfüllt, weshalb der angefochtene Bescheid aufzuheben war.

Zulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im vorliegenden Verfahren keine Rechtsfrage zu beurteilen ist, der grundsätzliche Bedeutung im Sinne des Art 133 Abs. 4 BVG zukommt.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 235 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7101245.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at