Verfahrenswiederaufnahmen und veruntreute Gelder
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Senatsvorsitzende***SenV***, die Richterin***SenRi2*** sowie die fachkundigen Laienrichter ***SenLR1*** und ***SenLR2*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Bruck Eisenstadt Oberwart vom betreffend Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2005 bis 2006 und Einkommensteuer 2005 bis 2006, Steuernummer ***BF1StNr1*** nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am in Anwesenheit einer Schriftführerin zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde gegen die Bescheide betreffend Wiederaufnahme der Einkommensteuer 2005 und 2006 wird stattgegeben. Die Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.
II. Die Bescheide betreffend Einkommensteuer 2005 und 2006 treten außer Kraft. Die Beschwerde gegen diese Bescheide wird gemäß § 261 BAO als gegenstandslos erklärt.
III. Gemäß Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) ist die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. Mit den Bescheiden vom wurden die mit Einkommensteuerbescheid 2005 vom und Einkommensteuerbescheid 2006 vom rechtskräftig geschlossenen Einkommensteuerverfahren 2005 und 2006 wiederaufgenommen und gleichzeitig neue Einkommensteuerbescheide 2005 und 2006 erlassen.
Die Wiederaufnahme der Verfahren begründend wurde ausgeführt, dass bei der Veruntreuung von Geldmitteln von hinterzogenen Abgaben ausgegangen werde und dass die verkürzte Einkommensteuer nicht durch bloße Fahrlässigkeit zu erklären sei. Bei hinterzogenen Abgaben betrage die Verjährungsfrist 10 Jahre. Auf eine gesonderte Bescheidbegründung wurde verwiesen.
In der gesonderten Bescheidbegründung wurde einleitend § 303 Abs 1 lit b BAO zitiert und dazu ausgeführt: Eine die Jahre 2005 bis 2010 betreffende Außenprüfung wurde durchgeführt. Grundlage dieser Außenprüfung war die der Behörde übermittelte Anklageschrift vom ***1***.
In der Anklageschrift vom ***1*** wurde der Beschwerdeführerin (Bf.) zur Last gelegt, sie habe in der Zeit von bis eine durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, wissentlich missbraucht und habe einer in der Anklageschrift namentlich genannten GmbH einen Schaden in Höhe von EUR 1.158.466,56 zugefügt. Das in der Strafsache zuständige Landesgericht habe die Bf. in der Hauptverhandlung vom ***2*** schuldig gesprochen, der GmbH EUR 1.158.466,56 zu bezahlen.
Anklageschrift und Hauptverhandlung vom ***2*** seien neu hervorgekommene und bescheidändernde Tatsachen, die zur Verfahrenswiederaufnahme berechtigen.
Die gesonderte Bescheidbegründung abschließend wurde ausgeführt, warum Ermessen dahingehend geübt wurde, dass die Einkommensteuerverfahren 2005 und 2006 wieder aufgenommen wurden.
Beide Wiederaufnahmebescheide (und die neuen Einkommensteuerbescheide 2005 und 2006 vom ) wurden am zugestellt, waren innerhalb 1 Monats ab Zustellung mit Beschwerde anfechtbar und wurden mit den Beschwerden vom angefochten.
2. Beschwerdeverfahren Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2005 und 2006:
In der Beschwerde gegen die Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2005 und 2006 verwies die Bf. auf die Beschwerdevorentscheidung vom und die darin enthaltene Aussage "Mangels Darlegung des Wiederaufnahmegrundes erweisen sich die Bescheide als mangelhaft". Da Wiederaufnahmegründe nicht nachgeholt werden dürfen, seien die jetzt angefochtenen Wiederaufnahmebescheide rechtswidrig erlassen worden. Davon angesehen gebe es keine neuen Wiederaufnahmegründe und das Finanzamt habe nicht begründend ausgeführt, warum und wie Ermessen geübt worden sei.
Die Bf. beantragte, die angefochtenen Wiederaufnahmebescheide ersatzlos aufzuheben und die mündliche Senatsverhandlung abzuhalten.
Die Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom abgewiesen. In der Beschwerdevorentscheidung wurde einleitend ausgeführt, warum die Bescheidbegründungen nicht mangelhaft seien. Die jetzt als Wiederaufnahmegrund verwendete neue Tatsache "veruntreute Gelder" sei dem Finanzamt erst durch die Anklageschrift vom ***1*** und das Urteil vom ***2*** bekannt geworden. Im Begründungsteil der am erlassenen Wiederaufnahmebescheide - Einkommensteuer 2005 und 2006 werde nur der Gesetzestext von § 303 BAO zitiert und kein Wiederaufnahmegrund angegeben.
Die neue Tatsache "veruntreute Gelder" sei zum ersten Mal in den jetzt angefochtenen Wiederaufnahmebescheiden verwendet worden und durfte deshalb auch verwendet werden. "Veruntreute Gelder" seien laut BFG-Erkenntnis vom , RV/6300004/2013, einkommensteuerpflichtig, weshalb anderslautende Einkommensteuerbescheide zu erlassen seien.
Die Beschwerdevorentscheidung vom war innerhalb 1 Monats ab Zustellung mit Vorlageantrag anfechtbar und wurde mit dem Vorlageantrag vom angefochten.
Im Vorlageantrag verwies die Bf. auf ihr bisheriges Vorbringen und führte ergänzend aus, dass Unterschlagung und Veruntreuung keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb bewirken, da keine Teilnahme am Güter-und Leistungsaustausch stattfinde. Würden dennoch Einkünfte aus Gewerbebetrieb vorliegen, wäre eine Regressverbindlichkeit in Höhe der veruntreuten Gelder einzubuchen. Dies mit dem Ergebnis, dass keine anderslautenden Bescheide ergehen würden.
3. Beschwerdeverfahren Einkommensteuer 2005 und 2006:
In der Beschwerde vom gegen die (nach den Verfahrenswiederaufnahmen erlassenen) Einkommensteuerbescheide 2005 und 2006 vom waren die Beschwerdepunkte die als Einkünfte aus Gewerbebetrieb veranlagten veruntreuten Geldmittel, die Abschreibung Firmenwert, die Zinsen für die übernommenen Kredite betreffend Firmenwert und die Forderungseinbuchung durch die Außenprüfung im Jahr 2002 in Höhe von EUR 100.000,00.
In der Beschwerdevorentscheidung vom begründete das Finanzamt seine Entscheidung, die veruntreuten Gelder als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu veranlagen, mit den Entscheidungen (von einem Bankangestellten veruntreute Kundengelder), (von einem Rechtsanwalt veruntreute Mandantengelder) und .
Die Beschwerde über die Beschwerdepunkte "Abschreibung Firmenwert" und "Zinsen für die übernommenen Kredite" wurde abgewiesen und begründend wurde auf das Erkenntnis , verwiesen.
Die Beschwerde über die Beschwerdepunkte "amtswegige Forderungsabschreibung" und "Umsatzsteuerberichtigung" wurde auch abgewiesen, da der Verwaltungsgerichtshof diese Beschwerdepunkte auch - © Finanzamt - "abschlägig entschieden" habe.
Die Beschwerdevorentscheidung wurde mit Vorlageantrag vom angefochten. Im Vorlageantrag wiederholte die Bf. ihr bisheriges Vorbringen und brachte ergänzend vor, dass sie Lizenzzahlungen betreffend Programmnutzungen aus der Übernahme des Kundenstocks nachvollziehbar ab 2006 vereinbart und als Erträge verbucht habe.
4. Aus den Verwaltungsakten:
Laut rechtskräftigem und vollstreckbarem Urteil vom ***2*** wurde die Bf. verurteilt, der GmbH EUR 1.158.466,56 zu zahlen.
5. Aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung:
"Gegen die Kurzfassung des Verfahrensganges im Beschwerdeverfahren Einkommensteuer 2005 und 2006 werden keine Einwendungen erhoben.
Steuerberater: Nicht richtig ist, dass Abgaben hinterzogen wurden, da veruntreute Gelder nur bei Dienstnehmern steuerpflichtig sind. Die Bf. ist keine Dienstnehmerin gewesen, deshalb haben die veruntreuten Gelder keine Wurzel im Dienstverhältnis. Da Abgaben nicht hinterzogen wurden, ist zu prüfen, ob die Einkommensteuerfestsetzung verjährt ist. Es gibt keinen Wiederaufnahmegrund. Die Bf. hat keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt, da sie keinen Handel betrieben hat".
Der Steuerberater zitiert folgende Literatur "… des Bundesfinanzhofes -VIIIR19/12, Fremdgelder eines Rechtsanwaltes. Der Bundesfinanzhof sagt, diese Gelder (auch die vom Rechtsanwalt veruntreute Klienten- und Kundengelder) stellen auch dann keine steuerbaren Einnahmen für die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Rahmen selbstständiger Arbeit oder der Einkünfte aus Gewerbebetrieb dar, wenn der Rechtsanwalt diese kontinuierlich und planmäßig über mehrere Jahre hinweg einsetzt, um Betriebsausgaben oder Ausgaben der privaten Lebensführung zu bestreiten. Veruntreute Fremdgelder stellen auch dann keine steuerbaren Einnahmen des Rechtsanwaltes aus selbständiger Arbeit oder Gewerbebetrieb dar, wenn der Rechtsanwalt diese kontinuierlich und planmäßig über mehrere Jahre hinweg einsetzt, um Betriebsausgaben oder Privatausgaben zu bestreiten. OGH-Entscheidung 15 Os 64/04, Vortrag von … (betrifft veruntreute Gelder von Bankangestellten [sind einkommensteuerpflichtig] und Rechtsanwalt [sind nicht einkommensteuerpflichtig]):
Laut … ist diese Frage vom Verfassungsgerichtshof zu klären" (nach Diktat Steuerberater).
Das Finanzamt führt aus, dass wir nicht an die abgabenrechtliche Beurteilung des OGH gebunden sind. Es könne "keinem Zweifel unterliegen, dass die unter Nutzung der Stellung als Filialleiter erfolgten Veruntreuungen von Kundengeldern den Tatbestand des § 25 Abs 1 Z 1 lit a EStG erfüllen []" (nach Diktat des Finanzamtes).
Steuerberater: OGH und VwGH vertreten zur Frage der veruntreuten Gelder divergierende Standpunkte. Die Bf. wäre vom OGH freigesprochen worden, wegen des Schadens von mehr als EUR 100.000,00 (Entscheidung fällt in die Zuständigkeit des OGH)".
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Alle Vorlageanträge sind frist- und formgerecht eingebracht. Deshalb gelten die Beschwerden als unerledigt. Da die Beschwerden auch frist- und formgerecht eingebracht sind, ist über die Beschwerden "in der Sache" zu entscheiden.
In der Sache ist strittig, ob die Einkommensteuerverfahren 2005 und 2006 wegen veruntreuter Gelder wiederaufgenommen werden dürfen. Wird dies bejaht, sind die als Einkünfte aus Gewerbebetrieb veranlagten veruntreuten Geldmittel, die Abschreibung Firmenwert, die Zinsen für die übernommenen Kredite betreffend Firmenwert und die Forderungseinbuchung durch die Außenprüfung im Jahr 2002 in Höhe von EUR 100.000,00 strittig.
A. Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide - Einkommensteuer 2005 - 2006:
Der Entscheidung werden 1.) die Sach- und Beweislage zugrunde gelegt, dass "veruntreute Gelder" der in den Wiederaufnahmebescheiden angegebene Wiederaufnahmegrund ist und 2.) folgende Daten aus den Verwaltungsakten:
Der Einkommensteuer(erst)bescheid 2005 wurde am erlassen.
Der Einkommensteuer(erst)bescheid 2006 wurde am erlassen.
Die Einkommensteuer(erst)bescheide 2005 - 2006 waren bereits erlassen, als das Finanzamt die Anklageschrift vom ***1***, das Hauptverhandlungsprotokoll vom ***2*** und das Urteil vom ***2*** während einer Außenprüfung erhielt.
Nach geltender Rechtslage ist eine Wiederaufnahme der Verfahren von Amts wegen unter anderem in den Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Bescheidspruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte (§ 303 Abs 1 Bundesabgabenordnung - BAO in der im Zeitpunkt der Verfahrenswiederaufnahme geltenden Fassung).
Bei einer Beschwerde gegen eine Wiederaufnahme von Amts wegen darf die Wiederaufnahme nur aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen erfolgen, also jenen wesentlichen Sachverhaltsmomenten, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hat. Deshalb ist im Beschwerdeverfahren nur zu prüfen, ob die wiederaufgenommenen Verfahren aus den vom Finanzamt verwendeten Gründen wiederaufgenommen werden durfte, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme auch aus anderen Wiederaufnahmegründen zulässig gewesen wäre (, mwN; ; , mwN).
In dieser Beschwerdesache sind "veruntreute Gelder", die während einer Außenprüfung durch die Anklageschrift vom ***1***, durch die Hauptverhandlung vom ***2*** und durch das Urteil vom ***2*** neu hervorgekommen seien, jene Tatsachen und Beweismittel, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund verwendet hat.
In der Anklageschrift vom ***1*** wird der Bf. die Straftat vorgeworfen, Gelder veruntreut zu haben, in der Hauptverhandlung vom ***2*** ist dieser Tatvorwurf vor einem Strafgericht verhandelt worden und mit Urteil vom ***2*** ist die Bf. verurteilt worden, weil sie die Straftat "Veruntreuung von Geldern" begangen hat.
Wird einer Person bloß vorgeworfen, Geld veruntreut zu haben, gibt es noch keine Tatsache "veruntreute Gelder". Wird der Tatvorwurf, dass eine Person Geld veruntreut hat, in einer Hauptverhandlung verhandelt, gibt es auch noch keine Tatsache "veruntreute Gelder", denn die Tatsache "veruntreute Gelder" entsteht, wenn das Gericht ein Strafurteil erlässt, in dem eine Person verurteilt wird, weil sie die Straftat "Veruntreuung von Geldern" begangen hat. Die Tatsache "veruntreute Gelder" ist daher erst durch das Strafurteil vom ***2*** entstanden.
Tatsachen und Beweismittel kommen neu hervor, wenn sie vor Bescheiderlassung bereits existieren, jedoch nicht bekannt sind. Am ***2*** waren die Einkommensteuer-(Erst)bescheide 2005 - 2006 bereits erlassen. Die Tatsache "veruntreute Gelder" ist daher keine neu hervorgekommene, sondern eine neu produzierte Tatsache.
Eine neu produzierte Tatsache ist kein Wiederaufnahmegrund (siehe beispielsweise ). Der Beschwerde ist daher in diesem Punkt stattzugeben und die Wiederaufnahmebescheide sind ersatzlos aufzuheben.
B. Beschwerde gegen die Einkommensteuerbescheide 2005 - 2006:
Mit der Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide 2005 - 2006 treten die nach den Wiederaufnahmen erlassenen Sachbescheide außer Kraft, weshalb sich die Beschwerde gegen die Einkommensteuerbescheide 2005 und 2006 gegen aus dem Rechtsbestand ausgeschiedene Bescheide richtet. Die Beschwerde gegen die Einkommensteuerbescheide 2005 und 2006 ist daher gemäß § 261 BAO als gegenstandslos zu erklären.
C. Revision
Gemäß Art 133 Abs 1 Z 4 B-VG ist die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gegen Erkenntnisse oder Beschlüsse des Bundesfinanzgerichtes zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage mit grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Eine grundsätzlich bedeutende Rechtsfrage musste das Bundesfinanzgericht nicht beantworten, da primär die Sach- und Beweisfrage zu beantworten war, wann die Tatsache "veruntreute Gelder" entstanden ist. Die (ordentliche) Revision ist daher nicht zulässig.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.7100025.2017 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at