Keine neuerliche Festsetzung von DB, DZ gemäß § 201 BAO
Rechtssätze
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RV/7101209/2017-RS1 | § 201 BAO sieht nur eine erstmalige Festsetzung von Selbstbemessungsabgaben vor.
Existiert in der selben Sache bereits eine Festsetzung gemäß § 201 BAO, kann eine neuerliche Festsetzung nur erfolgen, wenn - bei Vorliegen der Voraussetzungen - gesetzlich vorgesehene, die Rechtskraft durchbrechende Maßnahmen (zB Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO) gesetzt werden. |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Monika Ahorn in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Deloitte Tax Wirtschaftsprüfungs GmbH, Renngasse 1 Tür Freyung, 1010 Wien, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Wien 1/23 (nunmehr Finanzamt Österreich, § 323b BAO) vom betreffend Festsetzung Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen und Festsetzung Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag, jeweils 01-12/2011, 01-12/2012 sowie 01-12/2013
(Steuernummer ***BF1StNr1*** ) zu Recht erkannt:
I. Die angefochtenen Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Nachdem für die Jahre 2009 bis 2011 sowie 2012 bis 2014 eine gemeinsame Prüfung lohnabhängiger Abgaben (in Folge: GPLA) durchgeführt und Lohnabgaben festgesetzt wurden, erließ die Abgabenbehörde am (neuerlich) Bescheide über die Haftung zur Abfuhr der Lohnsteuer (in Folge: L), über die Festsetzung des Dienstgeberbeitrages zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen (in Folge: DB) sowie über die Festsetzung des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag (in Folge: DZ) für die Zeiträume 1-12 der Jahre 2011 bis 2013. Begründend wurde ausgeführt, dass aufgrund einer Kontrollmitteilung der Betriebsprüfung für zwei Dienstnehmer die Mitgliedsbeiträge für einen Golfclub vom Arbeitgeber bezahlt worden seien. Diese Beträge seien als Vorteil aus dem Dienstverhältnis L, DB und DZ-pflichtig zu stellen. In Anwendung der §§ 202 Abs. 1 iVm 201 Abs. 2 Z 3 bzw. 303 Abs. 1 lit. b BAO (Neuerungstatbestand = übernommenen Mitgliedsbeiträge) werde der Arbeitgeber gemäß
§ 82 EStG 1988 zur Entrichtung der genannten Abgaben in Anspruch genommen.
Gegen diese Festsetzungen des DB und des DZ wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Im Wesentlichen führte die Beschwerdeführerin (in Folge: Bf.) aus, dass im Rahmen der abgeschlossenen GPLAs bereits sämtliche Unterlagen der Buchhaltung und insbesondere auch die Detailbuchungen des Kontos werbeähnlicher Aufwand sowie die Einzelbelege vorgelegt worden seien und somit die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme der Verfahren nicht vorliegen.
Die abweisende Beschwerdevorentscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die im Zuge der Betriebsprüfung bekanntgewordene Tatsache, dass für zwei Dienstnehmer Mitgliedsbeiträge für einen Golfclub seitens des Dienstgebers bezahlt worden seien, eine neue Tatsache für die Beurteilung als Vorteil aus dem Dienstverhältnis darstelle. Aus der Zurverfügungstellung von Unterlagen dürfe keinesfalls darauf geschlossen werden, dass alle darin verankerten (und nicht explizit behandelten) Sachverhalte als rechtens und richtig zu beurteilen seien. Die stichprobenartige Überprüfung schließe nicht aus, dass gewisse Unzulänglichkeiten übersehen werden. Die nachträgliche Aufdeckung dieser Umstände, die nicht Thema im Erstverfahren gewesen seien, stelle einen Wiederaufnahmegrund dar.
Im Vorlageantrag wurde ergänzend ausgeführt, die Prüfer haben im Rahmen der im Vorfeld stattgefundenen GPLAs in die Buchhaltung und damit in die Konten Einsicht genommen. Da üblicherweise auch die Konten "werbeähnlicher Aufwand" angefordert werden, sei es denkunmöglich, dass nicht einer der Prüfer Einschau in dieses Konto gehalten habe.
Der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde mit Schreiben vom zurückgenommen.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Die belangte Behörde erließ nach durchgeführter GPLA der Jahre 2009 - 2011 am ua einen Bescheid über die Festsetzung des DB sowie DZ für das Jahr 2011. In der Begründung wurde auf den Bericht selben Datums verwiesen.
Nach einer weiteren GPLA der Jahre 2012 - 2014 ergingen am ua Bescheide über die Festsetzung des DB sowie DZ für die Jahre 2012 und 2013, in deren Begründung auf den Bericht desselben Tages verwiesen wurde.
Ohne die Verfahren wiederaufzunehmen, erließ die belangte Behörde am Bescheide über die Haftung zur Abfuhr der Lohnsteuer, die Festsetzung des DB sowie DZ für die Zeiträume 01-12/2011, 01-12/2012 sowie 01-12/2013.
2. Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt ist unstrittig und ergibt sich aus den von der Abgabenbehörde dem Bundesfinanzgericht übermittelten Aktenteilen.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)
§ 201 BAO lautet auszugsweise:
(1) Ordnen die Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen an oder gestatten sie dies, so kann nach Maßgabe des Abs. 2 und muss nach Maßgabe des Abs. 3 auf Antrag des Abgabepflichtigen oder von Amts wegen eine erstmalige Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid erfolgen, wenn der Abgabepflichtige, obwohl er dazu verpflichtet ist, keinen selbst berechneten Betrag der Abgabenbehörde bekannt gibt oder wenn sich die bekanntgegebene Selbstberechnung als nicht richtig erweist.
(2) Die Festsetzung kann erfolgen,
[…]
3. wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben wird oder wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden,
[…]
(4) Innerhalb derselben Abgabenart kann die Festsetzung mehrerer Abgaben desselben Kalenderjahres (Wirtschaftsjahres) in einem Bescheid zusammengefasst erfolgen.
§ 41 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 ordnet die Selbstberechnung des DB und § 122 Abs. 8 Wirtschaftskammergesetz 1998 die Selbstberechnung des DZ an, weshalb § 201 BAO zur Anwendung kommt.
Erweist sich die bekanntgegebene Selbstberechnung einer Abgabe als nicht richtig, hat die Abgabenbehörde die Möglichkeit von Amts wegen eine erstmalige Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid im Rahmen des § 201 Abs. 2 BAO vorzunehmen.
Dies hat die belangte Behörde für das Jahr 2011 mit Festsetzungsbescheid vom und für die Jahre 2012 und 2013 mit Festsetzungsbescheiden vom gemacht. Da die Beschwerdefrist (ungenützt) verstrichen ist, sind die Bescheide formell in Rechtskraft erwachsen.
Materielle Rechtskraft bedeutet im Verwaltungsverfahren nach herrschender Lehre Unwiderrufbarkeit, Unwiederholbarkeit und Verbindlichkeit des Bescheides. Im Vordergrund der Lehre steht die mit Bescheiden verbundene Wirkung, dass diese nicht nur für die Partei unanfechtbar sind und dass über eine Sache ein für allemal endgültig entschieden ist, sondern dass der Abspruch über eine bestimmte Sache auch für die Behörden verbindlich, unwiederholbar, unwiderrufbar und unabänderbar ist. Diese Bescheidwirkungen sind mit Bescheiden verbunden, die dem Rechtsbestand angehören, unabhängig davon, ob die Bescheide richtig sind oder nicht (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, 943).
Die materielle Rechtskraft erstreckt sich auf den bescheidmäßigen Willensakt der Behörde, also auf den Spruch des Bescheides (Stoll, BAO-Kommentar, 944). Im gegenständlichen Fall betraf der Spruch des Bescheides vom die Festsetzung von DB und DZ für den Zeitraum 2011 und der Bescheide vom die Festsetzung dieser Abgaben für die Zeiträume 2012 und 2013. Die hier bekämpften Bescheide sind ebenfalls erstinstanzliche Bescheide betreffend dieselben Abgabenarten, dieselben Zeiträume sowie den identen Bescheidadressaten.
Folge der materiellen Rechtskraft ist, dass die bescheiderlassende Behörde nur insoweit in den erlassenen Bescheid eingreifen kann, als entsprechende auf Durchbrechung der Rechtskraft gerichtete gesetzliche Tatbestände (wie zB § 303 BAO) erfüllt sind (Langheinrich/Ryda FJ 2012, 377, Pkt 1.3.).
In einem ähnlich gelagerten Fall zur Festsetzung von Kommunalsteuer, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass hier rechtswidrig neuerlich über eine bereits festgesetzte Abgabe entschieden wurde und somit der Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastete war (). Auch wenn die Kommunalsteuer nicht nach § 201 BAO sondern nach § 11 Abs. 3 KommStG 1993 festzusetzen ist, bleibt die Folge auch für den hier gegenständlichen Fall dieselbe.
Weil die Bescheide vom und vom in Rechtskraft erwachsen sind, hätte bei Vorliegen der Voraussetzungen, eine Wiederaufnahme der Bescheide gemäß § 303 BAO vorgenommen werden können. Wiederaufnahmsbescheide wurden jedoch nicht erlassen, sondern es erfolgte mit den hier bekämpften Bescheiden vom eine weitere "erstmalige" Festsetzung gemäß § 201 BAO. Es ist somit kein Rechtsakt gesetzt worden, um die Rechtskraft der Bescheide erfolgreich zu durchbrechen.
Die hier streitgegenständlichen Bescheide vom waren unzulässig, da § 201 BAO nur eine erstmalige Festsetzung vorsieht, durch die rechtskräftigen Bescheide bereits eine entschiedene Sache (res iudicata) gegeben ist und keine die Rechtskraft durchbrechenden Maßnahmen gesetzt wurden. Die Bescheide waren daher aufzuheben. Eine Prüfung der inhaltlichen Ausführungen beider Parteien erübrigt sich.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das Erkenntnis weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weshalb eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht vorliegt. Auf das oben zitierte Judikat () wird verwiesen. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 201 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.7101209.2017 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
AAAAC-33769