Einreihung von Menstruationsunterwäsche in den Zolltarif
Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ro 2023/16/0016. Zurückweisung mit Beschluss vom .
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf.***, vertreten durch ***RA***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des damaligen Zollamtes Eisenstadt Flughafen Wien, MRN ***1*** vom und über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des damaligen Zollamtes Eisenstadt Flughafen Wien, MRN ***2*** vom betreffend Einfuhrabgaben zu Recht erkannt:
I. Zu MRN ***1***:
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.
Die Festsetzung des Zolls wird abgeändert von € 10.795,89 auf € 9.733,31
II. Zu MRN ***2***:
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.
Die Festsetzung des Zolls wird abgeändert von € 3.470,04 auf € 3.036,28
III. Im Übrigen werden die beiden o.a. Beschwerden als unbegründet abgewiesen.
IV. Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgaben sind dem Ende der Entscheidungsgründe zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.
V. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit Mitteilung gem. Art. 102 Abs. 1 UZK vom setzte das damalige Zollamt Eisenstadt Flughafen Wien die Eingangsabgabenschuld zur Zollanmeldung MRN ***1*** vom fest. Diese Mitteilung gilt gem. § 59 ZollR-DG als Abgabenbescheid.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vom der nunmehrigen Beschwerdeführerin (Bf.), ***Bf.***, die in der erwähnten Zollanmeldung als direkt Vertretene genannt ist.
Das Zollamt wies diese Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom , Zl. ***3***, als unbegründet ab.
Die Bf. stellte daraufhin mit Schriftsatz vom den Vorlageantrag.
Mit Mitteilung gem. Art. 102 Abs. 1 UZK vom setzte das damalige Zollamt Eisenstadt Flughafen Wien die Eingangsabgabenschuld zur Zollanmeldung MRN ***2*** vom fest.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vom der Bf., die in der erwähnten Zollanmeldung als direkt Vertretene genannt ist.
Das Zollamt wies diese Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom , Zl. ***4***, als unbegründet ab.
Die Bf. stellte daraufhin mit Schriftsatz vom den Vorlageantrag.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Mit den beiden o.a. Zollanmeldungen wurden u.a. Menstruationsunterhosen in den zollrechtlich freien Verkehr überführt (Art. 5 Nr. 16 Buchstabe a UZK).
Laut den Angaben der Bf. als direkt Vertretene (und somit Anmelderin gem. Art. 5 Nr. 15 UZK) im Feld 33 der beiden Zollanmeldungen handelte es sich bei diesen Erzeugnissen um Waren der Position 6208 9900 99 der Kombinierten Nomenklatur (KN) - darunter fallen u.a. Slips für Frauen oder Mädchen aus anderen Spinnstoffen - mit einem Zollsatz von 12,00 %.
Die beiden Beschwerden zielen darauf ab, eine Einreihung dieser Wirtschaftsgüter in die Position 9619 0040 10 der KN (das sind hygienische Binden (Einlagen), Tampons und ähnliche Waren) zu erreichen (Zollsatz 6,30 %).
2. Beweiswürdigung
Die Beweiserhebung seitens des Bundesfinanzgerichtes erfolgte durch Einsichtnahme in die vom Zollamt elektronisch vorgelegten Verwaltungsakte und unter Berücksichtigung der seitens der Bf. nachgereichten Unterlagen und Warenmuster.
Daraus ergibt sich der oben wiedergegebene Sachverhalt und der geschilderte Verfahrensgang.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)
Rechtslage:
Gem. Art. 56 Abs. 2 Buchstabe a UZK umfasst der Gemeinsame Zolltarif auch die Kombinierte Nomenklatur (KN) nach der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87.
Die Allgemeine Vorschriften (AV) zur Kombinierten Nomenklatur lauten auszugsweise:
Für die Einreihung von Waren in die Kombinierte Nomenklatur gelten folgende Grundsätze:
AV 1
Die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel sind nur Hinweise. Maßgebend für die Einreihung sind der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und - soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist - die nachstehenden Allgemeinen Vorschriften.
AV 2
a. Jede Anführung einer Ware in einer Position gilt auch für die unvollständige oder unfertige Ware, wenn sie im vorliegenden Zustand die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen oder fertigen Ware hat. Sie gilt auch für eine vollständige oder fertige oder nach den vorstehenden Bestimmungen dieser Vorschrift als solche geltende Ware, wenn diese zerlegt oder noch nicht zusammengesetzt gestellt wird.
b. Jede Anführung eines Stoffes in einer Position gilt für diesen Stoff sowohl in reinem Zustand als auch gemischt oder in Verbindung mit anderen Stoffen. Jede Anführung von Waren aus einem bestimmten Stoff gilt für Waren, die ganz oder teilweise aus diesem Stoff bestehen. Solche Mischungen oder aus mehr als einem Stoff bestehenden Waren werden nach den Grundsätzen der Allgemeinen Vorschrift 3 eingereiht.
AV 3
Kommen für die Einreihung von Waren bei Anwendung der Allgemeinen Vorschrift 2 b) oder in irgendeinem anderen Fall zwei oder mehr Positionen in Betracht, so wird wie folgt verfahren:
a. Die Position mit der genaueren Warenbezeichnung geht den Positionen mit allgemeiner Waren-bezeichnung vor. Zwei oder mehr Positionen, von denen sich jede nur auf einen Teil der in einer gemischten oder zusammengesetzten Ware enthaltenen Stoffe oder nur auf einen oder mehrere Bestandteile einer für den Einzelverkauf aufgemachten Warenzusammenstellung bezieht, werden im Hinblick auf diese Waren als gleich genau betrachtet, selbst wenn eine von ihnen eine genauere oder vollständigere Warenbezeichnung enthält.
b. Mischungen, Waren, die aus verschiedenen Stoffen oder Bestandteilen bestehen und für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen, die nach der Allgemeinen Vorschrift 3 a) nicht eingereiht werden können, werden nach dem Stoff oder Bestandteil eingereiht, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleiht, wenn dieser Stoff oder Bestandteil ermittelt werden kann.
c. Ist die Einreihung nach den Allgemeinen Vorschriften 3 a) und 3 b) nicht möglich, wird die Ware der von den gleichermaßen in Betracht kommenden Positionen in dieser Nomenklatur zuletzt genannten Position zugewiesen.
AV 6
Maßgebend für die Einreihung von Waren in die Unterpositionen einer Position sind der Wortlaut dieser Unterpositionen, die Anmerkungen zu den Unterpositionen und - sinngemäß - die vorstehenden Allgemeinen Vorschriften. Einander vergleichbar sind dabei nur Unterpositionen der gleichen Gliederungsstufe. Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten bei Anwendung dieser Allgemeinen Vorschrift auch die Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln.
Die Überschrift zu Kapitel 61 der KN lautet:
"Kleidung und Bekleidungszubehör, aus Gewirken oder Gestricken".
Der Wortlaut der Position 6108 der KN lautet auszugsweise:
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6108 | Unterkleider, Unterröcke, Slips und andere Unterhosen, Nachthemden, Schlafanzüge, Negligees, Bademäntel und -jacken, Hausmäntel und ähnliche Waren, aus Gewirken oder Gestricken, für Frauen oder Mädchen | |
- | Unterkleider und Unterröcke | |
- | Slips und andere Unterhosen | |
6108 2100 00 | -- | aus Baumwolle |
6108 2200 00 | -- | aus Chemiefasern |
6108 2900 00 | -- | aus anderen Spinnstoffen |
- | Nachthemden und Schlafanzüge | |
- | andere |
Die Überschrift zu Kapitel 62 der KN lautet:
"Kleidung und Bekleidungszubehör, ausgenommen aus Gewirken oder Gestricken"
Der Wortlaut der Position 6208 der KN lautet auszugsweise:
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6208 | Unterhemden, Unterkleider, Unterröcke, Slips und andere Unterhosen, Nachthemden, Schlafanzüge, Negligees, Bademäntel und -jacken, Hausmäntel und ähnliche Waren, für Frauen oder Mädchen | |
- | Unterkleider und Unterröcke | |
- | Nachthemden und Schlafanzüge | |
- | andere | |
-- | aus Baumwolle | |
-- | aus Chemiefasern | |
-- | aus anderen Spinnstoffen | |
6208 9900 91 | --- | nach dem Batik-Verfahren handbedruckt |
6208 9900 99 | --- | andere |
Der Wortlaut der Position 9619 der KN lautet auszugsweise:
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9619 | Hygienische Binden (Einlagen) und Tampons, Windeln, Windeleinlagen und ähnliche Waren aus Stoffen aller Ar | |
9619 0030 00 | - | aus Spinnstoffwatte |
- | aus anderen Spinnstoffen | |
9619 0040 | -- | Hygienische Binden (Einlagen), Tampons und ähnliche Waren |
9619 0040 10 | --- | aus Gewirken oder Gestricken |
9619 0040 90 | --- | andere |
9619 0050 | -- | Windeln und Windeleinlagen und ähnliche Waren |
9619 0050 10 | --- | aus Gewirken oder Gestricken |
9619 0050 90 | --- | andere |
- | aus anderen Stoffen |
Anmerkung 1 u) zum Abschnitt XI der KN (Spinnstoffe und Waren daraus) lautet:
Zum Abschnitt XI gehören nicht:
Waren des Kapitels 96 (z. B. Bürsten, Reisezusammenstellungen von Waren zum Nähen, Reißverschlüsse, Farbbänder für Schreibmaschinen, hygienische Binden (Einlagen) und Tampons, Windeln und Windeleinlagen)
Erwägungen:
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das für die zolltarifliche Einreihung von Waren entscheidende Kriterium allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der KN-Position und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Dies ergibt sich auch aus den Allgemeinen Vorschriften 1 und 6 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur. Soweit in den Positionen und Anmerkungen nichts anderes bestimmt ist, richtet sich die Einreihung nach den Allgemeinen Vorschriften 2 bis 5 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur. Daneben bestehen die vom Ausschuss für das Harmonisierte System ausgearbeiteten Erläuterungen und Einreihungsavise, die ebenso wie die Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur, die von der Europäischen Kommission ausgearbeitet wurden, ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen (vgl. ; ).
Die Erläuterungen zum Harmonisierten System zu Position 9619 der KN lauten:
"Hierher gehören hygienische Binden (Einlagen) und Tampons, Windeln und ähnliche Waren, einschließlich saugfähiger hygienischer Stilleinlagen, Windeln für Erwachsene mit Inkontinenz und Slipeinlagen, aus Stoffen aller Art.
Im Allgemeinen handelt es sich bei den Erzeugnissen dieser Position um Einwegartikel. Viele dieser Erzeugnisse sind zusammengesetzt aus:
a. einer inneren Lage (z. B. aus Vliesstoffen), die dazu geeignet ist, Flüssigkeit von der Haut des Trägers aufzusaugen und dadurch Wundreibung zu vermeiden;
b. einer saugfähigen Einlage zum Sammeln und Halten der Flüssigkeit bis das Erzeugnis weggeworfen werden kann; und
c. einer äußeren Lage (z. B. aus Kunststoff) um ein Entweichen der Flüssigkeit aus der saugfähigen Einlage zu vermeiden.
Die Erzeugnisse dieser Position sind gewöhnlich so geformt, dass sie sich gut an den menschlichen Körper anpassen.
Hierher gehören auch ähnliche herkömmliche Erzeugnisse, die nur aus Spinnstoffen bestehen und gewöhnlich nach dem Waschen wieder verwendet werden können.
Hierher gehören nicht Erzeugnisse wie Einweg-Operationsabdecktücher, saugfähige Einlagen für Krankenhausbetten, Operationstische und Rollstühle oder nicht saugfähige Stilleinlagen oder andere nicht saugfähige Erzeugnisse (im Allgemeinen Einreihung nach ihrer stofflichen Beschaffenheit)."
Strittig ist einzig die Einreihung der zollabgefertigten Menstruationsunterhosen in den Zolltarif und die sich daraus ergebende Höhe des anzuwendenden Zollsatzes.
Während das Zollamt in den beiden o.a. Beschwerdevorentscheidungen die Ansicht vertritt, die Waren seien als "Slips und andere Unterhosen, aus Baumwolle" in die Warenposition 6108 2100 00 der KN mit einem Zollsatz von 12,00 % einzureihen, meint die Bf. es handle sich um Windeln und begehrt eine Einreihung unter Position 9619 0040 10 der KN (Zollsatz 6,30 %).
Dazu ist einleitend festzuhalten, dass die von der Bf. vorgenommene Einreihung der verfahrensgegenständlichen Wirtschaftsgüter in den Zolltarif in den beiden o.a. Zollanmeldungen unter Warennummer 6208 9900 99 der KN zweifellos unrichtig ist.
Denn die in Rede stehenden Erzeugnisse sind (wie sich aus den dem Bundesfinanzgericht vorliegenden Musterhosen unschwer erkennen lässt) eindeutig aus Wirkwaren hergestellt. Das Zollamt hat in den beiden o.a. Beschwerdevorentscheidungen (denen nach ständiger Rechtsprechung (siehe z.B. ) Vorhaltcharakter zukommt), die Hosen als "aus schwarzen Wirkwaren hergestellt" beschrieben. Diesen Feststellungen ist die Bf. mit keinem Wort entgegengetreten. Waren aus Gewirken oder Gestricken sind aber, wie sich schon aus dem Wortlaut der Überschrift des Kapitels 62 der KN unmissverständlich ergibt, von der Einreihung in dieses Kapitel ausgeschlossen.
Das Zollamt stützt seine Rechtsansicht hinsichtlich der Einreihung in den Zolltarif u.a. auf die Feststellungen der Technischen Untersuchungsanstalt betreffend die Untersuchung eines ähnlichen Erzeugnisses (Untersuchungsbefund Nr. 326/2020).
Jenes Erzeugnis wird im erwähnten Untersuchungsbefund wie folgt beschrieben: "elastische, enganliegende Unterwäsche mit elastischem Bund; ohne Eingriff; aus verschiedenen schwarzen Wirkwaren, die Außenseite besteht aus Polyamid, Innenseite aus Cellulosefasern; mehrlagig; im Schritt befinden sich 4 Lagen (innen aus Polyester, erste Zwischenlage aus Cellulose, zweite Zwischenlage aus Polyester und körperzugewandt mit einer Polyurethanfolie überzogen), restliche Unterhose 2-lagig; Ankündigung als Menstruationsunterwäsche, Größe L, für Frauen (It. Ankündigung)."
In den beiden Beschwerdevorentscheidungen führt das Zollamt weiter aus:
"Im Parteiengehör vom wurde die beabsichtigte Abweisung der Beschwerde unter anderem mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-677/18 hinsichtlich der Einreihung von Mastektomie-Büstenhalter begründet, da diese als Indiz für die Einreihung auch im gegenständlichen Fall herangezogen werden kann:
"Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Verwendungszweck der Ware zwar ein objektives Tarifierungskriterium sein kann, jedoch nur, sofern er dieser Ware innewohnt, was sich anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware beurteilen lassen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Korado, C-306/18, EU:C:2019:414, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung). Doch selbst unter der Annahme, dass die von der Durchführungsverordnung 2017/1167 erfassten Büstenhalter, wie Amoena argumentiert, ausschließlich oder zumindest hauptsächlich für Frauen nach einer Brustamputation bestimmt wären und ihnen ermöglichten, eine Brustprothese einzulegen, würde dieser Verwendungszweck nichts an der Feststellung in der vorigen Randnummer des vorliegenden Urteils ändern. Ein solcher Verwendungszweck wohnt nämlich diesen Waren nicht inne, da die objektiven Merkmale und Eigenschaften der genannten Waren offenbar nicht dergestalt sind, dass sie ihre Verwendung als gewöhnliche Büstenhalter ausschließen würden oder dass sie eine ausschließliche Verwendung dieser Büstenhalter mit einer Brustprothese erforderlich machen würden."
In der Stellungnahme vom führte die Bf. hinsichtlich dieser Entscheidung an, dass diese Entscheidung im gegenständlichen Fall nicht überzeugend sei, da die Büstenhalter, um welche es in der Entscheidung geht, aufgrund der Verstärkung und Festigkeit auch von Frauen getragen werden, die keine Brustamputation hinter sich haben.
Wie jedoch bereits im Parteiengehör vom zu dieser Entscheidung des EuGH ausgeführt, kann man in Anwendung dieser genannten Entscheidung auf den gegenständlichen Fall jedoch auch wiederholt argumentieren, dass die objektiven Merkmale und Eigenschaften der Menstruationsunterwäsche offenbar nicht dergestalt sind, dass sie eine ausschließliche Verwendung als Menstruationsunterwäsche besitzt und Verwendung findet, sondern vielmehr auch als "normale" Frauenunterwäsche Verwendung finden kann. Wie der EuGH eine Verwendung der Mastektomie-Büstenhalter als gewöhnliche Büstenhalter nicht ausschließt, kann ein gewöhnlicher Gebrauch abseits vom Hygienezwecken ebenso nicht ausgeschlossen werden. Überdies wird auch in der der Beschwerdeschrift beigelegten Produktbeschreibung die Menstruationsunterwäsche als "genauso angenehm wir herkömmliche Unterwäsche zu tragen" beworben.
Auch das Argument seitens der Bf., dass aufgrund des hohen Preises, verglichen mit normaler Unterwäsche, keine Frau auf die Idee kommen würde, Menstruationsunterwäsche anstelle normaler Unterwäsche zu tragen, konnte durch das Zollamt nicht berücksichtigt werden. Der Verkaufspreis im Einzelhandel findet in der Einreihung einer Ware in das Tarifsystem keine Berücksichtigung. Ebenfalls ist es kein Kriterium für die Einreihung, ob die Unterwäsche im Textilhandel oder in einem Drogeriemarkt vertrieben wird.
Es ist durchaus möglich und denkbar diese Ware jederzeit zu verwenden und nicht nur während der Menstruation. Ebenfalls ist auch davon auszugehen, dass die Funktionalität ohne die zwei zusätzlichen Lagen im Schritt als Unterhose gegeben ist.
Als weitere Indizien für die Einreihung der gegenständlichen Menstruationsunterwäsche können, wie bereits im Parteiengehör vom ausgeführt, die Einreihungen zweier deutscher Verbindlicher Zolltarifauskünfte (VZTA) herangezogen werden. In den VZTA DE15384/14-1 und DE595/15-1 wird Unterbekleidung, im Schritt mit einer Hygieneeinlage ausgestattet, jeweils in das Kapitel 61 eingereiht."
Dieser Argumentation kann nach der Überzeugung des Bundesfinanzgerichts aus den nachstehend angeführten Gründen nicht gefolgt werden:
Zum :
Im dortigen Rechtsstreit erachtete der EuGH als wesentlich, dass zum Zeitpunkt der Einfuhr die objektiven Merkmale der Ware keinerlei Anhaltspunkt für die Endverwendung (zu den dort entscheidungsmaßgeblichen ästhetischen oder medizinischen Zwecken) gaben (siehe Rz. 46).
Im vorliegenden Fall hingegen sind die objektiven Merkmale und Eigenschaften der in Rede stehenden Waren dahingehend zu beurteilen, dass sie allen drei Kriterien entsprechen, die in den o.a. HS-Erläuterungen zu Position 9619 der KN unter Buchstabe a), b) und c) beschrieben sind. Denn die Hosen sind im Bereich des Schritts unstrittig vierlagig aufgebaut (innen aus Polyester, erste Zwischenlage aus Cellulose, zweite Zwischenlage aus Polyester und körperzugewandt mit einer Polyurethanfolie überzogen). Die eingeführten Wirtschaftsgüter stellen sich daher als Erzeugnisse dar, die als Windeln oder ähnliche Waren in die KN einzureihen sind.
Für dieses Ergebnis spricht auch die Abschnittsanmerkung 1 u) zu Abschnitt XI der KN, wonach Waren des Kapitel 96 von der Einreihung in den Abschnitt XI der KN ausgeschlossen sind. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass eine vergleichbare Abschnittsanmerkung im Abschnitt XI für (im o.a. Urteil des EuGH relevante) Waren des Kapitels 90 nicht besteht.
Der Einwand des Zollamtes, die in Rede stehende Menstruationsunterwäsche könne auch als "normale" Unterwäsche Verwendung finden und sei schon deshalb aus Baumwollslip in die Position 6108 2100 00 einzureihen, führt zu keiner anderen Einschätzung. Dies zeigt sich beispielsweise an Hand eines Vergleichs mit der Einreihung von quadratischen Stoffwindeln aus Baumwolle. Diese sind unabhängig davon in die Position 9616 der KN einzureihen, dass sie in der Praxis auch als Stoffservietten oder Putztücher (grundsätzlich Position 6307 der KN) eingesetzt werden.
Zu den beiden VZTA aus Deutschland:
Diese beiden Entscheidungen der Zollbehörden Deutschlands betreffen völlig andere Waren. Es handelt sich jeweils um den Rumpf bedeckende Bodies der Warennummer 6114 der KN, die nicht über die in den o.a. HS-Erläuterungen unter den Buchstaben a) bis c) aufgelisteten Merkmale und Eigenschaften verfügen. Daran ändert auch nichts der Umstand, dass sie (wie z.B. auch viele Badehosen) mit Hygieneeinlagen ausgestattet sind. Denn diese sind nicht mit mehreren Lagen ausgerüstet, um das Aufsaugen und Halten von Körperflüssigkeiten zu gewährleisten und deren Entweichen aus der saugfähigen Einlage zu vermeiden.
Windeln für Erwachsene mit Inkontinenz sind in den o.a. HS-Erläuterungen zu Position 9619 genannt. Derartige auf dem Markt befindliche Produkte (egal ob Windeln oder Windelhosen) sind aus ästhetischen Gründen meist besonders dünn gefertigt, um den Benützern ein möglichst diskretes und unauffälliges Tragen zu ermöglichen. Die vorliegende Menstruationsunterwäsche stellt sich auf Grund ihrer spezifischen Beschaffenheit als ähnliches Erzeugnis dar und ist somit unter Bedachtnahme auf die o.a. AV 1 und AV 6 als "Windeln und ähnliche Waren aus Gewirken" von der Position 9619 0050 10 der KN umfasst. Damit kommt gem. Abschnittsanmerkung 1 u) zu Abschnitt XI der KN eine Einreihung der Wirtschaftsgüter in den Abschnitt XI (zu dem auch das Kapitel 61 der KN gehört) nicht in Betracht.
Die Bf. führt in den Beschwerden u.a. aus:
"Die ***5*** Menstruationsunterwäsche ist eine nachhaltige Alternative zu Tampons und Binden. Sie enthält eine vierlagige Gewebetechnologie. Die innerste Schicht nimmt das Menstruationsblut rasch auf und leitet es schnell nach innen weiter, damit sich die Frauen immer trocken fühlen. Diese Schicht ist auch mit einem antibakteriellen Schutz versehen, um der Vermehrung von Bakterien entgegenzuwirken und somit auch unangenehme Gerüche zu verhindern. In der zweiten Schicht wird das Blut aufgenommen und kann sich dort gut verteilen, sodass eine hohe Saugfähigkeit gewährleistet ist. Die dritte Schicht besteht aus einer atmungsaktiven Schutzmembran, um ein Auslaufen zu verhindern. Die äußerste Schicht ist aus einem hautfreundlichen Stoff, der für ein angenehmes Tragegefühl sorgt.
Die ***5*** Menstruationsunterwäsche erfüllt daher die gleichen Aufgaben wie Tampons und Binden und kann mit Windeln, die das Menstruationsblut aufsaugen, verglichen werden.
Binden, Tampons und Windeln sind jedoch unzweifelhaft Hygieneprodukte, welche unter die Zolltarifnummern 9619 00 0000 folgende fallen.
Bei der ***5*** Menstruationsunterwäsche wurde versucht, Windeln zu erzeugen, die nicht "hässlichen", herkömmlichen Windeln ähnlich sehen. Der Umstand, dass es sich um besonders ästhetische Windeln handelt, ändert jedoch nichts daran, dass es sich letztendlich ausschließlich um Windeln handelt.
Die Einordnung der ***5*** Menstruationsunterwäsche als Unterwäsche (Slips und Unterhosen aus Chemiefasern) durch das Zollamt ist daher nicht gerechtfertigt."
Wie bereits oben ausgeführt, zielt das Beschwerdevorbringen darauf ab, bei der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr der in Rede stehenden Menstruationsunterwäsche einen Zollsatz von 6,30 % zur Anwendung zu bringen.
Dem kann aus folgenden Gründen nicht entsprochen werden:
Der von der Bf. begehrte Zollsatz gilt für Waren der Position 9619 0040 10 der KN. Darunter fallen ausschließlich hygienische Binden (Einlagen), Tampons und ähnliche Waren aus Gewirken. Bei den eingeführten Wirtschaftsgütern handelt es sich aber im Gegensatz dazu um "Windeln und ähnliche Waren". Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass Letztere, wenn sie als Windelhosen gefertigt sind, wie Unterwäsche angezogen werden können, weil sie oben mit einer Öffnung für den Unterkörper und unten mit zwei Öffnungen für die Beine ausgestattet sind. Die in Rede stehenden Waren erfüllen diese Einreihungskriterien, zumal sie ähnlich wie Windelhosen konfektioniert sind.
Dies wird auch von der Bf. selbst bestätigt, die in der Beschwerde ausdrücklich von "ästhetischen Windeln" spricht. Windeln und ähnliche Waren der verfahrensgegenständlichen Art (also auch die in Rede stehende Menstruationsunterwäsche) sind aber - wie oben ausführlich begründet - von der Position 9619 0050 10 der KN umfasst. Für diese Erzeugnisse gilt ein Zollsatz von 10,50 %.
Bemerkt wird, dass sich das vorliegende Einreihungsergebnis mit zahlreichen verbindlichen Zolltarifauskünften anderer Mitgliedstaaten laut der nachstehenden beispielhaften Auflistung deckt:
Belgien:
BEBTIDT 50.007.901 vom
Niederlande:
NLBTI2022-0778 vom
Frankreich:
FRBTIFR-BTI-2022-00389 vom
Spanien:
ESBTIESBTI2022SOL772 vom
Irland:
IEBTIIENEN004-2022-BTI493 vom
Die (maschinelle) Übersetzung zur o.a. VZTA aus den Niederlanden lautet beispielsweise:
"Eine sogenannte Menstruationsunterhose mit - je nach Spezifikation - folgenden Merkmalen und Eigenschaften: - feuchtigkeitsabsorbierend, zum Auffangen von Flüssigkeiten; - zur Anwendung während der Menstruation; - aus Maschenware aus Polyester und Elasthan; - geeignet, nach dem Waschen mehrmals verwendet zu werden; - oben eine Öffnung für den Unterkörper; - zwei Beinöffnungen unten; - oben gesäumt; - mit Paspeln an den Beinöffnungen versehen; - einer im Schritt ist ein doppellagiger Strick, der oben rechteckige Öffnungen aufweist; - zwischen dem im Schritt aufgebrachten doppellagigen Gestrick und dem Textil auf der Außenseite wurde eine Textilschicht mit einer mit bloßem Auge sichtbaren Beschichtung aufgebracht, die dafür sorgt, dass das doppellagige Gestrick Flüssigkeiten zurückhalten kann."
Alle diese verbindlichen Zolltarifauskünfte betreffen Menstruationsunterwäsche, die laut Beschreibung und (teilweise vorhandenen) Abbildungen den verfahrensgegenständlichen Erzeugnissen im Wesentlichen entspricht und für den mehrmaligen Gebrauch bestimmt ist.
Wenn diese Entscheidungen auch keine für das Bundesfinanzgericht bindende Rechtsnorm bilden, zeigen sie doch eine europaweit einheitliche Würdigung der hier zu lösenden Einreihungsfrage. Es spricht daher auch aus dieser Sicht alles für das oben erläuterte Ergebnis.
Die Einfuhrabgaben waren daher wie folgt neu zu berechnen:
MRN ***1***
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Pos | Warennummer | Zollwert | Zollsatz | Zoll |
1 | 9619 0040 90 | 36.431,59 | 6,30 % | € 2.295,19 |
2 | 9619 0050 10 | 70.839,21 | 10,50 % | € 7.438,12 |
Summe | € 9.733,31 |
MRN ***2***
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Pos | Warennummer | Zollwert | Zollsatz | Zoll |
9619 0050 10 | 28.917,00 | 10,50 % | € 3.036,28 |
Hinweis:
Gem. § 62 ZollR-DG hat die Abänderung der Festsetzung von Einfuhrumsatzsteuer im Rechtsbehelfsverfahren zu unterbleiben, soweit der Empfänger für diese Abgabe nach den umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist.
Die Bf. ist laut den Angaben in der Zollanmeldung hinsichtlich der hier anfallenden Einfuhrumsatzsteuer zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt. Eine sich auf Grund der geänderten zolltarifarischen Einreihung ergebende Abänderung der Abgabenfestsetzung hinsichtlich dieser Abgabe hatte daher zu unterbleiben. Eine diesbezügliche Neuberechnung der Eingangsabgaben war somit entbehrlich.
Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Zur Frage der Einreihung der hier in Rede stehenden Menstruationsunterwäsche in den Zolltarif fehlt eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die Revision war daher zuzulassen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Zoll |
betroffene Normen | Art. 56 Abs. 2 UZK, VO 952/2013, ABl. Nr. L 269 vom S. 1 |
Verweise | UZK, Zollkodex Art. 102 Abs. 1 UZK, Zollkodex Art. 5 Nr. 16 Buchstabe a UZK, Zollkodex Art. 5 Nr. 15 UZK, Zollkodex Art. 56 Abs. 2 Buchstabe a |
Zitiert/besprochen in | Schober in BFGjournal 2024, 298 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.7200051.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at