Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 16.05.2023, RV/5100305/2023

Anwendung der COVID-19-Verlustberücksichtigungsverordnung und des § 295a BAO

Beachte

Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ro 2023/15/0016. Mit Erkenntnis vom wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben.


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Rechtssätze
Stammrechtssätze
RV/5100305/2023-RS1
Der Umstand, dass im Jahr 2020 kein Verlust entstanden ist und die betrieblichen Einkünfte nicht negativ sind, stellt ein nachträgliches Ereignis iSd § 295a BAO dar, das eine entsprechende Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2019 gemäß § 295a BAO rechtfertigt.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mag. Erik Öhlinger, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Adalbert-Stifter-Platz 2, 4020 Linz, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer 2019, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Bescheid vom wurde der Einkommensteuerbescheid 2019 gemäß § 295a BAO geändert. Die Einkommensteuer 2019 wurde mit 47.611,00 € (zuvor: 29.733,00 €) festgesetzt. Begründend wurde ausgeführt, dass eine Korrektur vorzunehmen sei, wenn sich in Folge der Hinzurechnung der COVID-19-Rücklage ein positiver Gesamtbetrag der betrieblichen Einkünfte ergeben würde, weil die COVID-19-Rücklage zu hoch gebildet worden sei. Im Jahr der Bildung der COVID-19-Rücklage sei diese dahingehend zu kürzen, dass sie nur den negativen Gesamtbetrag der betrieblichen Einkünfte umfasse.
Da sich im Veranlagungsjahr 2020 ein positiver Gesamtbetrag der betrieblichen Einkünfte ergäbe, müsse die gesamte COVID-19-Rücklage gekürzt werden.

Gegen den Bescheid vom wurde am das Rechtsmittel der Beschwerde eingebracht und ausgeführt, dass sich die rückwirkende Kürzung mit Verweis auf § 295a BAO zwar in den Einkommensteuerrichtlinien (Rz 3920) finden würde, es handle sich dabei jedoch lediglich um einen Auslegungsbehelf. Diese rückwirkende Kürzung erscheine dem Beschwerdeführer weder vom EStG noch von der COVID-19-Verlustberücksichtigungs- verordnung gedeckt.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Verordnung erlassen worden sei, um Steuerpflichtigen die (freiwillige) Möglichkeit zu geben, bereits vor der Veranlagung 2020 betriebliche Verluste in einem gewissen Ausmaß im Jahr 2019 berücksichtigen zu können, um einen Liquiditätseffekt herbeizuführen. Ziel wäre es, eine gewisse Steuerbelastung bereits im Jahr 2019 zu vermeiden, da angesichts eines Verlustes im Jahr 2020 diese Steuerbelastung durch den neu normierten Verlustrücktrag ohnehin wieder reduziert werden würde. Es handele sich bei der COVID-19-Rücklage somit um einen vorgezogenen Verlustrücktrag.
Voraussetzung für die COVID-19-Rücklage seien positive Einkünfte im Jahr 2019 und voraussichtlich negative Einkünfte im Jahr 2020. Die Einkünfte des Jahres 2020 müssten daher zunächst geschätzt werden, weshalb im hier vorliegenden Fall davon ausgegangen werden könne, dass vom Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Antragstellung für die COVID-19-Rücklage (= Abgabe der Einkommensteuererklärung 2019) ein betrieblicher Verlust im Jahr 2020 angenommen worden sei. Ohne Nachweis betrage die COVID-19-Rücklage bis zu 30% des positiven Gesamtbetrags der Einkünfte im Jahr 2019. Diese 30% seien auch zur Gänze beantragt worden, was zu einer Rücklage iHv € 36.018,35 geführt habe.
Letztendlich sei aber im Jahr 2020 kein betrieblicher Verlust, sondern ein Gewinn erzielt worden. Einzige betriebliche Einkunftsquelle im Jahr 2020 sei die 20%-Beteiligung an einer Rechtsanwalts OG. Nach Ansicht des Finanzamtes sei die COVID-19-Rücklage des Jahres 2019 wesentlich zu hoch angesetzt worden. Die Einkommensteuererklärung des Jahres 2019 sei am eingereicht worden. Zu diesem Zeitpunkt wäre das Kalenderjahr 2020 bereits nahezu abgelaufen und das Ergebnis des Jahres 2020 und damit die Höhe der betrieblichen Einkünfte wohl bereits absehbar gewesen.
Zwischen der angesetzten COVID-19-Rücklage und dem tatsächlichen anteilsmäßigen Ergebnis würden etwas mehr als € 37.000,00 liegen. Eine sorgfältige Schätzung des voraussichtlichen Verlustes liege nach Ansicht des Finanzamtes nicht vor. Eine Korrektur wäre daher jedenfalls unerlässlich, da die Rücklage wesentlich zu hoch angesetzt worden sei.
Durch die COVID-19-Rücklage habe sich die Steuerbelastung im Jahr 2019 von ca. € 47.000,00 auf ca. € 29.000,00 reduziert. Nach der Hinzurechnung im Jahr 2020 wäre eine Steuerbelastung von ca. € 9.000,00 die Folge. Ohne die Rücklage würde die Steuerbelastung die erwähnten rund € 47.000,00 betragen. Es läge in Summe eine Progressionsermäßigung von ca. € 9.000,00 vor, obwohl im Jahr 2020 kein betrieblicher Verlust erzielt worden sei.
Mangels Verlust im Jahr 2020 könne es nicht zu einem vorgezogenen Verlustrücktrag in Form der COVID-19-Rücklage kommen und da es sich auch nicht um eine geringfügige Progressionsermäßigung handle, wäre der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2019 nachträglich zu berichtigen.

Mit Schriftsatz vom wurde durch den ausgewiesenen steuerlichen Vertreter des Beschwerdeführers Vorlageantrag eingebracht. Aus dem Gesetzeswortlaut würde sich nicht ergeben, dass die bei der Veranlagung 2019 gebildete COVID-19-Rücklage zu einer Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2019 gemäß § 295a BAO führen könne, wenn sich bei der Veranlagung 2020 herausstellen würde, dass die Rücklage nicht dem tatsächlichen Verlust bei der Veranlagung 2020 entsprechen würde.
Sollte sich eine derartige Handlungsanweisung in den Einkommensteuerrichtlinien der Finanzverwaltung befinden, so würde diese klar dem Wortlaut des § 2 der COVID-19-Verlustberücksichtigungsverordnung widersprechen. Dort sei ausdrücklich geregelt, dass die bei der Veranlagung 2019 berücksichtigte COVID-19-Rücklage im Rahmen der Veranlagung 2020 als Hinzurechnungsposten bei Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte anzusetzen sei.
Es bestehe keine Rechtsgrundlage dafür, die Differenz zwischen der bei der Veranlagung 2019 berücksichtigten COVID-19-Rücklage und dem tatsächlichen Verlust bei der Veranlagung 2020 rückwirkend in die Veranlagung des Jahres 2019 einzubeziehen und den Bescheid gemäß § 295a BAO abzuändern.
§ 295a BAO setze nicht nur ein "Ereignis" voraus, sondern auch, dass dieses abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit auf den Bestand oder Umfang eines Abgabenanspruches habe. Dafür würde es einer Rechtsgrundlage im Gesetz oder in einer Verordnung bedürfen.
Dies sei bei einer Erlassmeinung des Bundesministeriums für Finanzen aber gerade nicht der Fall. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen habe, würden Erlässe der Finanzverwaltung keine subjektiven Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen begründen. Sie würden lediglich die Rechtsauffassung des Bundesministeriums für Finanzen darstellen. Die Einkommensteuerrichtlinien würden in der Einleitung sogar selbst darauf hinweisen, dass aus ihnen über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehende Rechte und Pflichten nicht abgeleitet werden könnten. Die Erlassung von Einkommensteuerrichtlinien des Bundesministeriums für Finanzen könne daher schon aus dem Grund kein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 295a BAO herbeiführen.
Die Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2019 gemäß § 295a BAO durch nachträgliche Hinzurechnung jenes Teiles der COVID-19-Rücklage, die nicht dem tatsächlichen Verlust im Jahr 2020 entspreche würde, bei der Veranlagung 2019 sei rechtswidrig und die Abgabennachforderung von 17.878,00 € für 2019 habe zu unterbleiben. Vielmehr sei die gesamte für das Jahr 2019 berücksichtigte COVID-19-Rücklage gemäß § 2 der COVID-19-Verlustberücksichtigungsverordnung im Rahmen der Veranlagung 2020 als Hinzurechnungsposten bei der Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte anzusetzen.

Mit Bericht vom legte das Finanzamt die Beschwerdesache dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und fasste den bisherigen Verfahrensgang zusammen. Ergänzend zur ausführlichen Begründung der Beschwerdevorentscheidung wurde darauf hingewiesen, dass sich aus § 4 der COVID-19-Verlustberücksichtigungsverordnung ergeben würde, dass die Rücklage für die Veranlagung 2019 auf Antrag erfolgen würde. Der Antrag gelte ex lege als Antrag gemäß § 295a BAO, falls 2019 bereits rechtskräftig veranlagt worden sei. Auch der Verlustrücktrag erfolge generell bei einem rechtskräftig veranlagten Jahr gemäß § 295a BAO. Die Änderung gemäß § 295a BAO sei im gesamten System des Verlustrücktrages bzw. der vorgezogenen Verlustberücksichtigung explizit vorgesehen.
Schließlich wurde auf die Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/7102950/2022, verwiesen und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Im Rahmen der Einkommensteuererklärung 2019, die am elektronisch eingereicht wurde, wurde eine COVID-19-Rücklage iHv € 36.018,35, das sind 30% der positiven betrieblichen Einkünfte des Jahres 2019, beantragt. Die Veranlagung für das Jahr 2019 erfolgte erklärungsgemäß mit Einkommensteuerbescheid vom . Die Einkommensteuer wurde mit 29.733,00 € festgesetzt. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
Am reichte der Beschwerdeführer die Einkommensteuererklärung 2020 ein. Die Einkünfte aus selbständiger Arbeit wurden mit 1.243,48 € beziffert, jene aus Funktionsgebühren mit 2.638,13 €. Laut Erklärung sollte eine Hinzurechnung iHv 36.018,35 € erfolgen. Bei erklärungsgemäßer Veranlagung hätte die Einkommensteuer rund 9.600,00 € betragen. Das Finanzamt sah von einer Hinzurechnung des Betrages von 36.018,35 € ab und setzte die Einkommensteuer 2020 mit Bescheid vom mit 0,00 € fest.
Auf Basis der erklärten Einkünfte für das Jahr 2020 führte das Finanzamt mit Bescheid vom für den Einkommensteuerbescheid 2019 die nunmehr beschwerdegegenständliche Bescheidänderung gem. § 295a BAO durch. Die COVID-19-Rücklage wurde nicht berücksichtigt und die Einkommensteuer mit 47.611,00 € festgesetzt.

2. Beweiswürdigung

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ergibt sich unbestritten aus den vorgelegten Aktenteilen, den Parteienvorbringen und der Einsichtnahme in das elektronische Abgabeninformationssystem.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.

§ 124b Z 355 lit a EStG 1988 lautet:
a) Verluste aus Einkünften gemäß § 2 Abs. 3 Z 1 bis 3, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte im Rahmen der Veranlagung 2020 nicht ausgeglichen werden, können im Rahmen der Veranlagung 2019 bis zu einem Betrag von 5 000 000 Euro vom Gesamtbetrag der Einkünfte vor Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen abgezogen werden (Verlustrücktrag). Soweit ein Abzug im Rahmen der Veranlagung 2019 nicht möglich ist, kann dieser unter bestimmten Voraussetzungen im Rahmen der Veranlagung 2018 erfolgen. Dabei gilt:
- Die Verluste müssen durch ordnungsmäßige Buchführung oder bei Steuerpflichtigen, die ihren Gewinn gemäß § 4 Abs. 3 ermitteln, durch ordnungsgemäße Einnahmen-Ausgaben-Rechnung, ermittelt worden sein.
- Der Verlustrücktrag erfolgt auf Antrag. Wurde das betreffende Jahr bereits rechtskräftig veranlagt, gilt der Antrag als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 295a BAO.
- Soweit Verluste aus der Veranlagung 2020 nicht rückgetragen werden, können sie nach Maßgabe des § 18 Abs. 6 in Folgejahren abgezogen werden (Verlustabzug).
Der Bundesminister für Finanzen wird ermächtigt, im Wege einer Verordnung festzulegen, dass eine Verlustberücksichtigung bereits vor Durchführung der Veranlagung 2020 erfolgen kann, um bei den Steuerpflichtigen früher positive Liquiditätseffekte herbeizuführen. Dabei sind auch die Voraussetzungen für die Verlustberücksichtigung im Rahmen der Veranlagung 2018 näher festzulegen.

Aufgrund der Verordnungsermächtigung des § 124b Z 355 EStG 1988 wurde die Verordnung des Bundesministers für Finanzen zur Verlustberücksichtigung 2019 und 2018 (COVID-19-Verlustberücksichtigungsverordnung), BGBl. II Nr. 405/2020 erlassen, deren Abschnitt 1. - soweit gegenständlich relevant - wie folgt lautet:
COVID-19-Rücklage
§ 1. (1) Zur Schaffung von positiven Liquiditätseffekten vor Durchführung der Veranlagung 2020 können voraussichtliche betriebliche Verluste 2020 bereits im Rahmen der Veranlagung 2019 bei Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte durch einen besonderen Abzugsposten (COVID-19-Rücklage) berücksichtigt werden. Dabei gilt:
1. Die Bildung der COVID-19-Rücklage setzt voraus, dass der Gesamtbetrag der betrieblichen Einkünfte im Jahr 2019 positiv und im Jahr 2020 voraussichtlich negativ ist. Als Gesamtbetrag der betrieblichen Einkünfte gilt der Saldo der nach dem Tarif zu versteuernden Gewinne und Verluste (§ 2 Abs. 3 Z 1 bis 3 EStG 1988) aus Wirtschaftsjahren, die im jeweiligen Kalenderjahr enden.
2. Die COVID-19-Rücklage kürzt den Gesamtbetrag der Einkünfte 2019. Sie lässt die Höhe der betrieblichen Einkünfte unberührt.
3. Für die Ermittlung der Höhe der COVID-19-Rücklage gilt:
a) Sie beträgt ohne weiteren Nachweis bis zu 30% des positiven Gesamtbetrages der betrieblichen Einkünfte 2019, wenn die Vorauszahlungen Null betragen oder nur in Höhe der Mindeststeuer gemäß § 24a KStG 1988 festgesetzt wurden.
b) Sie beträgt bis zu 60% des positiven Gesamtbetrages der betrieblichen Einkünfte 2019, insoweit ein voraussichtlicher negativer Gesamtbetrag der betrieblichen Einkünfte 2020 glaubhaft gemacht wird.
c) Sie darf fünf Millionen Euro nicht übersteigen.

§ 2. Die bei der Veranlagung 2019 berücksichtigte COVID-19-Rücklage ist im Rahmen der Veranlagung 2020 als Hinzurechnungsposten bei Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte anzusetzen. Dieser lässt die Höhe der betrieblichen Einkünfte unberührt.

§ 4. Die Bildung einer COVID-19-Rücklage erfolgt auf Antrag. Der Antrag kann ab unter Verwendung des dafür vorgesehenen amtlichen Formulars gestellt werden. Wurde das betreffende Jahr bereits rechtskräftig veranlagt, gilt der Antrag als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 295a BAO.

Gemäß § 295a Abs. 1 BAO kann ein Bescheid auf Antrag der Partei (§ 78) oder von Amts wegen insoweit abgeändert werden, als ein Ereignis eintritt, das abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit auf den Bestand oder Umfang eines Abgabenanspruches hat.

Verluste aus den ersten drei Einkunftsarten, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte im Rahmen der Veranlagung 2020 nicht ausgeglichen werden können, können im Rahmen der Veranlagung 2019 durch Bildung einer entsprechenden Rücklage (COVID-19-Rücklage) abgezogen werden.

Die Bildung einer COVID-19-Rücklage setzt also voraus, dass der Gesamtbetrag der betrieblichen Einkünfte im Jahr 2019 positiv und im Jahr 2020 voraussichtlich negativ sind.

Aus der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2019 ergibt sich, dass der Beschwerdeführer Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 120.061,18 € erzielt hat. Er machte eine COVID-19-Rücklage iHv 36.018,35 € geltend, was 30 % des positiven Gesamtbetrages der betrieblichen Einkünfte 2019 entspricht (vgl. § 1 Abs. 1 Z 3 der COVID-19-Verlustberücksichtigungsverordnung). Diese Rücklage wurde vom Finanzamt entsprechend berücksichtigt (Bescheid vom ).

Im Rahmen der Veranlagung des Jahres 2020 (Bescheid vom ) stellte sich heraus, dass der Gesamtbetrag der betrieblichen Einkünfte im Jahr 2020 positiv ist. Daraus ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Bildung einer COVID-19-Rücklage nicht erfüllt waren.

Es stellt sich somit die Frage, ob der Umstand, dass im Jahr 2020 tatsächlich kein Verlust - sondern viel mehr ein positives Ergebnis - entstanden ist, ein nachträgliches Ereignis iSd § 295a BAO darstellt, das eine Abänderung des Einkommensteuerbescheide 2019 in der Form rechtfertigt, dass die COVID-19-Rücklage iHv 36.018,35 € nicht anerkannt wird.

Grundsätzlich verändern nach Entstehung des Abgabenanspruchs eingetretene Ereignisse nicht den Bestand und Umfang des Abgabenanspruches. Tritt ein Ereignis, das abgabenrechtliche Wirkung entfaltet, vor Bescheiderlassung ein, so ist dieses im Bescheid zu berücksichtigen. § 295a BAO ist hingegen dann anwendbar, wenn ein solches Ereignis nachträglich (nach Erlassung des Bescheids) eintritt (Ritz/Koran, BAO7, § 295a Tz 3ff).

Nach dem Gesetzeswortlaut ist § 295a BAO dann anzuwenden, wenn abgabenrelevante Umstände rückwirkend erfasst werden müssen, weil sie den Sachverhalt, der einem Bescheid zugrunde gelegt wurde, ändern. Im Gegensatz zu den anderen Rechtsschutzinstrumenten der BAO, bei denen die ursprünglichen Bescheide an einem wichtigen Mangel leiden, kann mit § 295a BAO ein ursprünglich richtiger Bescheid abgeändert werden. Dieser ursprüngliche Bescheid erging aufgrund eines richtig festgestellten Sachverhaltes, der durch ein Ereignis, das auf den Zeitpunkt der Entstehung der Abgabenschuld zurückwirkt, geändert wird. Der zunächst rechtmäßige Bescheid wird durch den Eintritt des Ereignisses im Sinne des § 295a BAO rechtswidrig (Reiter, § 295a BAO - Ereignisse mit Wirkung für die Vergangenheit, Orac 2006, Seite 20 mwN).

Im Rechtssatz zur Entscheidung vom , Ra 2018/16/0109, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass § 295a BAO nur der Verfahrenstitel zur Durchbrechung der materiellen Rechtskraft von vor Eintritt des Ereignisses erlassenen Bescheiden ist. Es ist eine Frage des Inhalts bzw. der Auslegung der materiellrechtlichen Abgabenvorschriften, welchen Ereignissen Rückwirkung (bezogen auf den Zeitpunkt des Entstehens des Abgabenanspruchs) zukommt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist § 295a BAO eine rein verfahrensrechtliche Bestimmung, die in keiner Weise Einfluss auf den Tatbestand materieller Abgabengesetze nimmt. Einem Ereignis kann daher nur dann Rückwirkung (bezogen auf den Zeitpunkt des Entstehens des Abgabenanspruchs) zukommen, wenn sich dies aus einer materiellrechtlichen Abgabenvorschrift ergibt (vgl. ).

Ereignisse im Sinne des § 295a BAO sind sachverhaltsändernde tatsächliche oder rechtliche Vorgänge, von denen sich - aus den die steuerlich relevanten Tatbestände regelnden Abgabenvorschriften - eine abgabenrechtliche Wirkung für bereits entstandene Abgabenansprüche ergibt ().

Dem Einkommensteuerbescheid 2019 wurde ein Sachverhalt zugrunde gelegt, wonach die betrieblichen Einkünfte des Beschwerdeführers im Veranlagungsjahr 2020 negativ sein würden. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Aus den materiellrechtlichen Abgabenvorschriften - nämlich den Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes - ergab sich in der Folge, dass die betrieblichen Einkünfte nicht negativ waren. Dieses Ereignis hat insofern abgabenrechtliche Wirkung auf den Einkommensteuerbescheid 2019, als die COVID-19-Rücklage nicht gebildet werde darf. Die Ermittlung der betrieblichen Einkünfte des Jahres 2020 stellt insofern einen sachverhaltsändernden Sachverhalt dar, als sich - im Gegensatz zur ursprünglichen Sachverhaltsannahme - kein Verlust ergab. Der Tatbestand des § 124b Z 355 EStG 1988 ist damit nicht (mehr) erfüllt.

Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist darauf Bedacht zu nehmen, dass die Anwendung des § 295a BAO eine zu Unrecht in Anspruch genommene Progressionsermäßigung rückgängig macht. Bei Hinzurechnung der gebildeten Rücklage im Veranlagungsjahr 2020 (Einkommen: 39.239,32 €) würde die Einkommensteuer 9.760,50 € betragen. Die Einkommensteuer 2019 bei Berücksichtigung der Rücklage ergibt einen Betrag von 29.733,00 € (vgl. Bescheid vom ), was für beide Jahre zusammen eine Steuerlast von 39.493,50 € bedeutet.
Demgegenüber ergibt sich für 2019 ohne Berücksichtigung der Rücklage eine Einkommensteuer iHv 47.611,00 € (vgl. Bescheid vom ) und für 2020 ohne Hinzurechnung eine Einkommensteuer von 0,00 €. Durch die Bildung der zu hohen Rücklage bzw. der nicht zustehenden Rücklage konnte der Beschwerdeführer eine Progressionsermäßigung iHv 8.117,50 € (47.611,00 minus 39.493,50) lukrieren.

Den Beschwerdeausführungen sowie der Darstellung im Vorlageantrag, wonach die Einkommensteuerrichtlinien kein rückwirkendes Ereignis iSd § 295a BAO herbeiführen können, ist prinzipiell zuzustimmen. Allerdings basiert die gegenständliche Entscheidung nicht darauf, dass die zur COVID-19-Verlustberücksichtigungsverordnung ergangenen Bestimmungen der Einkommensteuerrichtlinien ein rückwirkendes Ereignis iSd § 295 a BAO darstellen würden, sondern auf dem Umstand, dass die betrieblichen Einkünfte im Jahr 2020 nicht negativ sind.

Schließlich ist noch auf die Ausführungen im Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/7102950/2022, das zur gleichen Thematik ergangen ist, zu verweisen: "Bedenkt man, dass auch der Antrag auf einen Verlustrücktrag bei bereits erfolgter Veranlagung als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 295a BAO gilt, ist nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes analog davon auszugehen, dass bei einer überhöhten COVID-19-Rücklage eine Korrektur auf den im Folgejahr tatsächlich angefallenen Verlust erforderlich sein wird. Es kann dem Gesetzesgeber nämlich nicht unterstellt werden, er habe einen finanziellen und steuerlichen Anreiz für die Geltendmachung einer überhöhten COVID-19-Rücklage schaffen wollen. Würde man positive Einkünfte bei Anrechnung einer zu hohen COVID-19-Rücklage im Jahr 2020 zulassen, hätte dies zur Folge, dass die erste Progressionsstufe mit einem Nullsteuersatz bis zum Ausmaß von 11.000 nochmals ausgenutzt werden könnte und der darin Deckung findende Betrag keine Besteuerung erfahren würde. Die Kürzung dahingehend, dass sie nur den negativen Gesamtbetrag der betrieblichen Einkünfte umfasst, ist auch in Hinblick auf die betragsmäßige Höhe korrekt, da somit einerseits die in § 124b Z 355 EStG 1988 ausdrücklich beabsichtigten Liquiditätseffekte gewahrt bleiben und andererseits ein Anreiz für die Angabe einer zu hohen COVID-19-Rücklage vermieden wird (vgl. dazu die Erläuterungen RV 87 BlgNR 27. GP, S 8).

3.2. Zu Spruchpunkt II.

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Zur Frage, ob ein Anwendungsfall des § 295a BAO vorliegt, wenn im Jahr 2019 eine COVID-19-Rücklage gebildet wird und in der Folge die betrieblichen Einkünfte im Veranlagungsjahr 2020 tatsächlich positiv sind, liegt bislang noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor, weshalb die Revision zuzulassen war.

Aus den dargelegten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 124b Z 355 lit. a EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 295a Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
COVID-19-Verlustberücksichtigungsverordnung, BGBl. II Nr. 405/2020
Verweise



ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.5100305.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at