1. Beschwerde gegen Nichtbescheid (nach Einantwortung an Verlassenschaft gerichtet) 2. Vorlage ohne Beschwerde
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/3100405/2020-RS1 | Behördliche Erledigungen, die nach erfolgter Einantwortung an die dadurch nicht mehr existente Verlassenschaft gerichtet sind, stellen Nichtbescheide dar. Gegen solche Erledigungen gerichtete Beschwerden sind als unzulässig zurückzuweisen. |
RV/3100405/2020-RS2 | Erlässt die Abgabenbehörde nach vorherigem Ergehen eines Nichtbescheides einen wirksamen Bescheid, tritt dieser nicht gemäß § 253 BAO an die Stelle des Nichtbescheides. Eine gegen den Nichtbescheid gerichtete Beschwerde gilt daher auch nicht automatisch als gegen den erst nach Einbringung der Beschwerde erlassenen wirksamen Bescheid gerichtet. |
RV/3100405/2020-RS3 | Verfahren, die beim Bundesfinanzgericht dadurch anhängig gemacht werden, dass eine Vorlage durch die Behörde ohne zugrunde liegender Beschwerde erfolgt, sind trotz Fehlens einer expliziten gesetzlichen Regelung beschlussmäßig einzustellen. In analoger Anwendung von § 272 Abs. 4 BAO und § 274 Abs. 3 BAO obliegt ein solcher Einstellungsbeschluss auch bei Senatszuständigkeit dem Berichterstatter als Einzelrichter und kann ein solcher auch ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergehen. |
Entscheidungstext
BESCHLUSS
Das Bundesfinanzgericht beschließt durch den Richter Mag. David Hell LL.B. LL.M. in der Beschwerdesache ***Erbe1*** und ***Erbe2*** als Erben nach ***Erblasser***, beide vertreten durch AWION Wirtschaftstreuhand GmbH Steuerberatungsgesellschaft, Fritz Atzl-Straße 9, 6300 Wörgl, betreffend die als Bescheid intendierte Erledigung vom und den Bescheid vom des Finanzamtes Kufstein Schwaz, jeweils betreffend Einkommensteuer 2018, Steuernummer ***BF1StNr1***:
I. Die Beschwerde gegen die als Bescheid intendierte Erledigung vom wird als unzulässig zurückgewiesen.
II. Hinsichtlich dem Bescheid vom wird das Beschwerdeverfahren mangels Einbringung einer Beschwerde eingestellt.
III. Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Begründung
1. Verfahrensgang / Sachverhalt
Am ***Todestag*** verstarb ***Erblasser***. Im Namen der Verlassenschaft reichte ihr steuerliche Vertreter am die Einkommensteuererklärung für 2018 ein und beantragte gleichzeitig die Verteilung einer Pensionsabfindung in Höhe von brutto 90.329,04 € auf die Jahre 2018 bis 2020 unter Berufung auf § 37 Abs. 2 Z 2 iVm § 32 Abs. 1 Z 1 EStG 1988.
Mit Beschluss des Bezirksgerichtes ***BG-Ort*** vom zu Gz. ***Gz***, rechtskräftig seit , wurde die Verlassenschaft den minderjährigen Erben ***Erbe1*** und ***Erbe2*** eingeantwortet.
Am erließ die Abgabenbehörde einen an die "Verl. n." ***Erblasser*** zu Handen des steuerlichen Vertreters gerichteten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2018, mit welchem der Antrag auf Dreijahresverteilung abgewiesen wurde. Gegen diesen erhob der steuerliche Vertreter am im Namen der Verlassenschaft Beschwerde.
Diese wies die Abgabenbehörde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab. Diese Beschwerdevorentscheidung war an "***Erbe1*** und ***Erbe2*** als Erben n." ***Erblasser*** zu Handen des steuerlichen Vertreters gerichtet. Dagegen richtete sich der Vorlageantrag vom , den der steuerliche Vertreter im Namen der "Verlassenschaft nach" ***Erblasser*** "bzw. deren mj Erben" ***Erbe1*** und ***Erbe2*** einbrachte.
Mit Bescheid gemäß § 299 BAO vom hob die Abgabenbehörde sowohl den Einkommensteuerbescheid 2018 vom als auch die Beschwerdevorentscheidung vom auf. Begründend führte die Behörde aus, dass es sich bei dem Einkommensteuerbescheid 2018 vom um einen Nichtbescheid handle und die Beschwerde daher nicht abzuweisen, sondern als unzulässig zurückzuweisen gewesen sei.
Am erließ die Abgabenbehörde einen (inhaltlich mit dem Nichtbescheid identischen) Einkommensteuerbescheid 2018, der an "***Erbe1*** und ***Erbe2*** als Erben nach" ***Erblasser*** zu Handen des steuerlichen Vertreters gerichtet ist.
Gegen den Einkommensteuerbescheid 2018 vom wurde keine Beschwerde erhoben. Dennoch erließ die Abgabenbehörde bereits am eine wiederum an die Erben gerichtete abweisende Beschwerdevorentscheidung, wobei sie offenbar davon ausging, dass die (infolge Aufhebung der Beschwerdevorentscheidung wieder unerledigte) Beschwerde vom gemäß § 253 BAO auch als gegen den Einkommensteuerbescheid 2018 vom gerichtet gilt.
Mit dem im Namen der Erben vom steuerlichen Vertreter eingebrachten Vorlageantrag vom wurde die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht beantragt. Es wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie die Entscheidung durch den gesamten Senat beantragt.
Am legte die bescheiderlassende Behörde dem Bundesfinanzgericht die Beschwerde vom samt Akt und Vorlagebericht vor. Als angefochtene Bescheide bezeichnete die Behörde bei der Vorlage sowohl den Einkommensteuerbescheid 2018 vom als auch jenen vom . Dadurch wurden mit der Vorlage beim Bundesfinanzgericht Beschwerdeverfahren gegen beide Erledigungen anhängig.
Im Zuge der Finanzorganisationsreform trat mit das Finanzamt Österreich an Stelle der bescheiderlassenden Behörde. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesfinanzgerichts vom wurde die gegenständliche Rechtssache der mit neu besetzten Senatsgerichtsabteilung 4013-1 zugewiesen.
2. Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt (Verfahrensgang) ergibt sich widerspruchsfrei aus den vorgelegten Aktenteilen sowie dem Veranlagungsakt, in welchen das Gericht Einsicht nahm, insbesondere aus den genannten Schriftsätzen der beschwerdeführenden Partei und den genannten Erledigungen der Abgabenbehörde. Es liegen dem Gericht keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Verfahrensgang nicht dem Akteninhalt entsprechen könnte. Das Gericht konnte ihn daher seiner Entscheidung ohne Bedenken zugrunde legen.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Zurückweisung)
Die im Namen der Verlassenschaft eingebrachte Beschwerde vom richtet sich ausdrücklich gegen den Einkommensteuerbescheid 2018 vom , der ebenfalls an die Verlassenschaft gerichtet war.
Da die Verlassenschaft infolge der Einantwortung zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr existierte, stellt der "Einkommensteuerbescheid 2018" vom mangels tauglichem Bescheidadressaten überhaupt keine wirksame Erledigung, sondern einen Nichtbescheid dar. (vgl. ; , Ra 2019/16/0091).
Soweit sich der Aufhebungsbescheid gemäß § 299 BAO vom auf diesen Nichtbescheid bezieht, ist auch der Aufhebungsbescheid mangels eines aufhebbaren Bescheides wirkungslos. Die Aufhebung der Beschwerdevorentscheidung vom war zwar insoweit rechtswidrig, als nach Ansicht des Gerichts keine ersatzlose Aufhebung der Beschwerdevorentscheidung, sondern eine Abänderung des Spruchs zu einer Zurückweisung zu erfolgen hatte, aber die Aufhebung wurde mangels Anfechtung rechtskräftig. Dadurch schied der Vorlageantrag vom gemäß § 264 Abs. 7 BAO aus dem Rechtsbestand aus und die Beschwerde vom war wieder unerledigt.
Mangels Bescheidcharakters der Erledigung vom kann der Einkommensteuerbescheid 2018 vom aber schon begrifflich nicht im Sinne von § 253 BAO an die Stelle eines anderen Bescheides treten. Vielmehr erging am erstmals ein (wirksamer) Bescheid. Mangels Erfüllung des Tatbestandes kann auch die Rechtsfolge des § 253 BAO nicht eintreten, die Beschwerde vom folglich auch nicht als gegen den Bescheid vom gerichtet gelten.
Die Beschwerdevorentscheidung vom ist nach Ansicht des Gerichts als wirksame Entscheidung über die Beschwerde vom anzusehen, da sie auf diese formell und materiell Bezug nimmt. Daher ist auch der Vorlageantrag vom zulässig und versetzt das Gericht in die Lage, über die Beschwerde vom zu entscheiden.
Gegen einen Nichtbescheid gerichtete Beschwerden sind nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH jedoch gemäß § 260 Abs. 1 lit. a BAO zurückzuweisen (vgl. insbesondere ). Im Übrigen wäre die Beschwerde auch deshalb als unzulässig zurückzuweisen, weil sie im Namen der zum Zeitpunkt der Einbringung nicht mehr existenten Verlassenschaft eingebracht wurde und es daher auch an einem aktivlegitimierten Beschwerdeführer mangelt.
Die Zurückweisung obliegt gemäß § 272 Abs. 4 BAO auch bei beantragter Senatszuständigkeit dem Berichterstatter als Einzelrichter. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte nach § 274 Abs. 3 Z. 1 BAO aus verfahrensökonomischen Gründen abgesehen werden.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Einstellung)
Mit der Vorlage des Einkommensteuerbescheides 2018 vom an das Bundesfinanzgericht machte die Abgabenbehörde beim Gericht ein diesbezügliches Verfahren anhängig, ohne dass eine Beschwerde gegen diesen Bescheid erhoben wurde.
Wenngleich die BAO dies nicht ausdrücklich vorsieht, ist dieses Verfahren nach herrschender Ansicht beschlussmäßig einzustellen (Ritz/Koran, BAO7, § 278 Rz 1a mit weiteren Nachweisen).
Nach Ansicht des Gerichts obliegt die Einstellung auch bei beantragter Senatszuständigkeit in analoger Anwendung des § 272 Abs. 4 BAO dem Berichterstatter als Einzelrichter. Gleiches gilt für das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung in analoger Anwendung des § 274 Abs. 3 BAO. Die analoge Anwendung dieser Bestimmungen ist sachlich gerechtfertigt, da mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung des (zur förmlichen Beendigung des ohne Beschwerde anhängig gewordenen Verfahrens jedoch nötigen) Einstellungsbeschlusses eine planwidrige Lücke vorliegt und der Einstellungsbeschluss seiner Art nach den anderen in den angeführten Bestimmungen genannten Formalbeschlüssen ähnlich ist.
3.3. Zusammenfassende Darstellung
Um den Verfahrensparteien den nach Ansicht des Gerichts herrschenden Rechtszustand zu verdeutlichen, sei hier zusammengefasst dargestellt, welche Erledigungen nach Ansicht des Gerichts aus welchem Grund wirksam bzw. nicht wirksam sind.
Der "Einkommensteuerbescheid 2018" vom ist ein Nichtbescheid.
Soweit sich der Aufhebungsbescheid vom auf den vorgenannten Nichtbescheid bezieht, ist er wirkungslos.
Die Beschwerdevorentscheidung vom wurde mit dem Aufhebungsbescheid vom zwar in rechtswidriger Weise, aber mangels Anfechtung rechtskräftig aufgehoben. Dadurch schied auch der Vorlageantrag vom aus dem Rechtsbestand aus.
Mit der Beschwerdevorentscheidung vom wurde über die Beschwerde vom gegen den "Bescheid" vom entschieden.
Der Vorlageantrag vom bezieht sich auf die Beschwerdevorentscheidung vom , die Beschwerde vom und den "Bescheid" vom .
Auf diesen Verfahrensstrang bezieht sich Spruchpunkt I. dieses Beschlusses.Der Einkommensteuerbescheid 2018 vom ist mangels Anfechtung rechtskräftig geworden. Darauf bezieht sich Spruchpunkt II. dieses Beschlusses.
Grafische Darstellung des Verfahrensgangs inklusive rechtlicher Beurteilung:
3.4. Zu Spruchpunkt III. (Revision)
Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Rechtsfrage der Zurückweisung von Beschwerden gegen Nichtbescheide ist durch die angeführte Judikatur hinreichend geklärt. Dass eine Weitergeltung der Beschwerde gemäß § 253 BAO gegen den wirksamen Bescheid nicht in Betracht kommt, ergibt sich aus dem klaren Wortlaut des Gesetzes. Die Zulässigkeit von Einstellungsbeschlüssen ergibt sich implizit aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ro 2014/13/0035. Die Revision war daher mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung gegen beide Spruchpunkte nicht zuzulassen.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 260 Abs. 1 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 272 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 274 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 253 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
Zitiert/besprochen in | Hell in BFGjournal 2023, 212 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.3100405.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at