Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 08.05.2023, RV/3100178/2023

Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe: Laut zwei SMS-Gutachten ist die (derzeitige) Erwerbsunfähigkeit behebbar, weshalb keine voraussichtlich DAUERNDE Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lj. vorliegt

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom , Ordnungsbegriff Nr1, betreffend Abweisung der Anträge auf Familienbeihilfe und Erhöhungsbetrag für den Zeitraum ab Juni 2022 zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach
Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensablauf:

1. Frau ***Bf1*** (= Beschwerdeführerin, Bf) hat mit Anträgen Beih100 und Beih3 vom für den Enkelsohn A, geb. 05/2004, ab Juni 2022 die Familienbeihilfe (FB) und den FB-Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung, konkret "Autismus-Spektrum-Störung Asperger-Syndrom", beantragt. Für das Kind wird kein Pflegegeld bezogen.

2. Im Akt erliegt dazu ein "Psychologischer Befund" des DrB v. , wonach im Ergebnis "der Verdacht des Vorliegens einer Autismus-Spektrum-Störung" bestätigt wird und der Patient "die Diagnosekriterien des F84.5 Asperger-Syndroms" erfüllt.

3. Aus dem anschließend angeforderten, vom Sozialministeriumservice (SMS) "aufgrund der Aktenlage" am von DrC, Facharzt f. Psychiatrie und Allgemein-mediziner, erstellten Sachverständigengutachten (vidiert von DrD) geht auszugsweise hervor:

" … Zusammenfassung relevanter Befunde …:
: testpsychologischer Befund der Psychiatrie am LKH
Ort1: … Ergebnis: Der Patient erfüllt die Diagnosekriterien des F84.5 Asperger-Syndroms nach ICD-10.

Behandlung …: Keine Angaben im Akt

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
1 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, Persönlichkeits-
bzw. Verhaltensstörung mit maßgeblichen sozialen Beeinträchtigungen
Tiefgreifende Entwicklungsstörung im Sinne eines Asperger-Syndroms
bei normaler Intelligenz; die Diagnose begründet eine ernsthafte und
durchgehende Beeinträchtigung der meisten sozialen Bereiche, aus
der Befundlage heraus ist der untere Rahmensatz anzuwenden
Pos.Nr. GdB 50 %
Gesamtgrad der Behinderung 50 v.H.
…….
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:
ja
GdB liegt vor seit: 07/2022
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
Der festgestellte gesamte Grad der Behinderung besteht zumindest seit der Diagnosestellung im Juli 2022 mit Sicherheit.

Herr A ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN

Anmerkung bzw Begründung betreffend die Fähigkeit bzw voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Autismusstörung eine Arbeits- oder Erwerbstätigkeit dauernd verunmöglicht.

Dauerzustand (Anm.: ist nicht angekreuzt)
Nachuntersuchung: in 5 Jahren
Anmerkung hins. Nachuntersuchung:
Unter entsprechender Förderung sozialer Kompetenzen kann eine Besserung eintreten bzw. die sozialen Nachteile gelindert werden, weshalb in fünf Jahren eine Nachschau zu empfehlen ist. …..".

4. Mit Bescheiden vom , Ordnungsbegriff Nr1, hat das Finanzamt die Anträge der Bf auf FB und Erhöhungsbetrag für den Zeitraum ab Juni 2022 abgewiesen; dies mit der Begründung, es liege beim Kind/Enkel weder eine Berufsausbildung noch eine im Gesetz geforderte Erwerbsunfähigkeit noch vor dem 21. Lebensjahr vor. Wenn die "allgemeine FB" nicht zustehe, könne auch der Erhöhungsbetrag nicht gewährt werden.

5. In der gegen beide Bescheide erhobenen Beschwerde wird eingewendet, der Enkel sei nicht persönlich vom Arzt untersucht worden. Die Erkrankung sei so schwerwiegend, dass er keiner Beschäftigung nachgehen könne. Es werde um neuerliche Begutachtung ersucht.

6. Beim Sozialministeriumservice wurde ein weiteres Sachverständigengutachten angefordert und am (vidiert am ) nunmehr "mit Untersuchung" vom durch DrE, Facharzt f. Psychiatrie, mit ua. folgendem Inhalt erstellt:

"… Anamnese:
soziale Probleme zB mit Gleichaltrigen bereits im Kindesalter aufgefallen, seit vielen Jahren sozial sehr zurückgezogen, meidet Kontakte insbesondere zu Fremden, habe Schwierigkeiten mit größeren Menschenansammlungen, bei banalen Konversationen, leide an Gefühl der Reizüberflutung zB durch laute Geräusche oä.; unter sozialem Stress auch ausgeprägtere Angstverdichtungen mit Hyperventilationen; vorübergehend aufgrund der Verhaltens-auffälligkeit auch Fremdunterbringung im Kinderschutzzentrum notwendig gewesen; hat Pflichtschule erfolgreich abgeschlossen, anschließend Handelsakademie krankheitsbedingt abgebrochen, war bisher nie erwerbstätig, ist aktuell arbeitslos, bisher auch keine Berufspraktika oä. absolviert; verbringt den Großteil der Freizeit alleine vor dem Computer, außerhalb der Wohnung derzeit nur Spaziergänge mit dem Hund möglich

Derzeitige Beschwerden:
autismustypische Sozialverhaltensauffälligkeiten, Gefühl der Reizüberflutung, Grübelneigung, repetitive Muster, gelegentlich Einschlafstörung, reduzierter Antrieb

Behandlungen …:
laufende fachärztlich-psychiatrische Behandlung bei
DrF, Ort2; Medikation: Pramulex
….
Zusammenfassung relevanter Befunde …:
- Ambulanter Abschlussbefund, Abt. für Kinder- und Jugendpsychiatrie,
Ort1. ():
seit November 2015 in kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung; Soziale Phobie
- Psychologischer Befund … (): Asperger-Syndrom
- Nuklearmedizinischer Arztbrief, Schilddrüsen-Ambulanz … ():
V.a. latente Hypothyreose
….
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
1 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, Persönlichkeits-
bzw. Verhaltensstörung mit maßgeblichen sozialen Beeinträchtigungen:
Asperger-Syndrom
ernsthafte und durchgängige Beeinträchtigung der meisten sozialen Bereiche
Pos.Nr. GdB 50 %
Gesamtgrad der Behinderung 50 v.H.
…..
Stellungnahme zu Vorgutachten:
Seit dem letzten Vorgutachten keine relevante Befundveränderung.

GdB liegt vor seit: 11/2015
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
Aus den vorliegenden Befundberichten geht hervor, dass seit November 2015 eine andauernde psychiatrische Behandlung notwendig ist und stattfindet. Es ist daher davon auszugehen, dass seit 11/2015 ein GdB von 50 v.H. vorliegt.

Herr A ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN

Anmerkung bzw Begründung betreffend die Fähigkeit bzw voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Der Proband ist DERZEIT außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Unter Ausschöpfung therapeutischer und berufsintegrativer Maßnahmen ist die Herstellung der Erwerbsfähigkeit jedoch möglich.

Dauerzustand (Anm.: ist nicht angekreuzt)
Nachuntersuchung: in 3 Jahren

Anmerkung hins. Nachuntersuchung:
GdB könnte unter 50 v.H. fallen. …..".

7. Mit Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom hat das Finanzamt der Beschwerde teilweise Folge gegeben und die erhöhte FB für den Zeitraum ab Dezember 2022 zuerkannt. In der Begründung wird zum Sachverhalt ua. ausgeführt:

"… Am haben Sie eine Beschwerde eingebracht. Laut neuem Gutachten vom wurde ein Grad der Behinderung von 50 % ab November 2015 festgestellt, eine dauernde Erwerbsunfähigkeit ist mit Dezember 2022 eingetreten".
Im Weiteren wird nach Darstellung der Gesetzeslage (ua. §§ 2 Abs. 1 lit c, 8 Abs. 5 und 6 FLAG 1967) ausgeführt:
"… Besteht keine vor dem 21. Lebensjahr eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, stehen weder der Grund- noch der Erhöhungsbetrag an Familienbeihilfe zu. Das medizinische Sachverständigengutachten geht davon aus, dass eine dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, im Dezember 2022 eingetreten ist. Ihre Beschwerde war daher für den Zeitraum von Juni 2022 bis November 2022 als unbegründet abzuweisen. …"
(Begründung im Einzelnen: siehe die BVE v. )

8. In dem - unter Beischluss der BVE und des SMS-Gutachtens v. - dagegen eingebrachten Vorlageantrag bringt die Bf im Wesentlichen vor:

Im Hinblick auf die teilweise Stattgabe bzw. Zuerkennung der erhöhten FB ab Dezember 2022 werde sohin dem Grunde nach der Rechtsanspruch der Bf iSd § 2 Abs. 1 lit c FLAG anerkannt und sei unstrittig. Dennoch habe das Finanzamt die Gewährung für den Zeitraum Juni bis November 2022 verneint, obwohl im zugrunde gelegten Gutachten davon ausgegangen werde, dass "seit dem letzten Vorgutachten keine relevante Befundveränderung eingetreten" sei. Dies müsse auch für die Fähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, gelten und daher auch für den fraglichen Zeitraum rückwirkend der Rechtsanspruch bestehen. Dem Enkelsohn sei aufgrund seiner Erkrankung die selbständige Wahrnehmung von Arztterminen oder die Teilnahme am öffentlichen Verkehr ohne Begleitung nicht zumutbar, welcher Zustand sich in den letzten 5 Jahren kontinuierlich verschlechtert habe.

9. Der zugleich von der Bf eingebrachte "Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe" samt ua. vollständigem Vermögensbekenntnis wurde vom Bundesfinanzgericht (BFG) mit Beschluss v. , VH/3100001/2023, abgewiesen, da die nach § 292 Abs. 1 BAO erforderliche Voraussetzung (= Vorliegen einer komplexen bzw. besonders schwierigen Rechtsfrage im Beschwerdeverfahren) hier nicht erfüllt ist.

II. Sachverhalt:

Der Enkelsohn der Bf, A geb. 05/2004, hat mit Mai 2022 die Volljährigkeit erreicht.
Er hat nach Abschluss der Pflichtschule die Handelsakademie besucht, diese Ausbildung aufgrund seiner Erkrankung abgebrochen und hat anschließend keine weitere Berufsaus-bildung (Praktika oä.) absolviert und war auch nie berufstätig (siehe "Anamnese" lt. Zweitgutachten v. ).

Aufgrund der Anträge der Bf auf Zuerkennung von FB und FB-Erhöhungsbetrag für den Enkelsohn wegen erheblicher Behinderung "ab Juni 2022" wurden beim Sozialministerium-service zwei ärztliche Sachverständigengutachten angefordert und zunächst aufgrund der Aktenlage (= Erstgutachten v. 4./), dann mit Untersuchung am (= Zweitgutachten v. 12./) erstellt.

Unter Berücksichtigung der jeweils vorliegenden relevanten ärztlichen Befunde wurde von den Gutachtern übereinstimmend ein Gesamtgrad der Behinderung (GdB) von 50 % bescheinigt, der laut Zweitgutachten nachweislich (zufolge kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung ab dieser Zeit) ab November 2015 besteht.

Daneben kommen beide Gutachter zum Ergebnis, dass nicht von einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit des Enkels auszugehen ist ("… ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN"). Demnach wird durch die Autismusstörung die Erwerbstätigkeit nicht auf Dauer verunmöglicht (siehe Erstgutachten) bzw. ist eine derzeit nicht gegebene Erwerbsfähigkeit durch Anwendung therapeutischer und berufsintegrativer Maßnahmen herstellbar und ein Abfall des GdB unter 50 % möglich (lt. Zweitgutachter). Laut beiden Gutachtern handelt es sich insofern nicht um einen Dauerzustand.

III. Beweiswürdigung:

Obiger Sachverhalt ergibt sich aus dem Akteninhalt, dh. im Wesentlichen aus den eingangs dargestellten zwei SMS-Sachverständigengutachten.

IV. Rechtslage:

1.) Gesetzliche Bestimmungen:

Gemäß § 2 Abs. 1Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG), BGBl 1967/376 idgF., haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe (Anm.: auf den Grundbetrag an Familienbeihilfe)

lit a) für minderjährige Kinder, ….

lit b) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die
für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet
werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich
ist. …..

lit c) für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder
während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des
25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich
dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist.

Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 idgF gilt als erheblich behindert ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behindertenein-stellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr Sozialministeriumservice) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Besteht keine vor dem 21. Lebensjahr eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht daher nach obigen Bestimmungen weder der Grund- noch der Erhöhungsbetrag an Familienbeihilfe zu.

2.) Bescheinigung; Judikatur:

Zum Nachweis der Voraussetzung der dauernden Erwerbsunfähigkeit (sowie auch des Grades der Behinderung) ist eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice iSd § 8 Abs. 6 FLAG zwingend erforderlich.
Die Abgabenbehörden sowie der UFS, nunmehr das Bundesfinanzgericht/BFG, sind an die Feststellungen der im Wege des Bundessozialamtes (nunmehr Sozialministeriumservice/SMS) erstellten Gutachten gebunden (vgl. ; ; u.a.).

Die Tätigkeit der Behörden hat sich daher im Wesentlichen auf die Frage zu beschränken, ob die Gutachten als schlüssig und vollständig anzusehen sind (vgl. ; und 2009/16/0310; , mwN). Das BFG hat die Beweiskraft - insbesondere Nachvollziehbarkeit bzw. Schlüssigkeit - der Gutachten zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen ().

Auch ein "reines Aktengutachten" kann dabei ausreichend sein. Der Sachverständige hat sich bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes jener Hilfsmittel zu bedienen, die seine Wissenschaft entwickelt hat, um ein verlässliches Gutachten abzugeben. Die vom Sachverständigen bei der Aufnahme des Befundes anzuwendende Methode hängt ausschließlich von objektiven fachlichen Gesichtspunkten ab (s. ).

Beispielsweise dem BFG-Erkenntnis vom , RV/7100591/2020, lag an Sachverhalt die Beantragung der erhöhten Familienbeihilfe für den Sohn der dortigen Bf wegen psychischer Leiden zugrunde; in Streit gezogen war die Frage, ob eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vor vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten war. Das BFG führt in seiner Begründung aus:

"Bescheinigung des Sozialministeriumservice auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens
Nach § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice (früher Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen (vgl.
95/13/0134, 2003/14/0105, 2003/13/0123, Ro 2017/16/0009).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat das ärztliche Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung iSd FLAG Feststellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer begründeter Weise zu enthalten und bildet die Grundlage für die Entscheidung, ob die erhöhte Familienbeihilfe zusteht, sofern das Leiden und der Grad der Behinderung einwandfrei daraus hervorgehen und das/die Gutachten nicht unschlüssig sind (vgl.
94/14/0013, 92/15/0215, 96/14/0139, 2002/15/0168).
Wird für eine volljährige Person die Familienbeihilfe und der Erhöhungsbetrag beantragt bzw. stellt eine volljährige Person einen Eigenantrag auf die Familienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag, so hat sich das nach dieser Bestimmung abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren darauf zu erstrecken, ob diese Person wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder - für den Beschwerdefall nicht relevant - während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl etwa
2007/15/0019, vgl. auch B 700/07).

Bindung an die Gutachten des Sozialministeriumservice - keine andere Form der Beweisführung
Nach § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice (früher Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Eine andere Form der Beweisführung ist nicht zugelassen (vgl.
2007/15/0019). Gegen die Einschränkung der Beweisführung des Grades der Behinderung oder der voraussichtlichen dauerhaften Unfähigkeit, sich selbst den Erwerb zu verschaffen, hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom , B 700/07, keine verfassungsrechtlichen Bedenken gesehen (vgl. 2009/16/0307).
Die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht dürfen die Gutachten nur insoweit prüfen, ob diese schlüssig und vollständig sind und im Fall mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen (vgl.
2011/16/0063, 2010/16/0068, Ro 2014/16/0053, Erkenntnisse VwGH jeweils vom , 2009/16/0307 und 2009/16/0310, vgl. auch die von Lenneis/Wanke (Hrsg.), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 8 zitierte Rechtsprechung).
…..
Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe bei volljährigen "Kindern"
Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht (vgl Lenneis/Wanke (Hrsg.), FLAG, 2. Aufl. 2020, Rz 5 zu § 8). Dies bedeutet, dass bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht, der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung ist, und würde er auch 100 % betragen. Besteht also keine vor dem 21. (25.) Lebensjahr eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu. Besteht eine derartige Unterhaltsunfähigkeit, stehen sowohl Grund- als auch Erhöhungsbetrag zu (vgl
Ro 2017/16/0009, vgl. weiters Lenneis/Wanke (Hrsg.), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz 5 und 19 ff).
….
§ 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 regelt weiters, unter welchen Voraussetzungen bei Behinderungen der Grundbetrag an FB gewährt werden kann: Dieser steht für volljährige Kinder zu, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Hierbei ist auch eine Behinderung im psychischen Bereich als geistige Behinderung iSd obigen Bestimmungen anzusehen ( Ro 2017/16/0009). …"

V. Erwägungen:

Gegenständlich wurde in beiden von Seiten des Sozialministeriumservice erstellten Sachverständigengutachten zunächst übereinstimmend bescheinigt, dass beim Enkelsohn der Bf ein Gesamtgrad der Behinderung (GdB) von 50 % vorliegt; dies laut Zweitgutachten rückwirkend seit November 2015, da ab dieser Zeit nachweislich eine kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung (lt. Abschlussbefund v. ) stattgefunden hat.

Als maßgebend ist hier - nach oben dargelegten gesetzlichen Bestimmungen samt bezughabender Rechtsprechung - allerdings zu erachten, ob unabhängig vom GdB (selbst wenn dieser bei 100 % läge) vor vollendetem 21. Lebensjahr beim Enkelsohn bereits eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist. Diesbezüglich kommen jedoch beide Gutachter übereinstimmend zum Ergebnis, dass nicht von einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit des Enkels auszugehen ist ("… ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN"):
Laut Erstgutachten wird durch die Autismusstörung die Erwerbstätigkeit nicht auf Dauer verunmöglicht; laut Zweitgutachten ist eine derzeit nicht gegebene Erwerbsfähigkeit durch Anwendung/Ausschöpfung von therapeutischen und berufsintegrativen Behandlungen sehr wohl herstellbar und ist sogar eine Absenkung des GdB auf unter 50 % möglich.
Laut beiden Gutachtern handelt es sich insofern nicht um einen Dauerzustand.

Festzuhalten gilt, dass mit Erstellung des Zweitgutachtens mit nunmehr durchgeführter (persönlicher) Untersuchung des Enkelsohnes dem dahingehenden Beschwerdebegehren der Bf entsprochen wurde, der Sachverständige aber dennoch - abgesehen vom geänderten früheren Zeitpunkt zum GdB aufgrund des zusätzlichen Abschlussbefundes v. - zum nahezu gleichlautenden Ergebnis wie im Erstgutachten gelangt ist.
Abgesehen davon wäre - nach obiger Judikatur - auch ein Gutachten aufgrund der Aktenlage als ausreichend anzusehen.

Die Tätigkeit ua. des BFG hat sich im Wesentlichen auf die Überprüfung der Schlüssigkeit und Vollständigkeit der Gutachten zu beschränken. Im Hinblick auf die durchwegs übereinstimmenden Aussagen ergeben sich keinerlei erkennbare Widersprüche und damit jedenfalls keine Anhaltspunkte, die dortigen Feststellungen als nicht nachvollziehbar oder unschlüssig in Zweifel zu ziehen. Angesichts der Berücksichtigung der vorhandenen Befunde ergibt sich auch kein Hinweis auf eine allfällige Unvollständigkeit, die im Übrigen von der Bf nicht moniert wurde, sodass keine Veranlassung für eine etwaige Ergänzung gegeben ist.

Nach gleichlautender ärztlicher Expertise beider Gutachter ist davon auszugehen, dass es sich bei der - derzeitigen - Erwerbsunfähigkeit des Enkelsohnes nicht um einen auf Dauer bestehenden Zustand handelt. Dieser Zustand ist sohin nicht als irreversibel anzusehen, sondern vielmehr durch entsprechende medizinische Behandlung jedenfalls besserungsfähig. Aus diesem Grund kann von einer - vom Gesetz geforderten - vor der Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, definitiv nicht die Rede sein.

Diesbezüglich ist auch den Ausführungen des Finanzamtes in der teilweise stattgebenden BVE dahin, es sei im Zweitgutachten der Eintritt der "dauernden Erwerbsunfähigkeit mit Dezember 2022" festgestellt worden, als schlichtweg unzutreffend entgegenzutreten. Das darauf gestützte weitere Vorbringen der Bf im Vorlageantrag, ihr sei vom Finanzamt ab Dezember 2022 ein Rechtsanspruch auf Gewährung der erhöhten FB zuerkannt worden mit der Folge, dass ihr dieser Rechtsanspruch bereits ab Juni 2022 zukomme, muss daher ins Leere gehen.

VI. Ergebnis:

Wie oben ausgeführt, ist ua. das Bundesfinanzgericht an die Feststellungen der im Wege des Sozialministeriumservice erstellten Gutachten gebunden.

Besteht keine vor dem 21. Lebensjahr eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder der Grund- noch der Erhöhungsbetrag an Familienbeihilfe zu.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Unzulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der gegenständlichen Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen die erhöhte Familienbeihilfe zusteht, ergibt sich bereits aus den bezughabenden Gesetzesbestimmungen. Hinsichtlich der Frage, ob noch vor dem 21. Lj. eine voraussichtlich dauernde Erwerbs-unfähigkeit eingetreten war, ist das BFG an die Bescheinigungen (gutachterlichen Feststellungen) des Sozialministeriumservice gebunden. Da sohin keine Rechtsfrage von "grundsätzlicher Bedeutung" zugrunde liegt, ist eine Revision nicht zulässig.

Innsbruck, am

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