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Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 08.05.2023, RV/2100179/2023

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Fristverlängerungsantrag anstelle des Vorlageantrages

Beachte

Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ro 2023/15/0020. Mit Erkenntnis v. 19.12.2023 wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben. Fortgesetztes Verfahren mit Erkenntnis zur Zahl RV/2100017/2024 erledigt.


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Rechtssätze
Folgerechtssätze
RV/2100179/2023-RS1
wie RV/2100178/2023-RS1
Hat der Antragsteller im Fall der Versäumung einer Frist nicht spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag die versäumte Handlung nachgeholt, liegt ein (nicht verbesserungsfähiger) Mangel der Erfüllung der gesetzlichen Erfordernisse des § 308 BAO vor. Da der Vorlageantrag nicht spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachgeholt wurde, waren nicht alle gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfüllt (zum vergleichbaren Fall eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist unter gleichzeitigem Antrag auf Fristverlängerung vgl. BFG 25.02.2020, RV/7100375/2017).

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den durch den Senatsvorsitzenden Dr. Michael Rauscher und die weiteren Senatsmitglieder Mag. Franz Glashüttner, Dr. Christian Haid und Mag. Bruno Sundl im Beisein der Schriftführerin Anita Eberhardt über die Beschwerden der ***Bf2***, ***Bf2-Adr***, vertreten durch Dr. Heinrich Balas, Operngasse 18/12a-16, 1040 Wien, vom 13.03.2023 gegen den (Sammel-)Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 21.02.2023 betreffend Abweisung von Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand werden zurückgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdeführerin war Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, über die mit Beschluss des Gerichtes vom 24.10.2019 der Konkurs eröffnet und die infolge Eröffnung des Konkursverfahrens aufgelöst wurde. Am 01.05.2021 wurde die Firma gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit im Firmenbuch gelöscht.

Mit (hier nicht beschwerdegegenständlichen) Bescheiden vom 10.03.2021 setzte die Abgabenbehörde bei der Beschwerdeführerin die Kapitalertragsteuer für die Zeiträume 12/2011, 12/2012, 12/2013, 12/2014, 12/2015, 12/2016 und 12/2017 fest.

Nach mehrfacher Verlängerung der Beschwerdefrist erhob die Beschwerdeführerin durch ihren steuerlichen Vertreter am 30.07.2021 auf elektronischem Weg (FON) die (hier nicht entscheidungsgegenständlichen) Beschwerden gegen diese Bescheide (OZ 3).

Mit (Sammel-)Beschwerdevorentscheidung vom 27.12.2022 (OZ 4) wies die Abgabenbehörde diese Beschwerden als unbegründet ab.

Am 16.02.2023 übermittelte der steuerliche Vertreter der Beschwerdeführerin im Wege von FinanzOnline ein Anbringenzur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (OZ 5) mit folgendem Wortlaut:

Namens und auftrags meiner randvermerkten Mandantschaft stelle ich unter Berufung auf § 88 WTGB, als ausgewiesener Vertreter in steuerlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten,

den Antrag auf Wiedereinsetzung in der vorigen Stand

zur Einbringung einer Fristerstreckung zur Abgabe eines Vorlageantrags gegen die oben bezeichneten Bescheide des Finanzamts Österreich Dienstelle 67.

Zur Begründung führe ich wie folgt aus:

Die BVE betreffen der eingebrachten Beschwerde gegen die bezeichnten Bescheid wurde am 02.01.2023 in meiner Kanzlei zugestellt. Die Frist zur Einreichung eines Vorlageantrags bzw. einer Fristverlängerung ist sohin am 02.02.2023 abgelaufen.

Ich konnte diese Frist nicht einhalten, da meine Mutter am 31.01.2023 verstorben ist. Mein Vater ist aus diesem Grund (nach 60 Jahren Partnerschaft) seelisch am Boden zerstört und bedurfte an Unterstützung. Dieser Zmsatnd war für mich unvorhergesehen und daher habe ich auf die Frist vergessen.

Ich beantrage daher der Wiedereinsetzung statt zu geben. Gleichzeitig beantrage ich die Erstreckung der Frist zur Einbringung eines Vorlageantrags bis zum 15.03.2023

Mit (hier beschwerdegegenständlichem) (Sammel-)Bescheid vom 21.02.2023 (OZ 1), dem steuerlichen Vertreter der Beschwerdeführerin am 24.02.2023 (OZ 17) zugestellt, wies die Abgabenbehörde die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab und begründete dies im Ergebnis damit, dass die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 308 BAO nicht erfüllt seien.

Mit Beschwerdeschreiben vom 13.03.2023 (OZ 2) erhob die Beschwerdeführerin durch ihren steuerlichen Vertreter dagegen den die (hier entscheidungsgegenständliche) Beschwerden (und beantragte gleichzeitig die Vorlage der Bescheidbeschwerden gegen die Bescheide betreffend Festsetzung von Kapitalertragsteuer an das Verwaltungsgericht). In der Begründung wurde ausgeführt, warum entgegen der Ansicht der Abgabenbehörde die Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand doch vorlägen (Seite 2-4).

Mit Vorlagebericht vom 04.04.2023 (OZ 7) legte die Abgabenbehörde die Bescheidbeschwerden ohne Beschwerdevorentscheidungen (auf die die Beschwerdeführerin verzichtet hatte) dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.

Mit Schreiben vom 24.04.2023 (OZ 12) wies die Abgabenbehörde auf das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 25.02.2020, RV/7100375/2017, hin, wonach (spätestens) gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag die versäumte Handlung nachzuholen sei. Die versäumte Handlung sei die Einbringung des Vorlageantrags (nicht des Fristverlängerungsantrags).

Mit Schreiben vom 28.04.2023 (OZ 22) brachte die Beschwerdeführerin durch ihren steuerlichen Vertreter vor, es sei weder vom Wortlaut noch vom Sinn der Bestimmung des § 308 Abs. 3 BAO abzuleiten, dass die versäumte Handlung zwingend die Einbringung einer Beschwerde oder eines Vorlageantrags sein müsse.

Die Beschwerdeführerin hat die mündliche Verhandlung und die Entscheidung durch den Senat beantragt.

Das Bundesfinanzgericht hat über die Bescheidbeschwerde erwogen:

Gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt (§ 308 Abs. 1 BAO).

Im Fall der Versäumung einer Frist hat der Antragsteller spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag die versäumte Handlung nachzuholen (§ 308 Abs. 3 letzter Satz BAO).

Die Beschwerdeführerin hat die Frist für die Vorlageanträge versäumt. Die Beschwerdeführerin hat gleichzeitig mit den Wiedereinsetzungsanträgen - anstelle von Vorlageanträgen - einen Fristverlängerungsantrag für die Vorlageanträge eingebracht.

Hat der Antragsteller im Fall der Versäumung einer Frist nicht spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag die versäumte Handlung nachgeholt, liegt ein (nicht verbesserungsfähiger) Mangel der Erfüllung der gesetzlichen Erfordernisse des § 308 BAO vor. Da der Vorlageantrag nicht spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachgeholt wurde, waren nicht alle gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfüllt (zum vergleichbaren Fall eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist unter gleichzeitigem Antrag auf Fristverlängerung vgl. BFG 25.02.2020, RV/7100375/2017).

Der angefochtene (Sammel-)Bescheid vom 21.02.2023 war daher - auch wenn die Beschwerdeführerin selbst nach dessen Zustellung mit Schreiben vom 01.03.2023 (OZ 14) erneut die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, dem ein Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerden durch das Verwaltungsgericht beigefügt war, beantragt hat - abzuändern und die Anträge vom 16.02.2023 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückzuweisen.

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da eine Rechtsprechung zu obiger Rechtsfrage fehlt, war auszusprechen, dass die Revision zulässig ist.

Graz, am 8. Mai 2023

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 308 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 308 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 308 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Zitiert/besprochen in
Rauscher in BFGjournal 2024, 28
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.2100179.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at