Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
AO/5100007/2023-RS1 | Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Richter des Bundesfinanzgerichtes mit Mitarbeitern einer Abgabenbehörde mehrmals dienstliche Kontakte hat. Daraus auf ein persönliches Naheverhältnis zu schließen, entbehrt jeglicher Grundlage. |
AO/5100007/2023-RS2 | Das Vertreten einer, sei es auch in der Rechtsprechung abgelehnten Rechtsmeinung bildet im allgemeinen keinen Ablehnungsgrund. Ebenso ist es kein Ablehnungsgrund, wenn der Richter schon eine bestimmte Rechtsansicht in einem Rechtsstreit geäußert hat (vgl. ). |
Entscheidungstext
BESCHLUSS
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Außenstellenleiter Ri über den Antrag des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Günther-Johann Klinger, Schulstraße 11 Tür 1, 4716 Hofkirchen/Trattnach, vom betreffend Ablehnung des Senatsvorsitzenden und Berichterstatters Ri2 wegen Befangenheit (§ 268 der Bundesabgabenordnung) beschlossen:
I. Der Antrag vom wird als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen verfahrensleitende Beschlüsse ist eine abgesonderte Revision an den Verwaltungsgerichtshof oder Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Bisheriger Verfahrensgang vor dem Bundesfinanzgericht
Mit Beschwerdevorlage vom wurden dem Bundesfinanzgericht die Bescheidbeschwerden vom gegen die Einkommen-und Umsatzsteuerbescheide vom 5., 6. und zur Entscheidung vorgelegt.
Den gegenständlichen Bescheidbeschwerden liegen Bescheide zu Grunde, die vom Finanzamt nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens erlassen wurden. Die Besteuerungsgrundlagen für die Einkommenssteuer und Umsatzsteuer für die Jahre 2014-2016 wurden mangels Mitwirkung der beschwerdeführenden Partei im Schätzungswege ermittelt.
Die gegenständliche Beschwerdesache wurde aufgrund der Geschäftsverteilung des Bundesfinanzgerichtes der Gerichtsabteilung ***1*** zugeteilt:
[...]
Mit Vorhalt vom wurde die beschwerdeführende Partei ersucht, verschiedene Frage zum Sachverhalt zu beantworten und Nachweise für die in den Beschwerden gemachten Ausführungen insbesondere zur Behauptung, die in den Jahren 2014-2016 vom Finanzamt zugeschätzten Einnahmen nicht erhalten zu haben, vorzulegen. Auch wurde festgehalten, dass die beschwerdeführende Partei dem Finanzamt trotz wiederholten Vorhaltes der Schätzungsgrundlagen nicht dargelegt hätte, warum ihr diese Mieteinnahmen nicht zuzurechnen seien. Zudem wurden konkrete Fragen zu Personen gestellt, die im Mietobjekt ihren Hauptwohnsitz hatten. Zudem wurde auf Punkt eins des Schreibens des Bundesfinanzgerichtes vom , das von Ri2 als damals zuständigen Richter im Verfahren zur Umsatzsteuer 2007 ergangen ist, verwiesen. Der Senatsvorsitzende und Berichterstatter führte zusätzlich aus, dass die von der beschwerdeführenden Partei beantragte mündliche Verhandlung am 16./17./23. oder durchgeführt werde. Falls die beschwerdeführende Partei zu einem diesen Termine verhindert sei, möge dies dem zuständigen Richter per Mail mitgeteilt werden. Für den Fall dass sich die beschwerdeführende Partei nicht äußert erfolge die Ladung ohne Berücksichtigung. Abschließend hat der Senatsvorsitzende und Berichterstatter auf Folgendes hingewiesen:
"Sollten Sie aufgrund der geschilderten Aktenlage zum Ergebnis kommen, dass eine weitere Verfolgung ihrer Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat und nur weitere Kosten verursachen würde, wird auf § 256 BAO (Zurücknahme einer Beschwerde im Postweg) verwiesen. Diesfalls bräuchte dieses Schreiben nicht mehr beantwortet werden."
Antragsvorbringen
Im Ablehnungsantrag vom brachte die beschwerdeführende Partei Folgendes vor:
"Zuerst ersuche ich um Überprüfung ob ihrerseits nicht Befangenheit vorliegt. Es genügt laut Lexis, dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte auch wenn der Richter tatsächlich unbefangen sein sollte. Bei Prüfung der Unbefangenheit ist im Interesse des Ansehens der Gerichtsbarkeit ein strenger Maßstab anzulegen.
Mir wurde bekannt, dass Sie mit dem zuständigen Bearbeiter des Finanzamtes befreundet sind. Weiters entscheiden Sie das zweite Mal in diesem Fall und weisen auch schlüssig daraufhin, wie ihre Entscheidung ausfallen wird.
Wie oben erwähnt, ersuche ich beurteilen zu lassen, inwieweit ihrerseits Befangenheit vorliegt und um Mitteilung diesbezüglich.
Die von ihnen geforderten Nachweise befinden sich am Finanzamt Gmunden Vöcklabruck. Das Finanzamt hat sämtliche Mieter als Zeugen einvernommen und eine Niederschrift angefertigt. Herr P konnte diese Niederschriften in der vorgegebenen Zeit leider nicht beschaffen. Ich darf sie daher ersuchen, die Niederschriften beim Finanzamt anzufordern und uns auch im Rahmen einer Akteneinsicht zu übermitteln."
In der Stellungnahme vom hat der Senatsvorsitzende und Berichterstatter darauf hingewiesen, dass er beim gleichen Beschwerdeführer bezüglich der Umsatzsteuer 2007 eine Gegenstandsloserklärung nach Zurücknahme der Beschwerde verfügt hätte (RV/5102092/2015). Zudem sei er keinesfalls mit dem Amtsvertreter befreundet, er hätte nur ein bis zweimal beruflich mit ihm Kontakt gehabt. Im Übrigen wurde darauf hingewiesen, dass der Senatsvorsitzende und Berichterstatter im Vorhalt vom ausdrücklich darauf hingewiesen hätte, dass der Entscheidung des Senates nicht vorgegriffen werden solle und könne, aber festzuhalten sei, dass trotz wiederholter Vorhalte des Finanzamtes nicht dargelegt worden sei, warum eine Zurechnung der geschätzten Mieteinnahmen nicht rechtens ist.
Das Bundesfinanzgericht hat dazu erwogen
Nach § 268 Abs. 1 der Bundesabgabenordnung (BAO) steht den Parteien das Recht zu, den Einzelrichter oder ein Mitglied des Senates mit der Begründung abzulehnen, dass einer der im § 76 Abs. 1 BAO aufgezählten Befangenheitsgründe vorliegt.
Gemäß § 268 Abs. 2 BAO steht den Parteien das Recht zu, den Einzelrichter oder ein Mitglied des Senates abzulehnen, wenn anzunehmen ist, dass die Bekanntgabe der zu erörternden Tatsachen an diese Person die Wettbewerbsfähigkeit der Partei (§ 78) gefährden könnte.
Abgabenverfahren fallen nicht in den Anwendungsbereich des Art 6 EMRK. Dem nationalen Gesetzgeber ist es jedoch unbenommen, die Anwendbarkeit der Grundsätze des Art 6 EMRK auszudehnen. Bereits mit dem AbgRmRefG, durch welches auch das Ablehnungsrecht eingeführt wurde, wollte der nationale Gesetzgeber die für civil rights maßgebenden Kriterien des Art 6 EMRK für das Rechtsmittelverfahren in Abgabensachen übernehmen. Das FVwGG hat dies nur weitergeführt. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts ergibt sich aus Art 47 CRG das Recht auf ein faires Verfahren und ein unparteiisches Gericht. Inhaltlich entsprechen die Garantien des Art 47 GRC jenen des Art 6 EMRK. Die Unparteilichkeit kann in subjektiver und in objektiver Hinsicht betrachtet werden.
In subjektiver Hinsicht ist eine Befangenheit oder Ausgeschlossenheit eines Richters insbesondere dann anzunehmen, wenn er vor der Verhandlung etwa durch Äußerungen zu erkennen gibt, dass er sich in der konkreten Sache bereits auf eine Entscheidung festgelegt hat. Wenn das Mitglied eines Tribunals, ohne sich auf eine Entscheidung festzulegen und auf neutrale Weise vor der Verhandlung mit einem Parteienvertreter Aspekte einer Rechtssache erörtert, die der Vorbereitung der Verhandlung dienen, so wird dies für sich allein genommen keine Befangenheit oder Ausgeschlossenheit iSd § 76 Abs. 1 lit c BAO iVm Art 6 Abs 1 EMRK bedeuten.
Bei Prüfung der Unbefangenheit ist zwar im Interesse des Ansehens der Justiz ein strenger Maßstab anzulegen, die Ablehnung soll jedoch nicht die Möglichkeit bieten, dass sich Parteien eines nicht genehmen Richters entledigen können. Der Grundsatz der festen Geschäftsverteilung (Art 87 Abs 3 B-VG) in Ergänzung des Rechtes auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B-VG) gebietet eine ausgewogene Vorgangsweise bei der Ablehnung.
Das Wesen der Befangenheit besteht in der Hemmung einer unparteiischen Entschließung durch unsachliche psychologische Motive.
Die Behauptung, der zuständige Senatsvorsitzende und Berichterstatter sei mit dem Bearbeiter am Finanzamt befreundet, entbehrt jeglicher Substanz. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Richter des Bundesfinanzgerichtes mit Mitarbeitern einer Abgabenbehörde mehrmals dienstliche Kontakte hat. Daraus auf ein persönliches Naheverhältnis zu schließen, entbehrt jeglicher Grundlage und wurde vom Senatsvorsitzenden und Berichterstatter ausdrücklich in Abrede gestellt. An dieser Stellungnahme ist mangels substantiierten Vorbringens des Antragstellers nicht zu zweifeln, da eine geäußerte Vermutung, die auf Hörensagen basiert, keinen tauglichen Beweis darstellt.
Das Vertreten einer, sei es auch in der Rechtsprechung abgelehnten Rechtsmeinung bildet im allgemeinen keinen Ablehnungsgrund. Ebenso ist es kein Ablehnungsgrund, wenn der Richter schon eine bestimmte Rechtsansicht in einem Rechtsstreit geäußert hat (vgl. ). Noch dazu hat der Senatsvorsitzende und Berichterstatter im Verfahren betreffend die Umsatzsteuer 2007 keine inhaltliche Entscheidung getroffen, sondern die Beschwerde nach deren Zurückziehung als gegenstandslos erklärt. Der vom Antragsteller behauptete Befangenheitsgrund liegt daher nicht vor.
Nach der Judikatur des VwGH (zB , Ro 2014/15/0019, Ro 2014/15/2010, betreffend eine Referentin des BFG) ist Befangenheit eines Organwalters dann anzunehmen, wenn er vor der Verhandlung etwa durch Äußerungen zu erkennen gibt, dass er sich in der konkreten Sache bereits auf eine Entscheidung festgelegt hat. Im gegenständlichen Fall hat jedoch der Senatsvorsitzende und Berichterstatter ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er der Entscheidung des Senates nicht vorgreifen will. Die Erörterung der Beschwerdesache zur Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung durch den Senatsvorsitzenden Berichterstatter kann noch nicht zu einer Befangenheit des Mitgliedes des Tribunals führen. Es ist daher nicht nachvollziehbar, woraus die beschwerdeführende Partei eine Voreingenommenheit des Senatsvorsitzenden und Berichterstatters ableitet.
Der Ablehnungsantrag war somit als unbegründet abzuweisen.
Zur Zulässigkeit einer Revision
Gegen Beschlüsse über Ablehnungsanträge, die verfahrensleitende Beschlüsse sind, ist eine abgesonderte Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig (§ 25a Abs. 3 VwGG). Auch eine abgesonderte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unzulässig (§ 88a Abs. 3 VfGG).
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | Art. 6 EMRK, Europäische Menschenrechtskonvention, BGBl. Nr. 210/1958 § 268 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 76 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 Art. 47 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom S. 389 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:AO.5100007.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at