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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 28.04.2023, RV/3100492/2022

Eigenantrag auf erhöhte Familienbeihilfe: Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung 21. Lj. ist im Einzelfall anzunehmen, da lt. Gutachten ua. Erkrankung bereits "seit Jugendalter" und Erwerbsunfähigkeit "spätestens" mit 23 Jahren vorliegend

Beachte

Revision (Amtsrevision) beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2023/16/0077.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, Adr, vertreten durch Rechtsanwalt, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom , Ordnungsbegriff Nr1, betreffend Abweisung der Anträge auf Zuerkennung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages für den Zeitraum ab Jänner 2016 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO insgesamt Folge gegeben.

Die angefochtenen (Abweisungs)Bescheide werden aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach
Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensablauf:

1. Mit Anträgen Beih3 v. sowie - nach Ergänzungsersuchen - Beih100 v. hat Frau ***Bf1*** (= Beschwerdeführerin, Bf), geb. 10/1974, die Zuerkennung von Familienbeihilfe (FB) sowie des FB-Erhöhungsbetrages, rückwirkend 5 Jahre ab Antragstellung, wegen erheblicher Behinderung für sich beantragt. Es werde kein Pflegegeld bezogen. Zur erheblichen Behinderung/Erkrankung wurde angeführt: "Psychische Beeinträchtigung" bzw. "Paranoide Schizophrenie".

2. Im Akt erliegen folgende Unterlagen:
- Urkunde des Bezirksgerichtes Ort1 v. betr. die Bestellung des RA
DrX zum Sachwalter (nunmehr: Erwachsenenvertreter) der Bf,
für diese alle Angelegenheiten zu besorgen;
- Schreiben des Erwachsenenvertreters v. , worin mitgeteilt wird:
Die Bf bewohne alleine eine Mietwohnung in Ort1,X-Straße.
Sie befinde sich in Betreuung durch "VereinXY", seit 2018 durch Fr. A,
da sie hinsichtlich selbständigen Wohnens und ihrer gesundheitlichen Situation
Unterstützung brauche. Sie beziehe eine Berufsunfähigkeitspension samt
Ausgleichszulage, dies seit 01/2021 in Höhe von mtl. € 917,59.

Zum Nachweis wurden vorgelegt:
- Auszug aus dem Zentralen Melderegister (ZMR)
- Schreiben des Stadtmagistrates Ort1 v. über die Bewilligung der
"sozialpsychiatrischen Einzelbegleitung" durch "VereinXY" für die Bf in der
Zeit vom bis im Ausmaß von 5 Wochenstunden nach dem Tiroler
Teilhabegesetz; dies zwecks mobiler Unterstützung ua. bei psychischer Erkrankung zur
selbständigen Lebensführung im häuslichen Umfeld uä.
- Schreiben der Pensionsversicherungsanstalt über die Anweisung von Berufsunfähig-
keitspension + Ausgleichszulage an die Bf ab Jänner 2021 im Betrag von gesamt
€ 917,59.

3. Auf Anforderung durch das Finanzamt wurde vom Sozialministeriumservice (kurz: SMS; vormals Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen) am ein Sachverständigen-gutachten (aufgrund Untersuchung am ) von DrB, Facharzt für Psychiatrie, vidiert von DrC am , auszugsweise folgenden Inhaltes erstellt:

"Anamnese:
bereits im Jugendalter erste psychiatrische Auffälligkeiten mit sozialem Rückzug, Schlafproblemen und depressiver Symptomatik, in dieser Zeit außerdem Traumatisierungserfahrungen, im Jahr 2000 erste stationäre psychiatrische Behandlung aufgrund von anorektischer Essstörung, bisher insgesamt ca. 15 voll- und teilstationäre psychiatrische Behandlungen, mehrfache Umstellung antipsychotischer Medikation aufgrund rezid. psychotischer Episoden und mancher Unverträglichkeiten auf Antipsychotika, aufgrund der komplexen Symptomatik seit Erkrankungsbeginn mehrere unterschiedliche und sich widersprechende Diagnosen, mittlerweile Diagnose einer paranoiden Schizophrenie; war nach der Matura zwei Jahre berufstätig, danach noch mehrere gescheiterte Arbeitsversuche, vorübergehend auch in therapeutischer WG gelebt und zwei Mal obdachlos gewesen; letzter stationärer Aufenthalt 2016, mittlerweile pensioniert

Derzeitige Beschwerden:
Stimmenhören, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, paranoide Reaktionsbereitschaft
…..
Zusammenfassung relevanter Befunde …:
-Befundbericht Univ. Klinik für Psychosomatik
Ort1 ():
stationärer Aufenthalt vom 14.6. bis ; Schizoide Persönlichkeitsstörung
-Befundbericht Univ. Klinik für Psychiatrie, Tagesklinik,
Ort1 ():
teilstationäre Behandlung vom bis
-Befundbericht Univ.Klinik für Allg. Psychiatrie und Sozialpsychiatrie … ():
stationärer Aufenthalt am
-Befundericht Univ.Klinik für Allg. Psychiatrie und Sozialpsychiatrie … ():
stationärer Aufenthalt vom 13.5. bis
-Befundbericht
DrD … ():
Paranoide Schizophrenie
…….
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
1 Paranoide Schizophrenie
langjährige Anamnese, kognitiv höhergradige Beeinträchtigung,
schwere und durchgängige soziale Beeinträchtigung, psychosozialer
Betreuungsbedarf, Pensionierung Pos. Nr. GdB 70 %
Gesamtgrad der Behinderung 70 v. H.
…..
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern: nein
…..
GdB liegt vor seit: 06/2000

Frau ***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA
Dies besteht seit: 06/2000

Anmerkung bzw Begründung betreffend die Fähigkeit bzw voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Die Antragstellerin ist dauerhaft außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit ist aufgrund vorliegender Befunde frühestens auf Juni 2000 festzulegen
Dauerzustand …..".

4. Das Finanzamt hat daraufhin mit Bescheiden vom , Ordnungsbegriff Nr1, die Anträge der Bf auf erhöhte Familienbeihilfe für den Zeitraum "ab Jänner 2016" abgewiesen. Nach Darstellung ua. des § 6 Abs. 2 lit d Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967, wonach wegen einer vor dem 21. bzw spätestens vor dem 25. Lebensjahr eingetretenen Behinderung eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegen muss, wird in der Begründung ausgeführt:
"Laut Gutachten des Sozialministeriumservice vom wurde die dauernde Erwerbsunfähigkeit erst mit bescheinigt. Es besteht kein Anspruch auf den Erhöhungsbetrag und daher auch kein Anspruch auf den Grundbetrag."

5. In der dagegen rechtzeitig erhobenen Beschwerde wird im Wesentlichen eingewendet:

Wie auch aus dem zugrundeliegenden SV-Gutachten hervorgehe, hätten bei der Bf bereits im Jugendalter massive psychiatrische Probleme vorgelegen, die eine Erwerbsfähigkeit verunmöglicht hätten. Sie habe den Arbeitgeber mehrfach wechseln müssen, da sie wegen Unkonzentriertheit, Überforderung, mangelndem sozialen Anschluss etc. aufgrund der psychischen Probleme regelmäßig gekündigt worden sei. Im Jugendalter habe sich die Erkrankung durch Essstörungen, Abschottung und depressive Phasen manifestiert. Die Bf sei in dieser Zeit bei DrE in psychiatrischer Behandlung und bei Frau F in psychiatrischer Therapie gewesen. Die dauernde Erwerbsunfähigkeit sei bereits im Jugendalter angelegt gewesen und nach der Matura verstärkt bzw. beim versuchten Eintritt in die Erwerbstätigkeit zu Tage getreten, sodass sie nie in eine geregelte Erwerbsfähigkeit gefunden habe. Sie habe sich in den Jahren 1993 bis 2000 trotz ihres Gesundheitszustandes von einer Arbeitsstelle zur anderen gekämpft, wobei sich der Zustand verschlechterte, was letztlich im stationären psychiatrischen Aufenthalt imJahr 2000 geendet habe. Die darauf gestützte Ausführung des Sachverständigen, dass der GdB erst seit Juni 2000 70 % betrage, sei daher nicht nachvollziehbar, wobei er selbst den beeinträchtigten Gesundheitszustand "bereits seit Jugendalter" dokumentiere. Vielmehr müsse von einem GdB von zumindest 50 % im Jugendalter ausgegangen werden, der sich laufend auf nunmehr 70 % verschlechtert habe. Die Erwerbsunfähigkeit sei jedenfalls vor dem 21. Lebensjahr der Bf eingetreten. Die Behörde habe sich nicht im Detail mit dem Gutachten auseinandergesetzt und habe der Bf nicht ermöglicht, eine Stellungnahme zum Gutachten abzugeben oder dieses zu ergänzen, weshalb sie in ihrem rechtlichen Gehör verletzt worden sei. Zum Beweis wurden angeboten:
Ergänzung des SV-Gutachtens; Einholung SV-Gutachten aus dem Fachbereich der Psychiatrie; Zeugeneinvernahme des DrE und der Frau F; Patientenakte bei
DrE.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt.

6. Anschließend wurde nochmals ein SMS-Gutachten von DrB, Facharzt für Psychiatrie, nach Untersuchung der Bf am erstellt (Vidierung durch DrC ), das auszugsweise lautet wie folgt:

" … Anamnese:
erste psychiatrische Auffälligkeiten bereits im Jugendalter, deshalb ab Juni 1998 in ärztlicher Behandlung, 2000 erste stationäre psychiatrische Behandlung …..
……

Zusammenfassung relevanter Befunde … :
Bestätigung
DrE, Ort2 ():
wurde von 06/1998 bis 05/2000 wegen depressiver Symptomatik, Ängste und erheblicher Essstörung, Gastritis und Obstipation behandelt
……
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
1 Schizophrene Störung mittelschwere Verlaufsform: Paranoide Schizophrenie
langjährige Anamnese, kognitiv höhergradig beeinträchtigt,
schwere und durchgängige soziale Beeinträchtigung, laufende
fachärztliche Behandlung, psychosozialer Betreuungsbedarf,
Pensionierung Pos. Nr. GdB 70 %
Gesamtgrad der Behinderung 70 v. H.
…..
Stellungnahme zu Vorgutachten:
Die bei der aktuellen Begutachtung neu vorgelegten Befunde und Aufzeichnungen belegen das Eintreten einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit ab Juni 1998.

GdB liegt vor seit: 06/1998
……
Frau
***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA
Dies besteht seit: 06/1998

Anmerkung bzw Begründung betreffend die Fähigkeit bzw voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Die Antragstellerin ist aufgrund eines chronifizierten Leidens mit ausgeprägter Psychopathologie dauerhaft außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die neu vorgelegten Befunde sprechen dafür, dass die Erwerbsunfähigkeit spätestens ab Juni 1998 vorlag.
Dauerzustand …..".

7. Mit Beschwerdevorentscheidungen (BVE) vom wurde die Beschwerde je als unbegründet abgewiesen und vom Finanzamt dahin begründet:
"… Laut dem am übermittelten Gutachten wurden ein Behinderungsgrad von 70 % und eine dauernde Erwerbsunfähigkeit ab festgestellt. Aktenkundig beendete die Beschwerdeführerin ihre Berufsausbildung mit Dezember 1993, da sie ab diesem Zeitpunkt eine Berufstätigkeit aufnahm. Sie wurde am .10.1974 geboren und vollendete das 21. Lebensjahr am .10.1995 und das 25. Lebensjahr am .10.1999.
Da somit die Voraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe nicht gegeben waren, hatte die Abweisung der Beschwerde zu erfolgen".

Nachdem die allgemeine Familienbeihilfe (gemeint: der FB-Grundbetrag) nicht zustehe, könne auch der Erhöhungsbetrag zur FB nicht ausbezahlt werden.
(im Einzelnen: siehe die BVEs vom ).

8. In dem gegen die Beschwerdevorentscheidungen rechtzeitig erhobenen Vorlageantrag wurde ergänzend eingewendet, das SMS-Gutachten vom , worauf das Finanzamt Bezug nehme, sei der Bf trotz Urgenz nicht zugemittelt worden, weshalb die Vorlage an das Bundesfinanzgericht zur Entscheidung und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt werden.

9. Das Bundesfinanzgericht (BFG) hat nach Vorlage der Beschwerde folgende Erhebungen durchgeführt:

a) Anforderung der beiden SMS-Gutachten beim Finanzamt am ;

b) Übermittlung der Gutachten v. 5.7./ und 18.1./ mit Vorhaltschreiben v. an die Bf mit folgendem Inhalt:

" … 1. Gemäß § 6 Abs. 5 iVm Abs. 2 lit d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG), BGBl 1967/376 idgF., besteht ein Eigenanspruch auf Familienbeihilfe (FB) ua. dann, wenn wegen einer VOR Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung jemand voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (= voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit).
Nach § 8 Abs. 5 FLAG gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich besteht, dh. voraussichtlich für die Dauer von mehr als 3 Jahren. Der Grad der Behinderung (GdB) muss zumindest 50 % betragen, soweit nicht eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt.
2. Der GdB und die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr Sozialministeriumservice/SMS) aufgrund eines ärztlichen Sachverständigengut-achtens nachzuweisen (§ 8 Abs. 6 FLAG 1967).
Diesbezüglich ist festzuhalten, dass die Abgabenbehörden sowie das Bundesfinanzgericht (BFG) grundsätzlich an die lt. SMS-Gutachten getroffenen Feststellungen gebunden sind.
3. Festzuhalten ist weiters, dass die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde bei Sachverhalten, die teils Jahrzehnte zurückliegen, eingeschränkt sind.
Auch der Sachverständige beim SMS kann nur den aktuellen Gesundheitszustand beurteilen. Hinsichtlich der Feststellung, ob eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt, kann er nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden, Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt eine erhebliche Behinderung eingetreten ist.
Es liegt deshalb vorrangig beim Beschwerdeführer/bei der Beschwerdeführerin, den behaupteten Sachverhalt (= eingetretene Erwerbsunfähigkeit VOR dem 21. Lj.) zweifelsfrei nachzuweisen (siehe zB
RV/0687-W/05).
4. Bei Antragstellung (Eigenanträge auf erhöhte Familienbeihilfe) im Jänner und März 2021 waren Sie 46 Jahre alt.
Laut Anamnese der beiden bislang erstellten SMS-Gutachten v. 5.7./ und 18.1./ (siehe in der Beilage) sind zwar bereits im Jugendalter erste psychiatrische Auffälligkeiten aufgetreten; daraus geht jedoch auch hervor, dass Sie die Matura abgelegt haben und anschließend für 2 Jahre berufstätig gewesen sind. In der Folge hätten - übereinstimmend mit dem Beschwerdevorbringen - nur noch mehrere gescheiterte Arbeitsversuche bzw. mehrfache Wechsel des Arbeitsplatzes vorgelegen.
Laut Finanzamt (siehe die Begründung der Beschwerdevorentscheidung v. ) haben Sie nach einer absolvierten Berufsausbildung (beendet im Dezember 1993) die Berufstätigkeit aufgenommen.
Zusammengefasst kann demnach davon ausgegangen werden, dass ca. bis Ende des Jahres 1995 nach Berufsausbildung eine 2jährige durchgehende Berufstätigkeit ausgeübt wurde, dh. jedenfalls zumindest bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres im Oktober 1995 offensichtlich die Erwerbsfähigkeit gegeben war.
Im Hinblick auf oben dargelegte gesetzliche Bestimmungen wären diesfalls die Voraus-setzungen für die Zuerkennung der (erhöhten) Familienbeihilfe (als Eigenanspruch) nicht erfüllt.
5. Zwecks Abklärung des Sachverhaltes wird zu vor noch um Beantwortung folgender Fragen ersucht:
a) Wann wurde die Matura abgelegt ?
b) Welche Berufsausbildung wurde anschließend und bis wann absolviert ?
c) Welche Berufstätigkeit wurde danach über ca. 2 Jahre ausgeübt ?
6. Die beiden SMS-Gutachten, die in der Beilage zur Kenntnis bzw. zur Wahrung des Parteiengehörs übermittelt werden, stützen sich zunächst auf mehrere Befundberichte der Univ. Klinik
Ort1 zu stationären Aufenthalten ab Juni 2000 sowie letztlich auf den neu vorgelegten Befund/der Bestätigung des Arztes DrE, wonach die Behandlung wg. psychischer Leiden ab Juni 1998 erfolgte.
Bezugnehmend darauf gelangte der Sachverständige im Zweitgutachten v. zum Ergebnis, dass wie bisher ein GdB von 70 % sowie - entgegen dem Vorgutachten - die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit spätestens "seit 06/1998" vorgelegen war.
Zu dieser Zeit befand sich die Beschwerdeführerin allerdings bereits im 24. Lebensjahr.
7. Im Hinblick auf die in der Beschwerde angebotenen Beweise, konkret die "Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der Psychiatrie", gilt in diesem Zusammenhalt noch anzumerken, dass beide SMS-Gutachten von
DrB, Facharzt für Psychiatrie, erstellt wurden.
8. Laut Beschwerdevorbringen sei "unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse" die Erwerbsunfähigkeit der Beschwerdeführerin "jedenfalls vor ihrem 21. Geburtstag" eingetreten.
Wie oben dargelegt, kann die Feststellung der dauernden Erwerbsunfähigkeit und insbesondere die Feststellung, ab wann diese eingetreten ist, nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden, vom Sachverständigen getroffen werden.
Zwecks allenfalls nochmaliger Anforderung eines ergänzenden Sachverständigen-Gutachtens beim SMS - wie von Ihnen begehrt - bedarf es diesbezüglich weiterer Nachweise (Unterlagen/Befunde etc.), die den Zeitraum VOR Ihrem vollendeten 21. Lj. betreffen.
Es wird daher ersucht, entsprechende Befunde, Krankheitsberichte oä. - beispielweise des behandelnden Arztes
DrE (aus Patientenakt) oder der Therapeutin
Fr.
F, wie Ihrerseits zum Beweis angeboten - aus dem Zeitraum vor Oktober 1995 dem Bundesfinanzgericht zur Weiterleitung an das SMS vorzulegen. …"

c) In der Stellungnahme seitens der Bf v. wird ausgeführt:

" … 1. Bedauerlicherweise liegen der Beschwerdeführerin keine Behandlungsunterlagen bzw. Befundberichte vor dem Jahr 1995 vor. Weder den behandelnden Ärzte bzw. Therapeuten (Herr DrE und Frau Mag. F) noch der Krankenkasse liegen Unterlagen für diesen Zeitraum vor, da die Dokumente für diesen Zeitraum bereits vernichtet wurden.
2.
Im Zusammenhang mit dem vom Bundefinanzgericht gestellten Fragen darf wie folgt ausgeführt werden:
2.1
Die Reifeprüfung wurde von der Beschwerdeführerin im Jahr 1993 abgelegt.
2.2
Nach Abschluss der Reifeprüfung war die Beschwerdeführerin von Ende 1993 bis Mitte 1995 bei dem Unternehmen FirmaX als Sekretärin beschäftigt. Letztlich mündete dieses Arbeitsverhältnis jedoch in einer Kündigung, da die Beschwerdeführerin bei der Ausführung der einzelnen Tätigkeiten mit massiven psychiatrische Einschränken zu kämpfen hatte und aus diesem Grund unkonzentriert, unaufmerksam, äußerst fehleranfällig und bereits mit kleinsten Aufgaben überfordert war. Ferner litt sie an massiven Schlafstörungen. Die Beschwerdeführerin konnte sich wegen ihrer psychischen Beeinträchtigung auch nicht sozial integrieren und vermied Kontakt zu Arbeitskollegen. Dieses erste Arbeitsverhältnis war bereits Ausdruck der gegebenen Erwerbsunfähigkeit.
2.3
Im Anschluss floh die Beschwerdeführerin nach Ort3, wo sie zunächst als Au-pair tätig war. Hiebei kam es zu vielzähligen Familienwechseln und auch Praktika konnte nicht erfolgreich absolviert werden, bzw. endeten frühzeitig aufgrund der psychischen Erkrankung der Beschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerin fand sich immer wieder weinend in der Abstellkammer ihres Arbeitgebers wieder, konnte die ihr aufgetragenen Arbeiten nicht erfüllen und konnte auch die vorgeschriebenen Arbeitszeiten nicht einhalten. Während ihres Aufenthaltes in Ort3 belegte die Beschwerdeführerin am "X-Institut" Sprachkurse zum Wirtschaftsfranzösisch und legte am "Y-Institut" die Prüfungen hiezu ab. Ihr Vorhaben im Anschluss auch eine berufsbildende und berufsbegleitende Schule mit Wirtschaftsschwerpunkt zu besuchen, musste die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer psychiatrischen Erkrankung allerdings bereits nach wenigen Tagen abbrechen. Da sie aufgrund ihrer Krankheit nicht in der Lage war, eine Ausbildung zu absolvieren, und sie stark unter den Auswirkungen ihrer Krankheit, nämlich Essstörungen, Isolation von der Außenwelt und depressive Phasen, litt, beschloss sie schließlich 1997, nach Ort1 zurückzukehren.
2.4. Ihrer Rückkehr nach
Ort1 war überschattet von vollkommener Verzweiflung über ihre Situation und gesundheitliche Lage. Die Beschwerdeführerin kämpfte sich trotz ihres psychiatrischen Gesundheitszustandes von Arbeitsstelle zu Arbeitsstelle, wobei an eine geregelte Erwerbsfähigkeit auch in dieser Zeit aufgrund der psychiatrischen Beeinträchtigungen nicht zu denken war.
2.5. Trotz der Behandlungen bei Herrn
DrE, Adr2, und der psychiatrischen Behandlungen bei Frau Mag. F, Adr3 konnte die Erwerbsunfähigkeit der Beschwerdeführerin nicht behoben werden. Schließlich war diese dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits im Jugendalter angelegt und trat verstärkt nach versuchtem Eintritt in die Erwerbstätigkeit und Selbstständigkeit zu Tage. Der psychiatrische Gesundheitszustand verschlechterte sich zunehmend und endete letzendes im stationären psychiatrischen Aufenthalt im Jahr 2000.
2.6. Zusammengefasst ist nochmals festzuhalten, dass bei der Beschwerdeführerin jedenfalls bereits vor dem 21. Lebensjahr die Erwerbsunfähigkeit eingetreten war. Verstärkt kam die dauernde Erwerbsunfähigkeit nach versuchtem Eintritt in die Erwerbstätigkeit zu Tage und verunmöglichte auch die von der Beschwerdeführerin vor Vollendung ihres 25. Lebensjahres in
Ort3 versierte Ausbildung.
Beweis: ZV
DrE, p.A. Adr2; Nachweis Sprachkurse; ZV F, Adr3; PV. …"

d) Dazu wurden an Unterlagen vorgelegt:

3 Bestätigungen bzw. Zeugnisse vom , und der Handels- und Industriekammer Ort3 und des X-Institut, wonach die Bf dort mit Erfolg ("Bien") schriftliche und mündliche Prüfungen in Wirtschaftsfranzösisch abgelegt hat.

e) Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister (ZMR):

Demnach war die Bf in den Jahren 2011 und 2012 für mehrere Monate obdachlos gemeldet, ab Oktober 2012 bis Dezember 2017 in verschiedenen sozialen Betreuungseinrichtungen (ua. VereinA, VereinXY) untergebracht und ist seit in Adr1, mit Hauptwohnsitz gemeldet.

f) Auf Anfrage wurde seitens des Erwachsenenvertreters der Bf der Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung mittlerweile zurückgenommen.

II. Sachverhalt:

Die Bf, geb. 10/1974, hat im Oktober 1995 das 21. Lebensjahr vollendet. Sie hat im Alter von 46 Jahren den Eigenantrag auf Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe wg. erheblicher Behinderung gestellt.
Sie hat im Jahr 1993 (laut FAÖ im Dezember 1993) die schulische Ausbildung mit Ablegung der Reifeprüfung beendet und anschließend eine berufliche Tätigkeit als Sekretärin bei der Fa. FirmaX aufgenommen, wo sie nach ca. 1,5 Jahren (Mitte 1995) wegen psychischer Probleme (mit der Folge ua. Unkonzentriertheit, Fehleranfälligkeit, Schlafstörungen, mangelnde soziale Kontaktfähigkeit) gekündigt wurde (siehe lt. Stellungnahme v. ).
In der Folge ist die Bf für ca. 2 Jahre in Ort3 bei verschiedenen Gastfamilien als Au-pair tätig gewesen, wo sie daneben Sprachkurse samt abgelegten Prüfungen absolviert hat. Die dort beabsichtigte Ausbildung in einem Wirtschaftsberuf konnte aufgrund anhaltender psychischer Beeinträchtigung nicht abgeschlossen werden, weshalb die Bf ca. im Herbst 1997 nach Ort1 zurückgekehrt ist. Weitere Arbeitsversuche sind fehlgeschlagen (siehe lt. Stellungnahme v. ).

Ab Juni 1998 war die Bf wegen ihrer gesundheitlichen Probleme in psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung und folgte im Juni 2000 der erste von ca. 15 voll- und teilstationären Aufenthalten mit psychiatrischer Behandlung, insbes. antipsychotischer Medikation (siehe ua. lt. beiden SMS-Gutachten, dortige Anamnesen und relevante Befunde).
Im September 2012 wurde für die Bf ein Sachwalter bzw. Erwachsenenvertreter bestellt (BG-Beschluss v. ). Sie war in den Jahren 2011 und 2012 für mehrere Monate obdachlos gemeldet und ab Oktober 2012 bis Dezember 2017 in verschiedenen sozialen Betreuungseinrichtungen (ua. VereinA, VereinXY) untergebracht (lt. ZMR-Abfrage).
Seit März 2020 wird die Bf an ihrem Wohnsitz mehrere Stunden pro Woche sozialpsychiatrisch bei der Lebensführung durch VereinXY betreut (Bewilligung des Stadtmagistrates Ort1 v. ).
Sie befindet sich mittlerweile in Pension und bezieht eine Berufsunfähigkeitspension von gesamt mtl. € 917,59 (Schreiben der Pensionsversicherungsanstalt v. Jänner 2021).

In beiden durch einen Facharzt für Psychiatrie nach Untersuchung erstellten SMS-Gutachten vom 5.7./ und 18.1./ wird zunächst ausdrücklich festgehalten (siehe Anamnesen), dass bei der Bf bereits im Jugendalter erste psychiatrische Auffälligkeiten mit sozialem Rückzug, Schlafproblemen und depressiver Symptomatik aufgetreten sind, und wird im Ergebnis bei der Bf eine "Paranoide Schizophrenie" samt einem Grad der Behinderung im Ausmaß von 70 % und die dauernde Erwerbsunfähigkeit bescheinigt.
Nach Ergänzung im Zweitgutachten auf Grundlage des (neu vorgelegten) Befundes bzw. der Bestätigung des behandelnden Psychiaters DrE (Bf dort in Behandlung von 06/1998 bis 05/2000) hat der Sachverständige den Eintritt der Erwerbsunfähigkeit bei der Bf ausdrücklich "spätestens ab Juni 1998" festgestellt.

Laut eigenen Angaben sind für den Zeitraum vor Oktober 1995 keine Unterlagen, Befunde oä. mehr vorhanden bzw. wurden mittlerweile vernichtet.

III. Beweiswürdigung:

Obiger Sachverhalt ergibt sich aus dem Akteninhalt, insbesondere aus den oben im Einzelnen angeführten Unterlagen und durchgeführten Erhebungen sowie aus den zwei eingangs dargestellten SMS-Sachverständigengutachten.
Insoweit die Sachverhaltsfeststellung den eigenen Angaben seitens der Bf folgt (ua. lt. Stellungnahme v. ) gilt festzuhalten:

Ob ein Sachverhalt als erwiesen anzunehmen ist oder nicht, ist im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu beurteilen. Das Gericht hat dabei gemäß § 167 Abs. 2 BAO unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens in freier Überzeugung eine Tatsache als erwiesen oder nicht erwiesen anzunehmen. Dabei genügt es, von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen zu erachten, die gegenüber allen anderen eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat (; siehe auch: Ritz/Koran, BAO7, § 167 Rz 8 mwN).

Die eigenen Angaben zum chronologischen, ua. beruflichen Fortgang der Bf nach abgeschlossener Schulausbildung, dies verbunden mit mehreren gescheiterten Arbeitsversuchen aufgrund massiver psychischer Probleme bereits seit dem Jugendalter, sind nicht nur umfassend und detailliert ausgeführt, sondern werden auch in den beiden SMS-Gutachten weitgehend bestätigt. Im Hinblick darauf besteht für das Bundesfinanzgericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung keinerlei Zweifel am Wahrheitsgehalt der diesbezüglichen Darstellung, die sohin als erwiesen anzunehmen ist.

IV. Rechtslage:

A) Eigenanspruch:

Betreffend den "Eigenanspruch auf Familienbeihilfe" wird in § 6 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG), BGBl 1967/376 idgF., bestimmt:

(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten
ist und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraus-
setzungen des Abs. 1 lit a bis c zutreffen und wenn sie ...
d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren
Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres,
eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd
außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht
zur Gänze aus Mitteln der Kinder - und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus
öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes
getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt ....
….
(5) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder - und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

Nach § 2 Abs. 1 lit c FLAG 1967 besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

B) Erhöhungsbetrag:

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist.
Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 idgF gilt als erheblich behindert ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Nach § 8 Abs. 6 FLAG ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr Sozialministeriumservice) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Gemäß § 8 Abs. 7 FLAG gelten die Abs. 4 bis 6 sinngemäß für Ansprüche nach § 6 FLAG.

Ein "Eigenanspruch" der Bf kommt daher nach Obigem dann in Betracht, wenn nach § 6 Abs. 2 lit d FLAG bei ihr vor Vollendung des 21. Lebensjahres aufgrund einer Behinderung eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist.
Besteht keine vor dem 21. Lebensjahr eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder der Grund- noch der Erhöhungsbetrag an Familienbeihilfe zu.

C) Judikatur:

Zum Nachweis der Voraussetzung der dauernden Erwerbsunfähigkeit (sowie auch des Grades der Behinderung) ist eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice iSd § 8 Abs. 6 FLAG zwingend erforderlich. Die Abgabenbehörden sowie der UFS, nunmehr das Bundesfinanzgericht/BFG, sind an die Feststellungen der im Wege des Bundessozialamtes (nunmehr Sozialministeriumservice/SMS) erstellten Gutachten - grundsätzlich - gebunden (vgl. ua.).
Gleichzeitig hat das BFG die Beweiskraft - insbesondere Nachvollziehbarkeit bzw. Schlüssigkeit - der Gutachten zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen (vgl. ).
(vgl. zu vor auch: Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, 2. Aufl., Rz. 29 f. zu § 8 FLAG).

Die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde sind eingeschränkt, wenn Sachverhalte zu beurteilen sind, die teilweise Jahrzehnte zurückliegen. Auch der Sachverständige kann aufgrund seines medizinischen Fachwissens ohne Probleme nur den aktuellen Gesundheitszustand des Erkrankten beurteilen. Hierauf kommt es aber nur dann an, wenn der derzeitige Behinderungsgrad zu beurteilen ist oder die Feststellung, ob eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt, zeitnah zum relevanten Zeitpunkt erfolgen kann. Der Sachverständige kann in den übrigen Fällen nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden, Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt eine erhebliche Behinderung eingetreten ist. Dies ist insbesondere bei psychischen Krankheiten problematisch, die häufig einen schleichenden Verlauf nehmen, sodass es primär am Bf oder dessen Vertreter (zB Sachwalter) gelegen wäre, die vor dem 21. Lebensjahr eingetretene Erwerbsunfähigkeit nachzuweisen (vgl. u.a.; siehe in Lenneis/Wanke, aaO, Rz 32 zu § 8 FLAG).

§ 6 Abs. 2 lit d FLAG 1967 stellt darauf ab, dass der Vollwaise auf Grund einer zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetretenen Behinderung außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine derartige geistige oder körperliche Behinderung kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 6 Abs. 2 lit d erfüllt. Maßgeblich ist somit allein der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt; die vom Gesetzgeber geforderte Feststellung des tatsächlichen Eintritts der Erwerbsunfähigkeit eines Antragstellers kann immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen (; ).

Liegen keine Befunde vor einem bestimmten Zeitraum vor, so ist es einem Gutachter nicht möglich, bereits davor eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, festzustellen, sofern kein Leidenszustand vorliegt, der eindeutig eine Erwerbsfähigkeit bereits von vorneherein ausschließt (; siehe zu vor Lenneis/Wanke, aaO, Rz 20 zu § 8 FLAG).

V. Erwägungen:

Gegenständlich wurde in beiden von Seiten des Sozialministeriumservice erstellten Sachverständigengutachten offenkundig davon ausgegangen, dass bei der Bf bereits seit Jugendalter eine psychische Erkrankung mit vielfältigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorgelegen war, die sich letztlich chronifiziert und als "Paranoide Schizophrenie" manifestiert hat.
Im letztgültigen Zweitgutachten wurde anhand des nunmehr vorliegenden Befundes des Psychiaters DrE, der die Bf langjährig behandelt hat, ein GdB von 70 % (= übereinstimmend mit dem Erstgutachten) sowie der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit bei der Bf spätestens ab Juni 1998 attestiert. Zu dieser Zeit war die Bf 23 Jahre alt.

Nach oben dargelegter Rechtsprechnung kann die Feststellung des tatsächlichen Eintritts der Erwerbsunfähigkeit immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen; mangels Befunden vor einem bestimmten Zeitraum ist es dem Gutachter an sich nicht möglich, davor die Erwerbsunfähigkeit festzustellen.

Dem SMS-Gutachter war es zwar gegenständlich mangels noch vorhandener Befunde o.ä. aus dieser Zeit verwehrt, für den Zeitraum vor Oktober 1995 (= vor vollendetem 21. Lj.) eine bereits dazumal eingetretene Erwerbsunfähigkeit der Bf festzustellen. Zugleich ist aber nicht zu übersehen, dass er den Eintritt der Erwerbsunfähigkeit mit "spätestens" ab Juni 1998 samt einem zu diesem Zeitpunkt bereits eher hohen GdB von 70 % bescheinigt. Dabei gilt - neben der bereits seit Jugendalter attestierten psychischen Erkrankung - wohl auch zu beachten, dass das Alter der Bf von 23 Jahren im Juni 1998 zeitlich relativ nahe zur gesetzlich maßgeblichen Vollendung des 21. Lebensjahres gelegen war.

Das Bundesfinanzgericht ist zwar grundsätzlich an die Feststellungen im Sachverständigen-gutachten des SMS gebunden. Allerdings kann nach Ansicht des BFG gerade hier im Einzelfall unter Bedachtnahme auf alle obgenannten Umstände und dabei insbesondere auf die Aussage des Gutachters, die Erwerbsunfähigkeit ist spätestens mit Juni 1998 eingetreten, wohl mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Erwerbsunfähigkeit schon vor dem vollendeten 21. Lebensjahr der Bf vorgelegen war.
Die diesbezügliche Beurteilung ist auch insofern nicht als ein Abgehen von der Bindungswirkung des Gutachtens zu betrachten, als dieser Beurteilung vielmehr alle vom Gutachter getroffenen Feststellungen zugrunde gelegt werden.

VI. Ergebnis:

Bei eingetretener Erwerbsunfähigkeit noch vor Vollendung des 21. Lebensjahres der Bf sind iSd § 6 Abs. 2 lit d iVm Abs. 5 FLAG 1967 bei ihr sämtliche Voraussetzungen für die Zuerkennung des Grundbetrages an Familienbeihilfe sowie auch des FB-Erhöhungsbetrages als Eigenanspruch erfüllt.

Der Beschwerde ist daher insgesamt Folge zu geben, die angefochtenen abweisenden Bescheide sind aufzuheben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Unzulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der gegenständlichen Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen die erhöhte Familienbeihilfe (Grundbetrag und Erhöhung) als Eigenanspruch zusteht, ergibt sich bereits aus den bezughabenden Gesetzesbestimmungen. Bei der Frage, ob in gegenständlichem Einzelfall noch vor dem 21. Lj. eine "dauernde Erwerbsunfähigkeit" eingetreten war, handelt es sich um eine sachverhaltsbezogen zu lösende Tatfrage, insofern keine Rechtsfrage von "grundsätzlicher Bedeutung" vorliegt. Eine Revision ist damit nicht zulässig.

Innsbruck, am

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