Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 04.05.2023, RV/7100405/2023

Außergewöhnliche Belastungen für Seniorenwohnheimkosten unter Anwendung des Selbstbehaltes

Rechtssätze


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Folgerechtssätze
RV/7100405/2023-RS1
wie RV/7102758/2022-RS1
Der Legalbegriff des negativen Falls (§ 35 Abs 2 EStG 1988) erfasst auch den Fall, dass ein Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses ab einem zurückliegenden Zeitpunkt eingebracht wird, der vom Bundessozialamt zwar abzuweisen ist, womit das Bundessozialamt aber den Grad der Behinderung zu einem zurückliegenden Zeitpunkt feststellt, also eine meritorische Entscheidung mit Rückwirkung trifft. Die Rückwirkung ist nach dem BBG unzulässig und ein solcher Bescheid ist nach dem AVG rechtswidrig, jedoch wird diese Feststellung für Zwecke der Einkommensteuer und der abgaberechtlichen Verfahrensordnung benötigt, sodass ein solcher Bescheid aus verfassungsrechtlicher Sicht rechtskonform ist.
RV/7100405/2023-RS2
wie RV/7102758/2022-RS2
Die erst für abgelaufene Zeiträume mögliche Einkommensteuerfestsetzung und die Verjährungsbestimmung des § 207 Abs 2 BAO derogieren insoweit dem AVG und dem BBG, denen zufolge die Antragserledigung ex nunc mit dem Tag der Antragstellung zu erfolgen hat. Die Bundesabgabenordnung ist in diesem Fall im Verhältnis zum Allgemeinen Verwaltungsgesetz die speziellere Norm und verdrängt kraft Spezialität insoweit das AVG (lex specialis derogat legi generali).

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Katharina Deutsch LL.M. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Dr. Rebekka Stern, Hintere Zollamtsstraße 15//1/30, 1030 Wien, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom betreffend Aufhebung § 299 BAO / ESt 2019 und Aufhebung § 299 BAO / ESt 2020 und über die Beschwerde vom gegen den Bescheid betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für das Jahr 2020 vom , Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde vom wird gemäß § 279 BAO teilweise stattgegeben. Die Bescheide vom betreffend Aufhebung § 299 BAO/ ESt 2019 und ESt 2020 werden aufgehoben.

Der Beschwerde vom wird gemäß § 279 BAO teilweise stattgegeben. Der Bescheid betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für das Jahr 2020 vom wird abgeändert. Die Höhe der festgesetzten Einkommensteuer ist dem Ende der Entscheidungsgründe zu entnehmen und bildet Teil des Spruches diese Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Schreiben vom verlangte das Finanzamt mittels Ergänzungsersuchen eine Kostenaufstellung sowie Unterlagen zu den von der Beschwerdeführerin beantragten außergewöhnlichen Belastungen aufgrund von Krankheit ab. Mit Schreiben vom wurden die Abrechnungsbelege betreffend die Wohnkosten inklusive Frühstück in der Senioren-Wohnanlage ***1*** dem Finanzamt vorgelegt.

Mit Bescheid vom betreffend Einkommensteuer 2019 wurden die Aufwendungen für die Wohnkosten im Seniorenwohnheim unter Anwendung des Selbstbehaltes gem. § 34 Abs. 4 EStG 1988 gewährt. Mit wurde ein Antrag auf Änderung gemäß § 295a BAO eingebracht, welchem insofern am stattgegeben wurde, als ein Teil der Aufwendungen für das Pflegeheim, nämlich der Teil der von den außergewöhnlichen Belastungen abgezogenen Haushaltsersparnis gekürzt wurde, der auf die Vollverpflegung entfallen ist, da vom Seniorenheim lediglich das Frühstück verabreicht wurde. Die Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für das Jahr 2019 wurde unter dem Abzug von außergewöhnlichen Belastungen iHv. EUR 21.613,68 statt zuvor iHv. EUR 19.965,60 anerkannt.

Mit Schreiben vom erließ das Finanzamt gemäß § 299 Abs. 1 BAO betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für das Jahre 2019 einen neuen Sachbescheid, wobei die Seniorenwohnheimkosten zur Gänze aberkannt wurden.

In der Begründung führte das Finanzamt aus, dass kein Grad der Behinderung iHv. 25% bei der Beschwerdeführerin festgestellt werden konnte und dass die Kosten für Unterbringung und Verpflegung in dem Seniorenheim als Kosten der privaten Lebensführung zu beurteilen seien und nicht als außergewöhnliche Belastungen auf Grund von Krankheit. Das Finanzamt begründete weiter, dass keine Pflege -und Betreuungsaufwendungen entstanden wären, somit auch die Wohnkosten mangels Zwangsläufigkeit keine außergewöhnliche Belastung darstellen würden.

Die Beschwerdeführerin erhob mit Schreiben vom das Rechtsmittel der Beschwerde und bestritt die Argumentation der Behörde insofern, als sie vorbrachte, dass sehr wohl in diesem Seniorenwohnheim Pflege- und Betreuungsdienste geleistet wurden. Die Beschwerdeführerin brachte weiters vor, dass die Kosten für Pflege und Betreuung durch die Krankheit und die Betreuungsbedürftigkeit der Beschwerdeführerin verursacht wurden und verwies auf die ärztliche Bestätigung vom , die sie dem Finanzamt vorlegte. Aus dem ärztlichen Attest für die Beschwerdeführerin ist Folgendes verzeichnet: "Obgenannte Patientin steht wegen Polyarthrose mit stp. Kniegelenksersatz, massiver Schwindelsymptomatik mit Gangunsicherheit bei cerebraler Durchblutungsstörung in ho und FA Behandlung. Die Wohnung in einer Pensionistenresidenz mit Möglichkeit der fachgerechten Betreuung ist medizinisch unbedingt notwendig."

Mit Schreiben vom erließ das Finanzamt eine Beschwerdevorentscheidung und wies damit die Beschwerde als unbegründet ab. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, dass die Kosten der Unterbringung im Seniorenheim keine außergewöhnlichen Belastungen darstellen würden, da diese nicht aus gesundheitlichen Gründen, sondern lediglich aus Altersgründen stattfänden.

Diese Argumentation würde dadurch untermauert, dass Leistungen der mobilen Dienste - der sogenannten hauseigenen Pflegekräfte - erst ab dem von der Beschwerdeführerin tatsächlich bezogen und dass Pflegegeld erst ab bezogen würde. Das Finanzamt berief sich weiter darauf, dass der Pflegebedarf von Pflegestufe 1 iHv. 65 Stunden monatlich erst ab Bezug des Pflegegeldes also Veranlagungszeitraum Kalenderjahr 2021 gegeben sei.

Mit Vorlageantrag vom begehrte die Beschwerdeführerin die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung an das Bundesfinanzgericht. Sie führte aus wie folgt:

"Mit Bescheid über die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2019 Aufhebung gemäߧ 299 BAO vom und mit Bescheid über die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2020 Aufhebung gemäß § 299 BAO vom wurde der Einkommenbescheid 2020 vom 28.7.2021undder Einkommenbescheid 2019 vom wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben. In den Sachbescheiden wurde die Aufhebungdamit begründet, daß in denHeimkostenbestätigungenkeine Pflege-bzw Betreuungsaufwendungen ausgewiesensindund somit die Wohnkosten mangels Zwangsläufigkeit keine außergewöhnlicheBelastungdarstellen. Mit wurdeBeschwerdedagegenerhoben.In der Beschwerdevorentscheidungvom bezüglichder Beschwerde vomgegendie Aufhebungsbescheidevom erfolgte keine Begründung.Eswurdeaufdie Begründungin den neuenSachbescheidenvom 20.5.2022verwiesen.In den neuen Sachbescheiden vom wurde die Begründungaus denAufhebungsbescheidenübernommen mit dem zusätzlichenHinweis, daß die für dieHeimunterbringungenstandenen Kosten dann als außergewöhnlicheBelastungberücksichtigtwerden, wenn ein Betreuungsbedarfim Ausmaßder Pflegestufe1 (65Stundenmonatlich) in den entsprechendenJahrengegebenist. Da die Behördeausdemärztlichen Gutachtenkeinen Pflegeaufwandim Ausmaßder Pflegestufe1 in den Jahren 2019und2020 ableiten konnte, konnten keine außergewöhnlichen BelastungensteuerlichBerücksichtigung finden. Eine Darstellung,wie die Ableitungerfolgt ist umzudiesemabweisenden Ergebniszukommen, ist nichterfolgt.In seiner regelmäßigenRechtsprechungweist der VwGH darauf hin, falls einSteuerpflichtigerausKrankheits-oder Behinderungsgründennichtmehrin der Lage ist,den Haushaltselbst zuführenund daher aufeine Betreuung,wie sie in einem Alters- oder Pflegeheimtypischist, angewiesen ist, außergewöhnliche Belastungenvorliegen.Dies auch in Form der Unterkunft und Verpflegungsoweit diese Kosten dieHaushaltsersparnis übersteigen (vgl. 2007/13/0051; VwGH, 2008/13/0145; ,2008/13/0185).Eine Herleitungeines Pflegeaufwandesläßtsichausder Haushaltsersparnis,welchesicham Wert der vollen freien Station gemäߧ 15EStG orientiert vereinfachtdarstellen. Sokommt man fürdie Zubereitungdes täglichenFrühstücksundMittagessenssamt Einkaufund anschließender Reinigungauf täglich mehr als 3 Stunden; auf das Monathochgerechnetergeben sich 90 Stunden, dazu kommt noch die ReinigungdesAppartementsundweiterer Dienstleistungen.Der VwGH kommt daher ausgutemGrundzuder wiederholten Entscheidung,daßimKrankheits-oder Behinderungsfalldie Kosten fürdie UnterkunftundVerpflegungeineaußergewöhnliche Belastungdarstellen auchwenn keine Pflegegeldbezogen wird.

Esgenügt,wenn jemand nichtmehrin der Lage ist selbst den Haushaltzuführen.Davonkann bei Vorliegen einer ärztlichenBescheinigungausgegangenwerden.Ruhr. Klientin ist aus Krankheits- und Behinderungsgründenim Senioren- undPflegeheimuntergebracht,weil sie außerstandeist, einen Haushaltzu führenund fürsichselber zusorgen.Ruhr. Klientin erfüllt alle Erfordernisse für die vollinhaltlicheAnerkennung derbeantragtenaußergewöhnlichen Belastungen.Da der Spruchder Bescheide nichtdem Gesetz entspricht,ist der Inhaltdes Bescheides nichtrichtig. (…) Ich ersuche,dass das Gericht Ihr Ermessen unterBedachtnahmeaufBilligkeit iS vonAngemessenheitin Bezugaufdie berechtigtenInteressen meiner Mandantin ausübt,dassSie in Ihrer abschließendenEntscheidungüber die Beschwerde dem Antrag,Einkommensteuerbescheide 2019 und 2020 vom ersatzlos aufhebt,sodaß das Verfahren in die Lagezurücktritt, in der es sichvor der Aufhebungbefundenhat."

Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt die Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) iHv. EUR 0,- fest. Mit Schreiben vom erhob die Beschwerdeführerin das Rechtsmittel der Beschwerde und führte aus, dass Pflegeheimkosten iHv. 20.958,26 gekürzt um die Haushaltsersparnis als außergewöhnliche Belastungen aus Krankheitsgründen ohne Selbstbehalt zu berücksichtigen sind. Die Beschwerdeführerin legte ein ärztliches Attest und die Belege des Seniorenwohnheimes dem Finanzamt vor.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom berichtigt gem. § 293 BAO vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für das Jahr 2020, gab das Finanzamt dem Beschwerdebegehren statt und berücksichtigte außergewöhnliche Belastungen iHv. EUR 22.199,77 und setzte die Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für das Jahr 2020 iHv. EUR -6.334,- (Gutschrift) fest.

Mit Schreiben vom erließ das Finanzamt gemäß § 299 Abs. 1 BAO betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für das Jahr 2020 einen neuen Sachbescheid, wobei die Seniorenwohnheimkosten zur Gänze aberkannt wurden.

In der Begründung führte das Finanzamt aus, dass kein Grad der Behinderung iHv. 25% bei der Beschwerdeführerin festgestellt werden konnte und dass die Kosten für Unterbringung und Verpflegung in dem Seniorenheim als Kosten der privaten Lebensführung zu beurteilen seien und nicht als außergewöhnliche Belastungen auf Grund von Krankheit. Das Finanzamt begründete weiter, dass keine Pflege -und Betreuungsaufwendungen entstanden wären, somit auch die Wohnkosten mangels Zwangsläufigkeit keine außergewöhnliche Belastung darstellen würden.

Die Beschwerdeführerin beantragte mit Schreiben vom die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung vor dem Bundesfinanzgericht und bestritt die Argumentation der belangten Behörde insofern, als sie vorbrachte, dass sehr wohl in diesem Seniorenwohnheim Pflege- und Betreuungsdienste geleistet wurden.

Die Beschwerdeführerin brachte weiters vor, dass die Kosten für Pflege und Betreuung durch die Krankheit und die Betreuungsbedürftigkeit der Beschwerdeführerin verursacht wurden und verwies auf das ärztliche Attest vom , die sie dem Finanzamt vorlegte aus dem aufgrund einer Polyarthrose und massiver Schwindelsymptomatik mit Gangunsicherheit bei zerebraler Durchblutungsstörung das Wohnen in einer Seniorenresidenz als ärztlich notwendig erachtet wurde.

Mit Schreiben vom erließ das Finanzamt eine Beschwerdevorentscheidung und wies damit die Beschwerde als unbegründet ab. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, dass die Kosten der Unterbringung im Seniorenheim keine außergewöhnlichen Belastungen darstellen, da diese nicht aus gesundheitlichen Gründen, sondern lediglich aus Altersgründen stattfinden würden. Diese Argumentation würde dadurch untermauert, dass Leistungen der mobilen Dienste - der sogenannten hauseigenen Pflegekräfte - erst ab dem von der Beschwerdeführerin tatsächlich bezogen und dass Pflegegeld erst ab bezogen würde. Das Finanzamt berief sich weiter darauf, dass der Pflegebedarf von Pflegestufe 1 iHv. 65 Stunden monatlich erst ab Bezug des Pflegegeldes gegeben sei.

Mit Vorlageantrag vom begehrte die Beschwerdeführerin die Vorlage der Be-schwerde zur Entscheidung an das Bundesfinanzgericht und begründete wie oben dargestellt.

Mit Schreiben vom legte die belangte Behörde die Beschwerden dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.

Am fand betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für die Jahre 2020 und § 299 Aufhebung betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für die Jahre 2019 und 2020 eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht statt, zu der die Parteien geladen waren.

Es wurde von der Richterin betont, dass außergewöhnliche Belastungen schon ab einer krankheitsbedingten Betreuungsbedürftigkeit vorliegen können und dass im konkreten Fall aufgrund der Vorlage des ärztlichen Attestes vom unter Anwendung freier Beweiswürdigung von einer Betreuungsbedürftigkeit der Beschwerdeführerin aufgrund der Krankheit ausgegangen werden kann.

Die Vertreterin der belangten Behörde entgegnete, dass die Beschwerdeführerin keine Nachweise erbracht habe, dass Sie ärztlich betreut wurde. Demgegenüber hielt ihr die Richterin vor, dass sich in der Beilage zur Beschwerde ein Beleg befindet, wonach das Honorar der Behandlung einer Fachärztin für Neurologie vom abgerechnet wurde.

Die Vertreterin der belangten Behörde brachte weiters vor, dass die Wohnform "aktives Wohnen" nicht als betreutes Wohnen zu beurteilen wäre, da die Beschwerdeführerin lediglich ein Apartment bewohnt habe, wobei die hauseigenen Pflegekräfte erst ab dem Jahr 2021 benötigt wurden. Die Amtsvertretung bemerkte, dass laut Homepage des ***2*** drei verschiedene Wohnformen angeführt sind: aktives Wohnen, betreutes Wohnen und stationäres Wohnen und deshalb im konkreten Fall kein betreutes - sondern nur "aktives" - Wohnen vorliegen würde.

Die Richterin zitierte die Rechtsmeinung aus der Judikatur, dass auch Aufwendungen zur Haushaltsführung außergewöhnliche Belastungen darstellen können, wenn der/die Kranke den Haushalt nicht mehr selbst führen kann. Da die Beschwerdeführerin 1927 geboren wurde und im Beschwerdezeitraum 92 Jahre alt war, kann ihr Vorbringen unter Berücksichtigung der vorlegten Unterlagen nachvollzogen werden. Der Zweck des Gesetzes wäre zu berücksichtigen, welcher bewirkt, dass jene Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen zu beurteilen sind, die medizinisch indiziert sind. Das Finanzamt hat in den angefochtenen Bescheiden betreffend Aufhebung § 299 BAO der Einkommensteuerbescheide 2019 und 2020 jedoch keine Ermessensübung vorgenommen. Der belangten Behörde wurde das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/7102412/2021 zur Kenntnis gebracht, in welchem dasselbe Seniorenheim (Betreuungsart "aktives Wohnen") betreffend außergewöhnliche Belastungen mit/ und ohne Anwendung eines Selbstbehaltes anerkannt wurden.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin, geboren im Jahr 1927, bewohnt im Beschwerdezeitraum eine Wohnung im ***3***, welche in der Betreuungsform "aktives Wohnen" gestaltet ist. Pflege- und Betreuungsleistungen sowie ein stationärer Bereich stehen in der Anlage bei Bedarf zur Verfügung und werden gesondert abgerechnet. Die Beschwerdeführerin hat im Beschwerdezeitraum ärztliche Leistungen einer Fachärztin für Neurologie, welche über das Seniorenheim abgerechnet wurden, bezogen. Sie leidet im Beschwerdezeitraum an den folgenden Erkrankungen: Polyarthrose mit Kniegelenksersatz, massive Schwindelsymptomatik mit Gangunsicherheit bei zerebraler Durchblutungsstörung. Sie benötigt daher fachärztliche Behandlung. Eine Unterbringung der Beschwerdeführerin in einer "Pensionistenresidenz mit Möglichkeit der fachgerechten Betreuung" wurde mit Attest vom ärztlich verordnet. Leistungen der mobilen Dienste - der sogenannten hauseigenen Pflegekräfte - bezog die Beschwerdeführerin erst nach dem Beschwerdezeitraum ab dem und Pflegegeld - Pflegebedarf von Pflegestufe 1 iHv. 65 Stunden monatlich - wurde erst ab dem gewährt.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt gründet sich auf den von der Beschwerdeführerin dem Finanzamt vorgelegten Unterlagen, insbesondere auf das ärztliche Attest vom der Gruppenpraxis für Allgemeinmedizin und der Honorarnote der Fachärztin für Neurologie vom und den Abrechnungsbelegen des Wohnheims. Die Betreuungsformen des Seniorenwohnheims sind wie von der belangten Behörde in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht am vorgebracht, der Homepage zu entnehmen: ***4***.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (teilweise Stattgabe)

Rechtslage:

§ 34 EStG 1988 BGBl. Nr. 400/1988, idF. BGBl. I Nr. 103/2019 (Bezugszeitraum: Abs. 6 ab (Veranlagungsjahr 2019) gemäß § 124b Z 345) lautet auszugsweise:

"(1) Bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen sind nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muß folgende Voraussetzungen erfüllen:

1. Sie muß außergewöhnlich sein (Abs. 2).

2. Sie muß zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).

3. Sie muß die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).

Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein.

(2) Die Belastung ist außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse erwächst.

(3) Die Belastung erwächst dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

(4) Die Belastung beeinträchtigt wesentlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soweit sie einen vom Steuerpflichtigen von seinem Einkommen (§ 2 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 5) vor Abzug der außergewöhnlichen Belastungen zu berechnenden Selbstbehalt übersteigt. Der Selbstbehalt beträgt bei einem Einkommen

von (…) mehr als 36 400 Euro ……………………………………………..………………………...12%.
(…)

(6) Folgende Aufwendungen können ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden:

(…)

-Aufwendungen im Sinne des § 35, die an Stelle der Pauschbeträge geltend gemacht werden (§ 35 Abs. 5).

-Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, wenn die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 vorliegen, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.

Der Bundesminister für Finanzen kann mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind.

(…)"

§ 35 EStG 1988 BGBl. Nr. 400/1988, idF. BGBl. I Nr. 103/2019 (Bezugszeitraum: Abs. 6 ab (Veranlagungsjahr 2019) gemäß § 124b Z 345) lautet auszugsweise:

"(1) Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen

-durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,

(…) und erhält weder der Steuerpflichtige noch sein (Ehe-)Partner noch sein Kind eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage), so steht ihm jeweils ein Freibetrag (Abs. 3) zu.

(…)

Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Zuständige Stelle ist:

(…)

-In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.

(…)

(5)Anstelle des Freibetrages können auch die tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung geltend gemacht werden (§ 34 Abs. 6).

(…)

(7)Der Bundesminister für Finanzen kann nach den Erfahrungen der Praxis im Verordnungsweg Durchschnittssätze für die Kosten bestimmter Krankheiten sowie körperlicher und geistiger Gebrechen festsetzen, die zu Behinderungen im Sinne des Abs. 3 führen.

(…)"

Die Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen (BGBl. Nr. 303/1996 idF BGBl. II Nr. 430/2010 lautet auszugsweise:

"§ 1. (1) Hat der Steuerpflichtige Aufwendungen
- durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,
(…)

so sind die in den §§ 2 bis 4 dieser Verordnung genannten Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.

(2) Eine Behinderung liegt vor, wenn das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) mindestens 25% beträgt.

(3) Die Mehraufwendungen gemäß §§ 2 bis 4 dieser Verordnung sind nicht um eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) oder um einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 zu kürzen.

§ 4. Nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (zB Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung sind im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen."

1. Außergewöhnliche Belastung aus Krankheitsgründen unter Anwendung eines Selbstbehaltes gem. § 34 EStG 1988 (Stattgabe):

Strittig im konkreten Fall ist das Vorliegen von außergewöhnlichen Belastungen gem. § 34 EStG 1988 für die vom Seniorenwohnheim der Beschwerdeführerin verrechneten Aufwendungen. Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind außergewöhnliche Belastungen bei der Ermittlung des Einkommens abzuziehen, wenn sie außergewöhnlich und zwangsläufig erwachsen und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen.

Die Belastung ist gemäß § 34 Abs. 2 EStG 1988 dann außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse und gleicher Vermögensverhältnisse erwächst. Sie beeinträchtigt gemäß § 34 Abs. 4 EStG 1988 wesentlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soweit sie einen näher geregelten Selbstbehalt übersteigt. Eine Belastung erwächst zwangsläufig, wenn sich der Steuerpflichtige ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. Unter tatsächlichen Gründen sind Ereignisse zu verstehen, die unmittelbar den Steuerpflichtigen selbst betreffen wie zB. im konkreten Fall eigene Krankheitskosten.

Die belangte Behörde hat in der Begründung der angefochtenen Bescheide vom argumentiert, dass die Kosten für Unterbringung und Verpflegung der Beschwerdeführerin im Seniorenheim als Kosten der privaten Lebensführung und nicht als außergewöhnliche Belastungen auf Grund von Krankheit zu beurteilen wären. Dabei hat das Finanzamt jedoch nicht die ärztliche Verordnung der Unterbringung in einem Pflegewohnheim aufgrund von Krankheit vom berücksichtigt, welche eine medizinische Indikation der angefallenen Pflegeheimkosten beweist.

Das Finanzamt begründete in seinen Beschwerdevorentscheidungen, dass im konkreten Fall im Beschwerdezeitraum keine Pflege -und Betreuungsaufwendungen entstanden wären, somit auch die Wohnkosten mangels Zwangsläufigkeit keine außergewöhnliche Belastung darstellen würden.

Dem Vorbringen der belangten Behörde, dass im Beschwerdezeitraum keine Pflege- und Betreuungsaufwendungen entstanden sind, kann hiermit nicht zugestimmt werden, da die vom Seniorenwohnheim verrechneten ärztlichen Leistungen - dabei handelt es sich um neurologische fachärztliche Leistungen laut Beleg vom , die in Zusammenhang mit der Erkrankung der Beschwerdeführerin, der vorliegenden zerebralen Durchblutungsstörung - anzusehen und somit als ärztliche Betreuungsaufwendungen zu beurteilen sind.

Überdies stellt im konkreten Fall das Seniorenwohnheim selbst bei der von der Beschwerdeführerin gewählten Wohnform "aktives Wohnen" bei Bedarf Pflege- und Betreuungsdienste zur Verfügung und es steht sogar ein stationärer Bereich im Falle der Verschlimmerung der Erkrankung der Beschwerdeführerin am Gelände des Seniorenwohnheims bereit.

Die belangte Behörde begründet in ihren Beschwerdevorentscheidungen weiters, dass die Kosten der Unterbringung im Seniorenheim auch deshalb keine außergewöhnlichen Belastungen darstellen, da "diese nicht aus gesundheitlichen Gründen, sondern aus Altersgründen" stattfinden würden.

Dass Gangunsicherheiten auch lediglich "aus Altersgründen" entstehen können ist zwar plausibel, jedoch im konkreten Fall nicht zutreffend, da laut dem ärztlichen Attest vom eindeutig erkennbar ist, dass die Gangunsicherheiten der Beschwerdeführerin nicht aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters, sondern aufgrund der Polyarthrose mit Kniegelenksersatz und der massiven Schwindelsymptomatik bei zerebraler Durchblutungsstörung, also aufgrund ihrer Krankheit bestehen.

Mit Erkenntnis vom , 2013/15/0254 hat der Verwaltungsgerichtshof Folgendes ausgesprochen: "Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Beschäftigung einer Haushaltshilfe nur ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Umstände eine Belastung nach sich ziehen, die für eine Steuerermäßigung nach § 34 EStG 1988 in Betracht kommt. (…) Bei kranken oder pflegebedürftigen Personen kann allerdings auch in diesen Fällen insoweit eine außergewöhnliche Belastung vorliegen, als die durch Krankheit oder Pflegebedürftigkeit bedingte Betreuung über die für eine normale Haushaltshilfe hinausgeht (vgl. das Erkenntnis vom , 94/15/0141)".

Im konkreten Fall ist aufgrund der vorgelegten Beweise als erwiesen anzunehmen, dass die Beschwerdeführerin im Beschwerdezeitraum nicht mehr in der Lage ist, einen Haushalt selbst zu führen und dass sie aufgrund ihrer Krankheit als im beträchtlichen Ausmaß als betreuungsbedürftig einzuordnen ist. Auch Aufwendungen, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden, können nämlich zwangsläufig erwachsen, wenn sie medizinisch geboten sind (). Dies auch in Form der Unterkunft und Verpflegung soweit diese Kosten die Haushaltsersparnis übersteigen (vgl. ; ; ,2008/13/0185).

Die Mehraufwendungen aufgrund von Seniorenwohnheimkosten stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem festgestellten erforderlichen Betreuungsbedarf der Beschwerdeführerin, weswegen die Unterbringung in einem Seniorenwohnheim geboten ist (). Aus diesem Grund sind die Bescheide betreffend § 299 Aufhebung Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für die Jahre 2019 und 2020 aufzuheben. Diese Bescheide sind überdies bereits aus formellen Gründen aufzuheben, da das Finanzamt bei der Aufhebung keine (ausreichende) Ermessensübung gemäß § 299 Abs. 1 BAO vorgenommen hat.

Die Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für das Jahr 2019 ist nach Aufhebung des angefochtenen Bescheides vom iHv. EUR -5.550,- mit Bescheid vom festgesetzt.

Der Einkommensteuerbescheid (Arbeitnehmerveranlagung) für das Jahr 2020 wird wie folgt abgeändert: da die Beschwerdevorentscheidung vom bzw. ihre Berichtigung vom durch den Vorlageantrag aus dem Rechtsbestand ausgeschieden ist, wird die Einkommensteuer im Sinne der Beschwerdevorentscheidung vom iHv. EUR -6.334,- hiermit festgesetzt.

2. Außergewöhnliche Belastung aufgrund von Behinderung ohne Anwendung eines Selbstbehaltes gemäß § 35 EStG 1988 (Abweisung):

Hat der Steuerpflichtige Aufwendungen (außergewöhnliche Belastungen) durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung stehen ihm die in § 34 Abs. 6 EStG 1988 und § 35 EStG 1988 vorgesehenen steuerlichen Begünstigungen nach Maßgabe der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen zu.

Wie das Bundesfinanzgericht in seinem Erkenntnis vom , RV/7102412/2021 bereits zutreffend ausgeführt hat, kann der Nachweis einer Behinderung nur durch ein Gutachten der im Gesetz genannten zuständigen Stelle geführt werden. Demnach ist die Feststellung einer Behinderung und ihres Ausmaßes der Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. des Grades der Behinderung nicht von der Abgabenbehörde oder dem Bundesfinanzgericht, sondern bindend von der § 35 Abs. 2 EStG 1988 genannten Stelle zu treffen.

Haus- oder fachärztliche Bestätigungen oder Privatgutachten sind nicht ausreichend (Wanke in Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke, EStG § 35 Anm 32). Für die erfolgreiche Geltendmachung von behinderungsbedingten Mehraufwendungen ist ein Nachweis durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen erforderlich ().

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Vorlageantrag, dass aus dem ärztlichen Gutachten ein Pflegeaufwand im Ausmaß der Pflegestufe 1 im Beschwerdezeitraum 2019 und 2020 abzuleiten wäre, obwohl das Pflegegeld erst ab dem Jahr 2021 der Beschwerdeführerin gewährt wurde und dass die Beschwerdeführerin daher aufgrund eigener Behinderung schon ab dem Jahr 2019 nicht mehr in der Lage gewesen sei, einen eigenen Haushalt zu führen und daher die außergewöhnlichen Belastungen aufgrund der Verordnung außergewöhnliche Belastungen ohne Anwendung eines Selbstbehaltes abzuziehen sind, kann aufgrund der nicht gemäß § 35 Abs. 2 EStG 1988 festgestellten Behinderung im Jahr 2019 nicht gefolgt werden.

Dass daher schon im Beschwerdezeitraum von einem Grad der Behinderung von mindestens 25% auszugehen wäre und diesfalls ein Nachweis nicht erforderlich sei (siehe Verwaltungspraxis und LStR Rz 839g), kann der Norm des § 35 EStG 1988 jedoch nicht entnommen werden ("gesetzl nicht gedeckt" Peyerl in Jakom EStG, 16. Aufl. (2023), § 35 Rz 8).

Dass in diesem Fall eine Behinderung die Folge eines Krankheitsereignisses und der festgestellte Grad der Behinderung (hier 25% aufgrund von Gewährung des Pflegegeldes ab 2021) für steuerliche Zwecke rückwirkend bis zum Zeitpunkt des Ereignisses (siehe LStR 839f) - also im konkreten Fall im Beschwerdezeitraum - festzustellen wäre, entbehrt ebenfalls einer gesetzlichen Grundlage, weshalb in diesem Punkt die Beschwerden hiermit als unbegründet abzuweisen sind.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision zulässig)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Zu Punkt 1. (Stattgabe):

1. Als grundsätzliche Rechtsfrage ist höchstgerichtlich nicht geklärt, ob außergewöhnliche Belastungen nur dann vorliegen, wenn die Unterbringung in ein Heim aus Krankheitsgründen und nicht aus Gründen des fortgeschrittenen Alters erfolgt. Die Zulässigkeit der Versagung des Abzugs von außergewöhnlichen Belastungen in Form von Seniorenheimkosten, wenn jemand aus Altersgründen seinen Haushalt nicht mehr alleine führen kann, wie es die belangte Behörde im konkreten Fall vorgenommen hat, ist nicht einheitlich beantwortet.

2. Es ist nicht höchstgerichtlich geklärt, ob wie im konkreten Fall die belangte Behörde argumentiert hat, keine außergewöhnlichen Belastungen für Seniorenwohnheimkosten abzuziehen sind, wenn kein ständiger Pflegeaufwand generiert wird, sondern nur fallweise - wie im konkreten Fall - bei Bedarf abgerechnet wird, bzw. ab welcher Betreuungsform eine außergewöhnliche Belastung abzuziehen ist. Siehe Beilage: Betreuungsformen des Seniorenwohnheims.

Zu Punkt 2. (Abweisung):

1. Die Feststellung einer Behinderung und ihres Ausmaßes der Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. des Grades der Behinderung ist bindend von der § 35 Abs. 2 EStG 1988 genannten Stelle (Sozialministeriumservice) zu treffen. Dort ist diese Feststellung (AVG-Verfahren) ab Antragszeitpunkt gültig, wobei keine Feststellung für das vorangegangene Veranlagungsjahr im Veranlagungsverfahren zur Einkommensteuer getroffen wird. Zu dieser Rechtsfrage gibt es noch keine höchstgerichtliche Judikatur. Siehe Beilage Erkenntnis des GZ. RV/7102758/2022.

2. Ebenso ist wie in der Verwaltungspraxis angenommen, die Zuerkennung von einem 25%igen Grad der Behinderung bei Erhalt der Pflegestufe 1 nicht höchstgerichtlich geklärt und eine etwaige Rückwirkung dieser Pflegebedürftigkeit infolge eines in Vorjahren vorgefallenes Ereignisses wie zB. Krankheit, Unfall, etc.. und inwiefern diese auf die Vorjahre in der Einkommensteuer ausgedehnt werden könne, wie es die Beschwerdeführerin im konkreten Fall vorgebracht hat, ist nicht einheitlich judiziert.

Beilagen: Auszug Homepage Seniorenwohnheim (3 Betreuungsformen), Erkenntnis des

Wien, am

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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7100405.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at