Briefkasten mitsamt Schlüssel macht keine Abgabestelle, wenn die Partei in der Wohnung nicht wohnt (aufhältig ist)
Entscheidungstext
BESCHLUSS
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Silvia Gebhart in der Verwaltungsstrafsache ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** über die Beschwerde des Beschuldigten vom gegen die Vollstreckungsverfügung des Magistrates der Stadt Wien, MA 6 - BA 32, vom , Zahl MA67/***1***/2021, betreffend Zwangsvollstreckung §§ 3 und 10 Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991 (VVG 1991) der mit Strafverfügung vom , Zahl MA67/***1***/2021 verhängten Geldstrafe sowie des damit vorgeschriebenen Betrages zu den Kosten des Strafverfahrens (Mahngebühr), den Beschluss gefasst:
Die Beschwerde vom wird gemäß §§ 28 Abs. 1 und 31 VwGVG zurückgewiesen und das Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht eingestellt.
Eine Revision durch die beschwerdeführende Partei wegen Verletzung in Rechten nach Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG ist gemäß § 25a Abs. 4 VwGG kraft Gesetzes nicht zulässig.
Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine ordentliche Revision durch die belangte Behörde nach Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG nicht zulässig.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid vom wurde gegenüber dem Beschwerdeführer (Bf) gemäß §§ 3 und 10 VVG sowie § 54b VStG die Zwangsvollstreckung Geldstrafe ausgesprochen. Es seien die mit Strafverfügung vom , Zahl MA67/***1***/2021, (wegen Übertretung des § 5 Abs 2 Parkometerabgabenverordnung iVm § 4 Abs 1 Parkometergesetz) rechtskräftig verhängte Strafe von EUR 60,00 und die mit Mahnung vom festgesetze Mahngebühr von EUR 5,00 nicht bezahlt worden.
In Folge brachte der Bf mit E-Mail vom folgende Beschwerde ein: "Ich lege gegen die Vollstreckungsverfügung Beschwerde ein. GZ MA67/***1***/2021 und ersuche um eine öffentliche Verhandlung. Die Angaben sind nicht richtig. Das Fahrzeug wurde mit einer Behindertenparkkarte abgestellt, es kann nicht sein, dass ich Parkometergebühren bezahlen muss. Ersuche um Kenntnisnahme."
Die Strafverfügung sollte dem Bf. als Hybrid Rückscheinbrief für Ämter und Behörden an der Adresse ***6***, zugestellt werden. Der Rückscheinbrief wurde vom Empfänger nicht behoben und der belangten Behörde zurückgesandt und langte bei ihr am ein. Am Hybrid Rückscheinbrief war der Beginn der Abholfrist mit an der dafür vorgesehenen Stelle vermerkt.
Gegen die Strafverfügung wurde kein Einspruch erhoben. Die belangte Behörde ging davon aus, dass die Strafverfügung unangefochten in Rechtskraft erwachsen sei.
Auch die Mahnung und die gegenständlich angefochtene Vollstreckungsverfügung weisen dieselbe Zustelladresse aus.
Die belangte Behörde vollzog eine Auskunft aus dem ZMR und stellte fest, dass der Bf von der bisher als Abgabestelle betrachteten Adresse ***6***, seit abgemeldet ist und richtete ein Rechtshilfeersuchen an die MA 6, die an besagter Adresse am , und am Begehungen durchführte, um die nachweisbare Zustellung der Strafverfügung zu veranlassen und um zu erheben, ob der Bf an besagter Adresse tatsächlich wohnhaft und aufhältig ist. Laut Bericht der MA 6 vom sei in der gegenständlichen Wohnung nur eine weibliche Person wohnhaft, deren Name nicht bekannt sei. Eine männliche Person sei dort schon seit längerem nicht mehr gesehen worden. Der Bf sei den Nachbarn nicht bekannt. Die Strafverfügung habe daher nicht zugestellt werden können und werde ohne Entsprechung rückgemittelt.
Laut weiterem Aktenvermerk kam die belangte Behörde am nach neuerlicher Überprüfung der Aktenlage zu dem Ergebnis, dass von einer ordnungsgemäßen Zustellung der Strafverfügung auszugehen sei. Der Beschuldigte habe sich anlässlich der Vollstreckungsverfügung gemeldet und habe zu einem eventuellen Zustellmangel nichts vorgetragen.
Die Magistratsabteilung 67 legte die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor (Datum des Einlangens: ).
Anhand einer Abfrage nach der Adresse ***6***, im ZMR wurde vom BFG am als jene weibliche Person, die im Bericht der MA 6 erwähnt wird, Frau ***3*** ermittelt, als deren Unterkunftgeber der Bf bezeichnet ist.
Über Aufforderung des Bundesfinanzgerichts übermittelte die belangte Behörde mit Schriftsatz vom die Strafverfügung im originalen Hybrid Rückscheinbrief.
Die vom Bf ordnungsgemäß in der Beschwerde beantragte öffentliche Verhandlung wurde für den anberaumt, zu der der Bf als Beschuldigter und ***3*** als Zeugin mit RSa-Rückscheinbriefen geladen wurden. Die Zustellung wurde an der Adresse ***6***, verfügt. Die Ladungen wurden in beiden Fällen durch Hinterlegung am zugestellt. Die belangte Behörde wurde von der Verhandlung in Kenntnis gesetzt.
Am fand die in der Beschwerde beantragte öffentliche Verhandlung am Bundesfinanzgericht in 1030 Wien, Hintere Zollamtsstraße 2b, Saal 0H10, in der Zeit von 10:00 bis 10:55 Uhr statt, von der der Bf und ein Vertreter der belangten Behörde unentschuldigt und ohne nachweisbare Angabe von Gründen fernblieben, weshalb das BFG den Beschluss fasste, die Verhandlung in Abwesenheit beider Verfahrensparteien abzuhalten, worauf in den Ladungen hingewiesen worden war.
Ausschließlich die Zeugin leistete der Ladung Folge. Nach Wahrheitserinnerung und Rechtsbelehrung gab sie an, dass sie trotz ihrer Stellung als ehemalige Lebensgefährtin und daher nicht fremd zu einer Zeugenaussage bereit sei. Sie wurde zu den Gründen des Nichterscheinens des Beschuldigten und zur Eignung der Adresse ***6***, (im Folgenden kurz: Zustelladresse) als Abgabestelle befragt. Eine während der Verhandlung getätigte ZMR-Abfrage zum Bruder des Beschuldigten, ***4***, brachte die seit Jahren bestehende tatsächliche Wohnadresse des Beschuldigten zu Tage.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Rechtsgrundlagen:
§ 3 Abs 2 Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991 (VVG) lautet:
"Der Vollstreckungstitel muss mit einer Bestätigung der Stelle, von der er ausgegangen ist, oder der Vollstreckungsbehörde versehen sein, dass er einem die Vollstreckbarkeit hemmenden Rechtszug nicht mehr unterliegt (Vollstreckbarkeitsbestätigung). Einwendungen gegen den Anspruch im Sinne des § 35 der Exekutionsordnung - EO, RGBl. Nr. 79/1896, sind bei der Stelle zu erheben, von der der Vollstreckungstitel ausgegangen ist."
Gemäß § 62 Abs 1 AVG - Allgemeines Verwaltungsgesetz - können, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, Bescheide sowohl schriftlich als auch mündlich erlassen werden.
§ 19 AVG trägt die Überschrift "Ladungen" und ordnet an:
"(1) Die Behörde ist berechtigt, Personen, die in ihrem Amtsbereich ihren Aufenthalt (Sitz) haben und deren Erscheinen nötig ist, vorzuladen.
(2) In der Ladung ist außer Ort und Zeit der Amtshandlung auch anzugeben, was den Gegenstand der Amtshandlung bildet, in welcher Eigenschaft der Geladene vor der Behörde erscheinen soll (als Beteiligter, Zeuge usw.) und welche Behelfe und Beweismittel mitzubringen sind. In der Ladung ist ferner bekanntzugeben, ob der Geladene persönlich zu erscheinen hat oder ob die Entsendung eines Vertreters genügt und welche Folgen an ein Ausbleiben geknüpft sind.
(3) Wer nicht durch Krankheit, Behinderung oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten ist, hat die Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten und kann zur Erfüllung dieser Pflicht durch Zwangsstrafen verhalten oder vorgeführt werden. Die Anwendung dieser Zwangsmittel ist nur zulässig, wenn sie in der Ladung angedroht waren und die Ladung zu eigenen Handen zugestellt war; sie obliegt den Vollstreckungsbehörden.
(4) Eine einfache Ladung erfolgt durch Verfahrensanordnung."
§ 24 VStG - Verwaltungsstrafgesetz lautet:
"Soweit sich aus diesem Bundesgesetz nicht anderes ergibt, gilt das AVG auch im Verwaltungsstrafverfahren. Die §§ 2, 3, 4, 11, 12, 13 Abs. 8, 14 Abs. 3 zweiter Satz, 37 zweiter Satz, § 39 Abs. 3 bis 5, 41, 42, 44a bis 44g, 51, 57, 68 Abs. 2 und 3, 75 und 78 bis 82 AVG sind im Verwaltungsstrafverfahren nicht anzuwenden."
§ 49 Abs 1 VStG sieht vor:
"Der Beschuldigte kann gegen die Strafverfügung binnen zwei Wochen nach deren Zustellung Einspruch erheben und dabei die seiner Verteidigung dienlichen Beweismittel vorbringen. Der Einspruch kann auch mündlich erhoben werden. Er ist bei der Behörde einzubringen, die die Strafverfügung erlassen hat."
Gemäß § 1 Zustellgesetz (ZuStG) regelt dieses Bundesgesetz die Zustellung der von Gerichten und Verwaltungsbehörden in Vollziehung der Gesetze zu übermittelnden Dokumente sowie die durch sie vorzunehmende Zustellung von Dokumenten ausländischer Behörden.
Gemäß § 13 Abs 1 Zustellgesetz ist das Dokument ist dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen.
Gemäß § 2 Z 4 Zustellgesetz bedeutet der Begriff "Abgabestelle": die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder auch der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort, oder ein vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebener Ort;
§ 38 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) bestimmt das anzuwendende Recht wie folgt:
"Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG in Verwaltungsstrafsachen die Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG, BGBl. Nr. 52/1991, mit Ausnahme des 5. Abschnittes des II. Teiles, und des Finanzstrafgesetzes - FinStrG, BGBl. Nr. 129/1958, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte."
§ 45 Abs 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG ) lautet:
"Wenn eine Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist, dann hindert dies weder die Durchführung der Verhandlung noch die Fällung des Erkenntnisses."
§ 44 Abs 1 und 2 VwGVG lauten:
"(1) Das Verwaltungsgericht hat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
(2) Die Verhandlung entfällt, wenn der Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist."
Sachverhalt:
Der Beschuldigte ist zurzeit im Krankenhaus ***5*** aufhältig. Er ist schwer krank und leidet an multiplen Krebserkrankungen. Der Beschuldigte hat die Ladung zur heutigen Verhandlung beim Postamt behoben. Die Zeugin hat mit ihm über die heutige Verhandlung gesprochen. Er sagte, er könne wegen Untersuchungen im Krankenhaus nicht zur Verhandlung erscheinen. Eine Bescheinigung über den unaufschiebbaren Krankenhausaufenthalt hat die Zeugin nicht mitgebracht.
Die Zeugin ist die ehemalige Lebensgefährtin des Beschuldigten. Die Lebensgemeinschaft dauerte von 2013 bis etwa 2017/18. Weshalb sich der Beschuldigte von dieser Adresse erst per abgemeldet hat, konnte sie nicht aufklären. Seit ist sie an der Adresse gemeldet. Der Mietvertrag lautet auf den Beschuldigten. Seit 2014 bezahlt sie von ihrem Geld die Miete und die Betriebskosten der Wohnung direkt an den Vermieter und den Energielieferanten sowie auch Telefonkosten. Die dazu angeforderten Kontoauszüge hatte die Zeugin bei sich und legte sie dem BFG zur Einsicht vor, wovon Kopien angefertigt wurden.
Sie habe mit dem Beschuldigten einen Mietvertrag in Schriftform nicht abgeschlossen. In der Wohnung, die nur aus einem Raum besteht und nur 37 m2 Nutzfläche aufweist, hat der Bf seit dem Auszug aus der Wohnung keine Gegenstände mehr und nächtigt dort auch nicht und ist dort auch nicht aufhältig. Sie und der Bf sind nach wie vor befreundet und haben nach wie vor Kontakt zueinander. Er besitzt nach wie vor einen Wohnungsschlüssel und einen Briefkastenschlüssel zur Adresse. Entweder holt er die im Briekasten an der Adresse eingelegten Briefsendungen und Hinterlegungsanzeigen selbst ab oder die Zeugin entnimmt sie dem Briefkasten, nimmt mit dem Beschuldigten telefonisch Kontakt auf und er kommt sie abholen oder sie treffen einander und sie übergibt sie ihm. Sie versichert, dass dem Beschuldigte auf diese Weise jedes an ihn gerichtete Schriftstück und jede Verständigung einer Hinterlegung tatsächlich zugekommen sind.
Zu den Begehungen durch die MA 6 hat sie keine Wahrnehmungen. Sie arbeitet als Kellnerin und hat unregelmäßige Arbeitszeiten, sowohl tagsüber als auch abends. Auch von den Nachbarn hat sie nichts gehört.
Sie weiß vom Beschuldigten persönlich, dass er seit seinem Auszug bei seinem Bruder ***4***, in ***Bf1-Adr***, wohnt. Dabei handelt es sich um das ehemalige Elternhaus des Beschuldigten. Sie vermutet, dass sich der Beschuldigte von der Adresse nicht abgemeldet hat, weil er so viel Post vom Magistrat bekommt, was er dem Bruder nicht zumuten möchte.
Beweismittel:
Aussage der Zeugin vom , Bericht des Magistrats der Stadt Wien, MA 6, vom
Beweiswürdigung:
Durch ihr unentschuldigtes Nichterscheinen haben beide Verfahrensparteien das ihnen zustehende Recht auf Zeugenbefragung verwirkt.
Die Zeugin hat unter Wahrheitspflicht ausgesagt, wodurch ihrer Aussage mehr Gewicht beizumessen ist. Ihre Aussage erklärt schlüssig, weshalb der Bf in dem einen Fall auf eine behördliche Erledigung reagiert und in einem anderen Fall nicht. Darüber hinaus stimmt die Zeugenaussage auch mit dem Bericht der belangten Behörde, MA 6, vom überein, in dem ausdrücklich beschrieben wird, dass an dieser Adresse seit längerem ausschließlich eine weibliche Person wohnhaft ist.
Rechtlich folgt:
Verhandlung in Abwesenheit des Beschuldigten und der belangten Behörde
Nach dem gemäß § 38 VwGVG 2014 iVm § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden § 19 Abs. 3 AVG hat, wer nicht durch Krankheit, Gebrechlichkeit oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten ist, die Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten, und kann zur Erfüllung dieser Pflicht durch Zwangsstrafen verhalten oder vorgeführt werden. Nur das Vorliegen eines der in § 19 Abs. 3 AVG genannten Gründe rechtfertigt das Nichterscheinen des Geladenen (vgl. ). Ein solcher Rechtfertigungsgrund lag im konkreten Fall nicht vor.
Die Ladung enthielt folgende Hinweise:
"Das persönliche Erscheinen der beschwerdeführenden Partei ist zur Klärung des Sachverhalts erforderlich. …
Erscheint dessen ungeachtet eine Partei nicht zur Verhandlung wird darauf hingewiesen, dass gemäß § 45 Abs. 2 VwGVG i. V. m. § 24 Abs. 1 BFGG ihr Fernbleiben der Durchführung der Verhandlung und der Fällung des Erkenntnisses nicht entgegensteht. …
Sollte einer Partei aus wichtigen Gründen eine Teilnahme am Verhandlungstermin nicht möglich sein, ist der Hindernisgrund unverzüglich schriftlich oder mit E-Mail unter Beifügung von Bescheinigungsmitteln dem Bundesfinanzgericht bekannt zu geben. Über eine allfällige Verschiebung der mündlichen Verhandlung entscheidet das Gericht."
Nach der Aussage der Zeugin haben beide über die Verhandlung gesprochen und der Beschuldigte schon davor gewusst, dass er am Verhandlungstag eine Untersuchung in einem näher genannten Krankenhaus habe. Es wäre daher an ihm gelegen, diesen Untersuchungstermin dem Bundesfinanzgericht unverzüglich bekanntzugeben und darüber hinaus Beweismittel vorzulegen, dass diese Untersuchung unaufschiebbar war. Da das nicht der Fall war, durfte die beantragte mündliche Verhandlung in Abwesenheit des Beschuldigten durchgeführt werden.
Gleiches gilt für die belangte Behörde, die sich ebenso für ihr Nichterscheinen zur Verhandlung weder entschuldigt noch gerechtfertigt hat.
Abgabestelle, Bescheidqualität
Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Vollstreckung ist ein vollstreckbarer Bescheid (Titelbescheid). Vollstreckbarkeit ist gegeben, wenn der Titelbescheid gegenüber der verpflichteten Partei wirksam geworden ist und die verpflichtete Partei ihrer Verpflichtung innerhalb der gesetzten Frist und bis zur Einleitung des Vollstreckungsverfahrens nicht nachgekommen ist (vgl zB ). Titelbescheid ist im konkreten Fall die Strafverfügung vom . Der zu vollstreckende Bescheid muss darüber hinaus in Rechtskraft erwachsen sein und die Vollstreckungsverfügung mit dem zu vollstreckenden Bescheid übereinstimmen (vgl § 3 Abs 2 VVG).
Unzulässig ist eine Vollstreckung zB dann, wenn kein entsprechender Titelbescheid vorliegt, was zB dann der Fall ist, wenn ein Bescheid der verpflichteten Partei gegenüber nicht wirksam geworden ist. Ganz generell werden schriftliche Bescheide gemäß § 62 Abs 1 AVG, der gemäß § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden ist, gegenüber der Partei durch Zustellung rechtswirksam. Gemäß § 13 Abs 1 ZuStG ist die Zustellung des Dokuments an der Abgabestelle vorzunehmen. Die Abgabestelle ist in der Zustellverfügung der behördlichen Erledigung anzuführen.
Die Strafverfügung, die Mahnung, die Vollstreckungsverfügung und die Ladung zur mündlichen Verhandlung weisen in ihren Zustellverfügungen als Abgabestelle die Adresse ***6***, aus.
Abgabestelle ist der Ort, an dem die Zustellung einer Sendung in Papierform zu erfolgen hat. Jeder der in § 2 Z 4 ZustG genannten Orte ist "Abgabestelle" nur dann und nur so lange, wenn und als sich der Empfänger, von relativ kurzfristigen Ausnahmen abgesehen, dort tatsächlich aufhält. Die möglichen Abgabestellen sind in § 2 Z 4 ZustG abschließend umschrieben.
Es ist jener Zustellort als Abgabestelle zu bezeichnen, "von dem mit größerer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß dort die Zustellung bewirkt und das Schriftstück dem Empfänger am einfachsten und sichersten übergeben werden kann oder von dem zumindest mit größerer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß es der gewählte Zustellort dem Empfänger erlaubt, mit der erforderlichen Aufmerksamkeit von der Zustellung Kenntnis zu nehmen" (Ritz/Koran, BAO, 7. Aufl. (2021), ZustG, § 2, III. Abgabestellen Rz 6ff, mwN).
Wohnung ist die Räumlichkeit (eine nach außen abgeschlossene Raumeinheit oder Raummehrheit,, ZfVB 1987/1/292), in der jemand seine ständige Unterkunft hat, wo er also gewöhnlich zu nächtigen oder sich sonst aufzuhalten pflegt (zB Wiederin, ZfV 1988, 223; , 94/03/0204; , 99/01/0124, 0125, ZfV B 2001/1062; , Ra 2018/19/0708), wo der Empfänger tatsächlich wohnt (zB ; , Ra 2018/21/0064).
Wesentlich ist, dass die Wohnung tatsächlich bewohnt ist. Auf die polizeiliche Meldung kommt es nicht an ( ; , 98/02/0218, ZfV B 2000/2181; , 2001/07/0120; , 2002/21/0036). Eine bloß fallweise Benützung etwa als häufiger Besucher begründet noch keine Wohnung iSd § 2 Z 4 ZustG () (Ritz/Koran, BAO, 7. Aufl. (2021), ZustG, § 2, III. Abgabestellen Rz 12ff mwN).
Die Einvernahme der Zeugin hat ergeben, dass die Adresse ***6***, schon seit langem keine Abgabestelle iSd § 2 Z 4 ZuStG ist, weil der Beschuldigte schon seit Jahren nicht mehr an der Adresse wohnt und sich dort auch nicht aufhält. Dass er den Briefkastenschlüssel besitzt und auch sämtliche Postsendungen ihn dadurch erreichen, weil er regelmäßig nach der Post sieht, macht die Adresse ***6***, nicht zu einer Abgabestelle. Laut Koran/Ritz (s.o.) ist jeder der in § 2 Z 4 ZustG genannten Orte nur dann und nur so lange "Abgabestelle", wenn und als sich der Empfänger, von relativ kurzfristigen Ausnahmen abgesehen, dort tatsächlich aufhält. Auch für den in § 2 Z 4 ZustG letztgenannten Fall eines "vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebener Ortes" ist daher erforderlich, dass der Empfänger dort tatsächlich wohnt.
Zurückweisung
Die Strafverfügung vom , Zahl MA67/***1***/2021, als Titelbescheid im Vollstreckungsverfahren ist mangels rechtwirksamer Zustellung als Nichtbescheid zu qualifizieren und der Rechtskraft nicht fähig. Das hätte grundsätzlich die Aufhebung der Vollstreckungsverfügung zur Folge.
Jedoch wurde auch die Vollstreckungsverfügung als angefochtener Bescheid nicht rechtswirksam, weil auch sie nicht an einer Abgabestelle iSd § 2 Z 4 ZuStG zugestellt wurde. Das hat die Zurückweisung der Beschwerde zur Folge, weil sie ebenso gegen einen Nichtbescheid gerichtet ist.
Da jedoch auch die Ladung zur Verhandlung an die unzutreffende Adresse erging, war auch sie nicht ordnungsgemäß, weshalb rückblickend betrachtet die Verhandlung in Abwesenheit nicht hätte durchgeführt werden dürfen, obgleich zu Beginn der Verhandlung die Voraussetzungen dafür erfüllt waren. Die Zeugenaussage bleibt davon unberührt. In Kenntnis der Zeugenaussage kann die beantragte Verhandlung gemäß § 44 Abs 2 VwGVG entfallen, weil die Beschwerde zurückzuweisen ist.
Da eine gegen einen Nichtbescheid eingebrachte Beschwerde mit Beschluss zurückzuweisen ist, war es dem Bundesfinanzgericht verwehrt, auf das (materielle) Vorbringen einzugehen und eine Sachentscheidung zu treffen.
Bemerkt wird, dass der Einwand einer Behinderung gegen den Titelbescheid (Strafverfügung) vorzubringen gewesen wäre; als Einwand gegen den Vollstreckungsbescheid hätte eine Behinderung der Beschwerde nicht zum Erfolg verholfen. Laut dem Tatfoto lag ein gemäß § 29a StVO ausgestellter Behindertenausweis nicht hinter der Windschutzscheibe, was Voraussetzung für die Befreiung von den Parkgebühren ist.
Liste der Vormerkungen
Die belangte Behörde hat mit dem Verwaltungsakt eine Liste über insgesamt 55 Verwaltungsstrafen, die im Zeitraum vom bis verhängt wurden, vorgelegt. Dazu ist auszuführen, dass die belangte Behörde die vom BFG getroffene Feststellung, dass die Adresse ***6***, schon seit langem nicht mehr als Abgabestelle iSd § 2 Z 4 ZuStG zu qualifizieren ist, von Amts wegen zu berücksichtigen hat. Soweit nicht Strafbarkeitsverjährung eingetreten ist, wird die belangte Behörde neuerliche Zustellungen an die vom BFG ermittelte Abgabestelle vorzunehmen haben. Soweit Strafbarkeitsverjährung bereits eingetreten ist, ist dieser Umstand ebenso von Amts wegen zu beachten.
Zur Unzulässigkeit einer Revision
Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG iVm Art. 133 Abs. 9 B-VG und § 25a Abs. 1 VwGG ist gegen einen die Angelegenheit abschließenden Beschluss des Bundesfinanzgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil der Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da sich die rechtlichen Konsequenzen eines Nichtbescheides aus dem Gesetz ergeben, war die ordentliche Revision im gegenständlichen Fall für nicht zulässig zu erklären.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Verwaltungsstrafsachen Wien |
betroffene Normen | § 3 Abs. 2 VVG, Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991, BGBl. Nr. 53/1991 § 1 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982 § 2 Z 4 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982 § 19 AVG, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 § 45 Abs. 2 VwGVG, Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 § 44 Abs. 1 und 2 VwGVG, Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 § 62 Abs. 1 AVG, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 § 24 VStG, Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52/1991 § 4 Abs. 1 Wiener Parkometergesetz 2006, LGBl. Nr. 09/2006 § 13 Abs. 1 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982 § 38 VwGVG, Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 § 5 Abs. 2 Wiener Parkometerabgabeverordnung, ABl. Nr. 51/2005 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.7500373.2022 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at