Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 14.04.2023, RV/7102171/2021

Österreich als Quellenstaat und Progressionsvorbehalt

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Hans Blasina in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Ernst & Young Steuerberatungs- gesellschaft m.b.H., Wagramer Straße 19, 1220 Wien, über 1.) die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2019 und 2.) die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2020, Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (Bf) stellte in seinen rechtzeitig eingebrachten Beschwerden jeweils den Antrag, dass eine Beschwerdevorentscheidung unterbleibe (§ 262 Abs 2 BAO), weshalb die belangte Behörde die Akten ohne Beschwerdevorentscheidungen zu erlassen am (zu 1.) bzw am (zu 2., GZ RV/7102526/2021) dem Bundesfinanzgericht vorlegte.

Strittig im Verfahren ist, ob auf eine doppelansässige Person auch dann der Progressionsvorbehalt im Rahmen der Befreiungsmethode auf die Inlandseinkünfte anzuwenden ist, wenn die Person nach dem DBA im anderen Staat ansässig ist, oder ob ein Progressionsvorbehalt nur bei in Österreich ansässigen Personen greift.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Bf begründete mit ein lokales, unbefristetes Dienstverhältnis mit einem österreichischen Arbeitgeber und fungierte weiterhin als Geschäftsführer der ungarischen Gesellschaft desselben Konzerns. Mit Beginn seiner Beschäftigung in Österreich begründete der Bf einen Wohnsitz im Inland, sein ungarischer Wohnsitz blieb aber aufrecht. Auch sein Mittelpunkt der Lebensinteressen ist weiterhin in Ungarn gelegen, weil dorthin die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen bestehen.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ist unstrittig und ergibt sich aus dem Parteienvorbringen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Ungarischen Volksrepublik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen, Ertrag und vom Vermögen (BGBl. 1976/52 idF BGBl III 2018/93) lautet auszugsweise:

"Artikel 15

Nichtselbständige Arbeit

(1) Vorbehaltlich der Artikel 16, 17 und 18 dürfen Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, daß die Arbeit in dem anderen Vertragstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so dürfen die dafür bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat besteuert werden.

Artikel 22

Vermeidung der Doppelbesteuerung

(1) Bezieht eine in einem Vertragstaat ansässige Person Einkünfte oder hat sie Vermögen und dürfen diese Einkünfte oder dieses Vermögen nach diesem Abkommen in dem anderen Vertragstaat besteuert werden, so nimmt der erstgenannte Staat, vorbehaltlich des Absatzes 2, diese Einkünfte oder dieses Vermögen von der Besteuerung aus; dieser Staat darf aber bei der Festsetzung der Steuer für das übrige Einkommen oder das übrige Vermögen dieser Person den Steuersatz anwenden, der anzuwenden wäre, wenn die betreffenden Einkünfte oder das betreffende Vermögen nicht von der Besteuerung ausgenommen wären."

Doppelbesteuerungsabkommen entfalten bloß eine Schrankenwirkung insofern, als sie eine sich aus dem innerstaatlichen Steuerrecht ergebende Steuerpflicht begrenzen. Ob Steuerpflicht besteht, ist also zunächst stets nach innerstaatlichem Steuerrecht zu beurteilen. Ergibt sich aus dem innerstaatlichen Steuerrecht eine Steuerpflicht, ist in einem zweiten Schritt zu beurteilen, ob das Besteuerungsrecht durch ein DBA eingeschränkt wird (vgl , mwN).

Gemäß § 1 Abs 2 EStG sind jene natürlichen Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt steuerpflichtig. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich auf alle in- und ausländischen Einkünfte. Der Steuersatz bemisst sich nach dem (Gesamt)Einkommen, worin innerstaatlich der Progressionsvorbehalt seine Rechtsgrundlage findet (vgl und abermals , 2010/15/0021).

Soweit der Bf vorbringt, aus § 3 EStG sei abzuleiten, dass innerstaatlich kein Progressionsvorbehalt bestehen könne, weil es sonst keiner expliziten Regelung über besondere Progressionsvorbehalte in § 3 Abs 3 EStG bedürfte und generell alle Befreiungen in § 3 EStG bei der Festsetzung der Steuer für das übrige Einkommen des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen wären, ist dem Folgendes entgegenzuhalten: Bei der Beurteilung der Steuerpflicht grenzüberschreitender Sachverhalte muss zunächst der Steueranspruch nach innerstaatlichem Steuerrecht, also durch Anwendung des EStG, ermittelt werden. Gemäß § 1 Abs 2 zweiter Satz EStG ist dabei bei unbeschränkt Steuerpflichtigen das nach den Vorschriften des EStG ermittelte Welteinkommen heranzuziehen. Auf der Grundlage dieses Steueranspruchs errechnet sich der anzuwendende Durchschnittssteuersatz. Sodann wird der Teil des Einkommens, das aufgrund des DBA der Besteuerungsbefugnis Österreichs entzogen wird, aus der Bemessungsgrundlage ausgeschieden und der zuvor ermittelte Durchschnittssteuersatz auf das übrige Einkommen angewendet.

Wird die Steuer auf das Welteinkommen errechnet, bleiben die von der Beschwerde angesprochenen steuerbefreiten Einkünfte außer Ansatz, weil die Steuerberechnung durch Anwendung des EStG erfolgt und § 3 leg.cit. diese Einkünfte steuerfrei stellt. Diese Einkünfte sind also nach innerstaatlichem Recht (aufgrund § 3 EStG) nicht steuerpflichtig und können daher nicht in die Bemessungsgrundlage für die Steuer einfließen und somit auch nicht die Höhe des anzuwendenden Durchschnittssteuersatzes beeinflussen, soweit nicht das Gesetz wie insbesondere in § 3 Abs 3 EStG eine Sonderregelung trifft.

Auch das DBA Ungarn steht der Anwendung des Progressionsvorbehaltes für den Quellenstaat nicht entgegen.

Das Abkommen enthält zu der hier strittigen Frage des Progressionsvorbehalts für den Quellenstaat keine Bestimmungen. Der Methodenartikel bezieht sich jeweils auf den Ansässigkeitsstaat, nicht aber auf den Quellenstaat.

Art 22 Abs 1 des DBA Ungarn ist Art 23A Abs 3 OECD-MA nachgebildet. Der Kommentar zum OECD Musterabkommen 1977 führt in Rn 56 zu Art 23A aus, dass diese Regelung die Anwendung des Progressionsvorbehalts durch den Quellenstaat nicht ausschließt: "Paragraph 3 of Article 23A relates only to the State of residence. The form of the Article does not prejudice the application by the State of source of the provisions of its domestic laws concerning the progression."

Auch in der Literatur wird vertreten, dass das OECD Musterabkommen dem Quellenstaat die Anwendung eines Progressionsvorbehalts nicht verbietet (vgl Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 23A Rz 122, mwN; so auch Loukota/Jirousek/Schmidjell Dommes/Daurer, IntStR I/1, 201, Rz 44; Auer/Petutschnig/Resenig, SWI 2021, 120f).

Im Lichte dessen ist Art 22 des DBA Ungarn so zu verstehen, dass für den Quellenstaat ein Progressionsvorbehalt weder eingeräumt noch verboten wurde. Das DBA Ungarn entfaltet somit hinsichtlich des Progressionsvorbehalts keine Schrankenwirkung (vgl zum DBA Türkei, das die gleiche Regelung vorsieht).

Da das österreichische Recht bei einer unbeschränkt steuerpflichtigen Person für die Ermittlung der Höhe des Steuersatzes auch die ausländischen Einkünfte heranzieht und das DBA Ungarn die Heranziehung der ungarischen Einkünfte bei Ermittlung des Steuersatzes nicht verbietet, bemisst sich der Steuersatz in Österreich auch nach diesen ungarischen Einkünften des Bf.

Soweit der Bf geltend macht, auf die bisherige gegenteilige Verwaltungspraxis vertraut zu haben, ist darauf hinzuweisen, dass nur eine von der zuständigen Abgabenbehörde erteilte nicht offensichtlich unrichtige Auskunft geeignet ist, sich auf den Grundsatz von Treu und Glauben zu berufen (vgl Ritz/Koran, BAO7, § 114 Rz 10 f mwN). Dies liegt hier nicht vor.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Aufgrund der vorhandenen Rechtsprechung (vgl ), die genau das selbe Rechtsproblem behandelt, war die Revision nicht zuzulassen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Art. 22 DBA H (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Ungarn (Einkommen, Ertrag, Vermögen), BGBl. Nr. 52/1976
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7102171.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at