Ist die Einschleifregelung des § 41 Abs 3 EStG 1988 verfassungswidrig?
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter
Mag. Armin Treichl in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer 2021 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer erzielte im Streitjahr neben unselbständigen Einkünften in Höhe von 40.993,99 € auch Einkünfte aus Kapitalvermögen auf die ein besonderer Steuersatz nicht anwendbar ist in Höhe von 99,65 €, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 310,43 € sowie sonstige Einkünfte in Höhe von 492,25 €.
Auf Grund der Anwendung des § 41 Abs 3 EStG wurden im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2018 vom 470,67 € aus der Steuerbemessungsgrundlage ausgeschieden.
In der Beschwerde vom brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor:
"Hiermit erhebe ich Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2021 vom hinsichtlich der Einschleifung des Veranlagungsfreibetrages gemäß § 41 Abs. 3 letzter Satz EStG und begehre die Festsetzung ohne Berücksichtigung dieser Einschleifregelung, sohin unter Berücksichtigung des vollen Veranlagungsfreibetrages in Höhe von € 730.
Ich beantrage die Festsetzung der Einkommensteuer 2021 mit € 1.335,00 sowie die Aussetzung der Einhebung hinsichtlich der Differenz zum bisher vorgeschriebenen Betrag in Höhe von 1.444,00 € (Differenzbetrag: € 109,00).
Diese Beschwerde ist gemäß § 262 Abs. 3 BAO unverzüglich dem Bundesfinanzgericht vorzulegen (ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung), da ausschließlich die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes behauptet wird.
Ich rege an, das Bundesfinanzgericht möge gemäß Art. 140 Abs. 1 Z. 1 lit. a B-VG beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung der gegenständlichen Bestimmung (§ 41 Abs. 3 letzter Satz EStG) beantragen.
Es wird darauf hingewiesen, dass bereits eine Beschwerde mit derselben Begründung gegen den Einkommensteuerbescheid 2018 beim Bundesfinanzgericht anhängig ist.
Begründung:
Die gegenständliche Bestimmung (§ 41 Abs. 3 letzter Satz EStG) ist verfassungswidrig.
Hinsichtlich der näheren Begründung verweise ich vollinhaltlich auf die Begründung meinernoch beim Bundesfinanzgericht anhängigen Beschwerde vom gegen denEinkommensteuerbescheid 2018 und den der vorigen Beschwerde beigelegten ArtikelKanduth-Kristen, Der negative Leistungsanreiz des Veranlagungsfreibetrags, taxlex 2007,476. Ich halte die gegenständliche Bestimmung aus denselben Gründen nach wie vor fürverfassungswidrig und betrachte mich durch die Anwendung dieser Bestimmung in meinenverfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Eigentum,verletzt.
Berechnung des Beschwerdebegehrens:
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Einkommen laut Bescheid | € 41.198,85 | (Veranlagungsfreibetrag: € 470,67) |
Einkommen laut Beschwerde | € 40.939,52 | (Veranlagungsfreibetrag: € 730,00) |
Differenz Bemessungsgrundlage | - € 259,33 |
Bei einem Grenzsteuersatz von 42% ergibt das eine Steuerdifferenz von gerundet € 109,00und somit eine Nachforderung in Höhe von € 1.335,00 statt wie vorgeschrieben € 1.444,00."
Am brachte der Beschwerdeführer eine Vorlageerinnerung ein.
Die Beschwerde wurde direkt vorgelegt, da die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes behauptet wird.
[…]
In der Eingabe vom brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor:
"l. Zurücknahme der Anträge auf mündliche Verhandlung
Hiermit nehme ich die in meinen Beschwerden gegen die Einkommensteuerbescheide 2018 und 2021 gestellten Anträge auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück. Die Anträge auf Entscheidung durch den Senat bleiben aufrecht.
II. Ergänzende Begründung
Ich habe die Beschwerden bislang damit begründet, die gegenständliche Einschleifregelung verstoße gegen die Verfassung, konkret indem sie das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot und das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletze. Diese Begründung möchte ich dahingehend ergänzen, dass die Einschleifung des Veranlagungsfreibetrages meines Erachtens (auch) das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Erwerbsfreiheit verletzt.
Die gegenständliche Regelung hat zur Folge, dass man sich - wenn man den Veranlagungsfreibetrag des laufenden Jahres schon (fast) ausgeschöpft hat - stets die Frage stellen muss, ob es überhaupt noch sinnvoll ist, im laufenden Jahr noch weitere Einkünfte (aus anderen Einkunftsarten als aus nichtselbständiger Arbeit) zu erzielen, da diese - wie in den Beschwerden dargestellt - die Besteuerung der bereits zuvor erzielten Einkünfte erhöht, sodass eine zusätzliche Betätigung im Ergebnis nur zu einem sehr geringen zusätzlichen Nettoeinkommen führt (im Jahr 2018: Steuerbelastung durch zusätzliche Einkünfte 70%, im Jahr 2021: 84%. Darin liegt der "negative Leistungsanreiz", den Frau Prof. Kanduth-Kristen im der ersten Beschwerde beigelegten Artikel meines Erachtens zurecht als verfassungsrechtlich bedenklich kritisiert. Bereits die Steuerbelastung in meinem Fall halte ich unter diesem Gesichtspunkt für bedenklich; umso mehr muss dies gelten, wenn die Steuerbelastung durch zusätzliche Einkünfte 98%, 100% oder gar 110% beträgt, wie dies bei entsprechend hohen Grenzsteuersätzen durchaus möglich wäre.
Die gegenständliche Regelung ist geeignet, Steuerpflichtige davon abzuhalten, zusätzliches Einkommen zu lukrieren, weil sich der zusätzliche Arbeitsaufwand infolge der hohen Besteuerung faktisch nicht mehr lohnt. Sie ist aber nicht nur abstrakt dazu geeignet, sondern hat mich auch schon bereits konkret davon abgehalten, zusätzliches Einkommen etwa durch das Verfassen weiterer Artikel oder die Übernahme weiterer Funktionen, die zu steuerpflichtigen Funktionsgebühren führen würden, zu lukrieren. Die gegenständliche Regelung hat also einen sogenannten "chilling effect" auf die Erwerbsfreiheit, indem sie die Selbstbeschränkung der Steuerpflichtigen fördert. Die Rechtsfigur des chilling effect stammt aus der anglo-amerikanischen Rechtssphäre, ist aber - infolge der Rezeption durch den EGMR - in der Judikatur der europäischen Höchstgerichte zu Grundrechtsfragen fest verankert. Auch der VfGH bedient sich dieser Rechtsfigur, wenngleich ohne sie als solche zu benennen.
Die angefochtenen Bescheide haben mich daher durch Anwendung einer verfassungswidrigen generellen Norm in meinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt. Ich hoffe, meine weiteren Ausführungen veranlassen - zusammen mit dem bereits erwähnten Artikel von Frau Prof. Kanduth-Kristen - das Gericht dazu, meine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gegenständlichen Regelung zu teilen und wie angeregt deren Aufhebung beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Der Beschwerdeführer erzielte im Streitjahr neben unselbständigen Einkünften in Höhe von 40.993,99 € auch Einkünfte aus Kapitalvermögen auf die ein besonderer Steuersatz nicht anwendbar ist in Höhe von 99,65 €, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 310,43 € sowie sonstige Einkünfte in Höhe von 492,25 €.
2. Beweiswürdigung
Dieser Sachverhalt steht außer Streit.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung/Abänderung/Stattgabe)
§ 41 Abs 3 EStG lautet:
"Sind im Einkommen lohnsteuerpflichtige Einkünfte enthalten, ist von den anderen Einkünften ein Veranlagungsfreibetrag bis zu 730 Euro abzuziehen. Dies gilt nicht für Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 27a Abs. 1. Der Freibetrag vermindert sich um jenen Betrag, um den die anderen Einkünfte 730 Euro übersteigen."
In den erläuternden Bemerkungen zu § 41 Abs 3 EStG 1988 wurde ausgeführt:
"Durch diese Neuregelung soll dem vorrangigen Zweck der Veranlagungsfreibeträge, nämlich geringfügige Nebeneinkünfte im Interesse der Verwaltungsvereinfachung von der Steuerpflicht auszunehmen, stärker Rechnung getragen werden. Bei höheren Nebeneinkünften erscheint allerdings alleine auf Grund der Tatsache, daß sie neben lohnsteuerpflichtigen Einkünften anfallen, eine Begünstigung nicht gerechtfertigt."
Der Veranlagungsfreibetrag bis zu 730 € steht für andere - nicht lohnsteuerpflichtige - Einkünfte zu, wenn lohnsteuerpflichtige Einkünfte vorliegen und eine Veranlagung erfolgt (keine verfassungswidrige Begünstigung, ).
Der Steuerpflichtige ist gemäß Z 1 zu veranlagen, wenn neben lohnsteuerpflichtigen Einkünften andere Einkünfte in einem Gesamtbetrag von über 730 € bezogen wurden (Freigrenze). Ist dies der Fall, kommt bei anderen Einkünften zwischen 730 € und 1.460 € der sich einschleifende Veranlagungsfreibetrag zur Anwendung.
Da es sich bei der 730 € Freigrenze nicht um einen Freibetrag handelt, entfaltet sie nur für andere Einkünfte Wirkung, die 730 € nicht übersteigen. Übersteigen die anderen Einkünfte diese Grenze, sind sie in voller Höhe in die Veranlagung einzubeziehen, wenn sie den Betrag von 1.460 € übersteigen. Zwischen 730 € und 1.460 € vermindert der sich einschleifende Veranlagungsfreibetrag die Höhe der anderen Einkünfte. Im Ergebnis sind daher andere Einkünfte bis 730 € steuerfrei und ab 1.460 € voll steuerpflichtig; dazwischen liegt die sich aus der Wirkung des Veranlagungsfreibetrages ergebende Einschleifzone.
Im gegenständlichen Fall errechnet sich der Freibetrag folgendermaßen:
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Obergrenze der Einscheifbetrages | 1.460,00 |
andere Einkünfte | 989,33 |
Freibetrag (Differenz aus Obergrenze und anderen Einkünften) | 470,67 |
Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.
Die verfassungsrechtlichen Bedenken werden vom Senat aus folgenden Gründen nicht geteilt:
Die Einführung einer Einschleifregelung war verfassungsrechtlich geboten, da ohne diese Einschleifregelung bei nur geringfügigem Überschreiten der Freigrenze ein deutlich niedrigeres Nettoeinkommen verfügbar wäre.
Zudem hat der Gesetzgeber in den Erläuternden Bemerkungen zu BGBl 400/1988 ausgeführt, dass bei höheren Nebeneinkünften alleine auf Grund der Tatsache, dass sie neben lohnsteuerpflichtigen Einkünften anfallen, eine Begünstigung nicht gerechtfertigt erscheint. Bei Überschreiten der Freigrenze war diese daher einzuschleifen.
Wenn der Beschwerdeführer vorbringt, dass bei Einkünften von mehr als einer Million Euro und anderen Einkünften von 1.460 € die steuerliche Mehrbelastung 73,00 € betrage, so ist er darauf hinzuweisen, dass dies in seinem Fall nicht zutrifft, da er lediglich über lohnsteuerpflichtige Einkünfte in Höhe von 40.933,99 € verfügt hat, sodass er trotz der Einschleifung des Freibetrages gemäß § 41 Abs 3 EStG immer noch eine Steuerersparnis hat.
Wenn der Beschwerdeführer ausführt, dass der "chilling effect" die Erwerbsfreiheit verletze, so ist er darauf hinzuweisen, dass eine progressive Einkommensbesteuerung den "chilling effect" in sich trägt. Der "chilling effect" beeinträchtigt im konkreten Fall nicht die Erwerbsfreiheit, da es unwesentlich ist ob ein Freibetrag in Höhe von 730,00 € zuerkannt wird oder nicht.
Es besteht daher kein Grund für den Senat gemäß Art. 140 Abs. 1 Z. 1 lit. a B-VG beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung des § 41 Abs. 3 letzter Satz EStG zu beantragen.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da der Freibetrag unstrittig richtig eingeschliffen wurde und sich dies überdies aus dem Gesetz klar ergibt, ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig.
Feldkirch, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 41 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.3100547.2022 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at