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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 12.04.2023, RV/5100233/2023

Eigenanspruch auf erhöhte Familienbeihilfe

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, vertreten durch ***EV***, ***EV-Adr***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom betreffend die Anträge auf Gewährung von Familienbeihilfe sowie auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung zum Ordnungsbegriff ***OB*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

A. Anträge, Abweisungsbescheide

Am wurde durch Frau ***Bf*** (in der Folge "Beschwerdeführerin" oder "Bf") die Gewährung der Familienbeihilfe nebst Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung ab dem Monat Jänner 2021 beantragt. Gemäß dem übermittelten Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung leidet die Beschwerdeführerin an einer mittelgradig depressiven Episode sowie an einer juvenilen emotionalen Störung (selbstverletzendes Verhalten).

Mit Bescheiden vom wurden die Anträge der Beschwerdeführerin abgewiesen. Im Abweisungsbescheid betreffend den Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe wurde begründend wie folgt ausgeführt:

Sie haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn Sie voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig sind. Die Erwerbsunfähigkeit muss vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag eingetreten sein. Bei Ihnen trifft dies nicht zu (§ 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967).

Laut Bescheinigung vom des Sozialministeriumservice besteht 50% Behinderung ab . Da bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres keine Feststellung einer Behinderung bestätigt wurde und keine Berufsausbildung vorliegt, ist eine Anspruch auf Familienbeihilfe ab 2/2017 nicht gegeben.

Im Abweisungsbescheid betreffend den Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbeitrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung wurde begründend wie folgt ausgeführt:

Der Erhöhungsbetrag wegen einer erheblichen Behinderung wird als Zuschlag zur allgemeinen Familienbeihilfe gewährt. Da die allgemeine Familienbeihilfe nicht zusteht, kann auch der Erhöhungsbetrag nicht ausgezahlt werden.

B. Beschwerde, Beschwerdevorentscheidung

Mit Schreiben vom wurde durch die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen die obig dargestellten Abweisungsbescheide erhoben. Begründend wurde wie folgt ausgeführt:

  1. Ich bin bereits vor meinem 21. Lebensjahr an erheblichen psychiatrischen Krankheiten erkrankt. (Befunde liegen bei. Diese habe ich auch der untersuchenden Ärztin im Sozialministerium Linz am vorgelegt)

  2. Mein IQ liegt (wie aus den Befunden ersichtlich) bei 81

  3. Ich bin nicht selbsterhaltungsfähig

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdevorentscheidung betreffend die Beschwerde gegen den Bescheid über die Abweisung des Antrages auf Gewährung von Familienbeihilfe wurde - nach Darstellung des Sachverhaltes und der rechtlichen Grundlagen - wie folgt begründet:

Laut Antragstellung lag ab keine Berufsausbildung vor. Laut Sozialversicherung waren AMS-Bezüge, Meldungen als Arbeitssuchende und Beschäftigungen vorhanden. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung, einer dauernden Erwerbsunfähigkeit und dem genauen Zeitpunkt, ist eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die ärztliche Bescheinigung bildet jedenfalls die Grundlage für die Entscheidung, ob erhöhte Familienbeihilfe zusteht. Nach den gesetzlichen Bestimmungen hat die Würdigung ärztlichen Sachverständigengutachten zu erfolgen, ohne dass den Anspruchswerbenden dabei entscheidende Bedeutsamkeit zukommt. Da ab Jänner 2021 keine Berufsausbildung vorlag und auch keine dauernde Erwerbsunfähigkeit festgestellt wurde, lag ein Anspruch auf Familienbeihilfe ab Jänner 2021 nicht vor. Es sind somit die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe aus den oben angeführten Gründen nicht gegeben.

Die Beschwerdevorentscheidung betreffend die Beschwerde gegen den Bescheid über die Abweisung des Antrages auf Gewährung des Erhöhungsbeitrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung wurde - nach Darstellung der rechtlichen Grundlagen - wie folgt begründet:

Laut Beschwerdevorentscheidung steht die allgemeine Familienbeihilfe ab nicht zu. Es sind somit die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug des Erhöhungsbetrages wegen erheblicher Behinderung aus den oben angeführten Gründen ab 1/2021 nicht gegeben.

C. Vorlageantrag

Mit Schreiben vom wurde durch die Erwachsenenvertreterin der Beschwerdeführerin ein Vorlageantrag eingebracht.

Begründend wurde auf das bisherige Vorbringen bzw. die bisher vorgelegten Unterlagen verwiesen und ergänzend wie folgt vorgebracht:

Die Beschwerdeführerin ist mit ihrem 17. Lebensjahr aus dem Haushalt ihrer Eltern ausgezogen und wohnte seither in betreuten Einrichtungen. Seit wohnt die Antragstellerin nunmehr im betreuten Übergangswohnen bei der ***Einrichtung 1***.

Die Beschwerdeführerin hat seit ihrem Auszug aus dem elterlichen Haushalt mehrfacht AMS-Kurse besucht, ist aufgrund ihres schwerwiegenden psychischen Krankheitsbildes nie einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgegangen und ist seit Anfang Jänner 2022 arbeitslos, sowie aufgrund ihres 50%-igen Behindertenstatus unverschuldet auch nicht selbsterhaltungsfähig. Derzeit befindet sich die Beschwerdeführerin (seit ) in einem Arbeitstraining über die ***Einrichtung 1***.

Die Beschwerdeführerin nimmt überdies regelmäßige psychotherapeutische, sowie medikamentöse Behandlungen in Anspruch, dies im Bemühen ihren Gesundheitszustand langfristig zu verbessern.

Aufgrund der schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankungen der Beschwerdeführerin, welche letztlich auch zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters für diese führten, ist jedoch eine Selbsterhaltungsfähigkeit der Beschwerdeführerin weder gegeben, noch künftig zu erwarten.

Die Beschwerdeführerin ist, wegen einer vor Vollendung ihres 21. Lebensjahres eingetretenen geistigen Behinderung daher voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen und liegen damit die Voraussetzungen des § 2 lit c Familienlastenausgleichsgesetz 1967 i.d.g.F vor und ist der Beschwerdeführerin daher in Entsprechung ihres Antrages auch ab , sowie weiterhin (erhöhte!) Familienbeihilfe zu gewähren.

Sofern sich die bescheiderlassende Behörde auf § 6 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 bezieht, so verkennt diese offenkundig, dass sich diese Gesetzesbestimmung lediglich auf Vollwaisen bezieht. Richtigerweise ist § 2 lit c Familienlastenausgleichsgesetz 1967 i.d.g.F gegenständlich heranzuziehen, der aber für die Gewährung der Familienbeihilfe eben gerade nicht auf eine Berufsausbildung abzielt, sondern eben gerade solche Antragsteller umfasst - die wie hier vorliegend - eben keiner Berufsausbildung oder Erwerbstätigkeit nachgehen können.

D. Verfahren vor dem BFG

Die Beschwerde wurde dem Bundesfinanzgericht am zur Entscheidung vorgelegt.

E. Inhalte der vorliegenden medizinischen Sachverständigengutachten

a. Fachärztliche Stellungnahme des ***Dr.1*** vom (auszugsweise)

Frau ***Bf*** ist seit Mai 2021 in regelmäßiger fachärztlicher Behandlung in unserer Ambulanz. Zuvor war sie über mehrere Jahre bei ***Dr.2***, FÄ für Kinder- und Jugendpsychiatrie, in Behandlung. Zuletzt war sie bei mir vorstellig am

Es besteht eine rezidiv. depr. Strg. (F33) mit rezidiv. selbstverletzendem Verhalten, V.a. emotional instabile PS (F60.31).

Medikation […]

Nachdem sie zuvor in den ***Einrichtung 2*** WGs ***WG1*** und ***WG2*** und in der ***WG 3*** lebte, wohnt sie nun seit Ende Dez. 2021 im ***Einrichtung 1*** Übergangswohnheim ***Gasse***. Über AMS und Jugendcoach ist sie derzeit arbeitsuchend.

Nach mehreren Aufenthalten auf der Jugend- und Erwachsenenpsychiatrie im NMC war sie nun bereits längere Zeit nicht mehr in stationärer Behandlung, der Verlauf scheint sich aktuell gut zu stabilisieren. Weitere engmaschige fachärztliche Kontrollen und psychotherapeutische Begleitung sind vorgesehen.

b. Gutachten des Sozialministeriumservice vom (auszugsweise)

[…]

Derzeitige Beschwerden:

Hat die Arbeit mit der Psyche nicht geschafft, anfangs geht es im Job immer recht gut aber nach einer Zeit bekommt sie dann Probleme, Termine einzuhalten und so was, sie zieht sich dann zunehmend zurück, die Therapie tut ihr gut. Sie war schon länger nicht mehr stationär.

[…]

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Bef. ***Dr.1*** ***Einrichtung 3*** 2/22: Ist seit 5/21 regelm. Bei uns in Behandlung wegen DG.: rez. depressive Störung mit rez. selbstverletzendem Verhalten, V.a. emotional instabiler Persönlichkeitsstörung früher mehrere A. in der Jugend und Erwachsenenpsychiatrie im NMC, war schon längerer Zeit nicht mehr stat. Verlauf scheint sich zu stabilisieren.

Bef. KUK 3/2019: stat. A. Verhaltensstörung bei unterdurchschnittlicher Intelligenz, Somatisierung, akustische Halluzinationen seit ca. 1 Jahr in Belastungssituationen. Teilbetreutes Wohnen, med. TH. mit […]

08/17 und 05/17 KUK: juvenile emotionale Störung, selbstverletzendes Verhalten; anamnestisch Dyskalkulie; unterdurchschnittliche Intelligenz. Adipositas, abnorm psychosoziale Umstände.

[…]

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr.
Gdb %
1
rez. depressive Störung mit rez. selbstverletzendem Verhalten, V. a. emotional instabiler Persönlichkeitsstörunglaufende Therapien sind notwendig, Unterstützung beim Wohnen und bei der beruflichen Integration sind ebenfalls notwendig.
50

Gesamtgrad der Behinderung50 v. H.

[…]

GdB liegt vor seit: 05/2021

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:

Ab aktueller Befundbestätigung und Behandlung ab 5/2021.

Eine weiter zurückreichende Anerkennung des GdB ist wegen fehlender Brückenbefunde nichtmöglich.

Frau ***Bf*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zuverschaffen: NEIN

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

War immer wieder am 1. Am beschäftigt, aktuell laufen berufsintegrative Maßnahmen mit dem Ziel der neuerlichen Integration im 1. AM, mit beruflicher Regelintegartion ist zu rechnen.

oDauerzustand

xNachuntersuchung: in 3 Jahren

Anmerkung hins. Nachuntersuchung:

Weil Besserung und Stabilisierung durch Therapie möglich ist

[…]

c. Gutachten des Sozialministeriumservice vom (auszugsweise)

[…]

Sozialanamnese:

Wohnt seit dem sie 17 Jahre ist immer in betreuten Wohnformen: ***Einrichtung 2*** WG am ***WG1***, dann ***WG2***, ***WG 3***, und aktuell in einer WG im Übergangswohnen in der ***Gasse*** seit 12/21 für die nächsten 1,5 Jahre.

Vorschule, VS, HS mit SPF in D und M

War in ***Einrichtung 1*** Kursen, hat 1 Jahr als Kindergartenhelferin gearbeitet, war von 9/21 bis 1/22 für 20 Stunden am 1. AM beschäftigt, derzeit beim AMS gemeldet und Betreuung über JAW und Arbeitsassistenz

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Beschwerde gegen Vorgutachten 2/2022 mit GdB 50%, Beschwerde gegen die Abweisung der dauernden Erwerbsunfähigkeit.

Die bereits beigebrachten Befunde auch die fachärztliche Stellungnahme ***Dr.1*** 2/22 wurden bereits im Vorgutachten 2/22 mitberücksichtigt und ist auch im Vorgutachten angeführt.

Keine neuen Befunde.

[…]

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr.
Gdb %
1
rez. depressive Störung mit rez. selbstverletzendem Verhalten, V. a. emotional instabiler Persönlichkeitsstörung, IQ von 81 entsprechend einer leichten Lernbehinderunglaufende Therapien sind notwendig, Unterstützung beim Wohnen und bei der beruflichen Integration sind ebenfalls notwendig. Leichte Lernbehinderung mit Sonderschulbedarf in Teilbereichen
50

Gesamtgrad der Behinderung50 v. H.

[…]

GdB liegt vor seit: 03/2019

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:

Ab aktueller Befundbestätigung und vor allem Behandlung ab 03/2019.

Eine weiter zurückreichende Anerkennung des GdB ist wegen fehlender Brückenbefunde nicht möglich.

Frau ***Bf*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Trotz Einspruch keine Änderung der Tatsachen, ein IQ von 81 bedingt keine dauernde Erwerbsunfähigkeit. Zudem war sie immer wieder am 1. AM beschäftigt, aktuell laufen berufsintegrative Maßnahmen mit dem Ziel der neuerlichen Integration im 1. AM, mit beruflicher Regelintegration am 1. AM ist also zu rechnen.

oDauerzustand

xNachuntersuchung: in 3 Jahren

Anmerkung hins. Nachuntersuchung:

Weil Besserung und Stabilisierung durch Therapie möglich ist

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin ist am ***Datum***2000 geboren und hat somit am ***Datum***2021 das 21. Lebensjahr vollendet. Sie hat im Antragszeitraum (d.h. seit Jänner 2021) in diversen betreuten Wohnformen in Österreich gewohnt. Die Antragstellerin ist ledig und war nie verheiratet.

Aufgrund der Anträge auf Gewährung von Familienbeihilfe sowie der Gewährung des Erhöhungsbeitrages zur Familienbeihilfe aufgrund erheblicher Behinderung (Eigenanträge) wurden durch die Ärzte des Sozialministeriumservice zwei Sachverständigengutachten erstellt (datiert mit sowie mit ). Bei der Beschwerdeführerin liegt ein Grad der Behinderung von 50% vor, dies ab 03/2019. Die Beschwerdeführerin ist voraussichtlich nicht dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (auf die detaillierte Wiedergabe der Gutachten des Sozialministeriumservice unter Punkt "I.E." wird verwiesen).

Die Beschwerdeführerin wohnt weder bei ihren Eltern noch erhält sie von diesen den laufenden Unterhalt oder sonstige finanzielle Unterstützung. Sie hat im Antragszeitraum (d.h. seit Jänner 2021) keine Berufsausbildung oder Fachschule absolviert.

2. Beweiswürdigung

Die Abgabenbehörde hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. für viele ) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.

Die Beantragung der Gewährung von Familienbeihilfe nebst Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung in der Form eines Eigenantrages ergibt sich aus den Antragsformularen. Dass die Eltern der Beschwerdeführerin ihr keinen Unterhalt und keine finanzielle Unterstützung leisten, ergibt sich einerseits aus dem Schreiben der Eltern vom wie auch aus dem Beschluss des Bezirksgerichtes Linz vom betreffend die Bestellung eines Erwachsenenvertreters für die Beschwerdeführerin. Gemäß diesem Beschluss bestehen bei der Beschwerdeführerin offene Unterhaltsansprüche gegen die Eltern, welche die Betroffene bislang nicht geltend machen konnte.

Nach telefonischer Rücksprache mit der Erwachsenenvertreterin vom bestehen die offenen Unterhaltsansprüche nach wie vor.

Dass die Beschwerdeführerin nicht zum Haushalt ihrer Eltern gehört, ergibt sich aus dem ZMR-Auszug bzw. den Gutachten des Sozialministeriumservice, dem Vorbringen der Beschwerdeführerin und den vorliegenden Unterlagen. Die Beschwerdeführerin wohnte demnach in verschiedenen betreuten Wohnformen (aktuell - WG im Übergangswohnen in der ***Gasse*** in Linz). Die Feststellungen zum Geburtsdatum bzw. dem Familienstand der Beschwerdeführerin ergeben sich aus dem elektronischen Akt bzw. den Datenbanken der Finanzverwaltung, in die vom Bundesfinanzgericht Einsicht genommen wurde.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin im Antragszeitraum (d.h. seit Jänner 2021) keine Berufsausbildung absolviert, ergibt sich aus den übermittelten Sozialversicherungsauszügen bzw. dem Vorbringen der Parteien.

Was unter Berufsausbildung zu verstehen ist, wird im Gesetz nicht näher definiert. Der Verwaltungsgerichtshof hat hierzu in ständiger Rechtsprechung eine Reihe von Kriterien entwickelt, um das Vorliegen einer Berufsausbildung annehmen zu können. Ziel einer Berufsausbildung ist es demnach, die fachliche Qualifikation für die Ausübung des angestrebten Berufes zu erlangen. Dabei muss das ernstliche und zielstrebige, nach außen erkennbare Bemühen um den Ausbildungserfolg gegeben sein. Das Ablegen von Prüfungen, die in einer Ausbildungsvorschrift vorgesehen sind, ist essenzieller Bestandteil der Berufsausbildung. Jede Berufsausbildung weist ein qualitatives und ein quantitatives Element auf: entscheidend ist sowohl die Art der Ausbildung als auch deren zeitlicher Umfang; die Ausbildung muss als Vorbereitung für die spätere konkrete Berufsausübung anzusehen sein und überdies die volle Zeit des Kindes in Anspruch nehmen. Ob ein Kind eine Berufsausbildung absolviert, ist eine Tatfrage, die die Behörde in freier Beweiswürdigung zu beantworten hat (Hebenstreit/Lenneis/Reinalter in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 2, Rz 45 mit Judikaturnachweisen).

Ziel des im Vorlageantrag ins Treffen geführten "Arbeitstrainings" über die ***Einrichtung 1*** ist - gemäß der Homepage der Einrichtung - "die Reintegration in das Arbeitsleben". Dies soll "durch ein Arbeitsangebot in verschiedenen Berufsbereichen" ermöglicht werden. Die Dauer dieses Arbeitstrainings beträgt 15 Monate. Im Rahmen des Trainings werden Praktika in externen Betrieben von den TeilnehmerInnen absolviert (https://www.pmooe.at/unser-angebot/arbeit/arbeitstrainingszentrum/, abgerufen am ). Aus der Beschreibung dieses Arbeitstrainings ist erkennbar, dass es sich nicht um eine Ausbildung für ein konkret umrissenes Berufsfeld, sondern vielmehr um eine allgemein gehaltene Orientierungs- und Unterstützungsmaßnahme inklusive der Vermittlung von sozialen und beruflichen Basisfertigkeiten handelt. Dieses Arbeitstraining erfüllt die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für das Vorliegen einer Berufsausbildung iSd FLAG 1967 somit nicht (idS auch ). Für den Besuch einer Fachschule bestehen keine Anzeichen. Es wurde ausschließlich der Besuch eines Arbeitstrainings bei der ***Einrichtung 1*** vorgebracht.

Der Gesetzgeber hat durch die Bestimmung des (unten zitierten) § 8 Abs. 6 FLAG 1967 die Frage des Grades der Behinderung und auch die damit in der Regel unmittelbar zusammenhängende Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen ().

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden sind und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen (z.B. ; und 2009/16/0310, mwN).

Wurden von der Abgabenbehörde bereits solche Sachverständigengutachten eingeholt, erweisen sich diese als schlüssig und vollständig und wendet der Beschwerdeführer nichts Substantiiertes ein, besteht für das Bundesfinanzgericht kein Grund, neuerlich ein Sachverständigengutachten einzuholen ().

Eine Unschlüssigkeit oder Unvollständigkeit der gegenständlichen Gutachten vom und liegt aus den folgenden Gründen ebenso wenig vor wie ein Widerspruch zwischen den beiden Gutachten:

Im Rahmen der Erstellung der Gutachten des Sozialministeriumservice wurden Arztbriefe bzw. Ambulanzbefunde des KUK (Klinik für Jugendpsychiatrie - Neuromed Campus - "NMC"; ausgestellt im Mai bzw. August 2017 sowie März 2019) berücksichtigt, die von der Beschwerdeführerin beigebracht wurden. Aus diesen geht hervor, dass die Beschwerdeführerin an einer juvenilen emotionalen Störung (mit selbstverletzendem Verhalten) sowie Dyskalkulie leidet. Es wurde zudem eine unterdurchschnittliche Intelligenz (der von der Beschwerdeführerin vorgebrachte IQ von 81 konnte den dem Bundesfinanzgericht vorliegenden Unterlagen nicht entnommen werden) und Adipositas diagnostiziert.

Zudem wurde die fachärztliche Stellungnahme des ***Dr.1*** (Facharzt für Psychiatrie bei ***Einrichtung 3***) vom berücksichtigt. Aus dieser geht hervor, dass sich die Beschwerdeführerin seit Mai 2021 in regelmäßiger fachärztlicher Behandlung in der Ambulanz befindet. Zudem wurde festgehalten, dass die Beschwerdeführerin - nach mehreren Aufenthalten auf der Jugend- und Erwachsenenpsychiatrie im NMC - nun bereits längere Zeit nicht mehr in stationärer Behandlung war und sich der Verlauf aktuell gut zu stabilisieren scheint.

Beide Gutachten wurden nach Vollendung des 21. Lebensjahres der Beschwerdeführerin erstellt. Durch die Vorlage von entsprechenden Befunden durch die Beschwerdeführerin konnte der Grad der Behinderung von 50% für die Zeit ab März 2019 festgestellt werden. Hinsichtlich der Verneinung der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wurde durch die Sachverständigen des Sozialministeriumservice festgehalten, dass die Beschwerdeführerin in der Vergangenheit bereits am ersten Arbeitsmarkt beschäftigt war und durch die aktuell laufenden berufsintegrativen Maßnahmen mit einer beruflichen Regelintegration der Beschwerdeführerin am ersten Arbeitsmarkt zu rechnen ist. Zudem bedingt der von der Beschwerdeführerin vorgebrachte IQ von 81 keine dauernde Erwerbsunfähigkeit. Gemäß dem Gutachten des Sozialministeriumservice vom entspricht ein IQ von 81 einer leichten Lernbehinderung.

Die - für die Beschwerdeführerin - einschlägige Bestimmung des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 iVm § 6 Abs. 5 FLAG 1967 stellt darauf ab, dass der Vollwaise (bzw. "Sozialweise") auf Grund einer zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetretenen Behinderung außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine derartige geistige oder körperliche Behinderung kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 erfüllt (Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 8, Rz 20)

Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt; die vom Gesetzgeber geforderte Feststellung des tatsächlichen Eintritts der Erwerbsunfähigkeit eines Antragstellers kann immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen (; s auch , zum Zeitpunkt des Eintritts eines Behinderungsgrades von 50 %). Die regelmäßige Einnahme von Medikamenten reicht für die Annahme einer erheblichen Behinderung nicht aus ().

Das Beihilfenverfahren ist ein antragsgebundenes Verfahren. Für antragsgebundene Verfahren gilt, dass das Schwergewicht der Behauptungs- und Beweislast beim Antragsteller liegt. Die für antragsgebundene Verfahren geltenden Grundsätze sind auch bei Anträgen auf Gewährung von Beihilfen zu beachten (Stoll, BAO, 1275 mit Hinweis auf ). Bescheinigt das Sozialministeriumsservice lege artis den Eintritt einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres nicht, geht dies zu Lasten des Antragstellers (vgl. ).

Insgesamt führen sämtliche vorliegenden Gutachten zum gleichen Ergebnis - die Beschwerdeführerin leidet unstrittig an einer psychischen Erkrankung, die in der Vergangenheit zu Aufenthalten in der Kinder- und Erwachsenenpsychiatrie geführt hat. Ebenso unstrittig besteht diese Erkrankung bereits seit (zumindest) März 2019 (eine weiter zurückreichende Anerkennung scheidet - gemäß dem Gutachten vom - aufgrund fehlender Brückenbefunde aus) und somit deutlich vor Vollendung des 21. Lebensjahres der Beschwerdeführerin. Allerdings ist an dieser Stelle auch auf die obig zitierte Rechtsprechung des VwGH zu verweisen, wonach es nicht maßgeblich ist, wann sich die Krankheit als solche äußert bzw. ab wann diese zu (irgend)einer Behinderung führt. Maßgeblich ist vielmehr jener Zeitpunkt, ab dem die (allenfalls schon länger bestehende Krankheit) zu derjenigen Behinderung führt, die eine Erwerbsunfähigkeit bewirkt. Genau der Eintritt einer Erwerbsunfähigkeit wird allerdings in beiden Gutachten des Sozialministeriumservice verneint.

Wenn die Beschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerde vom ausführt, dass sie bereits vor dem 21. Lebensjahr an erheblichen psychiatrischen Krankheiten erkrankt ist, so ist darauf zu antworten, dass dies vom erkennenden Richter nicht bestritten wird bzw. sich dies auch explizit aus den vorliegenden Gutachten ergibt. Wenn die Beschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerde allerdings ebenfalls vorbringt, dass sie nicht selbsterhaltungsfähig ist, so ist darauf - mangels Untermauerung durch medizinische Gutachten, Fachbefunde oder ähnliches - zu antworten, dass diese schlichte Behauptung eines medizinischen Laien (die Beschwerdeführerin hat - soweit ersichtlich - keinerlei medizinische Ausbildung) nicht dazu geeignet ist, die Ausführungen der Ärztinnen und Ärzte des Sozialministeriumservice im Rahmen der erstellten Gutachten zu entkräften. Diesbezüglich ist erneut darauf zu verweisen, dass bei einem antragsgebundenen Verfahren der Schwerpunkt der Behauptungs- und Beweislast beim Antragsteller liegt (siehe oben).

Auf die Ausführungen im Vorlageantrag ist wie folgt zu antworten:

Das Vorbringen, dass die Beschwerdeführerin nie einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, wird durch die Beschwerdeführerin selbst widerlegt - im Rahmen der Sozialanamnese des Gutachtens vom wurde festgehalten, dass die Beschwerdeführerin ein Jahr als Kindergartenhelferin gearbeitet hat und von September 2021 bis Jänner 2022 am ersten Arbeitsmarkt beschäftigt war. Dem Vorbringen, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihres 50%-igen Behindertenstatus unverschuldet nicht selbsterhaltungsfähig sei, ist zu entgegnen, dass es nach der Rechtsprechung des VwGH auch bei einer Behinderung von 100% nicht ausgeschlossen ist, dass der Betreffende imstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ().

Im Ergebnis sind auch die Ausführungen im Vorlageantrag nicht geeignet, die Schlüssigkeit der Gutachten des Sozialministeriumservice in Zweifel zu ziehen.

Insgesamt gesehen wurde von der Beschwerdeführerin weder somit eine Unschlüssigkeit noch eine Unvollständigkeit der übereinstimmenden Gutachten des Sozialministeriumsservice dargelegt. Es wurden auch keine neuen Befunde vorgelegt, die eine Ergänzung der bisher vorliegenden Gutachten geboten hätten.

Bei dieser Sachlage ist das Bundesfinanzgericht nach der obig angeführten Rechtsprechung des VwGH verpflichtet, die Gutachten als mängelfreie Beweismittel der Entscheidung zugrunde zu legen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

A. Rechtliche Grundlagen

§ 2 FLAG 1967 lautet auszugsweise:

(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

[…]

c)für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen,

[…]

(2) Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind hat die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

(3) Im Sinne dieses Abschnittes sind Kinder einer Person

a)deren Nachkommen,

b)deren Wahlkinder und deren Nachkommen,

c)deren Stiefkinder,

d)deren Pflegekinder (§§ 186 und 186a des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches).

(4) Die Kosten des Unterhalts umfassen bei minderjährigen Kindern auch die Kosten der Erziehung und bei volljährigen Kindern, die für einen Beruf ausgebildet oder in ihrem Beruf fortgebildet werden, auch die Kosten der Berufsausbildung oder der Berufsfortbildung.

(5) Zum Haushalt einer Person gehört ein Kind dann, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt. Die Haushaltszugehörigkeit gilt nicht als aufgehoben, wenn

a)sich das Kind nur vorübergehend außerhalb der gemeinsamen Wohnung aufhält,

b)das Kind für Zwecke der Berufsausübung notwendigerweise am Ort oder in der Nähe des Ortes der Berufsausübung eine Zweitunterkunft bewohnt,

c)sich das Kind wegen eines Leidens oder Gebrechens nicht nur vorübergehend in Anstaltspflege befindet, wenn die Person zu den Kosten des Unterhalts mindestens in Höhe der Familienbeihilfe für ein Kind beiträgt; handelt es sich um ein erheblich behindertes Kind, erhöht sich dieser Betrag um den Erhöhungsbetrag für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4).

Ein Kind gilt bei beiden Elternteilen als haushaltszugehörig, wenn diese einen gemeinsamen Haushalt führen, dem das Kind angehört.

[…]

§ 6 FLAG 1967 lautet auszugsweise:

(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn

a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und

c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie

[…]

d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt;

[…]

g) erheblich behindert sind (§ 8 Abs. 5), das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist; § 2 Abs. 1 lit. b zweiter bis letzter Satz sind nicht anzuwenden,

[…]

(5) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

[…]

§ 8 FLAG 1967 lautet auszugsweise:

(2) Die Familienbeihilfe beträgt monatlich

3. ab

a) 114 € für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats der Geburt,

b) 121,9 € für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats, in dem es das 3. Lebensjahr vollendet,

c) 141,5 € für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats, in dem es das 10. Lebensjahr vollendet,

d)165,1 € für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats, in dem es das 19. Lebensjahr vollendet.

[…]

(4) Die Familienbeihilfe erhöht sich monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist,

3.ab um 155,9 €.

(5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als sechs Monaten. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens alle fünf Jahre neu festzustellen, wenn nach Art und Umfang eine mögliche Änderung zu erwarten ist.

(6) Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) dem Finanzamt Österreich durch eine Bescheinigung auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die Kosten für dieses ärztliche Sachverständigengutachten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen. […]

B. Erwägungen

a. § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967

Zunächst ist auf das Vorbringen im Vorlageantrag einzugehen, wonach nicht die vom belangten Finanzamt ins Treffen geführte Bestimmung des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967, sondern jene des § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 anzuwenden sei.

Beide Bestimmungen setzen das Vorliegen einer voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst aufgrund einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung den Unterhalt zu verschaffen, voraus. Während jedoch die Bestimmung des § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 den Anspruch auf Familienbeihilfe für Personen, denen Kindeseigenschaft iSd § 2 Abs. 3 FLAG 1967 zukommt, normiert, gewährt die Bestimmung des § 6 Abs. 2 FLAG 1967 volljährigen Vollwaisen sowie Sozialwaisen6 Abs. 2 iVm § 6 Abs. 5 FLAG 1967) einen Eigenanspruch zum Bezug von (erhöhter) Familienbeihilfe unter den dort normierten Voraussetzungen.

Gemäß dem festgestellten Sachverhalt wurden die Anträge auf Gewährung von Familienbeihilfe sowie auf Gewährung des Erhöhungsbetrages wegen erheblicher Behinderung von der Beschwerdeführerin in Form eines Eigenantrages gestellt. In diesem Fall sind - neben den im beschwerdegegenständlichen § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 genannten Voraussetzungen - zusätzlich die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 lit. a bis c FLAG 1967 zu prüfen. Diese zusätzlichen Voraussetzungen liegen gemäß dem festgestellten Sachverhalt unzweifelhaft vor:

  1. Die Beschwerdeführerin wohnt im Inland (§ 6 Abs. 1 lit. a FLAG 1967).

  2. Die Beschwerdeführerin ist und war nie verheiratet. Somit besteht kein Unterhaltsanspruch gegen einen derzeitigen oder früheren Ehegatten (§ 6 Abs. 1 lit. b FLAG 1967).

  3. Die Beschwerdeführerin erhält von ihren Eltern weder den laufenden Unterhalt noch sonstige finanzielle Unterstützung. Sie lebt auch nicht im gemeinsamen Haushalt mit ihren Eltern. Da somit die Voraussetzungen für die Gewährung von Familienbeihilfe für die Eltern der Beschwerdeführerin (§ 2 Abs. 2 FLAG 1967) nicht vorliegen, ist diesen keine Familienbeihilfe zu gewähren (§ 6 Abs. 1 lit. c FLAG 1967).

Die Antragstellung in Form eines Eigenantrages ist somit zurecht erfolgt, die weitere Prüfung hat somit im Rahmen des § 6 FLAG 1967 sowie des § 8 FLAG 1967 zu erfolgen. Dass es sich bei der Beschwerdeführerin um keine Vollwaise handelt, ist diesbezüglich unerheblich. Die Bestimmung des § 6 Abs. 5 FLAG 1967 stellt sogenannte "Sozialwaisen" bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen den Vollwaisen gleich und eröffnet ihnen somit die Möglichkeit zum Bezug der Familienbeihilfe.

Die - im Fall der Beschwerdeführerin einschlägige - Bestimmung des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 stellt darauf ab, dass der Voll- oder Sozialweise auf Grund einer zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetretenen Behinderung außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 8, Rz 20 mwN). Die Prüfung, ob dies der Fall ist, wurde - entsprechend der obig zitierten Rechtsprechung des VfGH (siehe Punkt "II. 2. Beweiswürdigung") - der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfebehörden entzogen und ist stattdessen im Rahmen ärztlicher Gutachten zu beurteilen. Das Bundesfinanzgericht ist - nach ständiger Rechtsprechung des VwGH (siehe ebenfalls oben, Punkt "II. 2. Beweiswürdigung") nur dazu berufen, die Gutachten auf Schlüssigkeit, Vollständigkeit und - im Falle mehrerer Gutachten - Widerspruchsfreiheit zu prüfen.

Die vorliegenden ärztlichen Gutachten, in denen der Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres verneint wurde, sind gemäß den obigen Ausführungen (siehe Punkt "II. 2. Beweiswürdigung") schlüssig, vollständig und widerspruchsfrei. Sie waren somit der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen.

Da bei der Beschwerdeführerin somit keine vor dem 21. Lebensjahr eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vorliegt, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu (Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 8, Rz 19).

b. § 6 Abs. 2 lit. g FLAG 1967

Hinsichtlich der allgemeinen Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 FLAG 1967 wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.

Gemäß dem festgestellten Sachverhalt besteht bei der Beschwerdeführerin ein Grad der Behinderung von 50%. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich weiters, dass die Beschwerdeführerin im Antragszeitraum (d.h. seit Jänner 2021) keine Berufsausbildung absolviert hat. Da somit die gesetzlichen Voraussetzungen des obig zitierten § 6 Abs. 2 lit. g FLAG 1967 nicht erfüllt sind, steht auch nach dieser Bestimmung weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu.

Die Beschwerde war somit als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig und zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung wirft daher nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG auf (z.B. mwN). Die Prüfung der Schlüssigkeit eines Gutachtens des Sozialministeriumservice ist nichts anderes als eine Würdigung dieses Beweises. Eine ordentliche Revision ist daher im gegenständlichen Fall nicht zulässig.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.5100233.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at