Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 12.04.2023, RV/5100001/2023

Erhöhte Familienbeihilfe / rückwirkende Gewährung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Familienbeihilfe 05.2016-09.2020, Ordnungsbegriff: ***OB***, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben. Der Spruch des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass die erhöhte Beihilfe rückwirkend ab 12/2019 gewährt wird.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf) ***Bf1*** beantragte die erhöhte Familienbeihilfe für ihr Kind ***Y*** (geb.: ***1***). Der Antrag auf den Erhöhungsbetrag der Familienbeihilfe wegen Behinderung (Formular Beih3) für ***Y1*** wurde erstmalig am gestellt. Sowohl bei der Antragstellerin als auch beim Kind wurde trotz Aufenthalts in Polen eine österreichische Adresse angegeben. Die Anforderung eines SMS-Gutachtens zur Feststellung der Behinderung wurde vom Sozialministeriumservice (SMS) ohne Bescheinigung beendet, da festgestellt wurde, dass das Kind nicht mehr in Österreich aufhältig war.

Daraufhin wurde die Familienbeihilfe ab 09/2020 umgestellt auf Familienbeihilfe mit Auszahlung in Polen. Am wurde neuerlich eine Anforderung auf Feststellung der Behinderung mit dem Verfahren lt. Erlass für erhöhte Familienbeihilfe für Kinder die sich ständig im EU-Ausland aufhalten - GZ: BMSG-510401/0019-V/1/2005 - durchgeführt. Nach Gewährung der erhöhten Beihilfe ab 11/2020 wurde am neuerlich ein Antrag (Formular Beih3) gestellt, wieder mit der österreichischen Adresse, auch beim Kind, sowie rückwirkend ab 05/2016.

Trotz der österreichischen Adresse wurde gemäß Aktenlage dem Erlass entsprechend für im EU/EWR Bereich lebende Kinder am neuerlich eine Anforderung auf Feststellung der Behinderung durchgeführt und aufgrund dieses Gutachtens vom die erhöhte Familienbeihilfe ab 10/2020 gewährt sowie für den Zeitraum 05/2016 bis 09/2020 mit Bescheid vom abgewiesen.

Aufstellung ärtzlicher Befunde

  1. Formular E407 - ***A1*** (Facharzt für Pädiatrie und Kinderneurologie) -

  2. ärztlicher Befund über sonderpädagogischen Förderbedarf () - Diagnostik Zentrum in ***Adr1***

  3. ärztlicher Befund über sonderpädagogischen Förderbedarf () - Gemeinschaftspraxis für klinisch-psychologische Diagnostik, Beratung und Behandlung in Freistadt

  4. Bestätigung eines motorischen Entwicklungsrückstandes - ***A3*** (Fachärztin für Kinder-und Jugendheilkunde) -

  5. Arztbrief des Kepler-Universität-Klinikums in Linz () - Hinweis auf Frühgeburt.

Lt. Gesetz prüfe der zuständige Versicherungsträger im Falle dauerhaft im Ausland lebender Kinder mit dem Vordruck E407, ob ein Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe für behinderte Kinder bestehe. Der erste Teil des Vordrucks werde vom für Familienleistungen zuständigen Träger ausgefüllt. In diesem Falle sei das das Finanzamt Freistadt Rohrbach Urfahr (nunmehr Finanzamt Österreich) am gewesen. Den zweiten Teil des Vordrucks fülle der vom Wohnort bezeichnete Arzt aus, der das Kind untersucht habe und seine Diagnose zum Behinderungsgrad ausstelle. In diesem Falle sei das ***A1*** (Facharzt für Pädiatrie und Kinderneurologie) gewesen. Lt. der von ihm erstellten Bescheinigung bestehe die Krankheit seit 2016 (Punkt 4.13 der Bescheinigung: Beginn der Krankheit: 2016), also ab Geburt des Kindes. Der Vordruck E407 sei von ihm anhand der von ihm durchgeführten Untersuchung des Kindes, des Interviews mit der Mutter und der vorgelegten ärztlichen Befunde erstellt worden.

1. SMS-Gutachten vom lautet:

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Rückwirkende Anerkennung ab 5/2016 bei psychomotorischem Entwicklungsstand unterder Norm;

Vorgutachten ***A6*** vom , GdB 50% beiEntwicklungsstörung der Spracheaufgrund der kognitiven Einschränkung und der vorwiegendenSprachentwicklungsstörung, für Außenstehende unverständlicheSprache, zusätzliche kognitive Einschränkungen, GdB ab 11/2020 vorliegend;

Beglaubigte Übersetzung einer ärztliche Bescheinigung zur Gewährung einer besonderenFamilienleistung für Behinderte Kinder vom , ***A1*** - Facharzt fürPädiatrie und Kinderneurologie ***Adr1*** - Polen:

Ärztlicher Befund über sonderpädagogischen Förderbedarf ,Frühzeitige Entwicklungsförderung und Sonderpädagogischer Förderbedarf seit 11/2020

Diagnose:

Psychomotorischer Entwicklungsstand unter der NormZeitpunkt der Diagnose: 10/2020Beginn der Behandlung: 11/2020;

Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel:

Logopädie, Sonderpädagogischer Förderunterricht;

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauernwerden:

Begründung der Rahmensätze:

Entwicklungsrückstand, Psychomotorischer Entwicklungsstand unterder Norm, Zeitpunkt der Diagnose: 10/2020 Beginn der Behandlung:11/2020;

Logopädie,Sonderpädagogischer Förderunterricht;_________________________

Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Das Leiden Nummer 1 bestimmt den Gesamtgrad der Behinderung mit 50%.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostiziertenGesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:keine

Stellungnahme zu Vorgutachten: unverändert

GdB liegt vor seit: 10/2020

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:

rückwirkende Anerkennung laut Beglaubigter Übersetzung einer ärztlichen Bescheinigung zur Gewährung einer besonderen Familienleistung für Behinderte Kinder vom , ***A1*** - Facharzt für Pädiatrie und Kinderneurologie ***Adr1*** - Polen: bei Psychomotorischem Entwicklungsstand unter der Norm, Zeitpunkt der Diagnose: 10/2020, Beginn der Behandlung: 11/2020 ab Diagnosestellung 10/2020 möglich;

Eine rückwirkende Anerkennung ab 05/2016 GdB 50% ist aufgrund fehlender Fachbefunde mit erheblicher Beeinträchtigung und Therapiebestätigungen ab diesem Zeitraum nicht möglich.

Im von Frau ***A2*** (Allgemeinmedizinerin) erstellten Gutachten wurde der Grad der Behinderung (GdB) im Zeitpunkt der Diagnose mit 50% ermittelt.Es wurde auch vermerkt, dass der festgestellte GdB voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern wird.

Am wurde die Beschwerde eingebracht, woraufhin wegen des zugrundeliegenden Antrags mit der österreichischen Adresse des Kindes neuerlich eine Anforderung auf Feststellung der Behinderung beim Sozialministeriumservice vorgenommen wurde, ohne Rücksichtnahme auf einen etwaigen EU-Aufenthalt des Kindes.

Am wurde durch das Sozialministeriumservice (Linz) eine Einladung für ***Y*** zu einer ärztlichen Untersuchung am erstellt, wogegen die Bf am eine Maßnahmenbeschwerde beim Finanzamt Österreich einbrachte, weil ihrer Ansicht nach die gegenständliche Anberaumung einer Untersuchung rechtswidrig gewesen sei.

Mit Beschluss vom (***GZ***) wurde die gegenständliche Maßnahmenbeschwerde vom Bundesfinanzgericht als unzulässig zurückgewiesen.

Am wurde von der Volksanwaltschaft ein Schreiben an die Bundesministerin ***X*** verfasst, mit der Bitte um Gewährung des Erhöhungsbeitrages zur Familienbeihilfe ab der Geburt. In einer dazu vom Finanzamt am abgegebenen Stellungnahme wurden die bisherigen Verfahrensschritte nochmals ausführlich dargelegt. Der Endbericht des Bundeskanzleramtes an die Volksanwaltschaft erfolgte am .

Im neu erstellten zweiten Gutachten des SMS vom , in dem auch die Bestätigung von Frau ***A3*** vom berücksichtigt worden war, wurde der Grad der Behinderung mit 50 % ab 12/2019 diagnostiziert. Der Beschwerde wurde daraufhin mit Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom teilweise stattgegeben und die erhöhte Beihilfe rückwirkend ab 12/2019 gewährt.

2. SMS-Gutachten vom lautet:

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

KUK MC IV, Neonatologie vom : Sek. Re-Sectio bei unstillbaren Wehen bei Frühgeburt 33+3 GW; Naevus / Hämangiom li. Oberschenkel ***A4***, klinisch-psychologischer Befund vom (Untersuchung 12/2019): Umschriebene Entwicklungsrückstände, Wahrnehmungsverarbeitungsstörung, Umschriebene Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache, Umschriebene Entwicklungsstörung motorischer Funktionen, leichte soziale Beeinträchtigung

Land OÖ, Ärztliche/psychologische Stellungnahme, Integration in den OÖ Kinderbetreuungseinrichtungen vom : Logopädie, Ergotherapie, Physikotherapie

Psychologisch-pädagogische Zentrum vom : sonderpädagogischen Förderbedarf für den Zeitraum der Vorschulbildung (Beglaubigte Übersetzung)

Fr. ***A3*** vom : Überweisung zur Physiotherapie ab 07/2016

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand: gut

Ernährungszustand:gut

Größe: 126,00 cm Gewicht: 27,00 kg Blutdruck:

Status (Kopf / Fußschema) - Fachstatus:

Herz: leise, rein, rhythmisch, keine vitiumtypischen Geräusche Lunge: sonoren Klopfschall und VA, die Lungenbasen sind gut verschieblich Abdomen: im Thoraxniveau, keine pathologische Resistenz Haut: unauffällig

Gliedmaßen: frei beweglich WS: normal beweglich

Gesamtmobilität-Gangbild:

Einbeinstand ist bds. deutlich auf 2-3 Sekunden verkürzt, das Hüpfen auf der Stelle plump,Scheren- und Hampelmannsprung sind dyskoordiniert.

Psycho(patho)logischer Status:

Das Mädchen ist etwas unruhig, kann nur schwer ruhig sitzen bleiben, hat eineWahrnehmungsstörung, die Satzbildung ist noch nicht gut möglich, die Deutsche Sprachebeherrscht sie nicht.

Entwicklungsrückstand, Psychomotorischer Entwicklungsstand unterder Norm50 % aufgrund der notwendigen Therapien (Ergo, Logo, Physio),Integrationskindergarten______________________________________

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Das Leiden Nummer 1 bestimmt den Gesamtgrad der Behinderung mit 50 %.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostiziertenGesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:keine

Stellungnahme zu Vorgutachten:

12/2019 ist die erste nachgewiesene Untersuchung, laufende Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie, Integrationskindergarten

GdB liegt vor seit: 12/2019

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:

***A4***, klinisch-psychologischer Befund vom (Untersuchung 12/2019). Eine rückwirkende Anerkennung ab Geburt ist nicht möglich, fehlende Facharztbefunde, die Physiotherapie ab 07/2016 ist nicht bestätigt. Der Befund KUK Neonatologie 03/2016 zeigt keine Auffälligkeiten, keine Brückenbefunde vorhanden bis 12/2019.

Im von ***A5*** (Allgemeinmediziner) erstellten Gutachten wurde der Grad der Behinderung im Zeitpunkt der Diagnose mit 50% festgestellt.Es wurde auch vermerkt, dass der festgestellte GdB voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern wird.

Die am eingebrachte (wohl irrtümlich mit datierte) Maßnahmenbeschwerde u.a. wegen fehlender Beschwerdevorentscheidung wurde durch die BVE vom erledigt. Im rechtzeitig eingelangten Vorlageantrag vom wird die Anerkennung der Behinderung ab der Geburt (***1***) des Kindes beantragt. In der Beschwerde vom wurde hingegen die rückwirkende Gewährung noch ab 05/2016 beantragt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin (Bf) ***Bf1*** beantragte die erhöhte Familienbeihilfe für ihr Kind ***Y*** erstmalig am . Die Anforderung eines Gutachtens des Sozialministeriumservice (SMS) zur Feststellung der Behinderung wurde von diesem ohne Bescheinigung beendet, da festgestellt wurde, dass das Kind nicht mehr in Österreich wohnte, sondern in Polen. Daraufhin wurde die Familienbeihilfe ab September 2020 auf "Familienbeihilfe Auszahlung Polen" umgestellt.

Nach Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe ab November 2020 brachte die Bf am erneut einen Antrag (Formular Beih3) auf rückwirkende Gewährung ab Mai 2016 ein, wobei sie auch beim Kind wieder die österreichische Adresse anführte.

Am wurde neuerlich eine Anforderung beim Sozialministeriumservice durchgeführt und nach Rücklangen des Gutachtens vom die erhöhte Familienbeihilfe ab Oktober 2020 gewährt sowie mit Bescheid vom der Antrag vom auf Gewährung des Erhöhungsbetrags von Mai 2016 bis September 2020 abgewiesen.

Am wurde die Beschwerde eingebracht, woraufhin wegen des zugrundeliegenden Antrags mit der österreichischen Adresse des Kindes neuerlich eine Anforderung auf Feststellung der Behinderung beim Sozialministeriumservice vorgenommen wurde.

Mit BVE vom wurde der Beschwerde teilweise stattgegeben und die erhöhte Beihilfe rückwirkend ab 12/2019 gewährt. Im rechtzeitig eingelangten Vorlageantrag vom wird die Anerkennung der Behinderung ab der Geburt des Kindes (***1***) beantragt. Als Beilage wurde wiederum die Maßnahmenbeschwerde angefügt, die mittlerweile mit Beschluss vom (***GZ***) als unzulässig zurückgewiesen wurde. Das Finanzamt beantragte demgegenüber die Abweisung der Beschwerde für den Zeitraum vor 12/2019.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen sowie den von der belangten Behörde elektronisch vorgelegten Unterlagen, insb. aus den unter Punkt I.) angeführten ärztlichen Sachverständigengutachten vom und vom .

Das Bundesfinanzgericht sah es als erwiesen an, dass beim Kind ***Y***, VNR ***2***, für den beschwerderelevanten Zeitraum ein Behinderungsgrad von mindestens 50 % erst ab 12/2019 angenommen werden konnte.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

§ 8 FLAG 1967 idF BGBl. I Nr. 93/2022 lautet:

(4) Die Familienbeihilfe erhöht sich monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist, (Anm.: Z 1 mit Ablauf des außer Kraft getreten) (Anm.: Z 2 mit Ablauf des außer Kraft getreten) 3. ab um 155,9 €.

(5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

(6) Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen.

§ 10 FLAG 1967 lautet:

(1) Die Familienbeihilfe wird, abgesehen von den Fällen des § 10a, nur auf Antrag gewährt; die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) ist besonders zu beantragen.

(2) Die Familienbeihilfe wird vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

(3) Die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) werden höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt. In bezug auf geltend gemachte Ansprüche ist § 209 Abs. 3 der Bundesabgabenordnung, BGBl.Nr. 194/1961, anzuwenden.

§ 2 der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) lautet:

(1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen

Ausmaß der Behinderung

Gem. § 2 Abs. 1 der Einschätzungsverordnung sind die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt.

Durch die Bestimmung des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 hat der Gesetzgeber die Feststellung des Grades der Behinderung der eigenständigen Beurteilung der Finanzämter als Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und können von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen (). Daraus resultiert de facto eine Bindung an die Feststellungen der im Wege des SMS (Sozialministeriumservice) erstellten Gutachten und darf die belangte Behörde die auf Basis des Gutachtens erstellte Bescheinigung nur insoweit überprüfen, ob diese als schlüssig, vollständig und nicht einander widersprechend anzusehen ist (z.B. mit Hinweis auf , und ; Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, Rz 29 zu § 8).

Das Bundesfinanzgericht (BFG) sieht bei der gegenständlichen Sach- und Beweislage keinen Grund bei den mit vollständigem Text übermittelten Sachverständigengutachten, an deren Schlüssigkeit sowie am festgestellten prozentuellen Ausmaß der Behinderung (50 %) zu zweifeln. Anzumerken ist, dass auch von der Bf die in den genannten Gutachten enthaltenen Feststellungen nicht in Zweifel gezogen werden.

Auf die Rechtmäßigkeit der am erfolgten Einladung für ***Y*** zu einer weiteren ärztlichen Untersuchung () sowie dem daraufhin erstellten Gutachten vom braucht im Hinblick auf den zurückweisenden ***GZ***) nicht mehr eingegangen zu werden. Von der Bf wurde dabei lediglich die Zulässigkeit dieser Untersuchung bemängelt, da ihrer Meinung nach die Frage der rückwirkenden Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe bereits durch die von ***A1*** erstellte Diagnose vom ausreichend geklärt gewesen sei. Darin wurde von ihm lt. Punkt 4.13 / Formular E 407 als Beginn der Krankheit 2016 angegeben, allerdings ohne Feststellung eines Behinderungsgrades. Der Ansicht der Bf kann im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage, wonach der GdB gem. § 8 Abs. 6 FLAG 1967 durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen ist, nicht gefolgt werden.

Rückwirkende Geltendmachung der erhöhten Familienbeihilfe

Im SMS-Gutachten vom wurde auf Basis eines klinisch-psychologischer Befundes vom (Untersuchung 12/2019 durch ***A4*** ein GdB vom 50% ab 12/2019 festgestellt. Demgegenüber war im Gutachten vom im Hinblick auf die von ***A1*** - polnischer Facharzt für Pädiatrie und Kinderneurologie - erstellte Diagnose vom Oktober 2020 noch eine Rückwirkung auf 10/2020 angenommen worden.

In der BVE wurde von der belangten Behörde unter Hinweis auf § 8 Abs. 5 FLAG 1967 aus den im Gutachten vom angeführten Gründen, rückwirkend ab 12/2019, eine erhöhte Familienbeihilfe gewährt, weil bis zu diesem Zeitpunkt keine entsprechenden Brückenbefunde vorlagen. Ferner wurde darauf verwiesen, dass gemäß der Befundung von Frau ***A3*** am zwar eine Überweisung zur Physiotherapie ab Juli 2016 bestätigt wurde, aber keine Unterlagen über diese Therapie vorliegen. Zu Recht wurde daher von der belangten Behörde aufgrund der schlüssigen Sachverständigengutachten - bei welchen der GdB gleichlautend jeweils mit 50% festgestellt wurde - eine Rückwirkung auf den Zeitraum ab 05/2016 versagt. Es konnte auch nicht erkannt werden, dass das erste Gutachten vom dem der BVE zugrundeliegenden zweiten Gutachten vom widersprechen würde, zumal bei letzterem auf das Vorgutachten Bezug genommen und auch der Gesamtgrad der Behinderung unverändert mit 50% diagnostiziert wurde. Der Diskrepanz zwischen dem in der Beschwerde beantragten Rückwirkungszeitraum (05/2016) und dem im Vorlageantrag genannten Geburtsdatum (***1***) kommt im konkreten Fall keine entscheidungsrelevante Bedeutung zu. Vom Bundesfinanzgericht wird die in der BVE vom getroffene Entscheidung bestätigt und die erhöhte Beihilfe rückwirkend ab 12/2019 gewährt. Im Hinblick auf die erste Antragstellung betr. erhöhte Familienbeihilfe vom , erweist sich die gegenständliche Rückwirkung gem. § 10 Abs. 3 FLAG 1967 als gesetzeskonform.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Sowohl der mit Hinweis auf , und als auch der VfGH bejahen eine Bindung an die im Wege des Sozialministeriumservice erstellten Gutachten. Die vom Bundesfinanzgericht vorgenommenen Schlüssigkeitsprüfung betraf keine Rechtsfrage. Das vorliegende Erkenntnis beruhte im Wesentlichen auf der Beweiswürdigung (Schlüssigkeitsprüfung), ob und seit wann bei der Tochter der Bf eine erhebliche Behinderung im Sinne des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 vorlag.

Die Revision war daher gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
§ 2 Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010
§ 8 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 14 Abs. 3 BEinstG, Behinderteneinstellungsgesetz, BGBl. Nr. 22/1970
§ 10 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.5100001.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at