Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 14.04.2023, RV/4100179/2021

Bindung Strafurteil - unrichtige Schreibweise Name

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag.a Ulrike Nussbaumer, LL.M. M.B.L. in der Beschwerdesache Ing. ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Eckhardt Wirtschaftsprüfung und SteuerberatungsgmbH, Hauptstraße 58, 7033 Pöttsching, über die Beschwerden vom 23. und gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom 24. und betreffend Wiederaufnahme der Verfahren die Einkommensteuer 2011-2013 bzw. Umsatzsteuer 2013 betreffend, sowie Einkommensteuer 2011-2013, Umsatzsteuer 2013 und Kapitalertragsteuer 2014-2016 (Steuernummer ***BF1StNr1***) zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde vom gegen die Bescheide je vom die Wiederaufnahme der Verfahren die Einkommensteuer 2011-2013 und Umsatzsteuer 2013 betreffend, wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerde vom gegen die Einkommensteuerbescheide die Jahre 2012 und 2013 betreffend, sowie gegen den Umsatzsteuerbescheid 2013 wird als unbegründet abgewiesen.

  • Der Einkommensteuerbescheid 2013 wird jedoch im Sinne der Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde vom abgeändert und die Einkommensteuer mit Euro xxxx festgesetzt; bezüglich der Berechnung wird auf die einen integrierenden Bestandteil des Spruchs dieses Erkenntnisses bildende Beschwerdevorentscheidung vom verwiesen.

III. Der Beschwerde vom gegen den Einkommensteuerbescheid 2011 wird teilweise Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird abgeändert. Für das Jahr 2011 wird die Einkommensteuer mit Euro xxxx festgesetzt.

  • Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt ./A zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

IV. Der Beschwerde vom gegen die Bescheide über die Festsetzung der Kapitalertragsteuer für die Zeiträume 2014 bis 2016 wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Die angefochtenen Bescheide werden abgeändert, wie folgt:

[...]

V. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Zwischen den Parteien ist die Frage strittig, ob der Beschwerdeführer (in der Folge kurz: Bf.) im Rahmen seines Gewerbebetriebes Scheinrechnungen in sein buchhalterisches Rechenwerk aufnahm, woraus einerseits ein geringerer Gewinn bzw. ein unrichtiger Umsatz resultierten sowie andererseits durch die Bezahlung dieser Rechnungen und anschließenden Weitergabe der Nettorechnungsbeträge an die jeweiligen Gesellschafter der scheinrechnungsbezahlenden Unternehmen verdeckte Gewinnausschüttungen realisiert und in diesem Zusammenhang Kapitalerträge nicht abgeführt bzw. nicht gemeldet wurden.

Im Jahr 2020 fanden Außenprüfungen gemäß § 147 BAO iVm § 99 Abs. 2 FinStrG ua beim Bf., dessen Vater ***1*** sowie der A GmbH in Liquidation statt. Dem Bf. gegenüber wurde in Hinblick auf den Prüfungsgegenstand der Umsatz- bzw. Einkommensteuer den Zeitraum 2011-2016 betreffend festgestellt, dass in der Buchhaltung seines Einzelunternehmens Aufwandsbuchungen zu Scheineingangsrechnungen der kft (in der Folge kurz: kft) - die im Einflussbereich des NN, der als deren Geschäftsführer fungierte, stand - erfolgt waren, nämlich im Jahr 2011 iHv Euro xxxx (netto), im Jahr 2012 iHv Euro xxxx (netto) sowie schließlich im Jahr 2013 iHv Euro xxxx (netto). Weiters habe er im Jahr 2013 Leistungen gemäß § 3a Abs. 6 UStG für die B im Ausmaß von Euro xxxx bzw. die C für xxxx im Inland gegen Entgelt an inländische Unternehmen ausgeführt. Schließlich habe der Bf. als Geschäftsführer und Gesellschafter der Firma A GmbH durch die Verbuchung von Scheinrechnungen von der im Einflussbereich seines Vaters stehenden ES- Universal kft Mittelabflüsse bewirkt, die ihm zuflossen und bereicherten, wobei es dazu im Prüfbericht wörtlich heißt, wie folgt (vgl. Bericht über die Außenprüfung der A GmbH ABNr. 1111111 vom , S. 33 ff):

[...]

Die belangte Behörde schloss sich der Rechtsansicht der Betriebsprüfung an und nahm mit Bescheiden vom einerseits die Verfahren hinsichtlich der Einkommensteuer für die Jahre 2011 bis 2013 sowie jenes die Umsatzsteuer 2013 betreffend wieder auf; andererseits erließ sie neue Sachbescheide (datierend ebenfalls mit ). Die Einkommensteuer wurde - basierend auf den Prüfungsergebnissen - für das Jahr 2011 mit einem Betrag von Euro xxxx (zugrundeliegendes Einkommen 2011: Euro xxxx), für das Jahr 2012 mit einem Betrag iHv Euro xxxx (zugrundeliegendes Einkommen 2012: Euro xxxx) und für das Jahr 2013 mit Euro xxxx (zugrundeliegendes Einkommen 2013: Euro xxxx) festgesetzt. Die Umsatzsteuer wurde mit Euro xxxx (statt bisher Euro xxxx) unter Zugrundelegung eines Gesamtbetrages der steuerpflichtigen Lieferungen, sonstigen Leistungen und Eigenverbrauch in Höhe von Euro xxxx festgesetzt. Schließlich wurde dem Bf. mit Bescheiden je datierend mit als Empfänger der Kapitalerträge gegenüber die Kapitalertragsteuer für den Zeitraum 2014-2016 - im zuvor dargestellten Umfang - festgesetzt.

Mit Eingaben vom erhob der steuerlich vertretene Bf. sowohl gegen die Wiederaufnahmebescheide als auch gegen die Sachbescheide das Rechtsmittel der Beschwerde und beantragte jeweils die Entscheidung durch den gesamten Senat sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Hinsichtlich der Wiederaufnahmebescheide monierte der Bf., dass die für die Ermessensübung maßgebenden Umstände und Erwägungen nicht dargelegt worden und diese folglich rechtswidrig seien. Zu den Sachbescheiden verweist der Bf. auf sein E-Mail an die Steuerfahndung vom , in dem vorgebracht wurde, dass nicht nur die Provision sondern auch der sonstige Rechnungsbetrag der ehemaligen A GmbH an die kft weitergereicht und bezahlt worden sei; die in derartigen Konstellationen verbliebene 2 %ige Bearbeitungsgebühr sei wiederum im Unternehmen ordnungsgemäß versteuert worden. Wäre diese Aussage im laufenden Verfahren ordnungsgemäß berücksichtigt worden, hätte es nicht zu einer Nachversteuerung kommen dürfen.

Die belangte Behörde gab der Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2011 mit Beschwerdevorentscheidung datierend mit teilweise statt und setzte sie - ausgehend von einem Einkommen in Höhe von Euro xxxx - mit Euro xxxx fest; mit weiterem Bescheid vom selben Tag wurde der Einkommensteuerbescheid 2013 abgeändert und diese - ausgehend von einem Einkommen in Höhe von Euro xxxx -mit Euro xxxx festgesetzt. Den Beschwerden gegen den Einkommensteuerbescheid 2012 bzw. den Umsatzsteuerbescheid 2013 wurde hingegen der Erfolg versagt (Beschwerdevorentscheidungen jeweils vom ). In der gesonderten Begründung vom hielt die belangte Behörde ihre bisherige Rechtsansicht im Zusammenhang mit den Scheinrechnungen aufrecht, räumte jedoch im Zusammenhang mit der Bearbeitungsgebühr aus dem Scheinrechnungsverkauf an die D ein, diese irrtümlich dem Jahr 2011, anstatt richtigerweise dem Jahr 2013 zugeordnet zu haben. Daraus resultiere die Verringerung der Bemessungsgrundlage im Jahr 2011 bzw. deren Erhöhung im Jahr 2013. Mit weiterer Beschwerdevorentscheidung vom wurden die Beschwerden gegen die Wiederaufnahmebescheide als unbegründet abgewiesen.

Am beantragte der Bf. die Vorlage der Beschwerden gegen die Wiederaufnahme-bzw. Sachbescheide an das Verwaltungsgericht.

Am erhob der Bf. darüber hinaus gegen die Bescheide über die Festsetzung der Kapitalertragsteuer 2014-2016 ebenfalls das Rechtsmittel der Beschwerde und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie die Entscheidung durch den gesamten Senat. Inhaltlich erachtete sich der Bf. durch die Inanspruchnahme als Empfänger der Kapitalerträge als beschwert; richtigerweise hätte die ausschüttende GmbH - die aufgrund der Liquidationsschlussbilanz über ein Firmenvermögen von ca. Euro xxxx verfügte - zur Haftung für die strittige Steuer herangezogen werden müssen. Auch diese Beschwerde wurde am als unbegründet abgewiesen; zum Einwand, der Bf. könne nicht zur Haftung herangezogen werden, verwies die belangte Behörde darauf, dass die A GmbH mit Wirksamkeit zum xx.xx.xxxx gemäß § 40 FBG wegen Vermögenslosigkeit im Firmenbuch gelöscht worden war; zum Zeitpunkt des Abschlusses der Außenprüfung (Schlussbesprechung am ) lag sohin die amtswegige Löschung bereits mehr als ein Jahr zurück, weshalb die Inanspruchnahme des Bf. rechtens sei.

Der Bf. beantragte hinsichtlich der KESt am gemäß § 264 BAO die Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht.

Die belangte Behörde legte die Beschwerden am 19. bzw. dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

Die Staatsanwaltschaft Ort1 erhob am unter anderem gegen den Bf. Anklage beim Landesgericht Ort1 als Schöffengericht wegen Verkürzung der Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Kapitalertragsteuer basierend auf den Ergebnissen der Betriebsprüfung und der von der belangten Behörde im gegenständlichen Verfahren erlassenen Bescheiden.

Mit verfahrensleitenden Verfügungen vom 29.09. bzw. wurde die Entscheidung über die gegenständlichen Beschwerden gemäß § 271 Abs. 1 BAO bis zur rechtskräftigen Beendigung des beim Landesgericht Ort1 unter der AZ AZ anhängigen Strafverfahrens ausgesetzt.

Am fand vor dem Landesgericht Ort1 die Hauptverhandlung ua auch gegen den Bf. statt; dabei wurde die Anklage den Bf. betreffend - aufgrund der Angaben der belangten Behörde - modifiziert, wie folgt:

[...]

Nachdem das Verfahren gegen den Bf. ausgeschieden worden war, wurde dieser im Sinne der modifizierten Anklageschrift schuldig gesprochen.

Der für den anberaumte Erörterungstermin wurde - nachdem das Gericht vom steuerlichen Vertreter über die Nichtteilnahme informiert worden war - mit verfahrensleitender Verfügung vom ab-, und ein Termin zur mündlichen Senatsverhandlung für den anberaumt; dieser Verhandlungstermin war aufgrund einer Auslandsreise des steuerlichen Vertreters in der Folge auf den zu verlegen.

Nachdem der Bf. die Anträge auf eine mündliche Verhandlung vor dem Senat am zurückzog, wurde die für den anberaumte Verhandlung mit Beschluss vom selben Tage abberaumt.

II. Sachverhalt

Der am xx.xx.xxxx in Ort1 geborene Bf. ist in Adresse2 wohnhaft und der Sohn des am xx.xx.xxxx in Ort3 geborenen NN, einem ehemaligen Außenprüfer der belangten Behörde.

Der Bf. war als Einzelunternehmer bis unter der Steuernummer 000000 beim vormaligen Finanzamt X Ort1 Y und ab unter der Steuernummer 000000 beim vormaligen Finanzamt YY erfasst. Vom bis verfügte der Bf. mit seinem Einzelunternehmen über das Gewerbe "Dienstleistungen in der automatischen Datenverarbeitung und Informationstechnik". Am wurde die A GmbH, FN 11111, Steuernummer 000000 errichtet und erbrachte Dienstleistungen in der automatischen Datenverarbeitung und Informationstechnik; als deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer fungierte der Bf.. Mit Wirksamkeit zum wurde im Firmenbuch der Unternehmensgegenstand auf "Holding" geändert. Die Firma wurde schließlich mit Eintragung vom xx.xx.xxxx amtswegig wegen Vermögenslosigkeit im Firmenbuch gelöscht.

Mit dem mündlich verkündeten Urteil des Landesgerichtes Ort1 als Schöffengericht zu AZ vom wurde der Bf. im Sinne der modifizierten Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Ort1 unter anderem für schuldig erkannt,

[...]

Er hat dadurch - so das Strafgericht weiter - das Finanzvergehen des Abgabenbetruges nach §§ 33 Abs. 1, 39 Abs. 1 lit. a, Abs. 3 lit. a, 11 dritter Fall, § 13 Abs. 2 FinStrG begangen und wurde zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten sowie einer Geldstrafe in Höhe von Euro 80.000 verurteilt; die Freiheitsstrafe wurde zur Gänze, die Geldstrafe in Höhe von Euro 40.000 unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Weiters wurde dem Bf. gemäß § 26 Abs. 2 FinStrG die Weisung erteilt, die Steuerschuld binnen eines Jahres zu begleichen. Als mildernd wurde der bisher ordentliche Lebenswandel, das reumütige Geständnis, sowie der Umstand, dass die Taten teilweise beim Versuch geblieben sind, gewertet; als erschwerend erachtete das Strafgericht den langen Tatzeitraum, das Zusammentreffen von Vergehen sowie das Vorliegen mehrfacher Angriffe. Sowohl der Bf. als auch die Staatsanwaltschaft erklärten unmittelbar nach der Urteilsverkündung auf Rechtsmittel zu verzichten.

Der Spruch des verkündeten Urteils stimmt mit jenem in der gekürzten Urteilsausfertigung überein, lediglich im Zuge der schriftlichen Begründung scheint mehrfach der Name "AA", anstatt richtigerweise "***1***" auf, wobei an dieser Stelle festzuhalten ist, dass der Vater des Bf. über keinerlei akademische Titel verfügt.

Sowohl die Anklageerhebung als auch in der Folge die Verurteilung selbst gründen auf den Ergebnissen der im Verfahrensgang dargestellten Außenprüfungen ua beim Bf. und der A GmbH, sowie den in diesem Zusammenhang von der belangten Behörde erlassenen Bescheiden.

III. Beweiswürdigung

Der vorstehende Sachverhalt basiert grundsätzlich auf dem ohnedies unstrittigen Akteninhalt.

Die Feststellungen zur Person des Bf., dessen Vater sowie zum Ablauf des Strafverfahrens - samt dem verurteilenden Erkenntnis -, gehen aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Ort1 vom zu AZ, der Verhandlungsmitschrift über die Hauptverhandlung vor dem Landesgericht Ort1 als Schöffengericht vom , sowie der gekürzten Urteilsausfertigung vom selben Tag je zur GZ AZ hervor.

Dass diese Anklageerhebung (und in der Folge auch die Verurteilung selbst) auf den Ergebnissen der Außenprüfung basieren, zeigt sich an den diesbezüglichen Verweisen in der Anklageschrift (vgl. Anklageschrift vom , S. 57ff), sowie den Angaben des zeugenschaftlich einvernommenen Prüfers im Zuge der Hauptverhandlung (vgl. Verhandlungsmitschrift vom S. 25ff).

Weiters nahm das Gericht Einsicht in das Zentrale Melderegister des Bundesministeriums für Inneres sowie das Firmenbuch. Daraus ergibt sich auch der Hauptwohnsitz des Bf. im Inland sowie die Feststellungen zur A GmbH.

IV. Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 323 b Abs. 1 BAO idF BGBl. I 2020/99 tritt das Finanzamt Österreich am an die Stelle des jeweils am zuständig gewesenen Finanzamtes. Partei des Verfahrens ist nunmehr das Finanzamt Österreich als belangte Behörde, deren Bezeichnung war somit im Spruch entsprechend richtig zu stellen.

a. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung Beschwerde gegen die Wiederaufnahme)

Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann von Amts wegen wiederaufgenommenen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte (§ 303 Abs. 1 BAO).

In diesem Zusammenhang moniert der Bf. ausschließlich, dass es die belangte Behörde unterlassen habe, das Ermessen zu begründen; nicht beschwert erachtet er sich - wie aus seinem diesbezüglichen Rechtsmittel vom hervorgeht - offenbar durch die Bejahung eines Wiederaufnahmegrundes (wobei diesbezüglich auf die zutreffenden Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung vom hingewiesen wird).

Dazu ist rechtlich folgendes festzuhalten: Bei der Wiederaufnahme des Verfahrens ist zwischen der Rechtsfrage, ob der Tatbestand einer Wiederaufnahme gegeben ist, und der Frage der Durchführung der Wiederaufnahme, die im Ermessen der Behörde liegt, zu unterscheiden (vgl. ). Die Subsumption, ob ein bestimmter Sachverhalt den Wiederaufnahmetatbestand der neu hervorgekommenen Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO erfüllt, stellt somit keine Ermessensentscheidung dar; sie hängt nicht davon ab, ob ein behördliches Verschulden an der früheren Unkenntnis über maßgebliche Tatsachen gegeben ist ( mwN). Nun ist - was der Bf. offenbar verkennt - im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren in Abgabensachen die Ermessensentscheidung durch das Bundesfinanzgericht zu treffen (vgl. Art 130 Abs. 3 B-VG). Zweck des § 303 BAO ist es, eine neuerliche Bescheiderlassung dann zu ermöglichen, wenn Umstände gewichtiger Art hervorkommen. Ziel ist ein insgesamt rechtmäßiges Ergebnis. Daher ist bei der Ermessensübung grundsätzlich dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (der Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang vor jenem der Rechtsbeständigkeit (Rechtskraft) zu geben. Dies gilt unabhängig davon, ob sich die Wiederaufnahme letztlich zu Gunsten oder zu Ungunsten der Partei auswirken würde (Ritz, BAO6, § 303 Tz 67 mwN). Wiederaufnahmen werden idR nicht zu verfügen bzw zu bewilligen sein, wenn die steuerlichen Auswirkungen bloß (absolut und relativ) geringfügig sind (Ritz, aaO, Tz 71). Von einer derartigen Geringfügigkeit kann gegenständlich keine Rede sein, wie aus den aushaftenden verfahrensgegenständlichen Forderungsbeträgen unschwer ersichtlich ist. Auch lagen gewichtige Gründe für die Wiederaufnahme vor, schließlich wurde der Bf. aufgrund jener Tatsachen, die zur Wiederaufnahme führten, am Ende des Tages rechtskräftig verurteilt.

Der Grundsatz der Sparsamkeit der Verwaltung spricht weiters dafür, die allfällige Uneinbringlichkeit der Abgabennachforderungen in die Ermessensüberlegungen miteinzubeziehen. Die Uneinbringlichkeit iSd § 235 bzw die Unbilligkeit iSd § 236 spricht nur dann gegen eine Wiederaufnahme, wenn sie sich auf die gesamte Nachforderung bezieht. Ist ein (nicht nur geringfügiger) Teil der Nachforderung einbringlich bzw seine Einhebung im genannten Sinn nicht unbillig, so spricht dies nicht gegen die Verfügung der Wiederaufnahme (Ritz, aaO, § 303 Tz 79 ff). Unbilligkeits- oder Uneinbringlichkeitsgründe sind der Aktenlage nicht zu entnehmen und wurden auch vom Bf. nicht behauptet.

Im Beschwerdefall geht das Bundesfinanzgericht davon aus, dass die Wiederaufnahme der Abgabenverfahren aus den von der Abgabenbehörde herangezogenen Umständen zur Erhebung der betroffenen Steuern in der gesetzlichen (und nicht geringfügigen) Höhe in Erfüllung des gesetzlichen Auftrages zur Gleichbehandlung aller Abgabepflichtigen (§ 114 BAO) zweckmäßig war.

Der Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide war sohin der Erfolg zu versagen.

b. Zu Spruchpunkte II. bis IV. (Abweisung bzw. Teilstattgabe iBa die Sachbescheide)

§ 116 (1) BAO lautet wörtlich: "Sofern die Abgabenvorschriften nicht anderes bestimmen, sind die Abgabenbehörden berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen (§§ 21 und 22) und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen.

(2) Entscheidungen der Gerichte, durch die privatrechtliche Vorfragen als Hauptfragen entschieden wurden, sind von der Abgabenbehörde im Sinn des Abs. 1 zu beurteilen. Eine Bindung besteht nur insoweit, als in dem gerichtlichen Verfahren, in dem die Entscheidung ergangen ist, bei der Ermittlung des Sachverhaltes von Amts wegen vorzugehen war."

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausführt, entfaltet ein rechtskräftiges Strafurteil bindende Wirkung hinsichtlich der Tatsachenfeststellungen, auf denen sein Schuldspruch beruht, wozu auch jene Tatumstände gehören, aus denen sich die jeweilige strafbare Handlung nach ihren gesetzlichen Tatbestandselementen zusammensetzt (; ; mwN).

Ein vom bindenden Strafurteil abweichendes Abgabenverfahren würde zu Lasten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes einer Durchbrechung der materiellen Rechtskraft und einer unzulässigen Kontrolle der Organe der Rechtsprechung durch die Verwaltung gleichkommen (). Die Bindungswirkung erstreckt sich auf die vom Gericht festgestellten und durch den Spruch gedeckten Tatsachen (vgl auch , mwN). Liegt eine rechtskräftige Entscheidung der zuständigen Behörde bzw. des zuständigen Gerichts vor, sind auch andere Behörden, etwa die Abgabenbehörde, aber auch das Bundesfinanzgericht daran gebunden. Die Bindungswirkung ist Ausfluss der Rechtskraft der betreffenden Entscheidung (). Eine solche Bindung besteht unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Entscheidung (Ritz, aaO, § 116 Tz 5; Schulev-Steindl, Verwaltungsverfahrensrecht 6, 164). Die Rechtsordnung misst damit der Beweiskraft von Beweismitteln, die zu einer strafgerichtlichen Verurteilung führen, besondere Bedeutung bei, weil anders als im Abgabenverfahren, wo die größte Wahrscheinlichkeit genügt, hier die volle Überzeugung der Strafbehörde gegeben sein muss. Es ist daher davon auszugehen, dass in den Fällen, in denen eine Straftat mit rechtskräftigem Urteil als erwiesen angenommen wurde, keine begründeten Zweifel mehr am Tatgeschehen offengeblieben sind (; , RV/2100131/2018, uvam).

Ausgehend von diesen judikativen Prämissen war dem Spruch des rechtskräftigen Strafurteils des Landesgerichtes Ort1 als Schöffengericht vom zu Folgen und dementsprechend die Beschwerden gegen die Einkommensteuerbescheide 2012 und 2013 (hier im Umfang der BVE vom , die Eingang in die Anklage gefunden hat), sowie gegen den Umsatzsteuerbescheid 2013 als unbegründet abzuweisen, und jenen gegen den Einkommensteuerbescheid 2011 und die Festsetzungsbescheide der KESt 2014-2016 im Sinne der im Strafurteil genannten Beträge teilweise stattzugeben.

Dass in der gekürzten Urteilsausfertigung vom in der Begründung die Rede von "AA", anstatt richtigerweise "***1***" ist, schadet im Übrigen nicht: Wie sich aus §§ 268 und 270 StPO ergibt, ist das (Straf-)Gericht an das verkündete Urteil gebunden, da diese Normen davon ausgehen, dass das Urteil zuerst verkündet und dann erst ausgefertigt wird. Ein Strafurteil wird sohin durch dessen mündliche Verkündung im Zuge der Hauptverhandlung wirksam. Verzichten - wie im gegenständlichen Fall geschehen - die Beteiligten des Strafverfahrens auf ein Rechtsmittel oder melden sie innerhalb der dafür offen stehenden Frist kein Rechtsmittel an, so kann das Urteil in gekürzter Form ausgefertigt werden (§ 270 Abs. 4 StPO). Dem Einwand, in der gekürzten Urteilsausfertigung des Landesgerichtes Ort1 als Schöffengericht sei der "falsche" Name enthalten - weshalb die Bindungswirkung nicht eintreten könne - ist deshalb folgendes entgegen zu halten: Die Bindung des BFG besteht an das mündlich verkündete Urteil, das ausschließlich den Bf. nennt. Selbst wenn die Urteilausfertigung eine Ergänzung zum mündlich Verkündeten darstellen sollte, ist für ihn nichts gewonnen, da einerseits primär eine Bindung nur an den - auch in der gekürzten Urteilsausfertigung richtig wiedergegebenen - Spruch besteht; andererseits kann die Anführung des "AA" in der weiteren schriftlichen Begründung wohl nur einen Irrtum darstellen: Das Strafverfahren des Bf. wurde - wie aus dem Verhandlungsprotokoll ersichtlich (S.63) - vor der Verkündung der Entscheidung aus dem Verfahren ausgeschieden; ganz offensichtlich war dessen Strafverfahren "entscheidungsreif"; schließlich waren in Bezug auf die weiteren Angeklagten - darunter auch dessen Vater NN - noch Beweisaufnahmen nötig. Somit gab es am nur ein verkündetes Urteil, nämlich jenes gegen den Bf.. Auch führt NN keinerlei akademische Titel, wie eine Einsicht in das ZMR zeigt. Da sohin eine Person namens "AA", gegen den ein Strafverfahren zu AZ geführt wurde, rechtlich und de facto gar nicht existierte, kann die Anführung dieses Namens im Rahmen der gekürzten Urteilsausfertigung nur irrtümlich passiert sein. Nach dem Grundsatz der "falsa demonstratio non nocet" ist diesem Umstand sohin keinerlei Gewicht im Zusammenhang mit der Bindungswirkung beizumessen.

Bezüglich der KESt ist dem Bf. zwar grundsätzlich beizupflichten, dass diese Steuer vom zum Abzug Verpflichteten, sohin der A GmbH einzubehalten ist. Nach § 95 Abs. 4 EStG 1988 ist sie aber ausnahmsweise dem Empfänger der Kapitalerträge direkt vorzuschreiben, wenn der zum Abzug Verpflichtete die Kapitalerträge nicht vorschriftsmäßig gekürzt hat und die Haftung nicht oder nur erschwert durchsetzbar wäre oder der Empfänger weiß, dass der Schuldner die einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht vorschriftsmäßig abgeführt hat. Dadurch, dass die A GmbH - wie die belangte Behörde richtig festhält - mit Wirksamkeit zum xx.xx.xxxx wegen Vermögenslosigkeit aus dem Firmenbuch gelöscht wurde, war sohin die Haftung gemäß § 95 Abs. 1 EStG 1988 gegen sie nicht mehr durchsetzbar. Dem Bf. gegenüber wurde sohin dem Grunde nach zu Recht mit den angefochtenen Bescheiden die KESt festgesetzt. Der Höhe nach waren die Beträge jenen laut rechtskräftigem Strafurteil anzupassen, weshalb eine Teilstattgabe zu erfolgen hatte.

c. Zu Spruchpunkt V. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Eine derartige Rechtsfrage liegt gegenständlich nicht vor, da sich das Gericht an den klaren Gesetzestext bzw. die ohnedies zitierte höchstgerichtliche Judikatur gehalten hat.

Klagenfurt am Wörthersee, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 166 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 323b Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 95 Abs. 4 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 268 StPO, Strafprozeßordnung 1975, BGBl. Nr. 631/1975
§ 269 StPO, Strafprozeßordnung 1975, BGBl. Nr. 631/1975
§ 270 StPO, Strafprozeßordnung 1975, BGBl. Nr. 631/1975
Schlagworte
falsche Namensschreibung
Bindung Strafurteil
Bindung an mündlich verkündetes Strafurteil
gekürzte Urteilsausfertigung
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.4100179.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at