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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 20.02.2023, RV/7200055/2016

Abweisung eines Erstattungantrages wegen offensichtlicher Fahrlässigkeit (Einreihung von Reis)

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, vertreten durch DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH, Währingerstraße 2-4, 1090 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Zollamtes Wien (nun Zollamt Österreich) vom , Zahl: ***100000/00000/2011-35***, betreffend Erstattung/Erlass von Einfuhrabgaben und Abgabenerhöhung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Beisein der Schriftführerin ***MH*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Anlässlich einer Nachschau bei der ***GmbH***, ***GmbH-Adr***, wurde ua die Zollanmeldung ***CRN***, die von der ***Bf*** (nachstehend mit "Bf" bezeichnet) am abgegeben worden ist, einer Überprüfung unterzogen. Die Abgabenbehörde kam zu dem Schluss, dass die in der Zollanmeldung angegebene Warennummer unzutreffend ist und der Abgabenbetrag in der Folge mit einem geringeren als dem gesetzlich geschuldeten Betrag buchmäßig erfasst worden ist (siehe dazu die Niederschrift vom , Zahl: ***100000/00000/2011/002***).
Es wurde daher - nach Einholung einer Stellungnahme der Bf (Parteiengehör) - eine nachträgliche buchmäßige Erfassung vorgenommen und der Bf mit Bescheid vom , Zahl: ***100000/00000/2011/012***, der Differenzbetrag in Höhe von EUR 1.265,00 (Zoll) mitgeteilt.
Als Folge der Nacherhebung war überdies gemäß § 108 Abs 1 Zollrechts-Durchführungsgesetz (ZollR-DG) eine Abgabenerhöhung von EUR 44.40 zu entrichten.
In der Begründung wird ausgeführt, die Angaben zur Warenbeschaffenheit und die Warennummer in der Zollanmeldung ***CRN*** seien unrichtig. Die tatsächliche Warennummer wäre aufgrund der Warenbezeichnung in der Rechnung sowie anhand von Firmenauskünften ermittelt worden.
Die unter der Bezeichnung Bruchreis gestellten Waren seien in die Warennummer 1006 2098 90 für geschälten Reis ("Cargo-Reis" oder "Braunreis"), anderer als parboiled, langkörnig mit einem Verhältnis der Länge zur Breite von 3 oder mehr, anderer als Basmatireis eingereiht worden. Laut Angaben in der korrespondierenden Rechnung handle es sich jedoch um Thai Hom Mali Rice White Rice 100% ***X*** Brand. Da dieser zur Überführung in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr angemeldete Reis mit weißem Reis bezeichnet werde, handle es sich um Reis einer höheren Verarbeitungsstufe, nämlich um halbgeschliffenen bzw vollständig geschliffenen, auch polierten oder glasierten Reis. Auf Grund der weiterführenden Angaben von diversen Auskunftspersonen bzw Unterlagen sowie der angemeldeten Einreihung handle es sich um anderen als parboiled, langkörnigen, mit einem Verhältnis der Länge zur Breite von 3 oder mehr in unmittelbaren Umschließungen mit einem Gewicht des Inhaltes von 5 kg oder weniger der Warennummer 1006 3098 10. Somit sei die tatsächlich zutreffende Einreihung in die Warennummer 1006 3098 10 gemäß den Allgemeinen Vorschriften 1 und 6 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur sowie im Sinne der Erläuterungen zum harmonisierten System zum Kapitel 10 sowie zu Position 1006 gegeben.
Für die Bf sei daher bei der Überführung von eingangsabgabenpflichtigen Waren in den zollrechtlich freien Verkehr bei der genannten Anmeldung gemäß Artikel 201 Absatz 1 Buchstabe a) und Absatz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Zollkodex - ZK) iVm § 2 Abs 1 ZollR-DG eine höhere Eingangsabgabenschuld entstanden als ursprünglich festgestellt und eingehoben wurde.

Eine gegen den oa Abgabenbescheid erhobene Berufung bzw Beschwerde ist vom Bundesfinanzgericht mit rechtskräftigem Erkenntnis vom , RV/4200128/2012, als unbegründet abgewiesen worden.

Bereits am hat die Bf einen Antrag auf Erstattung gemäß Artikel 239 ZK der mit dem genannten Bescheid vorgeschriebenen Eingangsabgaben gestellt.
Begründet wird der Antrag im Wesentlichen damit, die Abgabenvorschreibung sei weder auf betrügerische Absicht noch auf offensichtliche Fahrlässigkeit zurückzuführen und es würden besondere Umstände vorliegen.

Das Zollamt hat den Erstattungsantrag mit Bescheid vom , Zahl: ***100000/00000/2011-35***, als unbegründet abgewiesen.
Eine von der Bf dagegen am erhobene Beschwerde wurde von der Abgabenbehörde mit Beschwerdevorentscheidung vom , Zahl: ***100000/00000/2011-53***, als unbegründet abgewiesen. Laut Begründung sei der Bf, die als Spedition seit vielen Jahren im Ein- und Ausfuhrgeschäft tätig sei und von der daher der höchste Grad an Erfahrung im Zusammenhang mit Verzollungen erwartet werden könne, offensichtliche Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Sie habe es offenbar unterlassen, sich ausreichend über die richtige Einreihung der Ware in den Zolltarif zu informieren. Überdies würden auch keine besonderen Umstände vorliegen.

In der Folge wurde mit Schreiben vom ein Vorlageantrag gestellt und eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht beantragt.
Die Bf macht Rechtswidrigkeit und Verfahrensfehler geltend und bringt begründend vor:

"I. Keine betrügerische Absicht und keine offensichtliche Fahrlässigkeit

Nach Artikel 239 ZK sind Einfuhrabgaben zu erstatten oder zu erlassen, wenn die Abgabenvorschreibung nicht auf Umstände, die auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen ist. [sic]

Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall vor.

Selbst wenn - wie in dem insoweit abgeschlossenen Abgabenverfahren festgestellt - der Reis unrichtig (nämlich nicht - wie angemeldet - unter die Zolltarifnummer 1006209890, sondern unter der Warentarifnummer 1006309810 bzw. ab dem Jahr 2011 der Warentarifnummer1006309819 bzw. andere der Warennummer 1006309890) tarifiert worden ist, ist diese unrichtige Tarifierung entschuldbar, jedenfalls nicht auf grobe, offensichtliche Fahrlässigkeit, schon gar nicht auf betrügerischer Absicht von Mitarbeitern der ***Bf*** zurückzuführen:

1. Bei sämtlichen Verzollungen, so auch bei der verfahrensgegenständlichen, ging der Zolldeklarant der ***Bf*** davon aus, dass tatsächlich die gewählte Tarifnummer, die auch auf den den Transporten zugrunde liegenden AMA-Genehmigungen angeführt ist, richtig ist.

Die Mitarbeiter der ***Bf*** waren daher zum Zeitpunkt der Zollanmeldung gutgläubig.

2. Die Gutgläubigkeit der Mitarbeiter der ***Bf*** ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass gerade die Einreihung von Reis besonders komplex ist und bei dieser Vielzahl von in Betracht kommenden Zolltarifnummern und jeweiligen Untergruppen jeweils nur geringfügige Unterschiede bestehen, die für einen Zolldeklaranten, der ja kein qualifizierter Reishändler oder Reisproduzent ist, selbst bei einer physischen Kontrolle des Reises nur schwer erkennbar sind.

2.1 Der vom Zollamt Wien erhobene Vorwurf offensichtlicher Fahrlässigkeit gegenüber der Beschwerdeführerin verwundert umso mehr, als das Zollamt Wien mit Recht auf Witte in Zollkodex, Artikel 239 ZK5 Rz 32 verweist, wonach mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad der Vorschriften der Grad der Fahrlässigkeit der Beteiligten sinkt.

2.2 Bei der Tarifierung von Reis sind allein in der Gruppe 1006 75 Untergruppen von Reis bei der Zolltarifnummer 100630 allein 51 Untergruppen vorgesehen, wobei sich die unterschiedlichen Tarifierungen zum Teil in geringfügigen Größenunterschieden (Länge- und Breiteverhältnis) oder Reis-Fachbegriffen unterscheiden.

Allein der Ausdruck der TARIC-Information betreffend Untergruppe 100630 und den entsprechenden Präferenzmaßnahmen beträgt 5 Seiten.

2.3 Es ist daher wohl nicht ernsthaft bestreitbar, dass die Einreihung von Reis im Zolltarif eine hochkomplexe Angelegenheit ist, die noch dazu Reis-spezifisches Fachwissen erfordert: Ein solches Reis-spezifisches Fachwissen kann von einem Zolldeklaranten, der jeden Tag mit unterschiedlichen Waren jeder Art, die vom Zolltarif erfasst sind, befasst ist, nicht erwartet werden.

2.4 Umso mehr ist es zulässig, dass die Zolldeklaranten dann nicht nur

- auf die Richtigkeit der in den ihnen vom Auftraggeber der Verzollungen übergebenen Warendokumenten genannten Zolltarifnummern sowie gegebenen ergänzenden mündlichen Auskünfte, sondern -wie in all diesen Verzollungen -

- vor allem auch auf die in der Bestätigung der AMA hinsichtlich der Zollkontingente genannte Zolltarifnummer vertrauen; hinsichtlich sämtlicher dieser Warenanmeldungen wurden der Beschwerdeführerin die AMA-Importlizenzen beigegeben und von den Mitarbeitern der Beschwerdeführerin die entsprechenden Abschreibungen (von der AMA und vom Zollamt unbeanstandet) vorgenommen.

Den gegenständlichen Zollanmeldungen lagen nämlich die entsprechenden AMA-Einfuhrlizenzen zugrunde, in denen - mit derselben handelsüblichen Warenbezeichnung - der angemeldete Reis jeweils mit der Zolltarifnummer 10062098 angegeben ist und nicht mit der Zolltarifnummer 10063098: Dass selbst die AMA, die mit der Überprüfung des importierten Reises und der Abwicklung der Zollkontingente betraut ist, und daher über eine entsprechende Expertise und Erfahrung mit Reisqualitäten und der zolltarifarischen Einreihung verfügt, diese Zolltarifnummer - basierend auf derselben Beschreibung der Ware - bestätigt, spricht nicht nur dafür, dass tatsächlich die ursprünglich gewählte Zolltarifnummer dem tatsächlich importierten Reis entspricht, sondern - spricht diese Bestätigung durch die AMA weiter jedenfalls dafür, dass den Mitarbeitern der Beschwerdeführerin keinerlei Verschuldensvorwurf gemacht werden kann:

Wer, wenn nicht die AMA, der die Erteilung und Überwachung der Einfuhrkontingente obliegt und die ohne Zweifel als sachkundig hinsichtlich der unterschiedlichen Reis-Typen und -Qualitäten zu qualifizieren ist, soll denn sonst in der Lage sein, die richtige Qualität und Beschaffenheit (und damit Einreihung in die richtige Zolltarif-Nummer) vorzunehmen? Umso mehr muss es zulässig sein, dass die Zolldeklaranten auf die Richtigkeit dieser Zolltarif-Nummer vertrauen, ohne ihnen den Vorwurf offensichtlicher Fahrlässigkeit zu machen.

2.5 Soweit in dem Zusammenhang das Zollamt Wien den Mitarbeitern der Beschwerdeführerin den Vorwurf erhebt, keine TARIC-Auskunft eingeholt zu haben, ist darauf hinzuweisen, dass für die Mitarbeiter der Beschwerdeführerin gar kein Anlass für Bedenken bestand, dass die vom Auftraggeber bekannt gegebene Zolltarifnummer nicht richtig sein könnte: Denn immerhin war der Auftraggeber selbst ein im Reishandel erfahrener Unternehmer und verfügte daher über entsprechendes Branchenkenntnis; weiterhin lagen Herstellerdokumente ebenfalls von branchenspezifischen Unternehmen mit den Tarif-Nummern vor und schließlich gab es die AMA-Lizenzierung.

Entgegen den Ausführungen des Zollamtes Wien wurde bei den Zollanmeldungen ***CRN***, ***AX6***, ***I06*** sowie ***QLC*** eine (physische) Beschau durchgeführt. Bei all diesen Beschauen wurden vom Zollamt keinerlei Bedenken gegen die Richtigkeit der gewählten Tarifnummer erhoben, vielmehr die Zollanmeldungen jeweils ohne Vorbehalt angenommen - und damit bei der Beschwerdeführerin das berechtigte Vertrauen in die Richtigkeit der Tarifierung gestärkt.

Wenn demgegenüber das Zollamt unter Hinweis auf die in den elektronischen Akten des Zollamtes angeführten Beschauvermerken vermeint, es sei nur eine Dokumentenkontrolle durchgeführt worden und/oder nur auf "Knoblauch" überprüft worden, so ist dies ungeeignet, den guten Glauben und maximal leichte Fahrlässigkeit der Mitarbeiter der Rechtsmittelwerberin zu entkräften.

2.5.1 So ist etwa zur Zollanmeldung ***CRN*** ausdrücklich eine "Kontrollankündigung" (vgl. beiliegende Kontrollbenachrichtigung) angekündigt worden: Wenn dann der beschauende Zollbeamte lediglich eine "Dokumentenkontrolle" vermerkt, ändert dies nichts daran, dass die Mitarbeiter der Rechtsmittelwerberin davon ausgehen konnten, dass - entsprechend dieser Kontrollbenachrichtigung - auch eine entsprechende physische Beschau durchgeführt wurde. Tatsächlich ist auch davon auszugehen, dass eine physische Beschau durchgeführt werden musste, weil sonst der die Beschau durchführende Zollbeamte gar nicht überprüfen konnte, ob sich nicht doch vielleicht Knoblauch unter den angemeldeten Waren befindet.

2.5.2 Dass etwa auch bei der Zollanmeldung ***I06*** eine detaillierte Kontrolle durchgeführt wurde, konnten die Mitarbeiter der Rechtsmittelwerberin auch deswegen annehmen, weil sich ein Schriftwechsel mit dem Zollamt und der Firma ***GmbH*** ergeben hat, wonach das Zollamt zusätzliche Bestätigungen (insbesondere dass sich darin keine Drogen oder Gewürze befinden) verlangt hat (vgl. beiliegenden E-Mail-Verkehr): Wie detailliert die Beschau durchgeführt wurde, ergibt sich auch daraus, dass etwa im Beschauvermerk auf eine Bestätigung der AGES verwiesen wird, dass keine Phytozertifikate erforderlich sind: Auch dies musste und durfte bei den Mitarbeitern der Rechtsmittelwerberin den Eindruck erweckten, dass hier eine sehr genaue Überprüfung der Richtigkeit der Zollanmeldung stattgefunden hat.

2.5.3 Dasselbe gilt etwa für den Schriftverkehr und die Nachholung von Zertifikaten zur Zollanmeldung ***AX6***.

2.6 Der Vorwurf, keine VZTA eingeholt zu haben, geht aber auch deswegen fehl, weil die Unterlassung der Einholung einer VZTA ja nur dann grobes Verschulden begründen könnte, wenn es eine solche Verpflichtung der Rechtsmittelwerberin gegeben hätte: Eine Verpflichtung, vor jeder Verzollung eine VZTA einzuholen, besteht aber nicht. Aus welchen Gründen daher die Unterlassung der Einholung einer VZTA eine offensichtliche Fahrlässigkeit der Rechtsmittelwerberin oder ihrer Mitarbeiter begründen sollte, ist unerfindlich, dies umso weniger, als ja - wie dargestellt - zum Zeitpunkt der Durchführung der Zollanmeldungen nicht zuletzt auch angesichts der langjährigen widerspruchslosen Annahme der Zollanmeldungen durch die Zollbeamten bei den Mitarbeitern der Rechtsmittelwerberin überhaupt keine Zweifel an der Richtigkeit der gewählten Tarifierung aufgekommen sind.

2.7 Im Übrigen ist auch hier dem Zollamt Wien die Verwendung eines "doppelten Sorgfaltsstandards" vorzuhalten: Während offenbar

- die öffentlich-rechtlichen Behörden und deren Organwalter (Zollbeamte!), denen im Interesse der Überprüfung, der Einhaltung der Gesetze und der Wahrung der fiskalischen Interessen, auch der EU, strenge Maßstäbe der Sorgfaltspflicht anzulegen wären, zahlreiche Anmeldungen über viele Zeiträume ungeprüft übernehmen können, ohne einen ETOS-Befund zu veranlassen, und dies - folgt man der Argumentation des Zollamtes Wien - völlig sorgfaltskonform sei und keinen Sorgfaltsverstoß begründete, wird

- umgekehrt Zolldeklaranten der Vorwurf grober Fahrlässigkeit gemacht, wenn sie - nach Prüfung und eigener Überzeugung - auf Basis der vorliegenden Unterlagen, insbesondere auch unter Vorlage unbedenklicher Urkunden von Behörden und behördennahen Institutionen, wie der AMA, aber auch aufgrund der Angaben des Auftraggebers, der spezifisches Fachwissen hat, und im Vertrauen auf die langjährige Abwicklungspraxis der Zollbeamten, Zollanmeldungen mit einer bestimmten Zolltarifnummer ohne Einholung einer VZTA durchführen.

Dabei überspannt das Zollamt Wien nicht nur die Sorgfaltsanforderungen, die an Zolldeklaranten zu stellen sind; dabei übersieht das Zollamt Wien auch den Zweck der Billigkeitsregelung nach Artikel 239 ZK, der gerade Zolldeklaranten, ohne deren Mitwirkung die gesamte EU-Einfuhrzollabwicklung gar nicht möglich wäre, von den ohnedies hohen gesetzlichen, weitgehend verschuldensunabhängigen Haftungsrisiken jedenfalls in den Fällen frei stellen soll, in denen bei ihnen kein betrügerisches Verhalten oder keine (gröblichste) Fahrlässigkeit vorliegt.

Es würde den Zollbehörden nicht schaden, von solchen "doppelten Standards" bei der Sorgfaltspflicht abzugehen und bei Zolldeklaranten realistische Maßstäbe anzulegen, zumindest aber im Rahmen des Erstattungsverfahrens keine überzogenen Anforderungen an die Sorgfaltspflicht von Zolldeklaranten zu stellen.

2.8 In dem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass sich das Zollamt Wien zu Unrecht auf eine Stellungnahme der AMA beruft, wonach diese die Zolltarifnummer nicht überprüft: Denn wie aus der - auch im Erkenntnis des BFG RV/4200128/2012 zitierten - Stellungnahme der AMA hervorgeht, wird darin die Eigenverantwortung des Antragstellers hinsichtlich der Bekanntgabe des KN-Codes nur für solche Waren behauptet, für die keine Kontingentregelungen bestehen: Unstrittig ist aber, wie ebenfalls in diesem BFG-Erkenntnis festgehalten, dass es sich beim gegenständlichen Reis um Kontingentware handelt, sodass naturgemäß in dem Zusammenhang auch die AMA verpflichtet war, die KN-Nummer zu überprüfen. Und hierauf konnte auch - ohne dass dies einen Vorwurf offensichtlicher Fahrlässigkeit begründet - die Mitarbeiter der Beschwerdeführerin vertrauen.

2.9 Der Vorwurf grober Fahrlässigkeit ist daher gerade im konkreten Fall völlig unbegründet.

3. Aufgrund all dieser Umstände, aber auch aufgrund der zugrunde liegenden AMA-Einfuhrlizenzen, in denen auch die Tarifnummer angeführt war, hatten die Mitarbeiter der ***Bf*** keinerlei Zweifel daran, an der Richtigkeit der gewählten zolltariflichen Einreihung zu zweifeln: In einem solchen Fall kann weder der Irrtum den Mitarbeitern vorwerfbar noch die gebotene Sorgfalt verletzt sein (vgl. Hewlett Packard [REC3/97, REC2/97]).

Beweis: weitere Beweise vorbehalten;
beizuschaffende Abgabenakte Nr.
***100000/00000/2011/010***, ***100000/00000/2011/011*** und ***100000/00000/2011/012***.

II. Besondere Umstände

Neben den allgemeinen Voraussetzungen (nämlich Fehlen von betrügerischer Absicht oder offensichtlicher Fahrlässigkeit) liegen im vorliegenden Fall auch besondere Umstände vor, die die Erstattung / Erlass der vorgeschriebenen Abgaben rechtfertigen.

1. Solche besonderen Umstände sind zunächst unter anderem Pflichtverletzungen der zuständigen Zollbehörden bei der Anwendung und/oder Überwachung der für Anwender geltenden Vorschriften: Wie ausgeführt (vgl. oben I/1), sind - im Zusammenhang mit den anderen vorstehend angeführten - über einen langen Zeitraum (ca. 2 Jahre) solche Warenanmeldungen in einer Vielzahl von Fällen durchgeführt worden; in jedem einzelnen Fall wurde die Zollanmeldung - häufig nach Dokumentenkontrolle, zum Teil nach physischer Warenkontrolle - angenommen, ebenso wurde jeweils die Abschreibung von den Einfuhrlizenzen durchgeführt, sodass die Mitarbeiter der ***Bf*** auch deswegen auf die Richtigkeit der gewählten Zolltarifierung vertrauen konnten und durften: In der plötzlich erfolgenden nachträglichen Vorschreibung (und daher Änderung der Entscheidungspraxis der Abgabenbehörden) liegt ein besonderer Umstand, der die Erstattung / Erlass rechtfertigt (vgl. REC2/97, 3/97).

In dem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass bei keiner der durch die Beschwerdeführerin durchgeführten Verzollungen, während über 2 Jahren, das Zollamt von sich aus eine ETOS-Überprüfung veranlasst hätte: Die ersten ETOS-Überprüfungen wurden erst spät, nach vielen Monaten, nach rund 2 Jahren, durchgeführt und das Ergebnis auf die über viele Monate zuvor von der Beschwerdeführerin durchgeführten Warenanmeldungen übertragen: Gerade wenn das Zollamt einerseits im angefochtenen Bescheid der Beschwerdeführerin den Vorwurf macht, keine TARIC-Überprüfung eingeholt zu haben (vgl. hiezu aber schon oben I/2.5), ist umgekehrt die Frage zu stellen, warum das Zollamt nicht von sich aus, während über 2 Jahren, eine ETOS-Überprüfung veranlasste: Auch dieses Verhalten hat in der Beschwerdeführerin das Vertrauen erweckt, dass die gewählte Tarifnummer richtig ist: Ein solches Vertrauen auf die langjährige Verzollungspraxis bildet einen solchen wichtigen Grund, der eine Erstattung rechtfertigt.

Auch hier zeigt sich ein weiteres Mal der "doppelte Standard" des Zollamtes Wien: Der Rechtsmittelwerberin wird die Unterlassung einer VZTA als offensichtliche Fahrlässigkeit angelastet, wohingegen die Unterlassung der Einholung eines ETOS-Befundes durch das Zollamt über 2 Jahre lang als "normal" hingestellt wird.

2. Die besonderen Umstände liegen im vorliegenden Fall auch darin, dass es sich hier um Waren handelt, die nur mit einer Import-Lizenz eingeführt werden können.

In den den jeweiligen Zollanmeldungen zugrunde liegenden AMA-Import-Lizenzen wurde nun jeweils die Zolltarifnummer 10062098 angegebenen: Abgesehen davon, dass die AMA für die Erteilung und Überwachung der Einfuhr in Österreich verantwortlich ist, und diese ohne Zweifel als sachkundig hinsichtlich der unterschiedlichen Reis-Typen zu qualifizieren ist und daher die Mitarbeiter der ***Bf*** die Expertise und Wahl der Zolltarifnummer der AMA somit berechtigt vertrauen konnten, liegt in dem nunmehr im Nachhinein offenbar enttäuschten Vertrauen ein besonderer Umstand, der die Erstattung / Erlass rechtfertigt.

3. Hinzu kommt im vorliegenden Fall folgende Besonderheit:

Da es sich bei dem gegenständlichen Reis um kontingentierte Ware handelte, kann die Zollanmeldung nur unter Bezugnahme auf die entsprechende Importlizenz, die von der AMA ausgestellt und ausgeführt werden. Dabei ist in den Zollanmeldungen die entsprechende Importlizenz mit der Bewilligungsnummer von der AMA anzugeben und überprüft das System dann von sich aus selbstständig, ob die Angaben in der Zollanmeldung mit denen in der angeführten AMA-Importlizenz übereinstimmen: Wenn diesbezüglich auch nur ein geringer Unterschied, etwa hinsichtlich der in der AMA-Bestätigung einerseits und der Zollanmeldung andererseits angegebenen Zolltarifnummern eine Divergenz besteht, wird die Zollanmeldung nicht angenommen: Auch aus diesem Grunde mussten daher die Mitarbeiter der ***Bf*** davon ausgehen, dass die gewählte Tarifierung richtig ist; eine andere Warentarifnummer hätte im System nämlich gar nicht eingegeben werden können.

Wenn demgegenüber das Zollamt nunmehr behauptet, nach dieser "Logik wäre jede Falschangabe und jedes Zuwiderhandeln gegen Vorschriften damit zu entschuldigen, dass der so Handelnde ja nur den für ihn unangenehmen Folgen des rechtskonformen Handelns aus dem Weg gehen wollte", missversteht das Zollamt Wien grundlegend die diesbezügliche Argumentation: Bei den angemeldeten Waren handelt es sich um Kontingentware, die nur bei bestehender entsprechender Importlizenz (die über die AMA verwaltet wird) importiert werden können; dementsprechend ist bei der Zollanmeldung zu überprüfen, ob für die angemeldete Ware eine solche Importlizenz vorliegt, das entsprechende Kontingent nicht erschöpft ist und ist - bei noch freien Kontingentmengen - naturgemäß eine entsprechende Abschreibung von der Importlizenz vorzunehmen.

Diese Abschreibung ist aber nur möglich, wenn es sich um die von der Importlizenz festgehaltene Ware, die auch durch die Zolltarifnummer umschrieben ist (!), handelt: Dementsprechend ist eben - vom EDV-System der Republik Österreich - zwingend vorgesehen, dass die Zollanmeldung nur angenommen wird, wenn sichergestellt ist, dass gleichzeitig eine entsprechende Abschreibung (unter der in der AMA-Lizenz vorgesehenen Zolltarifnummer) vorgenommen wird. Diese Verknüpfung zwischen einerseits AMA-Lizenz und andererseits EDV-System ist aber gerade der Grund dafür, warum die Zolldeklaranten keine Zweifel haben mussten, dass die in der AMA-Lizenz angeführte Zolltarifnummer richtig ist; denn wenn die Zolltarifnummer unrichtig wäre, würde die Importlizenz ins Leere laufen, weil dann für die von der AMA-Importlizenz erfassten Waren gar keine Abschreibungen (aufgrund von Zollanmeldungen) hätten vorgenommen werden können: Ein solches abstruses Verhalten - nämlich die Ausstellung einer Importlizenz, von der dann keine Abschreibungen vorgenommen werden können - muss ein Zolldeklarant nun tatsächlich nicht annehmen. Gerade diese zwingende Verknüpfung zwischen Abschreibung und der Angabe der identen Zolltarifnummern musste daher geradezu ein überzeugender Beleg für den Zolldeklaranten sein, dass die gewählte Zolltarifnummer richtig ist.

Auch dieses Systemerfordernis stellt einen, die beantragte Erstattung / Erlass rechtfertigenden besonderen Umstand dar.

Beweis: wie vorher (zu I.)."

Die von der Bf beantragte mündliche Verhandlung ist am am Sitz des Bundesfinangerichts durchgeführt worden.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Artikel 239 ZK idmF bestimmt:

"(1) Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben können in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 genannten Fällen erstattet oder erlassen werden; diese Fälle
- werden nach dem Ausschussverfahren festgelegt;
- ergeben sich aus Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschussverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind. Die Erstattung oder der Erlaß kann von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht werden.

(2) Die Erstattung oder der Erlaß der Abgaben aus den in Absatz 1 genannten Gründen erfolgt auf Antrag; dieser ist innerhalb von zwölf Monaten nach der Mitteilung der Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen.

Jedoch können
- in begründeten Ausnahmefällen die Zollbehörden diese Frist verlängern,
- in bestimmten Fällen kürzere Fristen im Ausschussverfahren festgelegt werden."

Gemäß Artikel 878 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Zollkodex-Durchführungsverordnung - ZK-DVO) ist der Antrag auf Erstattung oder Erlass der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben - nachstehend "Antrag auf Erstattung oder Erlass" genannt - von der Person, die die Abgaben entrichtet hat, vom Zollschuldner oder von den Personen, die seine Rechte und Pflichten übernommen haben, zu stellen.
Der Antrag auf Erstattung oder Erlass kann auch vom Stellvertreter der im vorstehenden Unterabsatz erwähnten Personen gestellt werden.

Artikel 899 ZK-DVO idmF lautet auszugsweise:

"(1) Stellt die Entscheidungsbehörde, bei der eine Erstattung oder ein Erlass nach Artikel 239 Absatz 2 Zollkodex beantragt worden ist, fest
- dass die für diesen Antrag vorgebrachten Gründe einen der in den Artikeln 900 bis 903 beschriebenen Tatbestände erfüllen und keine betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, so erstattet oder erlässt sie die betreffenden Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben;
- dass die für diesen Antrag vorgebrachten Gründe einen der in Artikel 904 beschriebenen Tatbestände erfüllen, so lehnt sie die Erstattung oder den Erlass der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben ab.

(2) In allen anderen Fällen, ausgenommen bei einer Befassung der Kommission gemäß Artikel 905, entscheidet die Entscheidungsbehörde von sich aus, die Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben zu erstatten oder zu erlassen, wenn es sich um besondere Fälle handelt, die sich aus Umständen ergeben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind.

(3) Als "Beteiligte(r)" im Sinn des Artikels 239 Absatz 1 Zollkodex und im Sinn dieses Artikels gelten die Person oder die Personen nach Artikel 878 Absatz 1 oder ihr Vertreter sowie gegebenenfalls jede andere Person, die zur Erfüllung der Zollförmlichkeiten für die in Frage stehenden Waren tätig geworden ist oder die Anweisungen gegeben hat, die zur Erfüllung dieser Förmlichkeiten notwendig waren."

Artikel 905 Absatz 1 ZK-DVO idmF bestimmt:

"Lässt die Begründung des Antrags auf Erstattung oder Erlass gemäß Artikel 239 Absatz 2 Zollkodex auf einen besonderen Fall schließen, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, so übermittelt der entscheidungsbefugte Mitgliedstaat den Fall der Kommission zur Entscheidung im Verfahren gemäß den Artikeln 906 bis 909,
- wenn diese Behörde der Auffassung ist, dass sich der besondere Fall aus Pflichtverletzungen der Kommission ergibt oder
- wenn der betreffende Fall im Zusammenhang steht mit Ergebnissen gemeinschaftlicher Ermittlungen im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 515/97 oder anderer gemeinschaftlicher Rechtsakte oder Abkommen, die die Gemeinschaft mit anderen Ländern oder Ländergruppen geschlossen hat und in denen die Möglichkeit der Durchführung derartiger gemeinschaftlicher Ermittlungen vorgesehen ist, oder
- wenn die Abgaben, die bei einem Beteiligten infolge desselben besonderen Umstandes, gegebenenfalls auch für mehrere Einfuhr- oder Ausfuhrvorgänge, nicht erhoben wurden, 500 000 EUR oder mehr betragen.

Der Begriff "Beteiligter" ist in gleicher Weise wie in Artikel 899 auszulegen."

Dass die Bf anlässlich der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr als Vertreter des Warenempfängers eine unrichtige Warennummer in der Zollanmeldung angegeben hat und der zur Abfertigung gestellte "***X*** Brand Thai Hom Mali Rice (White Rice 100%) new crop" (Warenbezeichnung laut Rechnung) nicht in die TARIC Position 1006 2098 90 einzureihen ist, sondern in die Position 1006 3098 10, ist vom zuständigen Verwaltungsgericht bereits rechtskräftig entschieden worden ().

Im Erstattungsantrag vom macht die Bf geltend, die ursprüngliche Abgabenvorschreibung sei aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden erfolgt, die - so wie die Mitarbeiter der Bf - von der Richtigkeit der gewählten Zolltarifnummer (1006 2098) ausgegangen seien. In einem Zeitraum von rund 18 Monaten sei eine Vielzahl von Verzollungen (über 30) mit derselben Tarifnummer erfolgt und von den Zollbehörden akzeptiert worden. Die Zollbehörden hätten in vielen Fällen Kontrollen durchgeführt und die gewählte Tarifierung als richtig qualifiziert.

Laut Aktenlage haben die Zollbehörden bei der von ihnen angenommenen Zollanmeldung ***CRN***, bei der es sich um eine der ersten Verzollungen im vorgenannten Zeitraum handelte, gemäß Artikel 68 Buchstabe a) ZK die Unterlagen geprüft. Dem Beschauvermerk ist zu entnehmen, dass sich die Dokumentenkontrolle darauf beschränkte, festzustellen, ob eine Einfuhr von Knoblauch vorliegt. Eine darüber hinaus gehende Prüfung der Unterlagen oder eine Zollbeschau wurde nicht vorgenommen.
Nur zwei der über 30 Zollanmeldungen sind von der Bf vor dem abgegeben worden. Eine Überprüfung im Sinne von Artikel 68 ZK hat bei diesen beiden Anmeldungen nicht stattgefunden; sie wurden "wie angemeldet" angenommen.
Die Angabe der unrichtigen Warennummer in der Zollanmeldung ***CRN*** lässt sich demnach nicht auf ein Handeln der zuständigen Zollbehörden zurückführen und liegen auch keine Einfuhren über einen langen Zeitraum vor.

Im gegenständlichen Fall ist nicht davon auszugehen, dass die Bf in betrügerischer Absicht eine unrichtige Warennummer in der Zollanmeldung angegeben hat. Zu prüfen ist jedoch, ob das Tatbestandsmerkmal der offensichtlichen Fahrlässigkeit vorliegt.
In der Terminologie des ZK und der ZK-DVO bedeutet "offensichtliche Fahrlässigkeit" das Gleiche wie offenkundige oder grobe Fahrlässigkeit, wobei die diesbezüglichen Vorschriften nach ständiger Rechtsprechung eng auszulegen sind, weil Erlass oder Erstattung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben, die nur unter bestimmten Voraussetzungen und in den eigens dafür vorgesehenen Fällen gewährt werden können, eine Ausnahme vom gewöhnlichen Einfuhr- oder Ausfuhrsystem darstellen ().
Für die Beurteilung, ob einem Wirtschaftsteilnehmer "offensichtliche Fahrlässigkeit" im Sinne von Artikel 239 Absatz 1 zweiter Anstrich des ZK vorzuwerfen ist, sind die Kriterien entsprechend anzuwenden, nach denen im Rahmen von Artikel 220 ZK zu prüfen ist, ob der Irrtum der Zollbehörde einem Wirtschaftsteilnehmer erkennbar war (siehe EuGHG , C-156/00, Rz. 92; , Rz. 59). Dabei ist insbesondere die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründet, sowie die Berufserfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers zu berücksichtigen (, Rz. 56; , Rz. 92; , Rz. 174).

Die Bf weist hinsichtlich der Komplexität der Vorschriften darauf hin, dass bei der Tarifierung von Reis allein in der Gruppe 1006 75 Untergruppen, bei der Zolltarifnummer 100630 allein 51 Untergruppen von Reis vorgesehen sind, wobei sich die unterschiedlichen Tarifierungen zum Teil in geringfügigen Größenunterschieden (Länge- und Breiteverhältnis) oder Reis-Fachbegriffen unterscheiden, und allein der Ausdruck der TARIC-Information betreffend Untergruppe 100630 und der entsprechenden Präferenzmaßnahmen fünf Seiten beträgt. Es sei daher wohl nicht ernsthaft bestreitbar, dass die Einreihung von Reis im Zolltarif eine hochkomplexe Angelegenheit sei, die noch dazu Reis-spezifisches Fachwissen erfordere, welches von einem Zolldeklaranten, der jeden Tag mit unterschiedlichen Waren jeder Art, die vom Zolltarif erfasst sind, befasst ist, nicht erwartet werden könne.
Dabei verkennt die Bf, dass es im vorliegenden Fall nicht darum geht, den verfahrensgegenständlichen Reis im Zolltarif in die richtige TARIC Position einzureihen, sondern vielmehr um die Frage, ob die Bf hätte erkennen müssen, dass die vom Warenempfänger genannte Unterposition 1006 20 unrichtig ist.

Bei dem eingeführten Reis handelte es sich laut Aktenlage um ***X*** Brand Thai Hom Mali Rice (White Rice 100%) new crop.
Zutreffend weist die Bf darauf hin, dass die Bezeichnung "weißer Reis" im Kapitel 10 der Kombinierten Nomenklatur nicht verwendet wird.

Die Allgemeine Vorschrift 6 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur lautet:
"Maßgebend für die Einreihung von Waren in die Unterpositionen einer Position sind der Wortlaut dieser Unterpositionen, die Anmerkungen zu den Unterpositionen und - sinngemäß - die vorstehenden Allgemeinen Vorschriften.Einander vergleichbar sind dabei nur Unterpositionen der gleichen Gliederungsstufe. Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten bei Anwendung dieser Allgemeinen Vorschrift auch die Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln."

Der Wortlaut der Unterposition HS 1006 20 lautet "geschälter Reis ("Cargo-Reis" oder "Braunreis")", was eindeutig im Widerspruch zu "weißer Reis" steht. Noch deutlicher wird dies in der englischen Sprachfassung der genannten Unterposition, die "husked (brown) rice" lautet. Schon im Österreichischen Gebrauchszolltarif lautete der Wortlaut der Unterposition "geschälter Reis (Braunreis)".

Als "geschälter Reis" im Sinne der Unterposition 1006 2098 gilt laut der zusätzlichen Anmerkung 1 e) zu Kapitel 10 Reis, bei dem nur die Strohhülse entfernt worden ist.
Solcher geschälter Reis, der im Handel auch als Naturreis angeboten wird, ist nicht weiß; er ist noch von der Silberhaut eingeschlossen und unterscheidet sich aufgrund der wesentlich dunkleren Färbung schon optisch von halb oder vollständig geschliffenem (gebleichtem) Reis.
Auch wenn man im Internet nach dem HSN (Harmonized System of Nomenclature) Code für "white rice" bzw "weißen Reis" sucht, erhält man ausnahmslos Ergebnisse der Unterpositionen 1006 30 und 1006 40.

Was die Sorgfalt des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers angeht, so muss sich dieser, wenn er selbst Zweifel an der Richtigkeit der Tarifierung der in Rede stehenden Waren hat, informieren und sich weitestgehend Aufschluss darüber verschaffen, ob seine Zweifel berechtigt sind (vgl , Deutsche Fernsprecher GmbH).
Wenn ein Wirtschaftsteilnehmer Zweifel hinsichtlich der Tarifierung einer Ware hat, kann er zB eine Zolltarifauskunft einholen, um sich Klarheit zu verschaffen. Er ist zwar nicht verpflichtet, eine Zolltarifauskunft einzuholen, um nachzuweisen, dass er bei Abgabe seiner Zollerklärung mit der erforderlichen Sorgfalt gehandelt hat, kann dann aber auch - wie im vorliegenden Fall - mangels einer entsprechenden Auskunft keinen Irrtum der zuständigen Behörden im Zusammenhang mit der Einstufung der fraglichen Ware geltend machen.

Von der Bf, die als Zollspediteur gewerbsmäßig im Wesentlichen im Einfuhr- und Ausfuhrgeschäft tätig ist, kann ein hoher Grad an Erfahrung im Zusammenhang mit Verzollungen und der Einreihung von Waren erwartet werden.
Die Bf muss sich vorwerfen lassen, sich auf die Richtigkeit der vom Auftraggeber genannten Zolltarifnummer verlassen zu haben, obwohl ihr die Komplexität der Vorschriften im Zusammenhang mit der Einreihung von Reis bewusst gewesen ist und die unrichtige Einreihung durch den Warenempfänger aus den dargestellten Gründen offensichtlich war.

Aufgrund dieser Auslegung und unter Berücksichtigung des vorliegenden Sachverhaltes kommt das Bundesfinanzgericht zu dem Schluss, dass die Voraussetzungen dafür erfüllt waren, dass die Bf erkennen konnte, dass ihr vom Auftraggeber irrtümlich oder sogar bewusst eine falsche Auskunft hinsichtlich der Tarifierung der Ware erteilt worden ist.

Offensichtliche Fahrlässigkeit der Bf bei der Durchführung der betreffenden Verzollungen ist auch darin zu sehen, dass die Zollanmeldungen entgegen der klaren Anweisung des Kunden nicht in direkter Vertretung des Empfängers abgegeben worden sind (siehe dazu Punkt 5.2.4 der eingangs erwähnten Niederschrift). Die Falschangabe hinsichtlich der Vertreter-Indikation ist ursächlich dafür, dass die Bf bei den gegenständlichen Reiseinfuhren Zollschuldner ist.

Zu den von der Bf ins Treffen geführten Entscheidungen der Kommission Hewlett Packard, REC 2/97 und REC 3/97, ist Folgendes festzustellen:

Nach Artikel 220 Absatz 2 Buchstabe b) ZK erfolgt keine nachträgliche buchmäßige Erfassung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben, wenn der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag auf Grund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden ist, sofern dieser Irrtum vom Zollschuldner nicht erkannt werden konnte und dieser gutgläubig gehandelt und alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten hat (Entscheidung REC).
Im Unterschied dazu geht es in Entscheidungen REM um die Erstattung bzw den Erlass von Abgaben aus Billigkeitsgründen.
Dass Artikel 220 Absatz 2 Buchstabe b) ZK auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar ist, wurde bereits rechtskräftig entschieden.
Überdies ging es bei Hewlett Packard darum, dass die Zollbehörden bei einer großen Zahl von Einfuhren und über einen langen Zeitraum hinweg keinerlei Einwände gegen die Tarifierung der in Rede stehenden Waren vorgebracht haben, obwohl ein Vergleich zwischen der angemeldeten Tarifposition und der ausdrücklichen Bezeichnung der Waren gemäß der Spezifizierung des Tarifschemas es gestattet hätte, die Unrichtigkeit der Einstufung zu erkennen ().
Eine solche Fallkonstellation liegt hier - wie bereits ausgeführt - nicht vor.

Obwohl offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten eine Erstattung gemäß Artikel 239 Absatz 1 zweiter Anstrich ZK ausschließt, wird nachstehend auch noch auf die sonstigen Voraussetzungen eingegangen.

Besondere Umstände iSd Artikels 239 Absatz 1 zweiter Anstrich ZK iVm Artikel 905 Absatz 1 Unterabsatz 1 ZK-DVO liegen nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn sich der Wirtschaftsteilnehmer in einer Lage befindet, die gegenüber derjenigen anderer Wirtschaftsteilnehmer, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist (zB , Rz 65; , Rz. 65) oder wenn es angesichts des Verhältnisses zwischen dem Wirtschaftsteilnehmer und der Verwaltung unbillig wäre, den Wirtschaftsteilnehmer einen Schaden tragen zu lassen, den er bei rechtem Gang der Dinge nicht erlitten hätte (, Rz. 63).

Die Bf stützt sich hinsichtlich des Vorliegens besonderer Umstände im Wesentlichen darauf, dass eine von der als sachkundig anzusehenden Agrarmarkt Austria (AMA) erteilte Importlizenz für Reis der KN Position 1006 3098 vorlag und sie an diese Einreihung gebunden gewesen sei. Die Bewilligungsnummer der Lizenz sei im System zu erfassen und bei Angabe einer von der Importlizenz abweichenden Zolltarifnummer werde die Zollanmeldung nicht angenommen.

Einfuhrlizenz berechtigt und verpflichtet gemäß Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 376/2008 der Kommission vom mit gemeinsamen Durchführungsvorschriften für Einfuhr- und Ausfuhrlizenzen sowie Vorausfestsetzungsbescheinigungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse dazu, mit dieser Lizenz, ausgenommen im Falle höherer Gewalt, innerhalb ihrer Gültigkeit die angegebene Menge des bezeichneten Erzeugnisses und/oder der bezeichneten Ware einzuführen.
Das Verfahren über die Beantragung und Erteilung von Lizenzen ist in den Artikeln 12 bis 22 der genannten Verordnung geregelt.

Im verfahrensgegenständlichen Fall ist der ***GmbH*** auf Antrag die Einfuhrlizenz ***AT*** erteilt worden. Der Antrag und die Lizenz enthalten in Feld 15 die Bezeichnung des einzuführenden Erzeugnisses nach der Kombinierten Nomenklatur (KN) und in Feld 16 den/die KN-Code(s).
Die vorgelegte Einfuhrlizenz berechtigte zur Einfuhr von Reis des KN-Codes 1006 2098, nicht jedoch zur Einfuhr von Reis des KN-Codes 1006 3098.
Aus den bereits genannten Gründen hätte diese Lizenz bei der Einfuhr von halbgeschliffenem oder vollständig geschliffenem Reis der Unterposition 1006 30 gar nicht vorgelegt werden dürfen.
Die Einwendungen, man könne von dem in der Einfuhrlizenz genannte KN-Code nicht abweichen und sei daran gebunden, gehen daher ins Leere.

Was die Erkennbarkeit der Unrichtigkeit des KN-Codes 1006 2098 für "weißen Reis" seitens der AMA betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass weder die Verordnung (EG) Nr. 376/2008 noch die einschlägigen Verordnungen zur Verwaltung von Einfuhrzollkontingenten die Vorlage einer Rechnung des Versenders bei Beantragung der Einfuhrlizenz vorsehen.
Da die antragsgemäß erteilte Lizenz für die betreffende Einfuhr ungültig gewesen ist und die beantragte Erstattung auch aus anderen Gründen nicht gewährt werden kann, erübrigt es sich, einen Vertreter der AMA zu hören (Antrag der Bf in der mündlichen Verhandlung).

Besondere Umstände liegen nach ho Ansicht nicht vor, wenn ein Warenempfänger gegenüber einem Zollspediteur unrichtige Angaben zur Einreihung einer Ware macht, die von diesem dann ungeprüft in die Zollanmeldung übernommen werden. Dies insbesondere dann, wenn eine Zollermäßigung in Anspruch genommen wird und die Angabe einer unrichtigen Warennummer dazu führt, dass der Abgabenbetrag mit einem geringeren als dem gesetzlich geschuldeten Betrag buchmäßig erfasst wird.
Es handelt sich dabei um gewöhnliche Vorkommnisse, die auch andere, vergleichbare Wirtschaftsteilnehmer treffen können, und dementsprechend keine besonderen Umstände darstellen.

Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass der Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Erstattung gemäß Artikel 239 ZK durch das Zollamt aus den genannten Gründen kein Erfolg beschieden war.

Zur Zulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Diese Voraussetzungen sind im gegenständlichen Fall - insbesondere im Hinblick auf die zitierte Rechtsprechung - nicht erfüllt.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Zoll
betroffene Normen
§ 108 Abs. 1 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994
Art. 239 ZK, VO 2913/92, ABl. Nr. L 302 vom S. 1
Art. 899 ZK-DVO, VO 2454/93, ABl. Nr. L 253 vom S. 1
Art. 905 ZK-DVO, VO 2454/93, ABl. Nr. L 253 vom S. 1
Art. 7 Abs. 1 VO 376/2008, ABl. Nr. L 114 vom S. 3
Verweise


BFG, RV/4200128/2012






ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7200055.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at