Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 17.03.2023, RV/7102383/2018

Anwendungsfall der absoluten Verjährungsfrist von fünfzehn Jahren gem § 209 Abs 4 BAO; Auswirkungen der Erlassung eines vorläufigen Feststellungsbescheides ohne Vorliegen einer objektiven Ungewissheit auf den Beginn der Verjährungsfrist der abgeleiteten Abgabe

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Lisa Pucher in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, vertreten durch AGENIUS Steuerberatung KG, Osterleitengasse 2/3, 1190 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Einkommensteuerbescheid 2007 und gegen den Bescheid über die Festsetzung der Anspruchszinsen 2007 des Finanzamtes Hollabrunn Korneuburg Tulln (nun Finanzamt Österreich), beide vom , zu Steuernummer ***Bf-StrNr***, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde gegen den gemäß § 295 Abs 1 BAO geänderten Einkommensteuerbescheid 2007 wird Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

II. Die Beschwerde gegen den Bescheid über die Festsetzung von Anspruchszinsen 2007 wird als unbegründet abgewiesen.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Bei der ***KG*** (ursprünglich ***KEG***, nun ***KG1***), ***KGStNr*** (nachfolgend "KG") fand im Jahr 2017 eine abgabenbehördliche Prüfung für die Jahre 2005-2010 mit dem Gegenstand Feststellungsverfahren und Umsatzsteuer statt. Nach deren Abschluss (mit Schlussbesprechung vom ) wurde das Verfahren betreffend die Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO mit dem Bescheid vom für das Jahr 2007 wiederaufgenommen und gleichzeitig ein neuer Feststellungsbescheid erlassen. Der ursprüngliche Feststellungsbescheid der KG für das Jahr 2007 ist am vorläufig gemäß § 200 Abs 1 BAO erlassen worden.

Der Beschwerdeführer (nachfolgend "Bf") war im Streitjahr (2007) an der KG als Kommanditist beteiligt und erklärte daraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Mit Bescheid vom ist seine Erstveranlagung erfolgt.

Aufgrund des oben angeführten neu ergangenen Feststellungsbescheides vom fertigte das zuständige Finanzamt am (basierend auf § 295 Abs 1 BAO) einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007 an den Bf aus. Ein Anspruchszinsenbescheid wurde ebenfalls erlassen.

Mit Eingabe vom wurde gegen Einkommensteuerbescheid 2007 vom sowie gegen den Bescheid über die Festsetzung von Anspruchszinsen 2007 vom Beschwerde erhoben. Hierbei wurde im Wesentlichen begründend ausgeführt, dass sich die Beschwerde gegen eine Abgabenfestsetzung für das Jahr 2007 nach Eintritt der Verjährung richte. Die angefochtenen Bescheide seien ersatzlos aufzuheben.

Die Beschwerde wurde mit der Beschwerdevorentscheidung vom abgewiesen. Das zuständige Finanzamt begründete die Entscheidung nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens zusammengefasst wie folgt: Das Recht, eine gemäß § 200 Abs 1 BAO vorläufige Abgabenfestsetzung wegen der Beseitigung einer Ungewissheit im Sinne des § 200 Abs 1 BAO durch eine endgültige Festsetzung zu ersetzen, verjähre gemäß § 209 Abs 4 BAO (abweichend von § 209 Abs 3 BAO) spätestens fünfzehn Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruches. Am wurde der am vorläufig im Sinne des § 200 BAO ergangene Bescheid betreffend die Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO für das Jahr 2007 durch einen endgültigen Bescheid ersetzt. Infolgedessen wurde am der beschwerdegegenständliche (gemäß § 295 Abs 1 BAO geänderte) Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007 erlassen. Dies erfolgte aufgrund des Wegfalls der Ungewissheit. Soweit im Rahmen eines Feststellungsverfahrens gemäß § 188 BAO - wie im Streitfall - die Höhe des einheitlichen Gewinnes bzw Überschusses aufgrund vorübergehender Hindernisse nicht ermittelt werden kann, stehe der Anteil am Gewinn bzw Überschuss der einzelnen Beteiligten nicht fest. Diese Ungewissheit komme durch die Erlassung eines vorläufigen Feststellungsbescheides zum Ausdruck und erfasse insoweit auch den abgeleiteten Einkommensteuerbescheid (siehe : "[…] Folglich liegt hinsichtlich dieser Ungewissheit auch dann ein Anwendungsfall des § 208 Abs. 1 lit. d BAO vor, wenn ein Feststellungsbescheid gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufig ergangen ist und der davon abgeleitete Bescheid - im Hinblick auf § 295 BAO - endgültig erlassen wurde […]."). Diesbezüglich sei die absolute (fünfzehnjährige) Verjährungsfrist - auch beim abgeleiteten Bescheid - noch nicht abgelaufen.

In dem mit datierten Vorlageantrag führte die steuerliche Vertretung unter grundsätzlicher Bezugnahme auf das bisherige Beschwerdevorbringen ergänzend aus, dass für die Steuernummer der KG betreffend den Feststellungsbescheid 2007 vom am ein Antrag auf Bescheidaufhebung gem § 299 BAO gestellt worden ist. Sofern im Zuge der Entscheidung ein Nichtbescheid festgestellt wird, sei für den abgeleiteten Einkommensteuerbescheid des Bf bereits Verjährung eingetreten. Aus diesem Grund werde auch darum ersucht, über die gegenständliche Beschwerde erst nach rechtskräftiger Entscheidung betreffend den Feststellungsbescheid 2007 vom zu entscheiden.

Am erfolgte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht. Neben der Erläuterung des Verfahrensgangs verwies die belangte Behörde im Rahmen des Vorlageberichtes im Wesentlichen auf die Ausführungen der Beschwerdevorentscheidung zur Verjährung. Der Bf habe im Vorlageantrag keine neuen Beweise oder Argumente vorgebracht, die seine Rechtsansicht stützen könnten. Es werde daher beantragt, die Beschwerde vom gegen den Einkommensteuerbescheid 2007 vom als unbegründet abzuweisen.

Mit Schreiben vom wurde vom steuerlichen Vertreter des Bf ergänzend vorgebracht: Die Sachverhaltsannahme des Finanzamts über den angeblichen "Wegfall einer Ungewissheit" sei aktenwidrig. Es sei keine Ungewissheit vorgelegen, weshalb auch eine Wiederaufnahme des (vorläufigen) Feststellungsverfahrens auf Gesellschaftsebene erfolgen musste. Wenn es zu einer Endgültigerklärung eines vorläufigen Feststellungsbescheides aufgrund eines Wegfalls einer Ungewissheit im Sinne des § 200 BAO kommt, erfolge dieser Schritt nicht durch eine Wiederaufnahme des Feststellungsverfahrens, hingegen sei die vorläufige Abgabenfestsetzung unmittelbar durch eine endgültige Festsetzung zu ersetzen (vgl § 200 Abs 2 BAO). Es wird auf den an die KG ergangenen Bericht gemäß § 150 BAO über das Ergebnis der Außenprüfung für die Jahre 2005-2010 (mit Eingangsstempel vom ) verwiesen, dem keine Darlegung zum angeblichen Wegfall einer Ungewissheit zu entnehmen sei. Daher könne auch § 209 Abs 4 BAO nicht anwendbar sein. Durch die Wiederaufnahme des Feststellungsverfahrens sei überdies der vorläufige Feststellungsbescheid gemäß § 307 Abs 1 BAO in seinem gesamten Umfang aufgehoben worden, wodurch auch die seinerzeit ausgesprochene Vorläufigkeit beseitigt wurde. Die Festsetzungsverjährung für das Jahr 2007 sei im Jahr 2018 nach der in der BAO vorgesehenen Grundregel (fünfjährige Verjährungsfrist) zweifelsfrei bereits eingetreten. Im Feststellungsbescheid vom sei kein Grund angegeben, warum dieser nur vorläufig erging. Eine am gesondert ergangene Bescheidbegründung für die Gewinnfeststellungen der Jahre 2002 bis 2005 mache offenkundig, dass der Grund für die verfügte Vorläufigkeit des Feststellungsverfahrens 2007 ausschließlich darin zu sehen ist, dass für die Jahre bis 2001 ein Rechtsmittelverfahren anhängig war. Darin werde ausgeführt, dass die vorläufigen Feststellungen nur "aufgrund von Billigkeit und Zweckmäßigkeit" verfügt wurden, da "eine Ungewissheit […] im Umfang der Abgabenpflicht insofern gegeben" sei, "als die Bescheide der Vorjahre mit Berufung beim UFS bekämpft werden. Dieser Ergebnisse beeinflussen aus Gründen des Bilanzzusammenhangs aber auch die Werte in den Folgebilanzen, weshalb diesbezüglich ein ungewisses Element zu erblicken ist". Die Berufungen wären mit -K/12 als unzulässig zurückgewiesen worden. Infolgedessen sei es nicht zur Erlassung von neuen Feststellungsbescheiden für die Streitjahre gekommen. Offene Fragen im Tatsachenbereich des Jahres 2007 hätten nicht bestanden, weshalb auch für das Jahr 2007 im konkreten Fall der KG kein Ermittlungsverfahren stattgefunden habe. Die verlängerte absolute Verjährungsfrist gemäß § 209 Abs 4 BAO sei nach der BFG-Rechtsprechung (siehe und ) nur für den Ersatz eines vorläufigen Bescheides durch einen endgültigen Bescheid anwendbar, nicht jedoch auf amtswegige Wiederaufnahmen des Verfahrens.

Mit Beschluss vom wurde die belangte Behörde vom Bundesfinanzgericht dazu aufgefordert, darzulegen, aus welchen Gründen der Feststellungsbescheid der KG für das Jahr 2007 vom vorläufig im Sinne des § 200 Abs 1 BAO erlassen wurde bzw weshalb eine Ungewissheit über das Bestehen bzw den Umfang einer Abgabepflicht angenommen wurde. Das Finanzamt wurde auch aufgefordert, bekannt zu geben, ob bzw welche Verlängerungshandlungen unmittelbar im Einkommensteuerverfahren des Bf bzw mittelbar im Feststellungsverfahren betreffend die KG stattgefunden haben, die eine Änderung des Einkommensteuerbescheides gemäß § 295 Abs 1 BAO im Jahr 2018 rechtfertigen.

Am 22., 23. und übermittelte die belangte Behörde dem Bundesfinanzgericht die Information, dass der Grund für die vorläufige Veranlagung (soweit feststellbar) ein anhängiges Rechtsmittelverfahren betreffend die Feststellung von Einkünften für die Jahre 1997 bis 2005 gewesen sei. Das Rechtsmittelverfahren sei vom UFS am , RV/0291-K/12 erledigt worden. Eine andere Ungewissheit im Tatsachenbereich habe nach Wissen der belangten Behörde nicht vorgelegen. Weiters wurde bekannt gegeben, dass (ab ) im Feststellungsverfahren betreffend das Jahr 2007 (aber auch im Einkommensteuerverfahren des Bf für 2007) keine nach außen erkennbare Amtshandlungen im Sinne des § 209 Abs 1 BAO unternommen worden sind. Die Außenprüfung der Jahre 2005-2010 der KG sei erst am begonnen und am beendet worden.

Das Bundesfinanzgericht hat dem steuerlichen Vertreter des Bf die von der belangten Behörde erteilte Information (vom 22., 23. und ) am zur Kenntnis gebracht. Seitens des Bf wurden dazu (durch dessen steuerlichen Vertreter) keine weiteren Anmerkungen gemacht.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

An den Bf sind für das Jahr 2007 folgende Einkommensteuerbescheide ergangen:


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Bescheid
Datum
Anmerkung
1) Erstbescheid (rechtskräftig)
zugrundeliegend: bescheidmäßige Feststellung des Finanzamts Klagenfurt (nunmehr Finanzamt Österreich) vom zu ***KGStNr***, wonach die vom Bf als Kommanditist bezogenen Einkünfte aus der KG € 11.991,03 betragen; dieser Bescheid ist als vorläufiger Bescheid im Sinne des § 200 Abs 1 BAO bezeichnet.
2) Änderung gem 295 Abs 1 BAO(= angefochtener Bescheid)
zugrundeliegend: bescheidmäßige Feststellung des Finanzamts Klagenfurt (nunmehr Finanzamt Österreich) vom zu ***KGStNr***, , wonach die vom Bf als Kommanditist bezogenen Einkünfte aus der KG € 75.991,02 betragen; dieser Bescheid erging aufgrund der Feststellungen aus einer im Jahr 2017 begonnenen und im selben Jahr beendeten Außenprüfung.

In Bezug auf das Jahr 2007 erging am auch der - ebenfalls streitgegenständliche - Anspruchszinsenbescheid.

Der oben angeführte Feststellungsbescheid vom ist in Rechtskraft erwachsen. Gleiches gilt für den die Wiederaufnahme des Verfahrens zur Feststellung der Einkünfte 2007 verfügende Bescheid (ebenfalls vom ). In Bezug auf diese Bescheide wurde am ein Antrag auf Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO beim zuständigen Finanzamt eingebracht. Mit Bescheid vom wurde der betreffende Antrag als unbegründet abgewiesen. Gegen diesen Bescheid wurde Beschwerde erhoben. Am erließ das zuständige Finanzamt eine abweisende Beschwerdevorentscheidung. Am ist beim Bundesfinanzgericht ein Vorlageantrag in dieser Sache eingegangen. Das Rechtsmittel wurde am zurückgezogen. Daraufhin hat das Bundesfinanzgericht das Verfahren (Zl GZ RV/4100403/2019 und RV/4100406/2019) eingestellt.

Der vorläufig erlassene Feststellungsbescheid 2007 vom (rechtskräftig) enthielt keine Begründung für den Ausspruch der Vorläufigkeit. Eine Ungewissheit im Tatsachenbereich war nicht feststellbar. Auch konnten in den Jahren 2009 bis 2013 keine Verlängerungshandlungen im Sinne des § 209 BAO festgestellt werden.

2. Beweiswürdigung

Der unstrittig vorliegende Sachverhalt ergibt sich aus den jeweiligen Steuerakten, den aus dem Abgabeninformationssystem des Bundes bezogenen Dokumenten und den vorgelegten Unterlagen der Parteien.

Die belangte Behörde hat das Bundesfinanzgericht am davon informiert, dass ihr das Vorliegen einer Ungewissheit im Tatsachenbereich bei Erlassung des Feststellungsbescheids 2007 vom nicht bekannt sei. Umstände, die für das Vorliegen einer Ungewissheit im Tatsachenbereich sprechen, waren nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgebracht.

Dass in den Jahren 2009 bis 2013 keine Verlängerungshandlungen im Sinne des § 209 BAO stattgefunden haben, hat das Bundesfinanzgericht nach eigener Sichtung im Abgabeninformationssystem des Bundes und aufgrund der von der belangten Behörde am und am dazu erteilten Information, als erwiesen angenommen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Einkommensteuer - Stattgabe)

Vor dem Hintergrund des oben angeführten Verwaltungsgeschehens ist strittig, ob der am erfolgten Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2007 gemäß § 295 Abs 1 BAO die bereits eingetretene Festsetzungsverjährung entgegenstand:

(a) Zur absoluten Verjährung:

Die absolute Verjährung legt die äußerste zeitliche Grenze für die Abgabenfestsetzung fest und begrenzt damit insbesondere die (mehrfachen) Verlängerungsmöglichkeiten der Verjährungsfristen des § 207 BAO (vgl Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3 § 209 Anm 1).

Gemäß § 209 Abs 3 BAO verjährt das Recht auf Festsetzung einer Abgabe spätestens zehn Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruches (absolute Verjährung). Abweichend davon verjährt das Recht, eine gemäß § 200 Abs 1 BAO vorläufige Abgabenfestsetzung wegen der Beseitigung einer Ungewissheit im Sinne des § 200 Abs 1 BAO durch eine endgültige Festsetzung zu ersetzen, spätestens fünfzehn Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruches (siehe § 209 Abs 4 BAO).

Im vorliegenden Fall ist grundsätzlich die nach § 209 Abs 4 BAO verlängerte absolute Verjährungsfrist anwendbar:

  1. Bezüglich der KG ist im Jahr 2008 (am ) ein Feststellungsbescheid für das Jahr 2007 ergangen, der als "Gem. § 200 (1) BAOvorläufiger Bescheid" bezeichnet worden ist. Eine Begründung für den Ausspruch der Vorläufigkeit enthält der Feststellungsbescheid 2007 vom nicht. Dies ändert nichts daran, dass der Bescheid dennoch als vorläufig anzusehen ist (siehe zB ). Auch wurde dieser vorläufig erlassene Grundlagenbescheid weder angefochten noch aufgehoben, sondern ist rechtskräftig. Ein vorläufiger Bescheid im Sinne des § 200 Abs 1 BAO liegt damit unzweifelhaft vor.

  2. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob im vorliegenden Fall tatsächlich eine Ungewissheit im Sinne des § 200 Abs 1 BAO bestanden hat (siehe dazu näher unter Punkt b), kann an dieser Stelle (noch) unterbleiben: Nach der VwGH-Rechtsprechung ist auch von einer Anwendbarkeit des § 209 Abs 4 auszugehen, wenn ein vorläufiger Abgabenbescheid erlassen wurde, obwohl keine Ungewissheit im Sinne des § 200 Abs 1 BAO bestanden hat, sofern ein derartiger Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist (siehe ; Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3 § 209 Anm 41).

  3. Auch der Umstand, dass die Abgabenbehörde im vorliegenden Fall nach der erfolgten Betriebsprüfung keinen endgültigen Feststellungsbescheid erlassen hat, sondern im Feststellungsverfahren mit einer Wiederaufnahme des Verfahrens vorgegangen ist, steht der Anwendung von § 209 Abs 4 BAO nicht entgegen (siehe ). Dass die Abgabenbehörde den vorläufig erlassenen Feststellungsbescheid nicht für endgültig erklärt hat, sondern vom Verfahrensinstrument der Wiederaufnahme Gebrauch gemacht hat, nimmt dem in Rede stehenden Feststellungsbescheid nicht den Charakter eines vorläufigen Bescheides.

  4. Nach § 323 Abs 27 BAO ist (der mit dem Betrugsbekämpfungsgesetz 2010 eingeführte) § 209 Abs 4 BAO erstmals auf Abgaben anzuwenden, für die der Abgabenanspruch nach dem entstanden ist, folglich auch in Bezug auf das Jahr 2007.

Der Abgabenanspruch für die Einkommensteuer des Jahres 2007 ist mit Ende 2007 entstanden (siehe § 4 Abs 2 lit a Z 2 BAO). Damit ist die absolute Verjährung (unter Berücksichtigung der in § 209 Abs 4 BAO vorgesehenen Fünfzehnjahresfrist) im Beschwerdefall noch nicht eingetreten. Entscheidend ist daher in weiterer Folge, ob - auch unter Berücksichtigung allfälliger Verlängerungshandlungen - bei der Festsetzung der Einkommensteuer auf Grundlage von § 295 Abs 1 BAO im Jahr 2018 die Festsetzungsverjährungsfrist des § 207 Abs 1 Satz 1 BAO bereits abgelaufen war (vgl ):

(b) Zum Ablauf der in § 208 Abs 1 Satz 1 BAO vorgesehenen Festsetzungsverjährungsfrist:

Gemäß § 207 Abs 2 BAO beträgt die Verjährungsfrist betreffend die Festsetzung der Einkommensteuer fünf Jahre, wobei § 208 Abs 1 lit a BAO den Beginn der Verjährung mit Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist, festlegt.

Abweichend von diesem Grundsatz beginnt die Verjährung in den Fällen des § 200 BAO (vorläufige Abgabenfestsetzung) mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Ungewissheit beseitigt wurde (§ 208 Abs 1 lit d BAO).

§ 200 BAO erlaubt die vorläufige Abgabenfestsetzung, wenn Ungewissheiten im Tatsachenbereich bestehen. Die Ungewissheit wie eine Rechtsfrage von der Rechtsmittelbehörde oder den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts gelöst wird, rechtfertigt keine vorläufige Bescheiderlassung (vgl Ritz/Koran, BAO7 [2021] § 200 Rn 1 und die dort angeführte Judikatur des VwGH).

Wird ein Abgabenbescheid vorläufig erlassen, obwohl keine Ungewissheit vorliegt, gilt ebenso § 208 Abs 1 lit d BAO. Die Ungewissheit wird in solchen Fällen als im Zeitpunkt der vorläufigen Festsetzung als "beseitigt" angesehen (siehe und ; ebenso bereits Dziurdz, ecolex 2010, 397). Folglich beginnt die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres, in dem der vorläufige Bescheid erlassen wurde.

Nichts anderes gilt im Falle der Erlassung eines vorläufigen Feststellungsbescheides: Nach (ebenso zB ) wirkt sich die Vorläufigkeit eines Feststellungsbescheides (§ 188 BAO) auch auf hiervon abgeleitete Abgabenbescheide aus, selbst wenn diese endgültig erlassen wurden. Daher beginnt auch die Verjährungsfrist gemäß § 208 Abs 1 lit d BAO für die vom Feststellungsbescheid abgeleitete Abgabe mit dem Ablauf des Jahres, in dem der vorläufige Feststellungsbescheid trotz fehlender Ungewissheit erlassen worden ist.

Im vorliegenden Fall kann nicht vom Vorliegen einer Ungewissheit im Sinne des § 200 Abs 1 BAO bei Erlassung des vorläufigen Feststellungsbescheides ausgegangen werden. Die belangte Behörde hat das Bundesfinanzgericht davon informiert, dass der Grund für die vorläufige Veranlagung (soweit noch feststellbar) ein anhängiges Rechtsmittelverfahren betreffend Feststellung von Einkünften der KG für die Jahre 1997-2005 war und eine andere Ungewissheit im Tatsachenbereich nicht ersichtlich sei. Dieser von der Abgabenbehörde angeführte, für die vorläufige Abgabenfestsetzung maßgebende Grund ist nicht als Ungewissheiten im Tatsachenbereich anzusehen.

Daraus ergibt sich für den gegenständlichen Fall Folgendes:

Der Grundlagenbescheid (vorläufig erlassener Feststellungsbescheid 2007 betreffend die KG) wurde am erlassen. Die Verjährungsfrist für die Festsetzung der Einkommensteuer 2007 begann daher gemäß § 208 Abs 1 lit d BAO mit Ablauf des Jahres 2008 zu laufen.

Werden innerhalb der Verjährungsfrist (§ 207 BAO) nach außen erkennbare Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen (§ 77 BAO) von der Abgabenbehörde unternommen, so verlängert sich gemäß § 209 Abs 1 BAO die Verjährungsfrist um ein Jahr. Die Verjährungsfrist verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn solche Amtshandlungen in einem Jahr unternommen werden, bis zu dessen Ablauf die Verjährungsfrist verlängert ist. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wären auch auf Erlassung von Feststellungsbescheiden (§ 188 BAO) gerichtete Amtshandlungen, wie zum Beispiel Vorhalte oder Außenprüfungen, die eindeutig auf die Geltendmachung von Abgabenansprüchen gerichtet sind, für die Verjährung dieser Abgaben (Einkommensteuer der Beteiligten) bedeutsam, selbst wenn sie nicht vom für die Abgabenerhebung örtlich zuständigen Finanzamt erlassen wurden (vgl ).

Im Zeitraum zwischen Ende 2008 und Ende 2013 konnten keine Amtshandlungen festgestellt werden, die als Verlängerungshandlungen im Sinne des § 209 Abs 1 Satz 1 BAO zu qualifizieren wären.

Dies bedeutet für das Streitjahr 2007 (vorläufiger Feststellungsbescheid gemäß § 188 BAO vom ), dass die in § 207 Abs 1 Satz 1 BAO geregelte Festsetzungsverjährungsfrist am endete. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid wurde am auf Basis von § 295 Abs 1 BAO erlassen. Zu diesem Zeitpunkt war die Festsetzungsverjährung bereits eingetreten. Maßnahmen gemäß § 295 Abs 1 BAO sind, wenn sie Abgabenbescheide betreffen, gemäß § 302 Abs 1 BAO nur innerhalb der Festsetzungsverjährungsfrist (§§ 207 ff BAO) zulässig (siehe auch Ritz/Koran, BAO7 [2021] § 295 Rn 11).

Es war daher wie im Spruch zu befinden.

Ergänzender Hinweis:

In Bezug auf das Vorbringen des Bf zur Rechtswirksamkeit der gegenständlichen Feststellungsbescheide für 2007 (vom und vom ) wird der Vollständigkeit halber noch Folgendes ergänzt: Es finden sich keine Hinweise darauf, dass es an der rechtswirksamen Erlassung dieser Bescheide mangelt. An der rechtswirksamen Zustellung der betreffenden Bescheide an den berufsmäßigen Parteienvertreter der KG bestehen keine Zweifel; die Abgabenbehörde ging davon aus, dass die allgemeine Vollmacht auch die Zustellungsbevollmächtigung umfasst (siehe Ritz/Koran, BAO7 § 9 ZustG Rn 20 ff); ein ausdrücklicher Verzicht des steuerlichen Vertreters auf die Zustellbevollmächtigung ist der Abgabenbehörde offenbar nicht vorgelegen. Überdies enthalten die Bescheide einen Hinweis nach § 101 Abs 3 und 4 BAO und es liegt kein Grund zur Annahme vor, dass die Bescheide nicht an alle an der Kommanditgesellschaft beteiligten Rechtssubjekte ausgefertigt worden sind.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Anspruchszinsen - Abweisung)

Der Bf erhebt in seinem Schreiben vom auch Beschwerde gegen den Bescheid über die Festsetzung von Anspruchszinsen 2007 vom und beantragt die ersatzlose Aufhebung desselben:

Gemäß § 205 Abs 1 BAO sind Differenzbeträge an Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, die sich aus Abgabenbescheiden unter Außerachtlassung von Anzahlungen, nach Gegenüberstellung mit Vorauszahlungen oder mit der bisher festgesetzt gewesenen Abgabe ergeben, für im Gesetz bestimmt umschriebene Zeiträume zu verzinsen (Anspruchszinsen).

Gemäß § 205 Abs 2 BAO betragen die Anspruchszinsen pro Jahr 2% über dem Basiszinssatz. Anspruchszinsen, die den Betrag von € 50 nicht erreichen, sind nicht festzusetzen. Anspruchszinsen sind für einen Zeitraum von höchstens 48 Monaten festzusetzen.

In § 252 Abs 1 und 2 BAO ist vorgesehen:

"(1) Liegen einem Bescheid Entscheidungen zugrunde, die in einem Feststellungsbescheid getroffen worden sind, so kann der Bescheid nicht mit der Begründung angefochten werden, dass die im Feststellungsbescheid getroffenen Entscheidungen unzutreffend sind.

(2) Liegen einem Bescheid Entscheidungen zugrunde, die in einem Abgaben-, Mess-, Zerlegungs- oder Zuteilungsbescheid getroffen worden sind, so gilt Abs. 1 sinngemäß."

§ 252 Abs 2 BAO erfasst Fälle, in denen ein Abgabenbescheid die gesetzlich ausdrücklich vorgesehene Grundlage für einen davon abzuleitenden anderen Abgabenbescheid abgibt. Dazu gehören auch die Anspruchszinsen (vgl Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3 § 252 Rn Anm E12 mwN). Anspruchszinsenbescheide sind demnach an die Höhe der im Spruch des Stammabgabebescheides ausgewiesenen Nachforderung gebunden (siehe auch ). Sie sind grundsätzlich selbständig anfechtbar. Wegen der genannten Bindung ist der Anspruchszinsenbescheid allerdings nicht (mit Aussicht auf Erfolg) mit der Begründung anfechtbar, der maßgebende Einkommensteuer-(Körperschaftsteuer-)bescheid sei inhaltlich rechtswidrig (; Ritz/Koran, BAO7 [2021] § 205 Rn 34 mwN). Erweist sich der Stammabgabenbescheid als rechtswidrig und wird er aufgehoben, so wird diesem Umstand mit einem an den Aufhebungsbescheid gebundenen (neuen) Zinsenbescheid Rechnung getragen (zB Gutschriftszinsen als Folge des Wegfalles einer rechtswidrigen Nachforderung). Es ergeht ein weiterer Zinsenbescheid; es erfolgt keine Abänderung oder Aufhebung des ursprünglichen Zinsenbescheides (vgl ; Ritz/Koran, BAO7 [2021] § 205 Rn 35 mwN).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.3. Zu Spruchpunkt III. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Beschwerdefall wird keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt: Die gegenständliche Rechtsfrage, ob der Erlassung des bekämpften Einkommensteuerbescheides die bereits eingetretene Festsetzungsverjährung entgegensteht, wurde im Sinne der höchstgerichtlichen Judikatur entschieden. Auch in Bezug auf die Anspruchszinsen weicht die Entscheidung nicht von der höchstgerichtlichen Judikatur ab. Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 209 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 208 Abs. 1 lit. d BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 252 Abs. 1 und 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 252 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise

ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7102383.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at