Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 18.04.2023, RV/7103153/2018

Geänderte Rechtsansicht: Neuerungs- oder Vorfragentatbestand bzgl. Wiederaufnahme der Gesellschaftsteuerverfahren nicht erfüllt

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, vertreten durch HPS Hergovits, Pinkel & Schnabl Steuerberatungs GmbH, Triesterstraße 14, 2351 Wiener Neudorf, über die Beschwerde vom gegen den (Sammel-)Bescheid des Finanzamtes für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel vom betreffend Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren gem. § 303 BAO bzgl. 75 Gesellschaftsteuerbescheide der Jahre 2011 bis 2016, mit folgenden Erfassungsnummern,

[...]

alle unter StNr. ***yyy***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133
Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Schriftsatz vom beantragte die Beschwerdeführerin (im Folgenden kurz Bf. genannt) 1.) die Wiederaufnahme von 75 Verfahren, in denen in den Jahren 2011 bis 2016 genauso viele Gesellschaftsteuerbescheide erlassen worden waren, und 2.) die ersatzlose Aufhebung dieser Bescheide samt Gutschrift der bereits bezahlten Gesellschaftsteuer.

Begründet wurde das Begehren damit, dass für die Jahre 2009 bis 2011 durch das Finanzamt ***1*** bei der Bf. eine Betriebsprüfung durchgeführt worden sei, die am abgeschlossen worden sei. Dabei sei festgestellt worden, dass die Zuschüsse des Landes ***X*** für die Abwicklung der Projekte "Regionalisierung" und "Internationalisierung" als umsatzsteuerliche Leistungsentgelte zu beurteilen seien. Wie aus der Niederschrift vom ersichtlich sei, sei die Großbetriebsprüfung davon ausgegangen, dass die Bf. die Zuschüsse als Gegenleistung für Leistungen erhalten habe, an denen das Land ***X*** ein eigenes wirtschaftliches Interesse gehabt habe.

Bei Abgabe der Steuererklärungen nach dem KVG, die den angeführten 75 Gesellschaftssteuerbescheiden der Jahre 2011 bis 2016 zugrunde lagen, sei hingegen davon ausgegangen worden, dass kein umsatzsteuerpflichtiger Leistungsaustausch, sondern eine nicht umsatzsteuerbare Subvention des Alleingesellschafters Land ***X*** vorliege, weshalb Gesellschaftsteuerpflicht gegeben sei.

Die neue Beurteilung dieser Zuschüsse des Landes ***X*** durch die am abgeschlossene Betriebsprüfung für die Jahre 2009 bis 2011 stelle eine neu hervorgekommene Tatsache dar, die in den abgeschlossenen Verfahren nicht geltend gemacht werden konnte und die bei Kenntnis anderslautende Bescheide herbeigeführt hätte. Es liege der Neuerungstatbestand vor. Der Sachverhalt sei aber auch als Vorfragentatbestand zu beurteilen, weil die neue umsatzsteuerliche Beurteilung der Zuschüsse durch das Finanzamt ***1*** als nachträglich anderslautende Entscheidung einer Vorfrage durch eine Verwaltungsbehörde zu qualifizieren sei.

Mit (Sammel-)Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag zur Gänze ab. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen keine Tatsachen sind und dass die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung des Sachverhaltes durch das Finanzamt ***1*** für die belangte Behörde in Bezug auf die Gesellschaftsteuer nicht bindend und damit auch der Vorfragentatbestand nicht erfüllt sei.

Innerhalb einer verlängerten Frist wurde Beschwerde gegen diesen Bescheid eingebracht und in eventu ein Antrag nach § 295a BAO gestellt. Unter Verweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichthofes vom , B 783/89, wurde ausgeführt, dass der VfGH in dieser Entscheidung ausgeführt habe, dass es gegen den Grundsatz von Treu und Glauben sowie gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße, wenn eine spätere Änderung der rechtlichen Qualifikation eines steuerlich relevanten Vorganges zu einer vom Ergebnis her doppelten Besteuerung führe.

Des Weiteren wurde unter Hinweis auf , auch die Ansicht vertreten, dass das belangte Finanzamt verpflichtet sei, die im Antrag angeführten Gesellschaftsteuerbescheide von Amts wegen nach § 295 Abs. 3 BAO abzuändern.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. In der Begründung wurde - kurz zusammengefasst - ausgeführt, dass die vom VfGH geklärte Rechtsfrage zu einem nicht vergleichbaren Sachverhalt ergangen und für die gegenständliche Beschwerde nicht präjudiziell sei. Die rechtliche Beurteilung des Finanzamtes ***1*** stelle jedenfalls keine Entscheidung über eine Vorfrage zum Gesellschaftsteuerverfahren dar und eine geänderte rechtliche Beurteilung sei weder vom Vorfragen- noch vom Neuerungstatbestand umfasst. Eine Anwendung des § 295 Abs. 3 BAO käme ebenfalls nicht in Betracht, weil das Finanzamt ***1*** keinen einem Grundlagenbescheid ähnlichen Bescheid erlassen habe.

Mit Schriftsatz vom wurde ohne weiteres Vorbringen der Vorlageantrag gestellt, wobei neuerlich auf den nach § 295a BAO gestellten Eventualantrag hingewiesen wurde.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Bf. (FN ***2***) ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit dem Geschäftszweig Unternehmensberatung (ÖNACE M 70.22-0), deren Alleingesellschafter das Land ***X*** ist.

Mit einer Vielzahl von Abgabenerklärungen gemäß § 10 Abs. 1 KVG wurden von der Bf. seit 2010 bis 2016 Geldleistungen des Alleingesellschafters konkret als freiwillige Leistung gemäß § 2 Z 4 KVG zur Anzeige gebracht. Lediglich in drei Fällen wurden die Rechtsvorgänge als solche nach § 2 Z 2 bis 4 bezeichnet.

Diese 75 Abgabenerklärungen wurden zu den im Spruch genannten Aktenzahlen erfasst. In den Abgabenerklärungen wurde stets das Feld "Freiwillige Leistungen eines Gesellschafters an eine inländische Kapitalgesellschaft, wenn die Leistung geeignet ist, den Wert der Gesellschaftsrechte zu erhöhen (§ 2 Z 4 KVG)" angekreuzt. Als Beschreibung der jeweiligen Rechtsvorgänge waren in 25 Fällen "Personal- und Sachaufwand", in 20 Fällen "Leader 2007", 14 Mal das Projekt "Internationalisierung" und 10 Mal das Projekt "Regionalberatung" angegeben. Für die restlichen Fälle erfolgten jeweils verschiedene, andere Angaben.

Im Zeitraum vom bis zum wurden auf Grundlage dieser Abgabenerklärungen 75 Abgabenbescheide erlassen, wobei die Gesellschaftsteuer nach § 2 Z 2 bis 4 KVG erklärungsgemäß mit 1 % vom Wert der jeweiligen (Geld-)Leistung festgesetzt wurde.

Das Finanzamt ***1*** führte für die Jahre 2009 bis 2011 eine Betriebsprüfung durch, die am abgeschlossen wurde. Dabei wurden die Zuschüsse des Landes ***X*** für die Abwicklung der Projekte "Regionalisierung" sowie "Internationalisierung" in diesen Jahren von der Großbetriebsprüfung als umsatzsteuerpflichtige Leistungsentgelte beurteilt, weil die Bf. die Zuschüsse als Gegenleistung für eine Leistung erhalten habe, an der das Land ***X*** ein eigenes wirtschaftliches Interesse gehabt habe.

Die Bf. stellte daraufhin einen Antrag auf Wiederaufnahme der oben genannten Verfahren nach dem Neuerungs- bzw. Vorfragentatbestand und begehrte die ersatzlose Aufhebung der Gesellschaftsteuerbescheide.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen ergeben sich aus den unbedenklichen Angaben der Bf. in ihrem Antrag und aus dem elektronisch vorgelegten Akt mit den angeschlossenen, oben genannten Akten der abgeschlossenen Abgabenverfahren bzgl. der Gesellschaftsteuer und werden als erwiesen der Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

§ 303 BAO lautet:

" (1) Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn
a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist, oder
b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder
c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
(2) Der Wiederaufnahmsantrag hat zu enthalten:
a) die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt wird;
b) die Bezeichnung der Umstände (Abs. 1), auf die der Antrag gestützt wird.
(3) Der Bundesminister für Finanzen wird ermächtigt, durch Verordnung die für die Ermessensübung bedeutsamem Umstände zu bestimmen."

Der Wiederaufnahmswerber ist behauptungs- und beweispflichtig (vgl zB ; ; ) für das Vorliegen des Wiederaufnahmsgrundes (aus: Ritz/Koran, BAO7, § 303, Rz 55).

Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme auf Antrag die betreffende Partei ().

§ 116 BAO lautet:

"(1) Sofern die Abgabenvorschriften nicht anderes bestimmen, sind die Abgabenbehörden berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen (§§ 21 und 22) und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen.

(2) Entscheidungen der Gerichte, durch die privatrechtliche Vorfragen als Hauptfragen entschieden wurden, sind von der Abgabenbehörde im Sinn des Abs. 1 zu beurteilen. Eine Bindung besteht nur insoweit, als in dem gerichtlichen Verfahren, in dem die Entscheidung ergangen ist, bei der Ermittlung des Sachverhaltes von Amts wegen vorzugehen war."

Mit Ablauf des trat die Gesellschaftsteuer außer Kraft (AbgÄG 2014, BGBl. I Nr. 13/2014; § 38 Abs. 3e KVG).

3.1.1Wiederaufnahmsgrund "Neuerungen" gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO

Ein Wiederaufnahmsantrag nach Abs. 1 lit. b kann nur auf solche Tatsachen oder Beweismittel gestützt werden, die beim Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber erst nachträglich möglich wurde. Zweck der Wiederaufnahme nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO ist die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen (vgl. ).

Das Neuhervorkommen von Tatsachen ist bei der beantragten Wiederaufnahme aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen (vgl. ; ). Umstände, die der Partei bekannt waren, bilden grundsätzlich keinen tauglichen Wiederaufnahmsgrund für die Wiederaufnahme auf Antrag der Partei.

Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung allein oder iVm dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften (vgl. ).

Die Bf. hat im gegenständlichen Antrag geltend gemacht, dass durch die erfolgte Betriebsprüfung bezüglich der Umsatzsteuer der Jahre 2009 bis 2011 es zu einer neuen rechtlichen Beurteilung der Geldzuwendungen der Gesellschafterin gekommen sei. Darüber hinaus hat sie keine Tatsachen, die für sie neu hervorgekommen wären, behauptet noch bewiesen.

Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen sind keine Tatsachen, und zwar gleichgültig, ob die neuen Erkenntnisse durch die Änderung der Rechtsprechung, die Änderung der Verwaltungspraxis oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden (vgl ; siehe auch Ritz/Koran, BAO7 § 303 Rz 23).

Dies gilt auch, wenn aufgrund eines Urteiles eines Gerichtes oder aufgrund eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde eine andere als die bisher vorgenommene Tatsachenwürdigung eines gegebenen Sachverhaltes oder dessen rechtliche Beurteilung nachträglich unter Umständen zutreffender erscheint als die Würdigung, die im abgeschlossenen Verfahren vorgenommen wurde (). Ebenso lassen sich nicht die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Tatsachenwürdigung oder Tatsachenwertung eines der Behörde bekannten (bekanntgegebenen, festgestellten, offen gelegten) Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung - gleichgültig durch welche Umstände veranlasst - bei unveränderter Tatsachenlage nicht im Wege einer Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen ().

Nur "Tatsachen" und "Beweismittel" können zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens unter dem Tatbestand des § 303 Abs 1 lit. b BAO führen. Keinesfalls dient der Neuerungstatbestand dazu, die Folgen einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung eines offengelegten Sachverhaltes zu beseitigen oder allfällige Versäumnisse einer Partei zu sanieren (vgl zB ).

Im Erkenntnis vom wird diese Rechtsansicht vom Verwaltungsgerichtshof auch in einem ähnlich gelagerten Fall vertreten. Dort berief sich die Beschwerdeführerin auf eine Entscheidung eines anderen Berufungssenates der Finanzlandesdirektion, die einen Teil der zuvor der Gesellschaftsteuer unterzogenen Subventionen als Entgelt für von der Beschwerdeführerin erbrachte umsatzsteuerpflichtige Leistungen gewertet hatte, weshalb die Beschwerdeführerin nach dem Neuerungstatbestand die Wiederaufnahme des Gesellschaftsteuerverfahrens begehrte. Der VwGH sah auch in diesem Fall kein Hervorkommen einer neuen Tatsache im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO vorliegen und wies die Beschwerde als unbegründet ab. Er führte auch aus, dass das KVG bei Umschreibung der für die Gesellschaftsteuerpflicht maßgebenden Tatbestände nicht darauf abstellt, wie der gesellschaftsteuerliche Vorgang umsatzsteuerrechtlich zu beurteilen ist.

Weiter heißt es in diesem Erkenntnis: "Ein inhaltlicher Widerspruch zwischen den rechtskräftigen Gesellschaftsteuerbescheiden für die Jahre 1981 bis 1985 einerseits und der Entscheidung des Berufungssenates in Angelegenheit der Umsatzsteuer für dieselben Jahre deutet auf einen da oder dort gelegenen ,Rechtsirrtum' hin, dieser Umstand stellt aber nicht einen Wiederaufnahmsgrund des Hervorkommens einer neuen Tatsache im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO dar."

Aus all dem ergibt sich, dass eine neue Erkenntnis bzgl. der rechtliche Beurteilung gewisser Leistungen des Gesellschafters im Umsatzsteuerverfahren keine neue Tatsache darstellt, die geeignet ist, antragsgemäß eine Wiederaufnahme der Gesellschaftsteuerverfahren nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO herbeizuführen.

3.1.2 Wiederaufnahmsgrund "Vorfragentatbestand" gemäß § 303 Abs. 1 lit. c BAO

Der Wiederaufnahmsgrund der abweichenden Vorfragenentscheidung ist gegeben, wenn der Bescheid von Vorfragen im Sinne des § 116 BAO abhängig war und nachträglich von der zur Entscheidung über die Frage zuständigen Stelle anders entschieden wurde, diese Stelle sohin zu einem anderen Entscheidungsergebnis gelangt ist, als die Abgabenbehörde bei ihrer eigenständigen Beurteilung der Frage.

"Vorfrage" ist ein zu klärendes rechtliches Tatbestandselement eines bestimmten zur Entscheidung stehenden Rechtsfalles und setzt voraus, dass der Spruch der erkennenden Behörde in der Hauptfrage nur nach Klärung einer in den Wirkungsbereich einer anderen Behörde (Gericht) fallenden Frage gefällt werden kann (). Es handelt sich demnach um eine Frage, die Gegenstand eines Ausspruches rechtsfeststellender oder rechtsgestaltender Natur einer anderen Stelle ist, um eine Entscheidung also, von der der Bescheid der Abgabenbehörde abhängig ist und sodann nachträglich von der zur Entscheidung über diese Frage zuständigen Stelle (Behörde, Gericht) anders entschieden wurde (). (zitiert in Stoll, BAO, § 303, S. 2928f).

Daraus ergibt sich, dass die zu lösende Rechtsfrage präjudiziell für den Bescheid der Abgabenbehörde sein und nach § 116 BAO eine Bindung der Abgabenbehörde an die Entscheidung der anderen Stelle bestehen muss. Eine Vorfrage ist somit eine Rechtsfrage, für deren Entscheidung die Behörde nicht zuständig ist, die aber für ihre Entscheidung eine notwendige Grundlage bildet. Bei der Vorfrage handelt es sich um eine Frage, die als Hauptfrage Gegenstand einer Absprache rechtsfeststellender oder rechtsgestaltender Natur ist (zB ; ).

Entscheidungen im Umsatzsteuerverfahren haben keine Bindungswirkungen für das Gesellschaftsteuerverfahren. Jeder abgabenrechtliche Tatbestand ist selbständig und für sich von der jeweils zuständigen Abgabenbehörde zu beurteilen. In beiden Verfahren waren die Abgabenbehörden weder bei der rechtlichen Beurteilung noch bei der Beweiswürdigung gegenseitig gebunden. Das KVG stellt nicht darauf ab, wie ein gesellschaftsteuerpflichtiger Vorgang umsatzsteuerrechtlich zu beurteilen ist. Auch ist nach der Kapitalverkehrsteuerrichtlinie 69/335/EWG nach Art. 12 die Erhebung der Mehrwertsteuer neben der Gesellschaftsteuer zulässig. So sind beide Abgaben Verkehrsteuern. Dem Steuerrecht ist jedoch ein Grundsatz, wonach ein Vorgang jeweils nur mit einer Verkehrsteuer belastet werden kann, fremd. Auch ein und derselbe Rechtsvorgang kann daher grundsätzlich mehreren Abgabenbelastungen unterliegen, zumal eine Doppelbesteuerung an sich auch nicht verfassungswidrig ist ( mwH).

Die nach einer Betriebsprüfung ergangenen Bescheide hinsichtlich der Umsatzsteuer sprechen über keine für die Gesellschaftssteuer als Vorfrage zu bewertende Rechtsfrage ab, weshalb der Tatbestand des § 303 Abs. 1 lit. c BAO nicht für eine Wiederaufnahme der Gesellschaftsteuerverfahren herangezogen werden kann.

3.1.3 B 783/89

Die Bf. meint, in verfassungskonformer Interpretation des § 303 Abs. 1 BAO sei davon auszugehen, dass die spätere Änderung der rechtlichen Qualifikation der Zuschüsse des Landes ***X*** durch das Finanzamt ***1*** gleich zu beurteilen sei wie das Neuhervorkommen von Tatsachen oder das Abweichen der vorläufigen Entscheidung der Behörde von der Beurteilung über die Vorfrage durch die zuständige Behörde.

Im angesprochenen Erkenntnis lag die Frage vor, ob die Versagung der Möglichkeit zu einer Wiederaufnahme der Verfahren der Jahre 1975 bis 1977 gleichheitswidrig ist, wenn zuvor durch die Berufungsbehörde eine anderslautende Beurteilung zur Höhe eines Aufwandes des Jahres 1974 erfolgt ist und sich diese geänderte Auffassung in den Folgejahren für die beschwerdeführende Gesellschaft positiv auswirkt.

Der dem Erkenntnis des VfGH zugrundeliegende Sachverhalt ist mit dem Sachverhalt des gegenständlichen Beschwerdefalles nicht ident. Im Erkenntnis B 783/89 war konkret die Frage zu lösen, ob die nachträgliche Änderung der behördlichen Auffassung zur Frage der Aktivierung oder Nichtaktivierung eines Aufwandes für ein bestimmtes Veranlagungsjahr zur Wiederaufnahme nachfolgender - bereits rechtskräftiger - Veranlagungsjahre, in denen derselbe Aufwand (im Hinblick auf seine Aktivierung) Auswirkungen zeitigt, führen kann. Die Wiederaufnahme von Verfahren hat der Verfassungsgerichtshof im Wesentlichen mit der Begründung bejaht, die im Nachhinein für ein früheres Veranlagungsjahr geänderte rechtliche Beurteilung betreffend die Frage der Aktivierung, die im Endeffekt eine doppelte Besteuerung bewirke, führe in der konkret gegebenen Sachverhaltskonstellation zu einem Treu und Glauben verletzenden Ergebnis, wodurch der Gleichheitsgrundsatz verletzt werde. Der Behörde sei zwar zuzugestehen, dass die rechtliche Beurteilung eines Sachverhaltes für frühere Bemessungszeiträume keine Vorfrage im technischen Sinn und die geänderte rechtliche Beurteilung auch keine neu hervorgekommene Tatsache darstellten.

Dennoch sei § 303 Abs. 1 BAO einer verfassungskonformen Interpretation zugänglich. Die Wiederaufnahme von Verfahren öffne den Weg, durch Bescheide erledigte Rechtssachen in neuerlichen Verfahren sachlich zu prüfen, wenn die betreffenden Bescheide durch neu hervorgekommene Umstände gewichtiger Art in ihren Grundlagen erschüttert seien. Das dem Institut der Wiederaufnahme von Verfahren zugrundeliegende und dieses rechtfertigende Ziel sei es, insgesamt rechtmäßige Ergebnisse zu erreichen. Es widerspräche diesen Grundsätzen, wollte man annehmen, dass zwar nachträglich von einer anderen (hiefür zuständigen) Behörde getroffene abweichende Entscheidungen einen Wiederaufnahmegrund darstellten, nicht aber Entscheidungen derselben Behörde für frühere Bemessungszeiträume, die sich direkt auf spätere Bemessungszeiträume auswirkten (aus ).

Es lag damit ein besonders gelagerter Fall vor, der eine verfassungskonforme Anwendung des § 303 BAO erforderlich machte. Ein allgemeiner, verfassungsrechtlich gewährleisteter Anspruch auf Wiederaufnahme von Verfahren, wenn sich eine geänderte Rechtsansicht auf ältere, rechtskräftig veranlagte Zeiträume auswirkt, ist von dem Erkenntnis nicht abzuleiten.

So hat der die Behandlung einer Beschwerde abgelehnt, in welcher der Beschwerdeführer es verabsäumt hatte, sein rechtliches Interesse im ordentlichen Rechtsweg zu verfolgen und stattdessen die Wiederaufnahme des rechtskräftig gewordenen Bescheides für einen älteren Veranlagungszeitraum begehrte, weil dieser, aufgrund einer nachträglich geänderten rechtlichen Beurteilung der Behörde, nunmehr im Widerspruch zu den Folgejahren stand. Auch der VwGH lehnte in der Folge im nachfolgenden Verfahren, 95/14/0010, die Anwendung des § 303 BAO ab. Im diesem Erkenntnis vom hielt er unter Hinweis auf sein Vorjudikat vom , 87/15/0075 an seiner Ansicht fest, nach welcher das Institut der Wiederaufnahme nicht dazu dient, die Rechtskraft von Bescheiden zu durchbrechen, um verabsäumte Rechtsmittel nachzuholen und betonte, dass das VfGH-Erkenntnis B 783/89 nur durch das Fehlen einer Berufungsmöglichkeit zur Durchsetzung des entsprechenden rechtlichen Interesses in den betroffenen Veranlagungsverfahren begründet gewesen sei.

Damit ist selbst in solchen Fällen, in denen sich die Änderung der steuerlichen Beurteilung eines Sachverhaltes durch die Abgabenbehörde hinsichtlich der gleichen Abgabe auch auf folgende Veranlagungsjahre auswirkt, eine Rechtskraftdurchbrechung über das Instrument der Wiederaufnahme nur eingeschränkt möglich.

Ist eine Wiederaufnahme in einem solchen besonderen Fall in verfassungskonformer Auslegung als zulässig zu beurteilen, wenn ein aktiviertes und in den Folgejahren abgeschriebenes Wirtschaftsgut durch eine Änderung der Rechtsansicht als Aufwand angesehen und somit zur Gänze gewinnmindernd in Ansatz gebracht wurde, so ist eine solche im gegenständlichen Fall, in dem sich der Sachverhalt ganz wesentlich von dem vom VfGH in seinem Erkenntnis beurteilten unterscheidet, nicht angezeigt.

Hier handelt es sich nicht um die Änderung der rechtlichen Beurteilung einer Behörde in Bezug auf die Frage der Aktivierung oder Nichtaktivierung eines Wirtschaftsgutes, deren Lösung sich - in die Entscheidungskompetenz der selben Behörde fallend - direkt auf die folgenden Bemessungszeiträume derselben Abgabe auswirkt.

Gegenständlich liegt jeweils ein Sachverhalt vor, bei dem die Geldleistungen als freiwillige Leistungen des Gesellschafters in der Abgabenerklärung offengelegt worden sind und die daraufhin von der zuständigen Behörde als dem Kapitalverkehrsteuergesetz unterliegend beurteilt worden sind. Wenn nachträglich durch eine andere Behörde in einem anderen Abgabeverfahren dieselben oder allenfalls gleichartige Geldleistungen (der Zeitraum der Prüfung war ein anderer) als sonstige Leistung der Umsatzsteuer unterzogen wurden, so ist dazu festzustellen, dass die Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung nach jedem der beiden Tatbestände in zulässiger Weise eigenständig durch zwei verschiedene Abgabenbehörden getroffen wurden, deren Entscheidungen nicht aneinander gebunden waren.

Auch wenn dadurch ein inhaltlicher Widerspruch zwischen den Bescheiden der beiden Abgabenarten entstanden sein könnte, der auf einen da oder dort bestehenden "Rechtsirrtum" schließen lässt, kann die im Wiederaufnahmsantrag bekanntgegebene neue rechtliche Beurteilung in Bezug auf die Umsatzsteuer weder eine Vorfrage noch eine neu hervorgekommene Tatsache darstellen, weshalb die aus diesen Gründen beantragte Wiederaufnahme der 75 Gesellschaftsteuerverfahren zu Recht abgewiesen wurde.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine Revision wurde als unzulässig erklärt, weil das Erkenntnis in seiner rechtlichen Würdigung nicht von der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Wiederaufnahme abweicht. Auch im Hinblick auf die Außerkraftsetzung der Gesellschaftsteuer kommt der Lösung der Rechtsfrage eine grundsätzliche Bedeutung nicht mehr zu.

Über die Beschwerde war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Beschwerdevorbringen, das Finanzamt habe die Verpflichtung, gemäß § 295 Abs. 3 BAO die angeführten Bescheide abzuändern, und zu dem in der Beschwerde in eventu gestellten Antrag auf Aufhebung der Gesellschaftsteuerbescheide nach § 295a BAO ist noch folgendes auszuführen:

Unter Sache des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesfinanzgericht ist die Angelegenheit zu verstehen, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Abgabenbehörde gebildet hat (; ; ).

Im Beschwerdeverfahren gegen die Abweisung des Wiederaufnahmsantrags vom ist als Sache ausschließlich die Entscheidung über den Wiederaufnahmsantrag anzusehen. Im gegenständlichen Verfahren kommt dem Bundesfinanzgericht daher in keiner Weise die Zuständigkeit zu, über die Frage einer Aufhebung nach § 295 Abs. 3 BAO oder § 295 a BAO abzusprechen (vgl. ).

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 1 lit. c BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 116 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7103153.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at