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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 12.04.2023, RV/2100171/2023

§ 303 Abs. 1 lit. b BAO: Vergessene Beanspruchung des Pendlerpauschales kein Wiederaufnahmegrund

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Ri. in der Beschwerdesache N.N., Adr.Bf., über die Beschwerde vom gegen die Abweisungsbescheide des Finanzamtes Österreich vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2017 bis einschließlich 2020, Steuernummer xxx, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 Bundesabgabenordnung (BAO) als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführerin (Bf.) erzielte im Zeitraum 2017 bis 2020 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und reichte für diese Jahre die jeweilige Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung in Papierform (Formular L1) ein. Die Eingabefelder Kz 718 für das Pendlerpauschale und Kz 916 für den Pendlereuro wurden von der Bf. in den Erklärungen 2017 bis 2020 nicht ausgefüllt.

Die belangte Behörde erließ die betreffenden Einkommensteuerbescheide (Arbeitnehmerveranlagung) 2017 bis 2020 wie folgt:
Veranlagungsjahr 2017: Erstbescheid mit Festsetzung der Einkommensteuer iHv. 114,00 Euro (Nachforderung); Wiederaufnahme des Verfahrens und neuer Sachbescheid mit Festsetzung der Einkommensteuer iHv. -41,00 Euro (Gutschrift).
Veranlagungsjahr 2018: Erstbescheid mit Festsetzung der Einkommensteuer iHv. -35,00 Euro (Gutschrift).
Veranlagungsjahr 2019: Erstbescheid mit Festsetzung der Einkommensteuer iHv. -124,00 Euro (Gutschrift).
Veranlagungsjahr 2020: Erstbescheid mit Festsetzung der Einkommensteuer iHv. -1.001,00 Euro (Gutschrift).

Mit Fax-Anbringen vom reichte die Bf. das Formular L34-EDV "Erklärung/Nachweis zur Berücksichtigung des Pendlerpauschales und des Pendlereuro" für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gem. § 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 bei der belangten Behörde ein. Als Tag der Abfrage wurde der und als abgefragter Tag der angegeben. Auf diesem Formular setzte die Bf. handschriftlich folgende von der belangten Behörde rechtsrichtig als Antrag gewerteten Eingabe: "Btr. Steuer Nr. xxx Bitte um Wiederaufnahme! Pendlerpauschale 2017-2021".

Die belangte Behörde wies mit Bescheiden vom die Anträge btr. die Jahre 2017 bis 2020 ab. Zur Begründung wurde jeweils ausgeführt, dass aufgrund der Judikatur das bloße Vergessen bzw. Übersehen der Bezug habenden Eintragungen in den Abgabenerklärungen keine neu hervorgekommenen Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO darstellten.

Gegen die Abweisungsbescheide brachte die Bf. am per Fax Beschwerde ein und führte aus, dass laut Bundesministerium das Pendlerpauschale zustehe.

Mit erließ die belangte Behörde abweisende Beschwerdevorentscheidungen. Die Abweisung der Wiederaufnahme sei zurecht erfolgt. Die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme würden im Beschwerdefall nicht vorliegen, da keine neuen Tatsachen vorliegen würden. Nach ständiger Rechtsprechung sei aus der Bestimmung des § 303 BAO hinsichtlich des Neuerungstatbestands abzuleiten, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen sei. Da beim Abgabepflichtigen das Wissen über (selbst) verwirklichte Sachverhalte gegeben sei, folge daraus, dass Wiederaufnahmeanträge bei Geltendmachung neu hervorgekommener Tatsachen abzuweisen seien, weil die tatbestandsmäßige Voraussetzung der fehlenden Kenntnis von den Wiederaufnahmegründen beim Antragsteller nicht vorliege. Das bloße Vergessen bzw. Übersehen der Bezug habenden Eintragungen in den Abgabenerklärungen stellten keine neu hervorgekommenen Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO dar.

Die Bf. brachte am per Fax den Vorlageantrag gem. § 264 Abs. 1 BAO ein. Zur Begründung wurde vorgebracht, dass laut Steuerbuch das Pendlerpauschale zustehe.

Die belangte Behörde legte am die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte im Vorlagebericht unter Verweis auf die Judikatur die Abweisung der Beschwerde 2017 bis 2020.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Strittig ist im Beschwerdeverfahren, ob ein Wiederaufnahmegrund (in Form des Neuerungstatbestands) vorliegt oder nicht. Die Bf. begehrt die Gewährung des Pendlerpauschales durch Vorlage eines am - somit nach rechtskräftig abgeschlossenen Veranlagungsverfahren - erstellten Auszugs aus dem Pendlerrechner (Formular L34-EDV) und sieht mit Verweis auf das Bundesministerium und das Steuerbuch die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens als gegeben an. Hingegen vertritt die belangte Behörde die Meinung, dass nach Judikatur das bloße Vergessen bzw. Übersehen der Bezug habenden Eintragungen in den Abgabenerklärungen keine neu hervorgekommenen Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO darstellen würden.

2. Rechtliche Beurteilung

2.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände, allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens, einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte (Neuerungstatbestand).

Zweck der Wiederaufnahme wegen Neuerungen ist die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen. Gemeint sind also Tatsachen oder Beweismittel, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung "im abgeschlossenen Verfahren" bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (; ).

Das Neuhervorkommen von Tatsachen ist bei der beantragten Wiederaufnahme - wie von der belangten Behörde zutreffend in den Beschwerdevorentscheidungen und dem Vorlagebericht ausgeführt - aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen (vgl. ).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente - gleichgültig, ob diese späteren rechtlichen Erkenntnisse (neuen Beurteilungskriterien) durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden - keine Tatsachen. Die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des der Partei bekannten Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung lassen sich demnach bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen (vgl. Predota/Rzeszut in Rzeszut/Tanzer/Unger, BAO: Stoll Kommentar - Digital First2.06 zu § 303 BAO Rz 18 mit der dort angeführten höchstgerichtlichen Judikatur).

Auch hat das Wiederaufnahmeverfahren nicht den Zweck, allfällige Versäumnisse einer Partei im Verwaltungsverfahren zu sanieren, sondern soll die Möglichkeit bieten, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen (, mwN).

"Vergessene" Werbungskosten begründen somit im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ebenso wenig wie eine nach Rechtskraft des Bescheides eingetretene bessere Rechtskenntnis der Bf. über steuerlich mögliche Absetzbeträge einen Wiederaufnahmegrund aus dem Titel neuhervorgekommener Tatsachen.

Der Bf. sind offenbar aufgrund von Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte Aufwendungen entstanden, die als Werbungskosten nur unter bestimmten Voraussetzungen und in einem bestimmten Ausmaß von ihren nichtselbständigen Einkünften abzugsfähig sind
(§ 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988). Die Bf. hat aber in den Einkommensteuererklärungen 2017 bis 2020 versäumt die für die Berücksichtigung des Pendlerpauschales und Pendlereuro vorgesehene Eingabefelder (Kz 718 und 916) auszufüllen.
Die Tatsache der Fahrten und der damit verbundenen Aufwendungen war jedoch der Bf. bereits in den Veranlagungsverfahren 2017 bis 2020 bekannt und kann im Jahr 2022 von einem Neuhervorkommen von Tatsachen nicht gesprochen werden.

Da es somit im vorliegenden Fall an neu hervorgekommenen Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO mangelt, war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

2.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da das vorliegende Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes der oben zitierten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs folgt, liegt keine Rechtsfrage vor, der grundsätzliche Bedeutung beizumessen ist. Eine (ordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof war daher nicht zuzulassen.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Verweise



ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.2100171.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at