Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 31.03.2023, RV/7100906/2023

Kein Eigenanspruch bei teilweise spendenfinanzierter Unterbringung (fortgesetztes Verfahren nach VwGH 31. 1. 2023, Ro 2020/16/0048)

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7100906/2023-RS1
Nach der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofs ist davon auszugehen, dass der Unterhalt eines Kindes i. S. v. § 6 Abs. 5 FLAG 1967 i. d. g. F. auch dann als „zur Gänze“ durch die öffentliche Hand (aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe) getragen anzusehen ist, wenn Dritte außerhalb des Personenkreises des § 2 Abs. 3 FLAG 1967 Kostenbeiträge zum Unterhalt des Kindes leisten.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Rudolf Wanke über die Beschwerde des ***1*** ***2*** ***3*** ***4***, ***5***, ***6***, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke 2, 20, 1200 Wien, Dresdnerstraße 43, vom gegen den Bescheid des damaligen Finanzamts Wien 2/20/21/22, nunmehr Finanzamt Österreich, 1220 Wien, Dr. Adolf Schärf-Platz 2, vom , womit der Antrag vom auf Familienbeihilfe für den im November 2013 geborenen ***1*** ***2*** ***3*** ***4*** ab Mai 2019 abgewiesen wird, Sozialversicherungsnummer ***7***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Der Spruch des angefochtenen Bescheids bleibt unverändert.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine (ordentliche) Revision nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Erkenntnis

Mit Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde des mj. ***1*** ***2*** ***3*** ***4*** gegen den Bescheid des Finanzamts Wien 2/20/21/22 vom , womit der Antrag vom auf Familienbeihilfe für den Beschwerdeführer ab Mai 2019 abgewiesen wird, Folge und hob den angefochtenen Bescheid gemäß § 279 BAO ersatzlos auf.

Da im vorliegenden Fall ein Teil der tatsächlichen Unterhaltskosten des mj. ***1*** ***2*** ***3*** ***4*** nicht aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes bestritten worden sei, sondern vom Trägerverein der Wohngemeinschaft, in der der Minderjährige untergebracht sei, der sich seinerseits durch Spenden finanziere, bestehe ein Eigenanspruch des Minderjährigen auf Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967. Der äußerst mögliche Wortsinn von "zur Gänze" in § 6 Abs. 5 FLAG 1967 lasse nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts eine Auslegung, wonach auch ein geringerer Betrag als der gesamte Unterhaltsbetrag ausreiche, um im Fall der Tragung eines Großteils der Unterhaltskosten durch Mittel der Kinder- und Jugendhilfe einen Eigenanspruch des Kindes zu verneinen, nach der geltenden Rechtslage nicht zu. Werde der Unterhalt des Kindes nicht zur Gänze aus den im Gesetz ausdrücklich genannten bestimmten öffentlichen Mitteln bestritten, sei es nicht maßgebend, woher die Differenz zwischen dem gesamten Unterhalt und der teilweisen Unterhaltsleistung durch bestimmte öffentliche Mittel herrühre. Auch wenn der Gesetzgeber nach den Materialien offenbar Kinder im Sinne hatte, die entweder durch eine eigene Erwerbstätigkeit oder durch Geldmittel, die aus einem sozialversicherungsrechtlichen Anspruch herrühren, einen Teil ihres Unterhaltes selbst abdecken, finde sich eine derartige Einschränkung nicht im Wortlaut des Gesetzes.

Erkenntnis

Mit Erkenntnis , dem Bundesfinanzgericht zugestellt am , hob der Verwaltungsgerichtshof das Erkenntnis , wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG auf und führte unter anderem aus:

14 Die Bestimmung des § 6 Abs. 5 FLAG, die den Eigenanspruch auf Familienbeihilfe von Kindern, die nicht Vollwaisen sind, regelt, wurde mit BGBl. Nr. 296/1981 eingefügt und lautete damals:

"(5) Kinder, deren Eltern ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommen und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3)."

15 Nach den Gesetzesmaterialien (ErlRV 694 BlgNR 15. GP 4) sollte diese "Gleichstellung von Kindern, deren Eltern ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommen und für die auch sonst niemand Anspruch auf Familienbeihilfe hat, mit den Vollwaisen in bezug auf einen eigenen Anspruch auf Familienbeihilfe, [...] eine Härte in den Fällen beseitigen, in denen für Kinder, die sich weitgehend selbst erhalten müssen, keine Familienbeihilfe gewährt wird. Eine solche Härte wird dann nicht angenommen, wenn das Kind aus öffentlichen Mitteln (Sozialhilfe bzw. Jugendwohlfahrt) in einem Heim erzogen wird. In diesen Fällen würde nämlich die Familienbeihilfe nicht die Situation des Kindes verbessern, sondern lediglich die öffentlichen Haushalte, aus denen die Mittel stammen, entlasten."

16 Mit BGBl. Nr. 311/1992 wurde § 6 Abs. 5 FLAG - vor dem Hintergrund der Neuregelung der Studienforderung (vgl. ErlRV 465 BlgNR 18. GP 8) - dahingehend geändert, dass er lautete:

"(5) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3)."

17 Schließlich wurde mit BGBl. I Nr. 77/2018 die geltende - und im Revisionsfall zur Anwendung kommende - Fassung des § 6 Abs. 5 FLAG eingefügt, die lautet:

"(5) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abi 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren filtern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3)."

18 Den Gesetzesmaterialien zufolge wurde diese Änderung vorgenommen, um die Anwendungsvoraussetzungen der Bestimmung - vor dem Hintergrund der bis dahin ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - zu präzisieren (vgl. Begründung des Initiativantrages 386/A 26. GP 2):

"Für den Fall, dass keinem Elternteil ein Anspruch auf Familienbeihilfe zusteht, besteht durch eine Sonderregelung die subsidiäre Möglichkeit, dass das Kind für sich selbst die Familienbeihilfe beanspruchen kann (Eigenanspruch auf Familienbeihilfe). Ein solcher Eigenanspruch ist nach der derzeitigen Rechtslage ausgeschlossen, wenn sich die Kinder auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden. In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren Judikatur zum Ausdruck gebracht, dass in Konstellationen, bei denen typischer Unterhalt der Kinder (überwiegend) durch die öffentliche Hand gedeckt ist, ein Anspruch auf die Familienbeihilfe ausgeschlossen ist, wobei es nicht auf die Form der Unterbringung ankommt. Die in diesem Zusammenhang stehende Thematik, inwieweit ein Beitrag zu den Unterhaltskosten trotzdem einen Anspruch vermitteln kann, ist durch eine gesetzliche Präzisierung zu lösen.

Es soll nun sichergestellt werden, dass ein Eigenanspruch des Kindes auf Familienbeihilfe auch dann gegeben ist, wenn das Kind selbst aufgrund eines sozialversicherungsrechtlichen Anspruches (z.B. Pflegegeld) oder aufgrund einer eigenen Erwerbstätigkeit regelmäßig zur Deckung der Unterhaltskosten beiträgt. Gleiches soll gelten, sofern die Eltern zwar nicht überwiegend jedoch zumindest teilweise regelmäßig zum Unterhalt ihres Kindes beitragen.

Sofern der Unterhalt des Kindes zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe (bei Aufenthalt in einer sozialpädagogischen Einrichtung) oder zur Gänze aus Mitteln der öffentlichen Hand (zB durch eine Bedarfsorientierte Mindestsicherung oder die Grundversorgung) getragen wird, ohne dass ein oben angesprochener Beitrag geleistet wird, soll kein Anspruch auf die Familienbeihilfe bestehen, da in diesen Fällen der Mindestunterhalt des Kindes bereits vollständig durch Mittel der öffentlichen Hand sichergestellt ist."

19 Nach der - in den zuletzt wiedergegebenen Gesetzesmaterialien erwähnten - ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sollte nach der Absicht des Gesetzgebers in Fällen, in denen der Unterhalt einer Person durch die Unterbringung in Anstaltspflege oder einem Heim durch die öffentliche Hand sichergestellt war; kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehen, wobei es nicht auf die Art der Unterbringung ankam (Bezeichnung als Anstalt oder Heim), sondern ausschließlich auf die gänzliche Kostentragung durch die öffentliche Hand (vgl. ; , 2002/15/0181; , 2003/13/0162; , 2001/15/0075).

20 Diese Sichtweise wurde vom Verwaltungsgerichtshof - im Hinblick auf den mit dem Familienbeihilfenrecht verfolgten Zweck (Entlastung des Unterhaltsbelasteten) und den typisierenden Charakter der Regelungen des FLAG (vgl. , mwN) - für sämtliche Fallkonstellationen, in denen der typische Lebensunterhalt (ua Unterkunft, Bekleidung, Verpflegung) durch die öffentliche Hand gedeckt wird, vertreten (vgl. ; , Ra 2017/16/0053; sowie , Ra 2014/16/0014, zum Ausschluss der Familienbeihilfe subsidiär Schutzberechtigter, die Leistungen aus der Grundversorgung erhalten; , 2011/16/0173, bei Strafgefangenen; , 2007/13/0120, bei Ableistung des Zivildienstes; , 2004/15/0103, bei Ableistung des Präsenzdienstes).

21 Zur Frage, inwieweit ein Beitrag zu den Unterhaltskosten Auswirkungen auf den Eigenanspruch der Kinder haben kann, hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass eine gänzliche Unterhaltstragung durch die öffentliche Hand nicht mehr gegeben ist, wenn das Kind selbst zum eigenen Unterhalt beiträgt (vgl. etwa , mwN, zu einem Kind, das Pflegegeld und eine Waisenpension bezogen hatte).

Es ist in keiner Weise ersichtlich, dass mit der Änderung des § 6 Abs. 5 FLAG (mit BGBl. I Nr. 77/2018) eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes beabsichtigt worden wäre. Nicht nur, dass nach den Gesetzesmaterialien lediglich eine "gesetzliche Präzisierung" - und nicht etwa eine Neuregelung - vorgenommen werden sollte, bewegen sich die darin getätigten weiteren Ausführungen auf dem Boden der dargelegten bisherigen Rechtsprechung (vgl. nochmals zur Voraussetzung der gänzlichen Kostentragung durch die öffentliche Hand ).

Nach dem Gesagten ist daher auch nicht erkennbar, dass aufgrund der Änderung des § 6 Abs. 5 FLAG in einer Konstellation wie im vorliegenden Revisionsfall - vor dem Hintergrund einer (zumindest vorläufigen) gänzlichen Kostentragungsverpflichtung der öffentlichen Hand aufgrund der übertragenen Obsorge (vgl. vorliegend §§ 30, 32, 35 und 36 Wiener Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013, LGB1. Nr. 51/2013) - der Unterhalt des Kindes nicht mehr als "zur Gänze" durch die öffentliche Hand getragen anzusehen sein soll, wenn Dritte - somit weder das Kind selbst, noch dessen Eltern - Kostenbeiträge zum Unterhalt des Kindes leisten.

24 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Herstellung des der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustands

Wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision stattgegeben hat, sind gemäß § 63 Abs. 1 VwGG die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Zu den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen ist auf das Erkenntnis zu verweisen.

Nach der oben wiedergegebenen Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofs ist im gegenständlichen Beschwerdeverfahren davon auszugehen, dass der Unterhalt des Beschwerdeführers i. S. v. § 6 Abs. 5 FLAG 1967 i. d. g. F. als "zur Gänze" durch die öffentliche Hand (aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe) getragen anzusehen ist, obwohl Dritte (hier: der spendenfinanzierte Verein Projekt Integrationshaus) Kostenbeiträge zum tatsächlichen Unterhalt des Kindes leisten.

Der Beschwerdeführer hat daher nach der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofs im Beschwerdezeitraum keinen Anspruch auf Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag.

Abweisung der Beschwerde

Die Beschwerde ist somit gemäß § 279 BAO i. V. m. § 63 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Revisonsnichtzulassung

Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da die Entscheidung gemäß § 63 VwGG dem aufhebenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs () folgt.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
§ 63 Abs. 1 VwGG, Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985
§ 6 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Verweise

ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7100906.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at