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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 09.03.2023, RV/7100516/2023

Eintrittszeitpunkt einer erheblichen Behinderung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Ri in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung des Antrags auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für das Kind ***1*** im Zeitraum vom bis zum , Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Antrag des auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für das Kind ***1*** ab dem

Mit Eingabe vom beantragte der Bf. - unter Bezugnahme auf ein mit datiertes schulpsychologisches Gutachten, demgemäß beim Kind ***1*** von einer geistigen Funktionsbeeinträchtigung auszugehen sei sowie einer dem Sohn des Bf. die Diagnose Dyslalie und Entwicklungsretadierung stellenden ärztlichen Bestätigung vom - die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe rückwirkend ab dem .

Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice vom

In Ansehung obigen Antrags wurde der Sohn des Bf. beim Sozialministeriumservice untersucht, wobei der begutachtende Facharzt unter Berücksichtigung der an oberer Stelle dargestellten Befunde, sowie einen aus November 2021 stammenden, dem Sohn des Bf. die Diagnosen Sprachentwicklungsverzögerung, ADHS sowie unterdurchschnittliche Gesamtbegabung stellenden Befundes der KFÄ Dr. ***2*** dem Kind ***1*** - in Ansehung des eine Lernproblematik feststellenden schulpsychologischen Gutachten vom - einen ab Juni 2021 bestehenden Grad der Behinderung von 60% attestierte.

Abweisungsbescheid vom

Unter Bezugnahme auf den Inhalt obigen Gutachtens (bestehender Grad der Behinderung von 60 % ab dem ) wies das Finanzamt Österreich den Antrag des Bf. auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für den Zeitraum vom bis zum ab.

Beschwerde vom

Mit Eingabe vom erhob der Bf. gegen den Abweisungsbescheid Beschwerde und beantragte unter Bezugnahme auf einen dem Sohn des Bf. eine Entwicklungsverzögerung ab dem zweiten Lebensjahr attestierenden Befundbericht Dris. ***2*** vom eine neuerliche Begutachtung beim Sozialministeriumservice.

Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice vom

Nach einer am erfolgten Untersuchung bestätigte der begutachtende Facharzt mit Gutachten vom einen beim Sohn des Bf. ab dem bestehenden Grad der Behinderung von 60 %, wobei er einem (früheren) Eintrittszeitpunkt des Grades der Behinderung mit nachstehender Begründung eine Absage erteilte:

"Eine rückwirkende Anerkennung ab Geburt ist nicht möglich, da die Entwicklungsproblematik sprachlich, kognitiv und im Sozialverhalten erst mit zunehmendem Alter und Anforderungen ein Ausmaß von zumindest 50 % GdB erreicht. Auch wenn aus fachärztlicher Sicht bestätigt werden kann, dass bei o.g. Diagnose erste klinische Symptome in der Regel in der frühen Kindheit erkennbar werden, dokumentieren die vorgelegten Befunde keinen Grad der Behinderung von zumindest 50 % vor 06/2021."

Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom

Mit BVE vom wurde das Rechtsmittel des Bf. mit nachstehender Begründung abgewiesen:

"Sie haben am , eingelangt am , eine Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid vom betreffend die Gewährung des Erhöhungsbetrages wegen erheblicher Behinderung für das Kind ***4*** ***1*** beim ho Finanzamt eingebracht.

Im Zuge der Beschwerde wurde eine erneute Begutachtung und Erstellung einer

Bescheinigung über den Grad der Behinderung und/oder einer eventuellen dauerhaften Erwerbsunfähigkeit betreffend dem Kind ***1*** beim Sozialministeriumsservice angefordert.

Gemäß § 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behinderungswesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Gemäß § 10 Abs. 3 FLAG 1967 werden die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind höchstens fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.

Der Zeitraum Dezember 2013 bis Mai 2016 war zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits verjährt.

Laut der Bescheinigung des Sozialministeriumsservice vom konnte für das Kind ***1*** ein Grad der Behinderung von 60% ab festgestellt werden. Für den Zeitraum davor wurde kein Grad der Behinderung festgestellt. Ebenso wurde keine dauernde Erwerbsunfähigkeit festgestellt. Da für den Zeitraum Juni 2016 bis Mai 2021 kein Grad der Behinderung vom mindestens 50 % oder eine dauernde Erwerbsunfähigkeit festgestellt wurden, liegt für diesem Zeitraum keine erhebliche Behinderung vor und Ihre Beschwerde war daher abzuweisen.

Es war laut oben genannter gesetzlicher Bestimmung spruchgemäß zu entscheiden."

Vorlageantrag vom

Mit Eingabe vom erhob der Bf. gegen die BVE eine - als Vorlageantrag zu qualifizierende - Beschwerde und führte hierbei begründend aus, dass sein Sohn bereits im Jahr 2015 von einem Kinderarzt untersucht bzw. ab diesem Zeitpunkt behindert sei. Demzufolge beantrage er die Gewährung des Erhöhungsbetrages rückwirkend für fünf Jahre. Die Ablehnung des Antrags selbst sei erfolgt, weil nicht alle Befunde vorhanden gewesen seien. Nunmehr seien diese komplett.

Anzumerken ist, dass dem Vorlageantrag neben der nochmaligen Nachreichung des aktenkundigen schulpsychologischen Gutachtens vom , ein mit datierter psychologischer Befundbericht der Frau Mag. ***3*** sowie ein mit datierter Befundbericht Dris. ***2*** beigelegt wurde.

Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice vom

Nach einer am erfolgten Untersuchung bestätigte der begutachtende Facharzt - unter Berücksichtigung des Befundberichts Dris. ***2*** - mit Gutachten vom einen beim Sohn des Bf. ab dem bestehenden Grad der Behinderung von 60 %, wobei er einem (früheren) Eintrittszeitpunkt des Grades der Behinderung mit nachstehender Begründung eine Absage erteilte:

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor: Keine Änderung gegenüber Vorgutachten, mit Anerkennung eines GdB von 60 % ab dem schulpsychologischen Gutachten 06/2021. Die nunmehr vorgelegte Bestätigung der betreuenden Kinderärztin berichtet ab 2015 Entwicklungsprobleme, eine psychologische Testung ergab ein mildes ADHS und eine geringe Intelligenzminderung, all diese Angaben ohne Datum, Behandlungsnachweis oder Vorlage von Befunden. Eine weiter rückwirkende Anerkennung ist aufgrund der vorliegenden Befunde und Bestätigungen nicht möglich, da ein GdB von zumindest 50 % nicht eingeschätzt werden kann.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

1. Festgestellter Sachverhalt

In der Folge legt das BFG dem Erkenntnis nachstehenden, auf der Aktenlage und dem Vorbringen der Parteien basierenden Sachverhalt zu Grunde:

Aufgrund des Erstantrages auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe ab dem ,der im weiteren Verwaltungsverfahren erhobenen Beschwerde sowie der letztendlich erfolgten Stellung eines Vorlageantrages wurde der minderjährige Sohn des Bf. insgesamt dreimal beim Sozialministeriumservice untersucht, wobei die begutachtenden Fachärzte - unter Berücksichtigung sämtlicher vorgelegter Befunde - unisono dem Kind ***1*** einen ab dem vorliegenden Grad der Behinderung von 60 % attestierten.

2. Rechtliche Würdigung

2.1. Rechtsgrundlagen

Gemäß § 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behinderungswesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Gemäß § 10 Abs. 3 FLAG 1967 werden die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind höchstens fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.

2.2. Rechtliche Beurteilung

2.2.1. Anspruch des Bf. auf den Erhöhungsbetrag für das Kind ***1*** im Zeitraum vom 1.Dezember 2013 bis zum 31.Mai 2016

In Ansehung der unter Punkt 2.1. angeführten Bestimmung des § 10 Abs. 3 FLAG 1967 und des nachweislich am gestellten Antrages ist der Anspruch des Bf. für obgenannten Zeitraum als verjährt zu qualifizieren und hätte die belangte Behörde den Antrag für diesen Zeitraum anstatt meritorisch zu behandeln richtigerweise als unzulässig zurückweisen müssen, wobei seitens des Verwaltungsgerichts explizit anzumerken, dass der Bf. durch den wenn auch rechtswidrigen Ausspruch der Abweisung des Antrages in seinen Rechten nicht verletzt wurde (vgl. ).

Demzufolge war der gegen die Abweisung des Antrages auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für den Zeitraum vom bis zum gerichteten Beschwerde der Erfolg zu versagen.

2.2.2. Anspruch des Bf. auf den Erhöhungsbetrag für das Kind ***1*** im Zeitraum vom bis zum

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr: Sozialministeriumservice) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

In der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, geändert durch BGBl. II Nr. 251/2012, ist Folgendes normiert:

"Behinderung

§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorüber-gehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beein-trächtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorüber-gehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der funktionellen Einschränkungen in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamt-heit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

- sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

- zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

Grundlage der Einschätzung

§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.

(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten…"

Gutachten - Allgemeines:

Ein Gutachten ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhaltes durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen, verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen, stützen. Alleine die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmter Sachverhalt vorgelegen sein könnte, reicht dabei keinesfalls aus, diesen Sachverhalt gutachterlich als gegeben anzusehen und zu bestätigen (vgl. z.B. ; ).

Bescheinigung des Sozialministeriumservice

Nach den Bestimmungen des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice (früher: Bundesamt für Soziales und Behinderten-wesen) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens) nachzuweisen (vgl z.B. ; ; ; ).

Das ärztliche Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung iSd FLAG 1967 hat Feststellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten (vgl. ; ; ).

Mitwirkungspflicht bei Begünstigungsvorschriften

Nach der Judikatur des VwGH besteht bei Begünstigungsvorschriften und in Fällen, in denen die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde eingeschränkt sind, eine erhöhte Mitwirkungspflicht.

Die Vorlage von "alten" und relevanten Unterlagen (Befunden, Bestätigung über Spitalsauf-enthalte oder Therapien etc.) seitens des Antragstellers ist gerade dann wichtig bzw. unerlässlich, wenn ein Sachverständiger (weit rückwirkend) den Zeitpunkt festzusetzen hat, seit wann ein bestimmter Behinderungsgrad vorliegt.

Fehlen derartige Befunde, warum auch immer, können die vom Sachverständigen getroffenen Feststellungen nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen und liegt die Ursache auch darin, dass Erkrankungen unterschiedlich stark ausgeprägt sind, häufig einen schleichenden Verlauf nehmen oder sich mit zunehmendem Alter verschlechtern.

Diese Auffassung vertritt auch Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 8, II. Erhebliche Behinderung [Rz 10 - 35]. Es sei wohl nicht zu bestreiten, dass die Ermittlungs-möglichkeiten der Behörde eingeschränkt sind, wenn Sachverhalte zu beurteilen sind, die teilweise Jahrzehnte zurückliegen. Auch der Sachverständige könne aufgrund seines medizinischen Fachwissens ohne Probleme nur den aktuellen Gesundheitszustand des Erkrankten beurteilen. Hierauf komme es aber nur dann an, wenn der derzeitige Behinderungsgrad zu beurteilen sei oder die Feststellung, ob eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt, zeitnah zum relevanten Zeitpunkt erfolgen könne. Der Sachverständige könne in den übrigen Fällen nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden, Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt eine erhebliche Behinderung eingetreten ist.

Bindung der Abgabenbehörde und des Bundesfinanzgerichtes an die Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice, wenn diese schlüssig sind:

Ein Gutachten ist

•vollständig, wenn es die von der Behörde oder dem Gericht gestellten Fragen beantwortet (sofern diese zulässig waren)

•nachvollziehbar, wenn das Gutachten von der Beihilfenstelle und vom Gericht verstanden werden kann und diese die Gedankengänge des Gutachters, die vom Befund zum Gutachten führten, prüfen und beurteilen kann und

•schlüssig, wenn es nach der Prüfung auf Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit immer noch überzeugend und widerspruchsfrei erscheint

Die Gutachten unterliegen, wie alle anderen Beweismittel, der freien behördlichen/-richterlichen Beweiswürdigung.

Das Finanzamt und das Bundesfinanzgericht sind an die Gutachten des SMS gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob diese vollständig, nachvollziehbar und schlüssig sind und im Fall mehrerer Gutachten oder einer Gutachtensergänzung nicht einander widersprechen (vgl. ; ; Erkenntnisse VwGH jeweils vom , 2009/16/0307 und 2009/16/0310). Erforderlichenfalls ist für deren Ergänzung zu sorgen (; ; ).

Eine andere Form der Beweisführung ist nicht zugelassen (vgl. u.a.).

Die Beihilfenbehörden sowie das Verwaltungsgericht, haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und können von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen (vgl. ).

Schlüssigkeit der Gutachten vom , vom sowie vom

Wie bereits unter Punkt 1 angeführt legten die begutachtenden Fachärzte - auf ein und derselben Grundlage, sprich des, dem Kind ***1*** Lernschwierigkeiten attestierenden schulpsychologischen Gutachten vom - den Zeitpunkt des Eintritts eines Behinderungsgrades von 60 % mit Juni 2021 fest.

Demzufolge sind nach Auffassung des Verwaltungsgerichts die Gutachten als schlüssig und nachvollziehbar zu qualifizieren und es besteht daher keinerlei Anlass von diesen abzugehen.

Anzumerken ist, dass sich der Facharzt im Zuge der Begutachtung vom mit dem Inhalt des nachgereichten, mit datierten Befundbericht Dris. ***2*** demgemäß bereits ab dem zweiten Geburtstag des Sohnes des Bf. eine Entwicklungsverzögerung bestanden habe, respektive eine psychologische Testung den Verdacht auf ein mildes AHS sowie eine geringe Intelligenzminderung ergeben habe, auseinandergesetzt hat, diesen jedoch in Ermangelung einer exakten zeitlichen Terminierung der Testung bzw. der Vorlage von Behandlungsnachweisen bzw. Befunden nicht zum Anlass der Feststellung eines vor dem erfolgten Eintritts eines Behinderungsgrades genommen hat.

In dieser Vorgangsweise vermag das BFG ebenfalls keine Unschlüssigkeit zu erkennen, da in vorgenanntem Befundbericht zwar allgemein von bereits ab dem Jahr 2015 bestehenden Auffälligkeiten des Kindes ***1*** die Rede ist, im Übrigen dieser jedoch jedweden Hinweis auf eine - durch Befunde belegte - zeitlich exakte Abfolge der Entwicklung nämlicher Auffälligkeiten vermissen lässt.

In Anbetracht vorstehender Ausführungen sind die erstellten Gutachten samt und sonders als schlüssig und nachvollziehbar zu qualifizieren und ergo dessen einer im Zeitraum vom bis zum bestehenden Anspruchsberechtigung des Bf. auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe eine Absage zu erteilen.

Es war daher wie im Spruch zu befinden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Bei der Frage nach dem Eintritts des Zeitpunktes des Eintritts einer erheblichen Behinderung handelt es sich um eine Tatfrage und ist das Bundesfinanzgericht an vom Sozialministeriumservice erstellte Gutachten de facto gebunden. Demzufolge ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7100516.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at