zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 10.03.2023, RV/7103191/2022

Dauernde Erwerbsunfähigkeit in zwei Gutachten des Sozialministeriumservice schlüssig begründet

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***6*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung des Antrages vom auf Gewährung von Familienbeihilfe ab Juli 2021, SVNR. 1937311259, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf.) stellte am den Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für ihre Tochter ***2***, geb. ***3***, ab März 2021.

Anzumerken ist, dass der Bf. bis Juni 2021 sowohl die Familienbeihilfe als auch der Erhöhungsbetrag ausbezahlt worden waren.

Der Antrag wurde mit Bescheid vom ab Juli 2021 abgewiesen.

Als Begründung wurde darauf verwiesen, dass lt. Feststellung des Sozialministeriumservice ab keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliege.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom in der die Bf. folgendes vorbrachte:

"Ich habe die Gutachten vom AKH 2016, Dr. Fast 2017, DDr. Wörgötter 2019 und

2020 sowie das Gutachten des Berufssachverständigen von 2021 vorgelegt, in

welchem eine Erwerbsunfähigkeit festgestellt wurde.

Es wurde It. Herrn Dr. Wächter/Sozialministerium bei dem Termin vom

eine 50 %ige Behinderung, aber keine dauernde Erwerbsunfähigkeit festgehalten.

Weiters wurde festgehalten, dass die Ausbildung abgeschlossen ist, obwohl dies

nicht den Tatsachen entspricht. Herr Dr. Wächter ist als praktischer Arzt tätig. Meine

Tochter hat keine offensichtliche körperliche Behinderung, jedoch eine extreme

psychische Behinderung bedingt durch Zwänge und ist derzeit, hoffentlich nicht auf

ewig erwerbsunfähig. Ein Ende der Erwerbsunfähigkeit ist It. Psychologischen

Gutachten nicht prognostizierbar. Derzeit befindet sie sich in Berufsausbildung,

welche nicht abgeschlossen ist. ***1*** ist nicht selbsterhaltungsfähig und

benötigt selbst bei alltäglichen Aufgaben meine Unterstützung. ***1*** ist in

psychologischer Behandlung, welche mit Medikamenten unterstützt wird.

Ich ersuche um neuerliche Überprüfung/Begutachtung der Erwerbsunfähigkeit"

Mit Schreiben vom ergänzte die Bf. ihr bisheriges Vorbringen:

Wir…. stimmen einer neuerlichen Untersuchung zu, da in dem Gutachten von

Dr. Höfer vom wesentliche Angaben nicht aufscheinen wie die Angaben über den

tatsächlichen Zustand und die Erkrankung. Ebenso stimmt die Zeit der Begutachtung nicht mit dertatsächlichen Dauer überein. Die Untersuchung dauerte von 15:55 bis 16:15 inklusive Begrüßung.

Der tatsächliche Tagesablauf, welcher wesentlich für das Krankheitsbild ist und die tatsächliche

mögliche Lern- bzw. Arbeitsmöglichkeit von maximal drei Stunden pro Tag zeigt, wurde nicht

festgehalten. Wobei die Lern- bzw. Arbeitsfähigkeit je nach Krankheitszustand an manchen Tagen garnicht gegeben ist.

Sowohl unter dem Punkt Anamnese als auch unter dem weiteren Punkt derzeitige Beschwerden

wurden unvollständige Angaben über die Krankheit, deren Verlauf und Auswirkungen gemacht. DieDauer der Duschzeit ist nicht im richtigen Kontext angegeben, da sie nur einen Teil der durch denZwang bedingten Tätigkeiten beinhaltet.

***1*** weist körperlich und geistig keine Auffälligkeiten auf, sondern leidet unter extremenZwängen, welche eine Selbsterhaltung nicht möglich machen.

Ebenso ist die Selbständigkeit trotz eigener Wohnung nicht gegeben, da einige Tätigkeiten, wie

Putzen, Waschen etc. nicht von ihr ausgeführt werden können, welche ich für sie erledige.

Meine Tochter ist seit 2012/Klinischer Befund von Mag. Prokop-Zischka in ständiger Behandlung,sowohl Medikamente als auch wöchentliche Therapien und stationären Aufenthalt im AKH.

Es wurde seit 2016 eine 50 %ige Behinderung festgestellt, welche, nachdem es sich um eine

psychische Erkrankung handelt, und diese schleichend erfolgt, schon wesentlich früher eintrat.

Eine Angabe über die Dauer der Krankheit kann weder der Psychiater noch die behandelnde

Therapeutin und Psychiaterin feststellen.

Laut FLAG 1967, §§ 2,8 Abs. 5 ist eine erhöhte Familienbeihilfe bei folgenden Voraussetzungen

gegeben:

50 %ige Behinderung oder

das Kind voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst Unterhalt zu verschaffen.

Bei ***1*** trifft beides zu, da eine Dauer des Krankheitszustandes derzeit nicht angegeben

werden kann.

Die Erkrankung erfolgte schleichend ab dem zirka 12. Lebensjahr und die Feststellung über die

50%ige Behinderung vor dem 21. Lebensjahr (stationärer Aufenthalt AKH Februar 2016).

Meine Tochter ist bei mir-ÖGK -wegen Erwerbsunfähigkeit mitversichert.

……………………

Die Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen und damit begründet, dass laut ärztlichem Gutachten vom bei ***2*** keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliege.

Mit Schreiben vom stellte die Bf. einen Vorlageantrag, den sie wie folgt begründete:

Laut Gutachten vom gestellt von Frau Dr. Koch halten Sie fest, dass keine

dauernde Erwerbsunfähigkeit festgestellt wurde, sondern eine Verbesserung des

Gesundheitszustandes. Dieser Feststellung widerspreche ich, denn sie ist unrichtig.

***1*** ist erwerbsunfähig und wird dies auch weiterhin sein. Ein ärztliches

Attest wurde vorgelegt, welches die Erwerbsunfähigkeit bestätigt, jedoch nicht zur

Kenntnis genommen.

Die Verbesserung des Gesundheitszustandes wurde daraus geschlossen, dass ***2***

einen Bachelorabschluss absolviert hat. Dies war nur möglich, da diese

Ausbildung nur online und mit freier Zeiteinteilung stattfand. Da diese

Voraussetzungen auf dem freien Arbeitsmarkt nicht gegeben sind, wird ***1***

dauerhaft erwerbsunfähig sein.

Wie schon in der Stellungnahme vom und auch in den vorigen Schreiben

festgehalten, weist ***1*** keine körperlichen oder geistigen Auffälligkeiten auf,

sondern leidet unter extremen Zwängen, welche eine Erwerbstätigkeit unmöglich

machen, da sie acht Stunden benötigt, um ihre Wohnung zu verlassen und dies auch

oft bedingt durch ihre Krankheit nicht möglich ist.

***1*** ist in dauernder psychologischer und therapeutischer Behandlung. Eine

Verbesserung des Gesundheitszustandes liegt derzeit nicht vor. Weitere Atteste

kann ich jederzeit vorlegen.

***1*** ist zu 50 % behindert und dauerhaft außerstand sich selbst Unterhalt zu

verschaffen. Aus diesem Grund ersuche ich um Anerkennung der erhöhten

Familienbeihilfe, sowie einer weiteren ärztlichen Untersuchung."

Folgende Gutachten des Sozialministeriumservice sind für den gegenständlichen Fall von Bedeutung:

1. Gutachten vom :

Bezug auf Gutachten Prokop-Zischka 2012, AKH 2016, Dr. Fast 2017, Winkler 2017

Grad der Behinderung 50% ab Jänner 2016 (erstes stationäres Therapieerfordernis),

"Die Fähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist ab 01/2016 nicht gegeben da psychische und kognitive Beeinträchtigungen vorhanden sind welche eine Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt gegenwärtig nicht möglich machen.Nachuntersuchung: in 3 Jahren

Anmerkung hins. Nachuntersuchung:

Nachuntersuchung zwecks Kontrolle der Unterhaltsfähigkeit mit rezenten Befunden erforderlich, da Besserung möglich."

2. Gutachten vom

Bezug auf Gutachten 2018, AKH 2016, berufskundliches SV-Gutachten 8/2021

Grad der Behinderung 50% ab Jänner 2016

voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

NEIN

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Die Selbsterhaltugsfähigkeit ist gegeben. Ein positiver Diplomabschluss wurde erreicht. Es erfolgt dzt. ein Studium zur Eventmanagerin. Eine Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt ist möglich

Nachuntersuchung: in 3 Jahren

Anmerkung hins. Nachuntersuchung:

Besserung möglich

3. Gutachten

Bezug auf Gutachten von 10/2021, Dr. Hertling 1/2022, Lintz 11/2021 (betr. Behandlung bzw. Psychotherapie)

Gesamtgrad der Behinderung 50% ab 1/2016

voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

NEIN

Eine Erwerbsunfähigkeit liegt nicht vor, dzt. wird erfolgreich ein Studium betrieben.

Anmerkung hins. Nachuntersuchung:

Besserung der Symptomatik möglich

4. Gutachten vom

Bezug auf Gutachten 2/2018, (dauernd erwerbsunfähig NEIN), (dauernd erwerbsunfähig NEIN), ,

Hinweis der Bf. bei der Untersuchung auf Mitversicherung der Tochter wegen Erwerbsunfähigkeit (ÖGK)

voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen

NEIN

Trotz der deutlichen behinderungsbedingten Beeinträchtigung ist von keiner anhaltenden

SeIbsterhaltungsunfähigkeit auszugehen.

Matura und Studium konnten abgeschlossen werden"

Eine Tätigkeit am allgenmeinen Arbeitsmarkt ist möglich.

Nachuntersuchung: in 3 Jahren

Anmerkung hins. Nachuntersuchung:

Reevaluierung des GdB, da mit Ausschöpfen der Therapie Besserung möglich

Per Email vom legte die Bf. dem Bundesfinanzgericht folgende Unterlagen vor:

  1. AKH- Befund betr. stationäre Aufnahme 1/2016

  2. Gutachten/Ergänzungsgutachten Dr. Fast 2017

  3. Gutachten/Ergänzungsgutachten DDr. Wörgötter 2019/2020

  4. Berufskundliches Sachverständigengutachten/Ergänzungsgutachten Mag. Kummer 2021/2022

  5. Bestätigung ÖGK betr. Erwerbsunfähigkeit von ***2*** vorläufig bis 11/2024

  6. Bestätigung PVA betr. Erwerbsunfähigkeit von ***2*** vorläufig bis 8/2024

  7. Ärztlicher Befundbericht Dr. Can 1/2023, "Dzt. nicht arbeitsfähig"

  8. Gutachten des Sozialministeriumservice , ,

  9. Bachelorzeugnis vom betr. Ausbildung Musikmanagement

  10. Inskriptionsbestätigung betr. Musikwissenschaften

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Tochter der Bf. (L.) wurde am ***3*** geboren.

Sie vollendete am ***4*** das 18. Lebensjahr und am ***5*** das 21. Lebensjahr.

Im Juli 2021, das ist der Beginn jenes Zeitraumes, für den der Antrag der Bf. abgewiesen wurde, vollendete sie das 26. Lebensjahr.

Im Jahr 2012 erfolgte erstmals eine psychologische Behandlung wegen Zwangsstörungen.

Im Jahr 2016 kam es zu einem mehrwöchigen stationären Aufenthalt im AKH Wien.

Nach einem jeweils abgebrochenen Jus- bzw. Publizistikstudium beendete sie 2019 die Ausbildung "Eventmanagement", 2021 "Musikmanagement" und begann dass das Studium Musikwissenschaften.

Die Bf. bezog bis inkl. Juni 2016 Familienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe.

Es liegen insgesamt fünf Gutachten des Sozialministeriumservice aus dem Zeitraum 2/2021 bis 6/2022 vor, in denen ***2*** zwar ein Grad der Behinderung von 50% ab Jänner 2016 aber keine dauernde Erwerbsunfähigeit bescheinigt wurde:

Gutachten vom:

2. Beweiswürdigung

Der vorliegende Sachverhalt ergibt sich durch Einsicht in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt sowie die von der Bf. ergänzend dem Bundesfinanzgericht vorgelegten Unterlagen.

Insbesondere ist dazu auf die in den Entscheidungsgründen dargestellten Gutachten des Sozialministeriumservice und die diversen von der Bf. vorgelegten Privatgutachten, Befundberichte und Bestätigungen zu verweisen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.

Strittig ist, ob der Bf. im Zeitraum ab Juli 2021 Familienbeihilfe und, wie der, Begründung des bekämpften Bescheides zu entnehmen ist, der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe zusteht.

Aus der Begründung ist nicht ersichtlich, auf welches Gutachten des Sozialministeriumservice (SMS) die belangte Behörde ihre abweisliche Entscheidung stützt.

Dieser Begründungsmangel kann im Rechtsmittelverfahren beseitigt werden (z.B. ).

Da sich die Bf. in ihrer Beschwerde auf die Untersuchung am bezieht und das diesbezügliche Gutachten vom dem Bundesfinanzgericht vorliegt ist i.Z. mit der Ausfertigung des bekämpften Bescheides am davon auszugehen, dass zu überprüfen sein wird, ob das Gutachten vom eine taugliche Grundlage dafür war, den Antrag der Bf. abzuweisen.

Folgende gesetzliche Vorschriften des Familienlastenausgleichsgesetztes (FLAG) 1967 kommen dabei zur Anwendung:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 in der ab gültigen Fassung besteht für volljährige Kinder, die "wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen", Anspruch auf Familienbeihilfe.

Dies bedeutet, dass bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht, der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung ist, und würde er auch 100 % betragen (s auch ; , 2011/16/0063). Auch bei einer Behinderung von 100 % ist es nicht ausgeschlossen, dass der Betreffende imstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ( ).

Wenn die Bf. darauf verweist, dass die Zwangsstörungen der Tochter bereits 2012 (Anm. die Tochter war zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt) festgestellt worden waren, so spricht der Verwaltungsgerichtshof zu dieser Problematik folgendes aus:

Erkenntnis vom , Ra 2014/16/0010:

……………..stellt darauf ab, dass …………… auf Grund einer zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetretenen Behinderung außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine derartige geistige oder körperliche Behinderung kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit Längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert………………... Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt.

Entscheidungswesentlich ist also, ob und zutreffendenfalls wann dieser bereits in der Kindheit bzw. Jugend- durch die geschilderten Umstände einsetzende Krankheitsverlauf ein Ausmaß erreichte, das zu einer voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, führte.

Die relevanten Gutachten verweisen diesbezüglich übereinstimmend auf den stationären Aufenthalt im AKH Wien ab Jänner 2016. Zu diesem Zeitpunkt war die Tochter 20 Jahre alt.

In weiterer Folge ist zu prüfen, ob die mit Jänner 2016, also vor Vollendung des 21. Lebensjahres festgestellt Krankheit zu einer dauernden Erwerbsunfähigkeit geführt hat.

Nach § 8 Abs. 6 FLAG ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr Sozialministeriumservice) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen ((vgl. , , , ).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat das ärztliche Zeugnis betreffend des Vorliegens einer Behinderung iSd FLAG Feststellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer begründeter Weise zu enthalten und bildet die Grundlage für die Entscheidung, ob die erhöhte Familienbeihilfe zusteht, sofern das Leiden und der Grad der Behinderung einwandfrei daraus hervorgehen und das/die Gutachten nicht unschlüssig sind (vgl. , , , ).

Wird für eine volljährige Person die Familienbeihilfe und der Erhöhungsbetrag beantragt, so hat sich das nach dieser Bestimmung abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren darauf zu erstrecken, ob diese Person wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder - für den Beschwerdefall nicht relevant - während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl etwa , vgl. auch ).

Die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht dürfen die Gutachten nur insoweit prüfen, ob diese schlüssig und vollständig sind und im Fall mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen (vgl. , , , Erkenntnisse VwGH jeweils vom , 2009/16/0307 und 2009/16/0310, vgl. auch die von Lenneis/Wanke (Hrsg.), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 8 zitierte Rechtsprechung).

Der Gesetzgeber hat mit der Regelung des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 die Kompetenz für die Beurteilung des Grades der Behinderung und der Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ausdrücklich an eine dafür qualifizierte Institution übertragen. Daraus folgt, dass der Entscheidungsfindung durch die Behörde weder Bekundungen der Eltern über den Gesundheitszustand ihres Kindes noch anderer Personen, mögen sie auch überfachärztliche Kenntnisse verfügen, zu Grunde zu legen sind (vgl. das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/2100351/2020 unter Hinweis auf das Erkenntnis ).

Es besteht kein Anspruch auf die Zuziehung eines Facharztes eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt vielmehr auf die Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten an ( ). Dies zum Hinweis der Bf. in der Beschwerde, dass es sich bei dem begutachtenden Arzt um einen praktischen Arzt gehandelt habe.

Diesbezüglich relevant, da begründungswesentlich für den abweisenden Bescheid und die Beschwerdevorentscheidung sind:

1. Das Gutachten vom und

2. das Gutachten vom

Eine Zusammenschau dieser Gutachten ergibt, dass sowohl jeweils Vorgutachten des Sozialministeriumservice insbesondere jenes vom , als auch externe Gutachten, auf die die Bf. im Beschwerdeverfahren verweist, berücksichtigt wurden, nämlich insbesondere der Befundbericht des AKH aus dem Jahr 2016, das berufskundliche Sachverständigengutachten "Kummer" (Gutachten vom mit Verweis auf Gutachten Wörgötter), Dr. Fast, Bestätigung der ÖGK, Therapiebestätigungen (Gutachten vom ).

In beiden Gutachten wurde die Einschätzung, dass keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliege ebenso begründet wie die voraussichtliche Dauer.

Die Beurteilung von medizinischen Sachverhalten, die entsprechende Fachkenntnis voraussetzt, ist dem Bundesfinanzgericht auf Grund der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 verwehrt. Gleiches gilt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des Bundesfinanzgerichtes auch für Bekundungen naher Angehöriger betr. Gesundheitszustand und Selbsterhaltungsfähigkeit.

Für die Beurteilung des gegenständlichen Sachverhaltes ist es daher, wie bereits ausgeführt, nicht von Bedeutung, dass die Bf. ihre Tochter für nicht selbsterhaltungsfähig hält.

Bezüglich der Frage, ob die Tochter der Bf. selbsterhaltungsfähig ist, ist weiters auszuführen:

§ 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 spricht davon, dass das Kind voraussichtlich außerstande sein muss, "sich selbst den Unterhalt zu verschaffen". "Sich selbst den Unterhalt zu verschaffen" bedeutet, dass das Kind auf dem ersten Arbeitsmarkt, also dem regulären Arbeitsmarkt, vermittelbar ist und so imstande ist, sich selbst ohne staatliche Zuschüsse zu erhalten.

Es kommt dabei nicht darauf an, ob das Kind einen bestimmten Beruf ausüben kann, im konkreten Fall daher nicht, ob die Tochter der Bf. in Berufen, die ihrer bisherigen Ausbildung entsprechen, Fuß fassen kann.

Die definitionsgemäße Grenze der Selbsterhaltungsfähigkeit würde lediglich darin liegen, dass das Kind auf dem sog. ersten Arbeitsmarkt nicht bestehen kann. Anders als der reguläre oder "erste Arbeitsmarkt" besteht der sogenannte "zweite Arbeitsmarkt" aus Arbeitsplätzen, die mithilfe von Förderungen der öffentlichen Hand geschaffen worden sind. Ein "geschützter Arbeitsplatz", der staatlich gefördert ist, erfüllt nicht die Voraussetzung, dass sich der Arbeitnehmer selbst den Unterhalt verschafft. Der Unterhalt wird auf einem solchen Arbeitsplatz mittelbar durch die öffentliche Hand oder karitative Einrichtungen geleistet, die die Mittel für den "geschützten Arbeitsplatz" bereitstellen.

Im Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/7103320/2021 wird dazu folgendes ausgeführt:

"Selbsterhaltungsfähigkeit ist gegeben, wenn das Kind sämtliche Unterhaltsbedürfnisse im Rahmen der bestimmten konkreten Lebensverhältnisse aus eigenen Kräften zu finanzieren imstande ist, und zwar auch außerhalb des elterlichen Haushalts. Selbsterhaltungsfähig ist ein Kind nur dann, wenn es auf sich allein gestellt mit seinen Einkünften alle Lebensbedürfnisse, also auch den (allenfalls fiktiven) Geldaufwand zur Erlangung notwendiger Pflege- und Erziehungsleistungen, decken könnte (vgl. ). "Sich selbst den Unterhalt zu verschaffen" bedeutet, dass das Kind grundsätzlich auf dem "Ersten Arbeitsmarkt", also dem regulären Arbeitsmarkt, vermittelbar ist und so imstande ist, sich selbst ohne Zuwendungen anderer und ohne staatliche Zuschüsse zu erhalten (vgl. ).

Wenn die genannten Gutachten hinsichtlich der Selbtserhaltungsfähigkeit auf die von ***2*** erfolgreich absolvierten Studien verweisen, so kann das Bundesfinanzgericht darin keine Unschlüssigkeit erkennen:

Das auch den Gutachtern des Sozialministeriumservice bekannte "Berufskundliche Sachverständigengutachten Mag. Kummer" vom zählt folgenden Ausbildungsverlauf sowie folgende Kenntnisse auf:

……….Matura

2017-2020 Diploma Musik/Eventmanager

Seit 2020 Bachelorstudium Musikmanager in Kooperation mit der University of London (abgeschlossen )

Fremdsprachenkenntnisse:

Englisch sehr gut in Wort und Schrift

Englischtest Deutsche POP 2019

Italienisch sehr gute Schulkenntnisse

PC Kenntnisse:

Microsoft Office (word, Excel, Powerpoint)

Fortgeschrittene Präsentationserfahrung mit Prezi und PowerPoint

Selbst wenn diese Studien nur auf Grund des Unterrichtsmodus (wie die Bf. vorbringt "online") gewählt worden sein sollten darf nicht außer Acht gelassen werden, dass diese erfolgreich abgeschlossen wurden. Wenn man nach der allgemeinen Lebenserfahrung einerseits davon ausgeht, dass ein erfolgreicher Studienabschluss mit einem Mindestmaß an Interesse an den Studieninhalten einhergeht und andererseits die o.a. Kompetenzen über den eigentlichen Studieninhalt hinaus entwickelt und gestärkt wurde, so ist nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes die Begründung der Selbsterhaltungsfähigkeit- i.S. der obigen Ausführungen- mit den absolvierten Studien nicht unschlüssig. Es bestand daher auch keine Veranlassung, ein weiteres Sachverständigengutachten beim Sozialministeriumservice einzuholen.

Da eine dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht vorliegt, war wie im Spruch zu entscheiden

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beurteilung der dauernden Erwerbsunfähigkeit durch ein Gutachten des Sozialministeriumservice ergibt sich unmittelbar aus der gesetzlichen Vorschrift des § 8 Abs. 6 FLAG 1967. Die Frage inwieweit die Abgabenbehörde und damit auch das Bundesfinanzgericht an ein Gutachten des Sozialministeriumservice gebunden ist, wurde durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bereits ausreichend geklärt.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7103191.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at