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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 07.03.2023, RV/3100334/2014

Pendlerpauschale bei Verfügbarkeit eines Werkverkehrs

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/3100334/2014-RS1
Die bloße Verfügbarkeit eines Werkverkehrs führt nicht zum Verlust des Anspruchs auf das Pendlerpauschale, sondern es kommt auf die tatsächliche Nutzung an ().

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter Mag. David Hell LL.B. LL.M. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch 1A Steuerberatungs GmbH, Münchner Straße 26, 6130 Schwaz, über die Berufung, nunmehr Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Kufstein Schwaz vom betreffend Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2008 bis 2011, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht:

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Strittig ist im gegenständlichen Verfahren ausschließlich, ob die Abgabenbehörde in der Begründung der angefochtenen Bescheide einen tauglichen Wiederaufnahmegrund angeführt hat. Gegen die neuen Sachbescheide ist beim Bundesfinanzgericht kein Verfahren anhängig.

1. Verfahrensgang und Parteienvorbringen

Am reichte der Beschwerdeführer (Bf.) seine Arbeitnehmerveranlagung für 2012 über FinanzOnline bei der Abgabenbehörde ein. Mit Vorhalt vom wurde er aufgefordert, die Adresse des Arbeitsplatzes und die einfache Entfernung zum Arbeitsplatz anzugeben sowie eine Bestätigung des Arbeitgebers über die Arbeitszeiten im Jahr 2012 vorzulegen. Der Bf. verständigte die Abgabenbehörde darüber, dass es sich bei seiner Fahrtstrecke um die Strecke ***Wohnort*** - ***Arbeitsort*** handle. Die geforderten Unterlagen wurden vom Bf. nicht vorgelegt.

Am telefonierte die Sachbearbeiterin der Abgabenbehörde mit dem Lohnbüro der Arbeitgeberin des Bf., wobei ihr mitgeteilt wurde, dass dem Bf. ein Werkverkehr zur Verfügung stehe. Unmittelbar danach forderte die Abgabenbehörde den Bf. mit weiterem Vorhalt auf, eine Bestätigung der Arbeitgeberin beizubringen, dass ihm in den Jahren 2008 bis 2012 kein Werkverkehr zur Verfügung stand. Darauf antwortete der Bf. am , dass ihm von seinem Arbeitgeber und vom Verkehrsunternehmen, welches den Werkverkehr durchführt, mitgeteilt worden sei, dass die Ausstellung einer solchen Bestätigung unmöglich sei.

Die Abgabenbehörde erließ daraufhin am den Einkommensteuerbescheid 2012, in welchem sie das beantragte Pendlerpauschale im Ausmaß von 1.476,00 € nicht berücksichtigte und dazu begründend ausführte: "Laut Rücksprache mit dem Personalbüro der Firma ***Arbeitgeberin*** steht Ihnen ein Werksbus zur Verfügung". Gegen diesen Bescheid erhob der Bf. kein Rechtsmittel.

Zugleich erließ die Abgabenbehörde die nunmehr angefochtenen Wiederaufnahmebescheide für die Einkommensteuer der Jahre 2008 bis 2011 und neue Sachbescheide, in welchen das Pendlerpauschale nun ebenfalls nicht mehr berücksichtigt wurde.

Die Wiederaufnahmebescheide verweisen auf die Begründung der neuen Sachbescheide; diese wiederum verweisen zur Begründung auf den Einkommensteuerbescheid 2012, und zwar mit den Worten: "Sie werden auf die Begründung 2012 hingewiesen". Alle Bescheide vom wurden dem Bf. nachweislich am in seine Databox zugestellt.

Gegen die Wiederaufnahmebescheide richtet sich die rechtzeitige Berufung des Bf. vom , in welcher er zusammengefasst vorbringt, die Tatsache, dass ihm ein Werksbus zur Verfügung stehe, sei keine Tatsache, die eine Wiederaufnahme rechtfertige, zumal die Abgabenbehörde verpflichtet gewesen wäre, dies vor der Erlassung der Erstbescheide zu überprüfen und es auch allgemein bekannt sei, dass die Arbeitgeberin einen Werkverkehr betreibe. Die bloße Feststellung, dass ein Werksbus zur Verfügung stehe, sage auch nichts über das Zustehen der Pendlerpauschale aus, da damit noch nicht feststehe, ob ihm die Nutzung des Werkverkehrs in Bezug auf seine Arbeitszeit auch zumutbar sei.

Mit Vorhalt vom forderte die Abgabenbehörde die Arbeitgeberin des Bf. auf, einige Fragen zu beantworten, insbesondere ob der Bf. den Werkverkehr der Arbeitgeberin in Anspruch nehmen konnte und auch tatsächlich in Anspruch genommen hatte. Mit Schreiben vom antwortete die Arbeitgeberin, dass seit 2008 ein Werksbus auf der gegenständlichen Strecke verkehre, dem Bf. dessen Nutzung bezogen auf seine Arbeitszeit möglich gewesen sei die tatsächliche Inanspruchnahme nicht kontrolliert werde.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die Abgabenbehörde die Berufung, nunmehr Beschwerde des Bf. als unbegründet ab. Begründend führte sie zusammengefasst aus, der Sachverhalt - die Verfügbarkeit eines Werkverkehrs für den Bf. - sei der Behörde bei der Erlassung der Erstbescheide noch nicht so konkret bekannt gewesen, dass er bereits damals berücksichtigt werden hätte können. Erst durch das Telefonat am sei die Behörde darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass der Werkverkehr auch konkret dem Bf. zur Verfügung stehe. Dadurch bestand in diesem Zeitpunkt für die Behörde kein Zweifel mehr, dass dem Bf. das Pendlerpauschale nicht zustehe und somit ein im Spruch anderslautender Bescheid zu ergehen hatte. Die nach Einlangen der Beschwerde durchgeführten Erhebungen ***Arbeitsort*** nur dazu gedient, die Erhebungen vom zu bestätigen und seien für die Annahme eines Wiederaufnahmegrundes nicht erforderlich gewesen. Ferner führt die Behörde zur Ermessensübung ergänzend aus, dass die Nachforderung für den Zeitraum 2008 bis 2011 konkret 1.707,03 €, das entspreche 6,5 % der zuvor festgesetzten Einkommensteuer, betrage und die Auswirkung der Wiederaufnahmen daher weder absolut noch relativ als geringfügig anzusehen sei.

Dagegen richtet sich der rechtzeitige Vorlageantrag des Bf. vom , in welchem er begründend weiter vorbringt, der bloße Umstand, dass ein Werksbus zur Verfügung steht, rechtfertige noch nicht die Wiederaufnahme, da dem Bf. das Pendlerpauschale insbesondere dann zustehen würde, wenn ihm die Nutzung des Werkverkehrs nicht zumutbar wäre, wozu die Abgabenbehörde keine ausreichenden Feststellungen getroffen habe. Dem Gericht sei es aufgrund der mangelnden Begründung auch überhaupt nicht möglich, die Rechtmäßigkeit der Wiederaufnahme zu prüfen. Die versuchte Sanierung der Begründungsmängel durch die Beschwerdevorentscheidung komme jedenfalls zu spät. Hinsichtlich der Ermessensübung sei auch nicht der ganze Zeitraum zusammenzurechnen, sondern jeder Veranlagungszeitraum gesondert zu betrachten, wobei sich ein differenzierteres Bild zeige.

Am legte die Abgabenbehörde die Beschwerde samt Akt und Vorlagebericht dem Bundesfinanzgericht vor. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesfinanzgerichtes vom wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung 4013-1 zugeteilt.

Mit Eingabe vom nahm der steuerliche Vertreter die im Vorlageantrag gestellten Anträge auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Entscheidung durch den gesamten Senat zurück. Dadurch wurde der Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter zuständig.

2. Sachverhalt

Der Bf. wohnte im gegenständlichen Zeitraum von 2008 bis 2011 in ***Wohnort***. Er war im gesamten Zeitraum durchgehend als Arbeiter bei der ***Arbeitgeberin-vollerName*** beschäftigt. Sein Arbeitsort war ***Arbeitsort***. Zwischen seinem Wohnort und der Arbeitsstätte verkehrte ab 2008 und den gesamten gegenständlichen Zeitraum hindurch ein Werksbus. Dessen Nutzung war dem Bf. auch in Hinblick auf seine Arbeitszeiten im gesamten Zeitraum möglich.

Die Abgabenbehörde hat im bisherigen Verfahren keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Bf. den angebotenen Werkverkehr auch tatsächlich in Anspruch nahm.

3. Beweiswürdigung

Die Feststellungen zum Wohnort, Arbeitsort, dem Bestehen und der Möglichkeit der Nutzung eines Werkverkehrs ergeben sich widerspruchsfrei aus den Vorhaltsbeantwortungen des Bf. und jener der Arbeitgeberin vom . Diese Sachverhaltselemente waren zwischen den Parteien zu keinem Zeitpunkt strittig und es liegen dem Gericht auch keine widersprechenden Beweisergebnisse vor.

Dass die Abgabenbehörde keine Feststellung zur tatsächlichen Inanspruchnahme des Werkverkehrs durch den Bf. getroffen hatte, ergibt sich unmittelbar aus den Erledigungen der Abgabenbehörde, denen nur zu entnehmen ist, dass dem Bf. ein Werkverkehr zur Verfügung gestanden habe.

4. Rechtliche Beurteilung

4.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass die angefochtenen Wiederaufnahmebescheide auf § 303 BAO in der Fassung vor dem Finanzverwaltungsgerichtsbarkeitsgestz 2012, BGBl. I 2013/14, gründen. Gemäß § 323 Abs. 37 BAO ist die neue Fassung des § 303 BAO auch auf alle vor dem eingebrachten Berufungen anzuwenden. In verfassungskonformer Interpretation dieser Bestimmung wird die alte Fassung jedoch weiterhin anzuwenden sein, wenn sich sonst Nachteile für den Bf. ergäben (vgl. Ritz, taxlex 2014, 434). Da sich die Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme durch die Novellierung jedoch nicht geändert haben, liegt dieser Fall nicht vor (vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 303 Rz 3 ff). Vom Gericht ist daher § 303 BAO in der geltenden Fassung anzuwenden.

Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein bescheidmäßig abgeschlossenes Verfahren von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Die von der Abgabenbehörde zur Begründung herangezogene neu hervorgekommene Tatsache ist der Umstand, dass dem Bf. "ein Werksbus zur Verfügung" steht bzw. stand. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob diese Tatsache für die Abgabenbehörde neu hervorgekommen im Sinne von § 303 Abs. 1 lit. b BAO ist. Ihr fehlt nämlich in jedem Fall die Eignung, einen im Spruch anderslautenden Bescheid zu tragen.

Gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 vorletzter Satz EStG 1988 (in der damaligen Fassung, nunmehr § 16 Abs. 1 Z 6 lit. i sublit. aa EStG 1988) steht das Pendlerpauschale nicht zu, wenn der Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum tatsächlich überwiegend im Werkverkehr befördert wird. Die bloße Möglichkeit der Nutzung des Werkverkehrs ist für sich genommen nicht hinreichend zur Versagung des Pendlerpauschales (). Da die Abgabenbehörde die Wiederaufnahme nur mit der Möglichkeit der Nutzung des Werkverkehrs begründete, fehlt den Wiederaufnahmebescheiden somit ein tragfähiger Wiederaufnahmegrund. Sie waren daher ersatzlos aufzuheben.

4.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Dass der angeführte Wiederaufnahmegrund nicht tragfähig ist, ergibt sich aus der angeführten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes. Dass Wiederaufnahmebescheide, denen ein tragfähiger Wiederaufnahmegrund fehlt, rechtswidrig und ersatzlos aufzuheben sind, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Mangels Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung war die Revision daher nicht zuzulassen.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.3100334.2014

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at