1. Gültigkeit eines bedingten Antrags auf mündliche Verhandlung; 2. Prüfung der Zulässigkeit einer Dreijahresverteilung in Folgejahren
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/3100552/2021-RS1 | Wird die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nur für den Fall einer negativen Entscheidung beantragt, liegt kein gültiger Antrag im Sinne des § 274 Abs. 1 BAO vor und besteht folglich keine Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung (). |
RV/3100552/2021-RS2 | Die Beurteilung der Zulässigkeit einer Dreijahresverteilung gemäß § 37 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 muss im Veranlagungsverfahren des Wurzeljahres (Jahr des Zuflusses) erfolgen. Diese Frage kann nicht erstmalig im Veranlagungsverfahren des auf den Zufluss folgenden Jahres beurteilt werden. |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. David Hell LL.B. LL.M. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2020, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.
Entscheidungsgründe
1. Sachverhalt / Verfahrensgang
Anlässlich der pensionsbedingten Auflösung seines Dienstverhältnisses mit der ***Arbeitgeberin*** erhielt der Bf. im Kalenderjahr 2019 eine Pensionsabfindung in Höhe von brutto 99.967,00 €.
Am reichte der Beschwerdeführer (Bf.) seine Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2019 persönlich beim Finanzamt ***FA-Ort*** ein. Im Abschnitt "Beilagen" dieser Erklärung, allerdings außerhalb der vorgesehenen Felder, vermerkte der Bf. handschriftlich: "2 Beilagen: Ansuchen + Bestätigung". In der ersten Beilage beantragte der Bf., die Pensionsabfindung auf drei Jahre zu verteilen, "wenn dadurch eine geringere Lohnsteuer anfällt". In der zweiten Beilage bestätigt die Arbeitgeberin die Pensionsabfindung dem Grunde und der Höhe nach.
In der Folge erließ das Finanzamt ***FA-Ort*** am den Einkommensteuerbescheid 2019. Der Antrag des Bf. auf Dreijahresverteilung der Pensionsabfindung wurde (ohne Begründung) nicht berücksichtigt. Da gegen diesen Bescheid kein Rechtsmittel eingebracht wurde, erwuchs er in Rechtskraft.
Am reichte der Bf. seine Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2020 per Post ein. Wiederum vermerkte der Bf. im Abschnitt "Beilagen" außerhalb der vorgesehenen Felder: "2 Beilagen (wie 2019) Ansuchen + Bestätigung". Am erließ die belangte Behörde den Einkommensteuerbescheid 2020, wieder ohne in der Begründung auf den Antrag einzugehen.
Am brachte der Bf. über FinanzOnline ein Ersuchen um "Berichtigung" der Arbeitnehmerveranlagungen 2019 und 2020 ein, das jedenfalls hinsichtlich des Veranlagungszeitraums 2020 als (rechtzeitige) Beschwerde anzusehen ist. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2020 mit der Begründung ab, die Initiative zur Pensionsabfindung sei vom Bf. ausgegangen, weshalb eine Dreijahresverteilung nicht zulässig sei.
Mit (rechtzeitigem) Vorlageantrag vom begehrte der Bf. die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht und führte zusammengefasst aus, die Initiative sei nicht von ihm ausgegangen. Der Vorlageantrag enthält auch eine "Bitte um persoenl. Erscheinen vor Gericht vor neg. Bescheid". Am legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Akt und Vorlagebericht dem Bundesfinanzgericht vor.
2. Beweiswürdigung
Der Sachverhalt (Verfahrensgang) ergibt sich widerspruchsfrei aus den vorgelegten Aktenteilen und wurde von den Verfahrensparteien nicht bestritten. Das Bundesfinanzgericht konnte ihn daher als erwiesen annehmen und seiner Entscheidung zugrunde legen.
3. Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung
Gemäß § 274 Abs. 1 BAO hat eine mündliche Verhandlung stattzufinden, wenn dies in der Beschwerde oder im Vorlageantrag beantragt wurde oder wenn der Einzelrichter es für erforderlich hält.
Die im Vorlageantrag gestellte "Bitte um persoenl. Erscheinen vor Gericht vor neg. Bescheid" stellt keinen gültigen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung dar, zumal sie unter der Bedingung einer negativen Entscheidung ausgesprochen wurde und bedingte Prozesshandlungen grundsätzlich unwirksam sind (). Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erschien bei der gegebenen Sach- und Rechtslage (siehe den folgenden Abschnitt) auch sonst nicht geboten.
Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Der Bf. begehrt die Verteilung seiner 2019 erhaltenen Pensionsabfindung auf drei Jahre gemäß § 37 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 iVm § 32 Abs. 1 Z 1 EStG 1988. Die Pensionsabfindung wurde bisher im Veranlagungszeitraum 2019 in voller Höhe steuerlich erfasst.
Die belangte Behörde wertete das Schreiben des Bf. vom korrekterweise nicht (auch) als Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2019, da eine solche Interpretation dem Bf. angesichts der abgelaufenen Rechtsmittelfrist von vornherein jegliche Rechtsverteidigungsmöglichkeit nähme (vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 85 Tz 1 mit zahlreichen Judikaturfundstellen). Gegenstand des Verfahrens vor dem Bundesfinanzgericht ist somit ausschließlich der Einkommensteuerbescheid 2020.
Die Frage, ob die Verteilung der Abfindung auf drei Jahre zulässig ist, kann aber nur im Verfahren jenes Jahres geklärt werden, in welchem die Abfindung dem Bf. zugeflossen ist. Es ist dem Bundesfinanzgericht im Beschwerdeverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid 2020 verwehrt, über die Zulässigkeit einer Dreijahresverteilung abzusprechen, die bereits im - rechtskräftig gewordenen - Einkommensteuerbescheid 2019 berücksichtigt werden hätte müssen. Gäbe das Bundesfinanzgericht der Beschwerde hinsichtlich dem Jahr 2020 statt und würde es folglich ⅓ der Pensionsabfindung in diesem Jahr steuerlich berücksichtigen, hätte der Bf. nichts gewonnen, sondern wäre dadurch vielmehr ⅓ seiner Pensionsabfindung doppelt besteuert.
Allerdings wird die belangte Behörde noch beurteilen müssen, ob das Schreiben des Bf. vom hinsichtlich dem Einkommensteuerbescheid 2019 als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO interpretiert werden kann, und gegebenenfalls mit Bescheid darüber absprechen. Differenzen zwischen dem Bf. und der Abgabenbehörde über die Dreijahresverteilung können (erst) in einem allfälligen Beschwerdeverfahren gegen diesen Bescheid ausgetragen werden, und auch das nur dann, wenn ein tauglicher Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne des § 303 Abs. 1 BAO vorliegt, was ebenfalls zunächst die belangte Behörde zu beurteilen hat.
Sollte der Einkommensteuerbescheid 2019 - aufgrund welches Verfahrenstitels auch immer - abgeändert und die Dreijahresverteilung bewilligt werden, wären die Bescheide der zwei Folgejahre gemäß § 295 Abs. 3 BAO abzuändern, ohne dass es hierzu eines weiteren Antrags des Bf. bedürfe.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da, soweit für das Bundesfinanzgericht erkennbar, Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehlt, ob die Zulässigkeit der Dreijahresverteilung gemäß § 37 Abs. 2 EStG 1988 nur im Verfahren des Wurzeljahres oder auch in den Verfahren der Folgejahre geklärt werden kann, war die Revision zuzulassen.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 274 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 37 Abs. 2 Z 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.3100552.2021 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at