Abweisung eines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens, weil der Antragstellerin bereits anlässlich der Arbeitnehmerinnenveranlagung alle für die Besteuerung ihrer Einkünfte wesentliche Umstände bekannt waren.
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Anna Radschek in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO hinsichtlich Einkommensteuer 2017 bis 2020, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO
Die Beschwerdeführerin beantragte mit Eingabe vom die Wiederaufnahme der bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren betreffend Einkommensteuer 2017 bis 2020. In ihrem Antrag führte sie aus, dass sie von ihrem Arbeitgeber erst nachträglich darüber informiert worden sei, dass das Pendlerpauschale und der Pendlereuro für die Jahre nach ihrer Karenzzeit nicht mehr berücksichtigt worden seien. Laut Pendlerrechner betrage ihre Fahrtstrecke 72 km, und sie fahre im Monat mindestens achtmal die Strecke zur Arbeit und retour.
2. Angefochtene Bescheide
Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom wurden die Anträge mit der Begründung abgewiesen, die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 BAO lägen nicht vor, weil das "ledigliche" Vergessen etwas zu beantragen, keinen tauglichen Grund für eine Wiederaufnahme eines Verfahrens darstelle.
3. Beschwerden
In ihren rechtzeitig eingebrachten Beschwerden machte die Beschwerdeführerin geltend, ein Parteienantrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens sei dann zu bewilligen, wenn die neuen Tatsachen ohne grobes Verschulden der Partei im abgeschlossenen Verfahren nicht geltend gemacht worden seien. In ihrem Fall habe der Dienstgeber bis Ende des Jahres 2016 das Pendlerpauschale und den Pendlereuro im Wege der Lohnverrechnung berücksichtigt. Daher habe sie diesbezüglich nie im Zuge der Arbeitnehmerveranlagung tätig werden müssen. Ab 2017 habe der Dienstgeber aber aus unerklärlichen Gründen diese Beträge nicht mehr in Abzug gebracht. Dies sei ihr bis März 2022 nicht aufgefallen. Sie sei nicht sehr kundig in Steuer- und Lohnverrechnungsfragen und habe sich auch völlig auf ihren Dienstgeber verlassen. Daher sei ihr auf keinen Fall grobes Verschulden anzulasten.
Durch eine Wiederaufnahme des Verfahrens solle doch die Möglichkeit geschaffen werden, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen. Sollte die belangte Behörde gegenteiliger Meinung sein, so möchte sie die Wiederaufnahme von Amts wegen anregen. Im Rahmen der Ermessensübung sollte die Rechtsrichtigkeit vor der Rechtskraft stehen. Den Pendlerrechner-Ausdruck habe sie bereits zum offenen Beschwerdeverfahren betreffend Einkommensteuer 2021 eingereicht.
4. Beschwerdevorentscheidungen
Die belangte Behörde wies die Beschwerden mit Beschwerdevorentscheidungen vom als unbegründet ab und führte in der Begründung aus, der Antrag der Beschwerdeführerin beziehe sich auf § 303 Abs. 1 lit. b BAO, wonach Tatsachen und Beweismittel neu hervorgekommen sein müssen, welche im abgeschlossenen Verfahren nicht geltend gemacht wurden.
Die Tatsache, dass der Dienstgeber seit 2017 kein Pendlerpauschale mehr berücksichtigt habe, sei jedoch nicht neu hervorgekommen, sondern sei bereits aus den monatlichen Lohnzetteln im Jahr 2017 ersichtlich gewesen. Die Tatsache, dass ein Pendlerpauschale zustehe, sei ebenfalls nicht neu hervorgekommen, sondern bereits im Jahr 2017 festgestanden. Bei Durchsicht der monatlichen Lohnzettel wäre der Umstand, dass vom Dienstgeber kein Pendlerpauschale berücksichtigt worden sei, bereits im Jahr 2017 aufgefallen und hätte dieses entweder beim Dienstgeber wieder oder im Wege der Arbeitnehmerveranlagung im Jahr 2018 neu beantragt werden können.
Es liege somit kein Grund für eine Wiederaufnahme der Einkommensteuerveranlagung im Sinne des § 303 Abs. 1 BAO vor, weshalb die Beschwerden gegen die Bescheide über die Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme der Einkommensteuerveranlagung für die Jahr 2017 bis 2020 als unbegründet abzuweisen gewesen seien.
5. Vorlageanträge
Mit Eingaben vom stellte die Beschwerdeführerin den Antrag, ihre Beschwerde vom gegen die abweisenden Bescheide über die Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren für die Jahre 2017 bis 2020 dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen und begründete dies im Wesentlichen damit, wie folgt:
1. Betreffend verfehlte Bescheiderlassung
Mit den am erlassenen Beschwerdevorentscheidungen gemäß § 262 BAO für die Jahre 2017 bis 2020 seien neue "Einkommensteuerbescheide" erlassen worden. Sie habe jedoch in ihren Beschwerden vom die "verfahrensleitenden" Bescheide vom , mit denen die Wiederaufnahme der abgeschlossenen Einkommensteuerverfahren für 2017 bis 2020 abgewiesen worden seien, bekämpft.
Gegen die Einkommensteuerbescheide habe eine erfolgversprechende Beschwerde mangels offener Frist nicht erhoben werden können. Für den Fall einer korrekten Erledigung ihrer Beschwerde vom mit noch ausständigen "verfahrensleitenden" Bescheiden oder einer Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2017 bis 2020 von Amts wegen ziehe sie den Vorlageantrag damit gleichzeitig zurück.
2. Zum Hervorkommen neuer Tatsachen
Im jeweils letzten Satz des Spruchs der Beschwerdevorentscheidungen sei mitgeteilt worden, dass ihre Beschwerde als unbegründet abgewiesen worden sei. Das Finanzamt habe in der Begründung gemeint, dass die Nicht-Berücksichtigung des Pendlerpauschales nicht neu hervorgekommen sei. Aus den monatlichen Lohnzetteln wäre diese Tatsache ersichtlich gewesen.
Dem müsse sie entgegnen, dass ja keine Verpflichtung für einen Dienstnehmer bestehe, monatliche Gehaltsabrechnungen genau zu prüfen. Eine solche Prüfung erfordere entsprechendes fachliches Wissen auf dem Gebiet der Lohnverrechnung, worüber sie aber absolut nicht verfüge. Sie sei als ***Berufstätige*** in einem völlig anderen Bereich tätig und für die Lohnabrechnungsthematik nicht sensibilisiert. Dieses aufgetretene Manko ab Jänner 2017 sei nicht unbedingt auffällig gewesen, da es mit dem Jahreswechsel zu einer Anpassung der Bezüge (Lohnerhöhungen) gekommen sei, und andere Einflüsse wie eine Steuerreform oder geänderte Sozialversicherungs-Abzüge laufend vorkämen. Da sie die Einstellung des Pendlerpauschales weder selber beantragt habe noch ein geändertes Pendlerverhalten vorgelegen sei, habe sie mit diesem Manko nicht rechnen können und es daher auch nicht erkannt.
Dem Argument, die Tatsache sei nicht neu hervorgekommen, halte sie entgegen, das es doch eine Anwendungsvoraussetzung für eine Wiederaufnahme nach § 303 BAO sei, dass eine Tatsache schon existiert haben müsse. Dass sie in den Streitjahren durchgehend Pendlerin gewesen sei, sei ebenso unstrittig wie das Faktum der Nichterfassung der Pendlerförderung durch den Dienstgeber.
Die belangte Behörde ignoriere aber den tatsächlichen Zeitpunkt des Neu-Hervorkommens der Nichterfassung der Pendler-Förderung aus Sicht der Beschwerdeführerin. Dass ihr die Pendlerbegünstigung zustehe, sei für sie unstrittig und natürlich bekannt gewesen. Sie sei nur von einer fortlaufenden Gewährung ausgegangen. Die Tatsache der unterbliebenen Lohnsteuerreduktion sei für sie tatsächlich erst später neu hervorgekommen, wodurch sie bei den Arbeitnehmerveranlagungen für die Jahre 2017 bis 2020 diesbezüglich die Beantragung im guten Glauben - in Analogie zu den Jahren bis 2016 - unterlassen habe.
Dass die Beschwerdeführerin in den Streitjahren durchgehend Pendlerin gewesen sei, sei unstrittig, und es sei ihr natürlich auch klar gewesen, dass ihr damit eine Pendlerbegünstigung zustehe. Erstaunlicherweise werde von der belangten Behörde aus diesem Faktum automatisch abgeleitet, dass eine Nicht-Berücksichtigung durch den Dienstgeber damit eine bekannte Tatsache sei. Dieser Rückschluss verschließe sich ihrem Verständnis und sei völlig verfehlt. Dementsprechend sei die in den bekämpften Bescheiden vom geäußerte Folgerung, dass das bloße Vergessen etwas zu beantragen keinen tauglichen Grund für eine Wiederaufnahme darstelle, ebenso verfehlt. Es habe sich um kein Vergessen gehandelt.
3. Fehlende Ermessensübung
Eine Wiederaufnahme auf Antrag und eine solche von Amts wegen im Sinne des § 303 BAO sei eine Ermessensentscheidung der Behörde. § 20 BAO sehe vor, dass eine Abwägung der Interessen zu erfolgen habe und Überlegungen zur Ermessensübung darzulegen wären. Weder den bekämpften Bescheiden vom noch den Beschwerdevorentscheidungen vom seien Aussagen zur Ermessensübung zu entnehmen.
Es sei bei der Entscheidung offenbar unberücksichtigt geblieben, dass die Beschwerdeführerin zwei schulpflichtige Kinder habe und mit ihrem Ehemann einen vierköpfigen Haushalt zu führen habe. Daneben müsse sie sich um ihre betagten Eltern kümmern, die unweit von ihr wohnten. In ihrem herausfordernden Job als ***Berufstätige*** in X komme die angesprochene Erschwernis des Pendelns hinzu.
Unter diesen geschilderten Umständen könne die belangte Behörde nicht einfach davon ausgehen, dass ihr der Lohnverrechnungsfehler ihres Dienstgebers habe bekannt sein müssen.
In der Folge führte die Beschwerdeführerin unter Punkt 4. die ihrer Meinung nach die von ihr vertretene Ansicht bestätigende Literatur und Judikatur an.
6. Beschwerdevorlage
Die belangte Behörde legte die Beschwerden dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und führte im Vorlagebericht vom nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der bei der Beurteilung der Beschwerden heranzuziehenden gesetzlichen Bestimmungen in ihrer Stellungnahme aus, es sei zunächst darauf hinzuweisen, dass eine verfehlte Bescheiderlassung von Seiten der Abgabenbehörde nicht vorliege. Eine neue Sachentscheidung sei lediglich am für das Veranlagungsjahr 2018 im Zusammenhang mit einer amtswegigen Wiederaufnahme auf Grund einer (geänderten) Mitteilung über Sonderausgaben (Spenden, Kirchenbeiträge oder Beiträge für die freiwillige Weiterversicherung oder für den Nachkauf von Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung) ergangen.
Nach allgemeinen Ausführungen zum Verfahren gemäß § 303 BAO sowie betreffend Inanspruchnahme des Pendlerpauschales und des Pendlereuros und unter Bezugnahme auf Erkenntnisse des Bundesfinanzgerichtes und des Verwaltungsgerichtshofes erklärte die belangte Behörde, die Beschwerdeführerin habe in den beschwerdegegenständlichen Veranlagungsjahren kein Pendlerpauschale und keinen Pendlereuro in ihren Abgabenerklärungen geltend gemacht und auch kein entsprechendes Formular vorgelegt. Ihr eigener Wohnort, der Ort der Arbeitsstätte und die dorthin getätigten Fahrten seien ihr zweifellos bekannt gewesen, und sie habe von der grundsätzlichen Möglichkeit der Geltendmachung des Pauschales Kenntnis gehabt, weil sie es in den Vorjahren regelmäßig beantragt habe. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs habe die in der BAO vorgesehene Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens nicht den Zweck, Versäumnisse oder Irrtümer der Parteien zu sanieren. Von einem nachträglichen Hervorkommen von Tatsachen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht hätten geltend gemacht werden können, könne nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs keine Rede sein, wenn die Partei wegen mangelnder Information über die Auswirkung einzelner Sachverhaltselemente, wegen unzutreffender rechtlicher Beurteilung des Sachverhaltes oder wegen Fehlbeurteilung der Gesetzeslage im vorangegangenen Verfahren die maßgebenden Tatsachen nicht vorgebracht habe. Die Folgen eines Rechtsirrtums könnten nicht durch einen Wiederaufnahmeantrag beseitigt werden. Nichts anderes gelte für die Unkenntnis einer Gesetzesbestimmung, die unter den Begriff des Rechtsirrtums im weiteren Sinn falle. Da sie keine nachträglich hervorgekommene Tatsache darstelle, sei es für das beantragte Wiederaufnahmeverfahren auch nicht relevant, ob dem Wiederaufnahmewerber die Unkenntnis subjektiv vorwerfbar sei und wann er von der Rechtslage Kenntnis erlangt habe. Die nachteiligen Folgen einer früheren, unzutreffenden Würdigung oder Wertung bzw. einer fehlerhaften, rechtlichen Beurteilung - gleichgültig durch welche Umstände veranlasst - ließen sich nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen. Das Wiederaufnahmeverfahren sei daher nicht geeignet, den Abzug von im Veranlagungsverfahren irrtümlich nicht als Werbungskosten geltend gemachten Ausgaben oder von einem nicht geltend gemachten Pendlerpauschale und Pendlereuro nach Eintritt der Rechtskraft zu ermöglichen.
Eine Partei, die im vorangegangenen Verfahren Gelegenheit gehabt habe, die ihr bekannten Tatsachen oder die ihr zur Verfügung stehenden Beweismittel für ihren Anspruch vorzubringen, diese Gelegenheit aber zufolge Fehlbeurteilung oder aus mangelnder Obsorge versäumt habe, habe die Folgen daraus zu tragen und könne sich nicht auf diesen Wiederaufnahmegrund berufen.
Hinsichtlich der von der Beschwerdeführerin bemängelten Ermessensübung werde ausgeführt, die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2017 bis 2020 hätten eine Gutschrift enthalten. Die Wiederaufnahme des Verfahrens stehe im Ermessen der Abgabenbehörde. Der Ermessensspielraum der Abgabenbehörde sei im Fall der amtswegigen Wiederaufnahme nach Abweisung eines Antrags auf Wiederaufnahme tendenziell weiter (bzw. eine restriktivere Ermessensauslegung gerechtfertigt), weil die amtswegige Wiederaufnahme nicht der Substituierung der Voraussetzungen der Wiederaufnahme auf Antrag diene. Unbeschadet der generellen Ermessenskriterien im Zusammenhang mit der Wiederaufnahme des Verfahrens (im gegebenem Zusammenhang vor allem absolute und relative Geringfügigkeit der Auswirkungen) werde bei der Ermessensentscheidung auch das steuerliche Verhalten des Abgabepflichtigen zu berücksichtigen sein.
Auf eine amtswegige Maßnahme bestehe jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kein Rechtsanspruch. Auch eine Entscheidungspflicht über eine Anregung einer amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens bestehe nicht.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Da die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für das Pendlerpauschale und den Pendlereuro erfüllte, wurde dies vom Dienstgeber und in der Folge im Rahmen der Arbeitnehmerinnenveranlagung bis einschließlich 2016 berücksichtigt.
Obwohl sich in den Folgejahren daran nichts geändert hat, nahm der Dienstgeber in den Jahren 2017 bis 2020 von einer Berücksichtigung des Pendlerpauschales und des Pendlereuros Abstand. Die Beschwerdeführerin wusste zwar über ihren weiterhin bestehenden Anspruch Bescheid, unterließ es aber, diesen im Rahmen der Arbeitnehmerinnenveranlagungen 2017 bis 2020 geltend zu machen, weil sie von dessen weiterer Berücksichtigung durch den Dienstgeber - ohne Überprüfung - ausging.
Erst als ihr die Nichtberücksichtigung des Pendlerpauschales und des Pendlereuros in den Jahren 2017 bis 2020 aufgefallen war, beantragte sie, die Einkommensteuerverfahren für 2017 bis 2020 wiederaufzunehmen und das Pendlerpauschale sowie den Pendlereuro zu berücksichtigen.
2. Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Unterlagen und ist auch nicht strittig.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Gemäß § 303 Abs. 2 BAO hat der Wiederaufnahmsantrag zu enthalten:
a) die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt wird;
b) die Bezeichnung der Umstände (§ 303 Abs. 1 BAO), auf die der Antrag gestützt wird.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen hat, hat ein Antrag auf Wiederaufnahme - bei Geltendmachung des Wiederaufnahmetatbestandes der neu hervorgekommenen Tatsachen - insbesondere die Behauptung zu enthalten, dass Tatsachen oder Beweismittel für den Steuerpflichtigen "neu hervorgekommen sind". Aus dem insoweit klaren Wortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b iVm Abs. 2 lit. b BAO ist somit abzuleiten, dass bei einem derartigen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht der antragstellenden Person zu beurteilen ist (vgl. , mwN). Tatsachen, die der Beschwerdeführerin schon immer bekannt gewesen sind (wie hier das Zurücklegen einer Strecke von 72 km vom Wohnort zur Arbeitsstätte), deren steuerliche Berücksichtigung sie aber unterlassen hat, eröffnen ihr daher keinen Antrag auf Wiederaufnahme (vgl. )
Die Beschwerdeführerin gibt selbst an, dass ihr sowohl die von ihr zurückgelegte Strecke zwischen Wohnort und Arbeitsstätte als auch ihr Anspruch auf Berücksichtigung des Pendlerpauschales und des Pendlereuros bekannt waren, und dass sie deren Beantragung nur deshalb unterlassen habe, weil ihr nicht bewusst gewesen sei, dass der Dienstgeber ihren Anspruch in den Jahren 2017 bis 2020 nicht berücksichtigt habe.
Die Wiederaufnahme des Verfahrens auf Antrag einer Partei gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO ist aber nur dann zulässig, wenn der Antragstellerin Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, aufgrund derer ein Anspruch auf eine Herabsetzung der Einkommensteuer begründet werden kann. Diese Tatsachen und Beweismittel waren der Beschwerdeführerin bereits im Rahmen der Arbeitnehmerinnenveranlagungen 2017 bis 2020 bekannt. Sie befand sich lediglich im Irrtum darüber, dass ihr Anspruch auf Gewährung des Pendlerpauschales und des Pendlereuros in den Einkommensteuerbescheiden 2017 bis 2020 nicht berücksichtigt worden war. Ein derartiger Irrtum stellt aber keinen Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 303 BAO dar.
Bei der Wiederaufnahme des Verfahrens ist zwischen der Rechtsfrage, ob der Tatbestand einer Wiederaufnahme gegeben ist, und der Frage der Durchführung der Wiederaufnahme, die im Ermessen der Behörde liegt, zu unterscheiden (vgl. ). Die Subsumption, ob ein bestimmter Sachverhalt den Wiederaufnahmetatbestand der neu hervorgekommenen Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO erfüllt, stellt somit keine Ermessensentscheidung dar (vgl. etwa ; , 2006/13/0114; , 2002/13/0029; , 2006/14/0002; , 98/13/0026; ).
Die Beschwerdeführerin fordert damit zu Unrecht eine Ermessensentscheidung ein, weil bereits das Vorliegen eines Wiederaufnahmsgrundes verneint werden muss.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da über die im gegenständlichen Fall zu entscheidende Rechtsfrage, ob ein tauglicher Wiederaufnahmsgrund für die Beschwerdeführerin vorlag, im Sinne der wiedergegebenen ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. bspw. ) entschieden wurde, war die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision auszusprechen.
Wien, am
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 303 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.7103338.2022 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at