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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 15.02.2023, RV/5101272/2020

Wiederaufnahme von Amts wegen - (k)ein neuer Lohnzettel

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***USt*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Kirchdorf Perg Steyr vom betreffend Wiederaufnahme § 303 BAO / ESt 2018 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird - ersatzlos - aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Verfahrensgang/Sachverhalt

Der Arbeitgeber ***XY***, übermittelte dem Finanzamt am , für den Zeitraum bis , einen Lohnzettel mit steuerpflichtigen Bezügen (KZ 245) iHv Euro 9.572,49. Das Arbeitsmarktservice, die OÖ Gebietskrankenkasse, sowie das Sozialministeriumservice übermittelten folgende Meldungen an das Finanzamt (chronologische Darstellung in Tabellenform):

Die belangte Behörde erließ am den Erstbescheid betreffend Einkommensteuer 2018 (antragslose Arbeitnehmerveranlagung).

Der Erstbescheid enthielt auf Grund der Kontrollrechnung nach § 3 Abs. 2 EStG anzusetzende Einkünfte iHv Euro 746,35 und 162,25 (insgesamt somit € 908,60).

Mit Bescheid vom nahm die belangte Behörde das Verfahren betreffend Einkommensteuer 2018 gemäß § 303 Abs. 1 BAO wieder auf und begründete wie folgt:

"Wir haben das Verfahren nach § 303 Abs. 1 BAO wiederaufgenommen, da es nachträglich eine oder mehrere der folgenden Änderungen gegeben hat:
-Ein Lohnzettel wurde berichtigt oder neu übermittelt.
-Eine Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe wurde berichtigt oder neu übermittelt.
Die nähere Begründung finden Sie im neuen Einkommensteuerbescheid."

Im ursprünglichem Einkommensteuerbescheid vom wurden die auf Grund der Kontrollrechnung anzusetzenden Einkünfte mit € 908,60 angesetzt, im wiederaufgenommenen Einkommensteuerbescheid vom mit € 5.419,15. Durch die Neufestsetzung der Einkommensteuer und unter Berücksichtigung des bisher vorgeschriebenen Betrages (Gutschrift iHv Euro 1.135,00) ergab sich eine Nachforderung iHv € 979,00.

Begründet wurde der Bescheid wie folgt:

"Wir haben nachträglich Informationen zu Lohnzettelangaben oder Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe erhalten. Die Beträge finden Sie in der Aufstellung.

Sie haben steuerfreie Leistungen wie z. b. Arbeitslosengeld, Notstandshilfe oder bestimmte Bezüge als Soldat oder Zivildiener bezogen. In diesem Fall sieht das Einkommensteuergesetz 2 Berechnungsvarianten vor (§ 3 Abs 2 EStG 1988). Die für Sie günstigere Kontrollrechnung haben wir angewendet und ein Einkommen von 14.556,64 zu Grunde gelegt.

Welche Berechnungsvarianten gibt es?

1. Die Umrechnungsvariante: Hier rechnen wir ihre steuerpflichtigen Einkünfte auf einen Jahresbetrag um und berücksichtigen Sonderausgaben und andere Einkommensabzüge. Dadurch ergibt sich ein Durchschnittssteuersatz, den wir auf ihr Einkommen anwenden.

2. Die Kontrollrechnung: Hier werden die steuerfreien Bezüge direkt dem steuerpflichtigen Einkommen hinzugerechnet und besteuert."

In der auch gegen den Wiederaufnahmebescheid vom fristgerecht erhobenen Beschwerde vom (eingelangt am ) begehrte die Beschwerdeführerin (Bf.) die ersatzlose Aufhebung der angefochtenen Bescheide. Begründend führte die Bf. aus:

"Mit erstgenannten Bescheid verfügte das Finanzamt die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2018. Begründend führte das Finanzamt unter Verweis auf den neuen Einkommensteuerbescheid 2018 an, dass es "nachträglich Informationen zu Lohnzettelangaben oder Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe erhalten [habe]." Das Verfahren sei wiederaufgenommen worden, da nachträglich Lohnzettel oder eine Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen "berichtigt oder neu übermittelt" worden seien.

Laut telefonischer Auskunft des Finanzamts am wurden die nunmehr berücksichtigten Beträge für 2018 von der Gebietskrankenkasse jedoch zweimal, in selbiger Höhe an das Finanzamt gemeldet: und .

Zum Zeitpunkt der Erlassung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides am waren diese Beträge dem Finanzamt daher bereits bekannt. Es ist daher nicht richtig, dass berichtigte oder neu übermittelte Beträge vorliegen und war eine Wiederaufnahme des bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens daher nicht zulässig.

Ich beantrage die ersatzlose Aufhebung der angefochtenen Bescheide.

[…]"

Am wurde die Beschwerde mittels Beschwerdevorentscheidung über den Bescheid hinsichtlich Einkommensteuer 2018 (aus der Begründung ersichtlich - gemeint hinsichtlich Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2018) abgewiesen. Begründend wurde festgehalten:

"Die Beschwerde gegen die Wiederaufnahme wird abgewiesen, da zum Zeitpunkt der Erstellung des Einkommensteuerbescheide 2018 am der für die Kontrollrechnung nach § 3 Abs. 2 EStG 1988 anzusetzende übermittelte Betrag 908,60 € anstatt der richtigerweise anzusetzende Betrag 5.419,15 € ausgewiesen wurde. Die Wiederaufnahme wurde unter Abwägung von Billigkeits- und Zweckmäßigkeitsgründen (§ 20 BAO) verfügt. Im vorliegenden Fall überwiegt das Interesse der Behörde an der Rechtsrichtigkeit der Entscheidung das Interesse auf Rechtsbeständigkeit, und die Auswirkungen können nicht als geringfügig angesehen werden."

Mit Schriftsatz vom (eingelangt am ) stellte die Bf. fristgerecht einen Antrag auf Vorlage der Beschwerde vom an das Bundesfinanzgericht. Die Bf. führte (ergänzend) aus:

"In der Begründung der Beschwerdevorentscheidung betreffend Einkommensteuer 2018 führt das Finanzamt aus, dass die Wiederaufnahme abzuweisen sei, "da zum Zeitpunkt der Erstellung des Einkommensteuerbescheide 2018 am der für die Kontrollrechnung nach § 3 Abs. 2 EStG 1988 anzusetzende übermittelte Betrag 908,60 € anstatt richtigerweise anzusetzende Betrag 5.419,15 ausgewiesen wurde". Dies widerspricht aber der Auskunft, die mir am telefonisch vom Finanzamt mitgeteilt wurde. Demnach wurden die nunmehr berücksichtigten Beträge für 2018 von der Gebietskrankenkasse jedoch zweimal, in selbiger Höhe an das Finanzamt gemeldet: am und . Die auskunftserteilende Finanzamtsmitarbeiterin, die ihren Namen leider beim Telefonat nicht mitgeteilt hatte, meinte, dies sei so aus dem Verfahrensakt ersichtlich. Zum Zeitpunkt der Erlassung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides am waren diese Beträge dem Finanzamt daher bereits bekannt. Es ist daher nicht richtig, dass berichtigte oder neu übermittelte Beträge vorliegen und war eine Wiederaufnahme des bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens daher nicht zulässig. Ich beantrage die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Erlassung eines neuen Bescheides, mit dem meinem Beschwerdevorbringen Rechnung getragen wird."

Am legte die belangte Behörde die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid vom dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

2. Beweiswürdigung

Dem Sachverhalt liegen die im Zuge der Aktenvorlage übermittelten Dokumente, insbesondere die ergangenen Bescheide der Finanzverwaltung zu Grunde. Die Daten der Lohnzettelübermittlungen wurden aus den vorgelegten Ausdrucken, VKSA - Meldungen (HG, KG, ALG) - Auskunft, sowie der Einsicht in den Veranlagungsakt (aktive und historische Lohnzettel) ermittelt.

Strittig ist, ob, wie von der Bf. vorgebracht, die Meldungen der OÖ Gebietskrankenkasse dem Finanzamt bereits vor erlassen des Erstbescheides bekannt waren.

Der Erstbescheid enthielt auf Grund der Kontrollrechnung nach § 3 Abs. 2 EStG anzusetzende Einkünfte iHv Euro 746,35 und 162,25 (insgesamt somit € 908,60).

Der wiederaufgenommene Einkommensteuerbescheid 2018 vom enthielt auf Grund der Kontrollrechnung nach § 3 Abs. 2 EStG anzusetzende Einkünfte in Höhe von insgesamt € 5.419,15. Diese setzten sich aus den Bezüge des Arbeitsmarktservice (wie im Erstbescheid) und zudem Leistungen der OÖ Gebietskrankenkasse iHv € 616,55, € 908,60, € 908,60, € 259,60, € 908,60, und € 908,60 zusammen.

Die unterschiedliche Berücksichtigung der auf übermittelten Daten beruhenden Bezügen der OÖ Gebietskrankenkasse als auch des Arbeitsmarktservice Österreich in den ergangenen Bescheiden lassen sich aus den Verfahrensakten nicht nachvollziehen. Aus den ermittelten und dargestellten Übermittlungsdaten der Bezugsmeldungen der OÖ Gebietskrankenkasse und des Arbeitsmarktservice lässt sich jedoch klar ableiten, dass sämtliche relevanten Meldungen, insbesondere die der OÖ Gebietskrankenkasse über Zeitraum und Bezugshöhe, dem Finanzamt vor der Erlassung des Erstbescheides vorlagen. Aus den überprüften Lohnzettelmeldungen der OÖ Gebietskrankenkasse ergibt sich unzweifelhaft eine zweifache Übermittlung der identen Bezugsdaten erstmals am und nochmals am .

Die Meldungen der OÖ Gebietskrankenkasse waren dem Finanzamt bereits vor Erlassung des Erstbescheides bekannt. Diese Lohnzettel/Meldungen wurden durch die OÖ Gebietskrankenkasse erstmalig am und erneut am , übermittelt.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

§ 303 Abs. 1 BAO lautet:

"Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder […]"

§ 93 BAO regelt den Inhalt von Bescheiden. In § 93 Abs. 3 lit a BAO ist normiert, dass der Bescheid, wenn ihm ein Anbringen (§ 85 Abs. 1 oder 3) zugrunde liegt, dem nicht vollinhaltlich Rechnung getragen wird, oder wenn er von Amts wegen erlassen wird, eine Begründung zu enthalten hat.

§ 307 Abs. 3 BAO lautet:

[…]

"Durch die Aufhebung des die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat."

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur erkennt, besteht die Aufgabe des Verwaltungsgerichtes bei Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen die amtswegige Wiederaufnahme durch das Finanzamt darin, zu prüfen, ob dieses das Verfahren aus den von ihm gebrauchten Gründen wiederaufnehmen durfte, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme auch aus anderen Wiederaufnahmegründen zulässig gewesen wäre (; , Ra 2017/15/0063; und die darin zitierte Judikatur des VwGH). Das Bundesfinanzgericht könne zwar gemäß § 279 Abs. 1 BAO in der Sache auch durch Abänderung des angefochtenen Bescheides nach jeder Richtung entscheiden, die Abänderung müsste aber jedenfalls innerhalb der "Sache" bleiben; die Heranziehung eines zusätzlichen Wiederaufnahmegrundes durch das BFG wäre eine Überschreitung der Begrenzung durch die "Sache" (siehe auch Ritz in SWK 12/2019, 602).

Eine Tatsache (bzw. Beweismittel) ist "neu hervorgekommen" (nova reperta), wenn sie schon vor Erlassung des das wiederaufzunehmende Verfahren zuletzt abschließenden Bescheides bestanden hat, aber erst nach diesem Zeitpunkt bekannt wird (vgl. ; , Ro 2014/15/0035; ; , RV/7101946/2019; , RV/2101157/2019; , RV/5100893/2018; , RV/5101112/2017).

Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, muss das Bundesfinanzgericht den vor ihm bekämpften Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben (vgl. zB. ; ).

Die Übermittlung der Lohnzettel dient zu Kontrollzwecken und soll bewirken, dass bei einer Veranlagung die lohnsteuerpflichtigen Einkünfte in zutreffender Höhe erfasst werden (Ebner in Jakom EStG15, § 84, RZ 1).

Dem Finanzamt wurden die Lohnzettel/Meldungen der OÖ Gebietskrankenkasse bereits am elektronisch übermittelt und wiesen die Bezugszeiträume und die konkret erbrachten Leistungen aus. Durch die erneute elektronische Übermittlung am wurden keine neuen Tatsachen bekannt. Vielmehr enthielten die übermittelten Daten vom inhaltlich exakt die gleichen Bezugszeiträume und die konkret erbrachten Leistungen. Somit fehlt der Wiederaufnahme der wesentliche Grund, eine Tatsache die neu bekannt wurde oder hervorgekommen ist. Im Zeitpunkt der Erlassung des Erstbescheides am , waren die Einkünfte in richtiger Höhe erfasst und konnten daher tatsächlich der Veranlagung zugrunde gelegt werden. Die nachträgliche Übermittlung von Meldungen, die keinerlei Änderungen oder Berichtigungen erfuhren, stellt daher keinen Wiederaufnahmegrund dar und erfolgte diese rechtswidrig.

Die mangelnde Begründung und Darlegung des Wiederaufnahmegrundes, sowie die fehlende Begründung der Ermessensentscheidung behaften für sich alleine, die Wiederaufnahme mit einem erheblichen Rechtsmangel, der in der Beschwerdevorentscheidung nicht saniert werden konnte (vgl , Ritz in SWK 12/2019, S 602).

Durch die Aufhebung des Wiederaufnahmebescheides tritt nach § 307 Abs. 3 BAO das Verfahren betreffend Einkommensteuer in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat.

Durch die Aufhebung des Wiederaufnahmebescheides scheidet der neue Sachbescheid (Einkommensteuerbescheid 2018 vom ) ex lege aus dem Rechtsbestand aus und der Erstbescheid betreffend die Einkommensteuer 2018 vom erlangt wieder Rechtswirksamkeit (vgl. ).

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Finanzamt die Wiederaufnahme des Verfahrens auf Umstände gestützt, die keinen Wiederaufnahmegrund darstellen, so ist, entsprechend der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. ; , 2010/15/0052), der angefochtene Bescheid im Beschwerdeverfahren ersatzlos aufzuheben.

Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision liegen daher nicht vor.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 307 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.5101272.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at