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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 07.03.2023, RV/1100337/2021

Drittelbegünstigung für eine ausbezahlte Freizügigkeitsleistung?

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Peter Bilger in der Beschwerdesache ***Bf1***, vertreten durch die E. Igerz & Co Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungs GmbH, Bergmannstraße 7, 6850 Dornbirn, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer 2018 zu Recht erkannt:

I. Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Der in Österreich wohnhafte Beschwerdeführer (in der Folge: Bf.) war bis bei der ***Bf1-AG1*** in ***V.*** unselbständig beschäftigt. Im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit war er im Rahmen der 2. Säule des Schweizer Versicherungssystems, der betrieblichen Pensionsvorsorge, bei zwei Pensionskassen der ***S-AG*** versichert, und zwar bei der ***Pk1*** mit den obligatorischen Versicherungsbeiträgen und beim ***Pk2*** mit den überobligatorischen Beiträgen.

3. Mit der Beendigung seiner Tätigkeit bei der ***Bf1-AG1*** schied der Bf. auf den Vorsorgeeinrichtungen der ***S-AG*** aus. Das zu diesem Zeitpunkt bestehende Guthaben bei der ***Pk1*** betrug 137.091,77 Euro (160.752,25 CHF), das Guthaben beim ***Pk2*** betrug 102.247,92 Euro (119.894,75 CHF). Beide Guthaben wurden am auf ein Freizügigkeits-Sperrkonto bei der Liechtensteinischen Landesbank überwiesen.

4. Am stellte der Bf. einen Antrag an die Finanzmarktsaufsicht Liechtenstein auf Freigabe des Pensionskassen-Sperrkontos. Dem Antrag gab die Finanzmarktaufsicht Liechtenstein am mit der Begründung statt, der Bf. erfülle die Voraussetzungen gemäß Art. 12 Abs. 4 BPVG.

5. Am überwies die Liechtensteinische Landesbank den Betrag von 239.620,66 Euro (280.976,46 CHF) auf ein Konto des Bf. Für die Bearbeitung des Antrages auf Barauszahlung wurde ein Betrag in Höhe von 170,56 Euro (200,00 CHF) in Rechnung gestellt.

6. Nach Beendigung des Dienstverhältnisses mit der ***Bf1-AG1*** bezog der Bf. zunächst in Österreich Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Im Dezember 2016 beteiligte sich der Bf. mit 50% an der ***Bf1-AG2*** in ***R.**.

7. Mit der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2018 beantragte der Bf. ein Drittel des Auszahlungsbetrages aus der Schweizer Pensionskasse abzüglich der Bearbeitungsgebühr, das sind 79.816,70 Euro (93.592,15 CHF) gemäß § 124 b Z 53 EStG 1988 steuerfrei zu belassen.

8. Das Finanzamt gab diesem Antrag im angefochtenen Bescheid nicht statt und unterzog die gesamte Pensionskassenzahlung der Einkommensteuer. Zur Begründung führte es aus, die Drittelbegünstigung des § 124b Z 53 EStG 1988 stehe nicht zu, weil der Bf. das Freizügigkeitsguthaben bei Dienstantritt bei der ***Bf1-AG2*** zur Erhaltung seines Vorsorgeschutzes vom Sperrkonto auf die neue Vorsorgeeinrichtung übertragen hätte müssen. Es habe daher kein Zwang zur Auszahlung des Vorsorgekapitals bestanden.

9. In der gegen diesen Bescheid rechtzeitig erhobenen Beschwerde wandte der Bf. durch seine steuerliche Vertretung ein, er habe sein Dienstverhältnis mit der ***Bf1-AG1*** mit beendet und sich nach einem sechsmonatigen Bezug von Leistungen aus der österreichischen Arbeitslosenversicherung mit 50% an einer Aktiengesellschaft in Liechtenstein beteiligt. Dort sei er als geschäftsführender Gesellschafter tätig und beziehe Einkünfte iSd § 22 EStG. Gemäß Art. 12 Abs. 4 BPVG könne die Freizügigkeitsleistung in derartigen Fällen ausbezahlt werden, da der Bf. in Österreich nicht der Versicherungspflicht unterliege und sich in Liechtenstein selbständig gemacht habe. Ein Wahlrecht zwischen einem Rentenbezug und einer Kapitalabfindung bestehe nicht.

10. Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom ab. Zur Begründung führte es zusammengefasst aus, die Anwendung des § 124b Z 53 EStG 1988 setze voraus, dass kein begünstigungsschädliches Wahlrecht zwischen Rente und Kapitalabfindung bestanden, sondern ein Zwang zur Auszahlung des Vorsorgekapitals vorgelegen habe. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () sei es begünstigungsschädlich, wenn anlässlich der Wiederaufnahme der Auslandstätigkeit die Übertragung der auf dem Sperrkonto liegenden Austrittsleistung an die Vorsorgeeinrichtung des neuen Arbeitgebers möglich gewesen wäre und der Bf. auf diese Weise die Möglichkeit gehabt hätte, Rentenbezüge zu erzielen. Im Beschwerdefall hätte der Bf. das Freizügigkeitsguthaben Betrag vom Freizügigkeitskonto auf die Vorsorgeeinrichtung der neuen Arbeitgeberin übertragen und auf diese Weise den Vorsorgeschutz in Rentenform aufrechterhalten können, womit ein die Anwendbarkeit des § 124 b Z 53 EStG 1988 ausschließendes Wahlrecht vorgelegen habe.

11. Mit Schreiben vom stellte der Bf. den Antrag auf Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht und beantragte erneut, dass ein Drittel der Freizügigkeitsleistung gemäß § 124 b Z 53 EStG 1988 steuerfrei behandelt werde.

12. Mit Schreiben vom ersuchte das Bundesfinanzgericht den Bf. anzugeben, ob er bei der Vorsorgeeinrichtung der ***Bf1-AG2***, der Stiftung Sozialfonds, Essanestraße 152, 9492, Eschen, nach den Bestimmungen des Gesetzes vom 20. Oktober über die betriebliche Personalvorsorge (BPVG) obligatorisch gemäß Art. 3 Abs. 2 BPVG oder freiwillig gemäß Art. 1 Abs. 4 BPVG versichert sei und im Falle einer freiwilligen Versicherung bekanntzugeben, ob und bejahendenfalls in welchem Ausmaß sich der Dienstgeber an den Kosten für die Versicherung beteilige.

13. Dieser Vorhalt wurde vom Sozialfonds Liechtenstein am beantwortet. Danach war der Bf. in den Jahren 2017 bis 2022 bei der Stiftung Sozialfonds pensionskassenversichert. Da er im Handelsregisterauszug der Firma eingetragen war, habe für keine Versicherungspflicht bestanden. Der Bf. habe sich aber freiwillig versichert. In solch einem Fall müsse die freiwillig versicherte Person wie ein Arbeitnehmer im Angestelltenverhältnis behandelt und abgerechnet werden. Gemäß den dem Sozialfonds vorliegenden Unterlagen sind die Versicherungsbeiträge zwischen der ***Bf1-AG2*** als der Arbeitgeberin und dem Bf. als Arbeitnehmer je zur Hälfte getragen worden.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

1. Der in Österreich wohnhafte Beschwerdeführer (in der Folge: Bf.) war bis bei der ***Bf1-AG1*** in ***V.*** unselbständig beschäftigt. Im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit war er im Rahmen der 2. Säule des Schweizer Versicherungssystems, der betrieblichen Pensionsvorsorge, bei zwei Pensionskassen der ***S-AG*** versichert, und zwar bei der ***Pk1*** mit den obligatorischen Versicherungsbeiträgen und beim ***Pk2*** mit den überobligatorischen Beiträgen.

3. Mit der Beendigung der Tätigkeit des Bf. bei der ***Bf1-AG1*** schied der Bf. auf den Vorsorgeeinrichtungen der ***S-AG*** aus. Das zu diesem Zeitpunkt bestehende Guthaben bei der ***Pk1*** betrug 137.091,77 Euro (160.752,25 CHF), das Guthaben beim ***Pk2*** betrug 102.247,92 Euro (119.894,75 CHF). Beide Guthaben wurden am auf ein Freizügigkeits-Sperrkonto bei der Liechtensteinischen Landesbank überwiesen.

4. Vom bis zum bezog der Bf. Arbeitslosengeld vom Arbeitsmarktservice (AMS).

5. Im Dezember 2016 gründete er zusammen mit einem Geschäftspartner in Liechtenstein die momennz Aktiengesellschaft, an der er zu 50% beteiligt ist. Die ***Bf1-AG2*** wurde am mit Sitz in ***R.** in das Liechtensteinische Handelsregister eingetragen. Im Rahmen dieser Tätigkeit ist er seit 2017 bei der Pensionskasse der ***Bf1-AG2***, der Stiftung Sozialfonds, pensionskassenversichert. Die Beiträge an die Pensionskasse werden je zur Hälfte vom Bf. und der ***Bf1-AG2*** getragen.

6. Am stellte der Bf. einen Antrag an die Finanzmarktsaufsicht Liechtenstein auf Freigabe des Pensionskassen-Sperrkontos. Dem Antrag gab die Finanzmarktaufsicht Liechtenstein am mit der Begründung statt, der Bf. erfülle die Voraussetzungen gemäß Art. 12 Abs. 4 BPVG.

7. Am überwies die Liechtensteinische Landesbank den Betrag in Höhe von 239.620,66 Euro (280.976,46 CHF) auf ein Konto des Bf. Für die Bearbeitung des Antrages auf Barauszahlung wurde ein Betrag in Höhe von 170,56 Euro (200,00 CHF) in Rechnung gestellt.

2. Beweiswürdigung

Für die Sachverhaltsfeststellungen stützt sich das Bundesfinanzgericht auf die Eintragungen im Abgabeninformationssystem unter der Steuernummer des Bf. sowie die Angaben der Steuervertretung zum Sachverhalt, ferner aus das Schreiben der Finanzmarktaufsicht Liechtenstein vom betreffend die Freigabe des Sperrkontos, auf die "Kontosaldierung" der Liechtensteinischen Landesbank vom betreffend die Überweisung des Freizügigkeitskapitals und auf die Angaben der Stiftung Sozialfonds betreffend die freiwillige Pensionskassenversicherung des Bf. im Rahmen seiner Tätigkeit bei der ***Bf1-AG2***.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)

1. Gemäß § 25 Abs. 1 Z 2 lit. b EStG 1988 sind Bezüge und Vorteile aus ausländischen Pensionskassen (einschließlich aus ausländischen Einrichtungen im Sinne des § 5 Z 4 des Pensionskassengesetzes) als Einkünfte aus unselbständiger Arbeit steuerpflichtig.

2. Für Pensionsabfindungen von Pensionskassen sieht § 124b Z 53 EStG 1988 eine Steuerbegünstigung in Form der Steuerfreiheit eines Drittels der Pensionsabfindung vor.

124b Z 53 EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 54/2002, lautet:

"Zahlungen für Pensionsabfindungen, deren Barwert den Betrag im Sinne des § 1 Abs. 2 Z 1 des Pensionskassengesetzes übersteigt, sind gemäß § 67 Abs. 10 im Kalendermonat der Zahlung zu erfassen. Dabei ist bei Pensionsabfindungen, die im Jahre 2001 zufließen, nach Abzug der darauf entfallenden Beiträge im Sinne des § 62 Z 3, 4 und 5 ein Viertel steuerfrei zu belassen. Zahlungen für Pensionsabfindungen von Pensionskassen auf Grund gesetzlicher oder statutenmäßiger Regelungen sind nach Abzug der darauf entfallenden Pflichtbeiträge ab dem Jahr 2001 und in den folgenden Jahren zu einem Drittel steuerfrei zu belassen."

3. Dazu führen die parlamentarischen Erläuterungen zur Regierungsvorlage (927 BlgNR 21. GP) Folgendes aus:

"Ausländische gesetzliche Regelungen bzw. die darauf beruhenden Statuten der ausländischen Pensionskassen sehen vielfach Pensionsabfindungen vor. Eine Übertragung des abzufindenden Barwertes in eine inländische Pensionskasse ist nicht möglich. Diese Problematik betrifft insbesondere Grenzgänger, die in diesen Fällen keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung haben. Es wäre daher unbillig, Pensionsabfindungen in diesen Fällen zur Gänze tarifmäßig zu besteuern".

4. Zweck diese Bestimmung ist es also, eine volle tarifmäßige Besteuerung von Pensionsabfindungen zu vermeiden, falls keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme dieser Abfindung besteht (vgl. ).

5. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgeführt hat, setzt § 124b Z 53 EStG 1988 voraus, dass (insbesondere bei ausländischen Pensionskassen im Hinblick auf die dortige gesetzliche Situation) den Anspruchsberechtigten keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung (vgl. , mwN).

Ist hingegen dem Gläubiger ein Wahlrecht zwischen den mehreren gleichwertigen (primären, aber alternativen) Ansprüchen eingeräumt und kann er zwischen dem Bezug einer Rente oder der Inanspruchnahme einer Pensionsabfindung wählen (obligatio alternativa - Wahlschuld iSd § 906 ABGB), liegt keine "Abfindung" vor (vgl. ; ebenso unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Fellner in Hofstätter/Reichel, EStG Kommentar, § 67 Abs. 8 Tzen 33 ff; Knechtl in Wiesner/Grabner/Wanke, EStG, § 67 (Stand , rdb.at), Anm. 158ff.; Kirchmayr/Schaunig in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG19, § 67 Tzen 134 und 145; Jakom/Lenneis EStG, 2018, § 67 Rz 35].

Ein begünstigungsschädliches Wahlrecht liegt auch vor, wenn es dem Abgabepflichtigen möglich ist, durch Abschluss einer prämienfreien Versicherungspolice oder durch Übertragung der Freizügigkeitsleistung auf eine andere Vorsorgeeinrichtung den betrieblichen Vorsorgeschutz aufrechtzuerhalten und dadurch später eine Rente zu beziehen (vgl. ; ; ).

6. Für die Beurteilung der Frage, ob der Bf. in der 2. Säule des Liechtensteiner Vorsorgesystems ein Wahlrecht zwischen der Inanspruchnahme einer Freizügigkeitsleistung und der Inanspruchnahme einer Altersrente hatte, sind die in Liechtenstein geltenden einschlägigen Rechtsgrundlagen heranzuziehen.

7. Gesetzliche Grundlage für die berufliche Vorsorge in Liechtenstein ist das Landesgesetz vom über die betriebliche Personalvorsorge (BPVG).

Gemäß Art. 3 Abs. 1 BPVG ist jeder Arbeitgeber in Liechtenstein verpflichtet, für seine Arbeitnehmer die betriebliche Vorsorge zu verwirklichen, sofern diese Arbeitnehmer nach dem Gesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung beitragspflichtig sind und sie die Voraussetzungen von Art. 4 erfüllen. Nach Art. 3 Abs. 2 BPVG muss jeder Arbeitnehmer der Vorsorgeeinrichtung seines Arbeitgebers beitreten, sofern er Beiträge an die Alters- und Hinterlassenenversicherung zu entrichten hat und er die Voraussetzungen von Art. 4 erfüllt. Gemäß Art. 3 Abs. 3 lit. c BPVG sind nicht beitragspflichtige Arbeitnehmer von juristischen Personen, die daran maßgebend beteiligt sind und Arbeitgeberfunktion ausüben. Gemäß Art. 3 Abs. 4 BPVG können sich nicht beitragspflichtige Arbeitnehmer auf eigenen Antrag der Vorsorgeeinrichtung ihres Arbeitgebers anschließen. Dieser ist jedoch nicht verpflichtet, an die Kosten der Versicherung beizutragen.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 BPVG entsteht der Anspruch auf Altersleistungen mit Erreichen des ordentlichen Rentenalters nachdem AHVG, das ist gemäß Art. 54 Abs. 1 AHVG die Vollendung des 65. Lebensjahres. Reglementarisch kann auch ein anderes Rentenalter gewählt werden.

Gemäß Art. 9 Abs. 1 BPVG werden Alters-, Invaliden und Hinterlassenenleistungen idR als lebenslängliche oder temporäre Renten ausgerichtet. Gemäß Art 9 Abs. 2 BPVG kann das Reglement der Vorsorgeeinrichtung vorsehen, dass die anspruchsberechtigte Person anstelle einer Altersrente eine Kapitalabfindung verlangen kann, die mindestens 90% des versicherungstechnischen Barwertes der abzulösenden Rente betragen muss.

Scheidet ein Arbeitnehmer aus einem anderen Grund als wegen Alter, Invalidität oder Tod aus der Vorsorgeeinrichtung aus, so hat diese gemäß Art. 11 Abs. 1 BPVG eine Freizügigkeitsleistung zu erbringen.

Gemäß Art. 12 Abs. 1 BPVG ist die Freizügigkeitsleistung weiterhin für die Vorsorge des aus der Versicherung ausscheidenden Arbeitnehmers zu verwenden. Zu diesem Zweck wird sie an die Vorsorgeeinrichtung seines neuen Arbeitgebers überwiesen. Falls sich dies nicht durchführen lässt, ist sie gemäß Abs. 2 leg. cit. als Einlage für eine prämienfreie Freizügigkeitspolice bei einem in Liechtenstein zugelassenen Versicherungsunternehmen einzuzahlen oder auf ein für Versorgungszwecke gesperrtes Konto bei einer liechtensteinischen Bank einzulegen.

Die Freizügigkeitsleistung wird bar ausbezahlt, wenn diese weniger als einen Jahresbeitrag des Versicherten beträgt (Abs. 3 leg. cit.).
Auf Verlangen des Arbeitnehmers wird die Freizügigkeitsleistung gemäß Art. 12 Abs. 4 BPVG bar ausbezahlt, falls er:
a) den Wirtschaftsraum Liechtenstein - Schweiz endgültig verlässt oder eine selbständige Erwerbstätigkeit aufnimmt; und
b) nicht nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates des Europäischen Wirtschaftsraumes für die Risiken Alter, Tod und Invalidität weiterhin obligatorisch in der Rentenversicherung versichert ist.

Gemäß Art. 12 Abs. 5 BPVG kann die Barauszahlung der Freizügigkeitsleistung gemäß Art. 3 und 4 bei der Aufsichtsbehörde beantragt werden. Die Aufsichtbehörde prüft, ob die Voraussetzungen für eine Barauszahlung erfüllt sind und entscheidet über die Auszahlung.

Treten die Versicherten in die neue Vorsorgeeinrichtung ein, so ist nach Art. 12 Abs. 7 BPVG der Rückkaufswert der Freizügigkeitspolice oder das gesamte gesperrte Konto für die Erhaltung des Vorsorgeschutzes der neuen Vorsorgeeinrichtung zu übertragen. Die Versicherten beauftragen die Träge der Freizügigkeitspolice oder des gesperrten Bankkontos mit der Übertragung des Vorsorgeguthabens und zeigen dies der neuen Vorsorgeeinrichtung an.

8. Eine konkrete Ausformung erfahren die Bestimmungen des BPVG durch die einzelnen Reglements der Pensionskassen. Mit diesen sind insbesondere die Art und die Höhe der versicherten Leistungen, die Höhe der zu entrichtenden Beiträge und der Freizügigkeitsleistungen festzusetzen (Art. 16 BPVG).

9. Gemäß Art. 5 Z 1 des Reglements der Stiftung Sozialfonds entspricht das Rücktrittsalter dem ordentlichen AHV-Rücktrittsalter. Es wird am ersten Tag des Monats erreicht, welcher auf die Vollendung des 64. Altersjahres für Männer und Frauen bis und mit Jahrgang 1957 bzw. 65. Altersjahres für Männer und Frauen ab dem Jahrgang 1958 folgt.

Gemäß Art. 6 Z 1 des Reglements der Stiftung Sozialfonds ist für jede Person ein individuelles Alterskonto eingerichtet, aus dem das Altersguthaben ersichtlich ist. Gemäß Art. 6 Z 2 des Reglements besteht das Altersguthaben der versicherten Person aus:

  1. den jährlichen Altersgutschriften;

  2. den eingebrachten Freizügigkeitsleistungen,

  3. allfälligen Einkaufssummen;

  4. Zinsen;

  5. allfälligen Bonusgutschriften.

Die Höhe der Altersrente ergibt sich gemäß Art. 17 Z 4 Reglement aus der Multiplikation des im Zeitpunkt des Altersrücktritts vorhandenen Altersguthabens mit dem in diesem Zeitpunkt gültigen Umwandlungssatz.

10. Vor dem Hintergrund dieser Sach- und Rechtslage war der gegenständliche Beschwerdefall wie folgt zu beurteilen:

Der Bf. war im Zeitpunkt der Beendigung seines Dienstverhältnisses bei der Swarowski Int. Distribution AG im Juni 2016 39 Jahre alt. Weil er zu diesem Zeitpunkt noch keinen Pensionsanspruch hatte, wurde das bestehende Vorsorgeverhältnis mit der Pensionskasse der Swarowski Int. Distribution AG aufgelöst und die Freizügigkeitsleistung gemäß Art. 11 Abs. 1 BPVG auf ein Sperrkonto der Liechtensteinischen Landesbank überwiesen.

2017 trat der Bf. gemäß Art. 3 Abs. 4 BPVG in die Vorsorgeeinrichtung seiner neuen Arbeitgeberin, der ***Bf1-AG2***, ein. Bereits mit diesem Eintritt wäre das auf dem Sperrkonto gelagerte Freizügigkeitsguthaben zur Erhaltung des Vorsorgeschutzes der neuen Vorsorgeeinrichtung, der Stiftung Sozialfonds, zu übertragen gewesen (Art. 12 Abs. 7 BPVG). Diese in die neue Vorsorgeeinrichtung eingebrachte Freizügigkeitsleistung wäre Teil des Altersguthaben gewesen (Art. 6 Z 2. Reglement), das für die Altersrente herangezogen worden wäre (Art. 17 Z 4. Reglement).

Der Bf. hätte somit die Möglichkeit gehabt, den Rentenanspruch aus der 2. Säule des Liechtensteinischen Pensionsversicherungssystems zu wahren. Dass die Freizügigkeitsleistung tatsächlich auf dem Sperrkonto geblieben ist und nach einer Genehmigung der FMA Liechtenstein gemäß Art. 12 Abs. 4 lit. a BPVG ausbezahlt wurde, ändert nichts an der Tatsache, dass die Freizügigkeitsleistung nach Art. 12 Abs. 7 BPVG zur Wahrung des Vorsorgeschutzes auf die neue Vorsorgeeinrichtung zu übertragen gewesen wäre. Der Bf. war daher nicht "gezwungen", sich die Freizügigkeitsleistung auszahlen zu lassen. Er wäre vielmehr gehalten gewesen, die Liechtensteinische Landesbank anzuweisen, das Guthaben auf die neue Vorsorgeeinrichtung zu übertragen, um sich so den Vorsorgeschutz zu erhalten.

Damit liegt mit der an den Bf. ausbezahlten Freizügigkeitsleistung keine Abfindung im Sinne des § 124b Z 53 EStG 1988 vor und war die Beschwerde daher in diesem Punkt abzuweisen.

Insgesamt war der angefochtene Bescheid aber abzuändern, weil die Einkünfte, die der Bf. im Streitjahr aus der Tätigkeit für die ***Bf1-AG2*** bezogen hat, im Einkommensteuerbescheid 2018 als Einkünfte aus unselbständiger Arbeit erfasst wurden. Da der Bf. aber zu 50% und somit wesentlich an der ***Bf1-AG2*** beteiligt war, waren die Einkünfte richtigerweise als Einkünfte aus selbständiger Arbeit gemäß § 22 Z 2 EStG 1988 zu erfassen. Für die Ermittlung dieser Einkünfte folgt das Bundesfinanzgericht den dazu gemachten Angaben in der geänderten Einkommensteuererklärung 2018. Dort wurden die Einkünfte aus selbständiger Arbeit mit 13.294,62 Euro angesetzt.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Zu Frage, wann die Auszahlung einer Freizügigkeitsleistung als begünstigte Abfindung im Sinne des § 124b Z 53 EStG 1988 zu beurteilen ist und wann nicht, liegt eine umfassende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor, von der mit diesem Erkenntnis nicht abgewichen wurde. Die Revision hinge daher nicht von der Lösung eine Rechtsfrage von grundsätzliche Bedeutung ab und ist daher unzulässig.

Feldkirch, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
Knechtl in Wiesner/Grabner/Wanke, EStG, § 67 (Stand , rdb.at
Jakom/Lenneis EStG, 2018, § 67 Rz 35




Fellner in Hofstätter/Reichel, EStG Kommentar, § 67 Abs. 8 Tzen 33 ff
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.1100337.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at