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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 14.02.2023, RV/7102842/2022

erhöhte Familienbeihilfe; Zeitpunkt des Eintrittes einer 50%igen Behinderung auf Grund von Asperger Syndrom

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Ri über die Beschwerde der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vom , gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe von Jänner 2019 bis Jänner 2021, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf.) brachte beim Finanzamt Österreich am einen Antrag auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für ihren Sohn A., geb. 2013, wegen Asperger Autismus, rückwirkend auf fünf Jahre ein.

A. wurde am von der Sachverständigen Dr.in Dok1, Ärztin für Allgemeinmedizin, begutachtet und am folgendes Gutachten erstellt:

Anamnese: ADHS, Autismus-Spektrum-Störung

Derzeitige Beschwerden:

Es sei im Februar 2021 ein ADHS diagnostiziert worden. Im September 2021 dann eine Autismus-Spektrum-Störung. Er sei sehr unruhig, sehr unkonzentriert, eine weitere therapeutische Abklärung sei geplant.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Psychotherapie, soziales Kompetenztraining, medikamentöse Therapie nach weiterer Abklärung eventuell geplant

Sozialanamnese:
lebt im Familienverband, besucht die 2. Klasse Regellehrplan

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Befunde im Akt

Klinisch Psychologischer Befund, 09/2021: Autismus-Spektrum-Störung

Klinisch Psychologischer Befund, 07/2021: einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, Zwangsgedanken und Handlungen

Untersuchungsbefund:

Psycho(patho)logischer Status:

während der Untersuchungssituation extrem große Unruhe, kann kaum still sitzen, plappert permanent, muss mehrmals vom Vater aufgefordert werden jetzt ruhig zu sein, kann einfache Fragen adäquat beantworten, einfache Anweisungen korrekt umsetzen

Das Finanzamt gewährte auf Grund der in dem Gutachten getroffenen Feststellung (50% Behinderung ab Februar 2021) die erhöhte Familienbeihilfe ab Februar 2021.

Die Bf. stellte daraufhin am neuerlich einen Antrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe 5 Jahre rückwirkend ab Antragstellung (= Februar 2017).

A. wurde am in der Landesstelle des Sozialministeriumservice von Dr. Rainer Dok2, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde untersucht und am folgendes Gutachten erstellt:

Sozialanamnese: Lebt bei der Familie

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
09/2021 klinisch psychologischer Befund: Autismus Spektrum Störung

Untersuchungsbefund:

Psycho(patho)logischer Status:
Besucht eine Volksschule, privat, sehr gute Leistung, eingeschränkte Kommunikation und Interaktion, reduzierte Aufmerksamkeit und Konzentration, im Verhalten aufbrausend, benötigt im Alltag sehr klare Strukturen.

GdB liegt vor seit: 02/2021

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor: Keine Änderung gegenüber Vorgutachten

Dauerzustand
Nachuntersuchung: in 3 Jahren
Anmerkung hins. Nachuntersuchung: Eine Verbesserung ist möglich

Nachdem sich durch das Gutachten vom keine Änderungen der Feststellungen ergaben, wies das Finanzamt die erhöhte Familienbeihilfe für den Zeitraum für den Zeitraum Jänner 2019 bis Jänner 2021 mit Bescheid vom mit der Begründung ab, dass Anspruch auf den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung bestehe, wenn der festgestellte Grad der Behinderung mindestens 50 Prozent betrage und die Behinderung nicht nur vorübergehend sei, sondern mehr als 3 Jahre andauere. Diese Punkte würden nicht zutreffen (§ 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967). Der Grad der Behinderung von 50 % sei bei A. bereits ab festgestellt worden.

In ihrer Beschwerde vom brachte die Bf. vor, dass sie, nachdem der Antrag auf Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung ihres Sohnes mit bewilligt worden sei, nach Auskunft des Finanzamtes den Antrag erneut eingereicht habe, da Autismus eine angeborene Behinderung sei und nicht erst mit dem Datum der Diagnose eingetreten sei. Sie habe diesem zweiten Antrag auch Unterlagen beigelegt, die belegen würden, dass ihr Sohn bereits 2019 Therapien erhalten habe. Damals noch im Unwissen, dass es Asperger Autismus sei.

Dieser Antrag sei mit beiliegendem Schreiben abgelehnt worden. Sie sei der Ansicht, dass der Amtsarzt/die Amtsärztin sich entweder nicht eingehend mit dem Fall beschäftigt habe oder nicht die entsprechende Kompetenz in diesem Fachbereich aufweise.

Daher bitte sie um eine zweite Meinung eines/einer anderen Amtsarztes/Amtsärztin und wiederhole ihren Antrag auf rückwirkende Auszahlung des Erhöhungsbeitrages bis , dem Datum der ersten Therapie.

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom für den Zeitraum Jänner 2019 bis Jänner 2021 mit der Begründung ab, dass gemäß § 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 Anspruch auf den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung bestehe, wenn der Grad der Behinderung mindestens 50 Prozent betrage und die Behinderung nicht nur vorübergehend sei, sondern mehr als 3 Jahre andauere.

Im neuerlichem Gutachten des Sozialministeriumservice vom sei der Grad der Behinderung von 50vH wiederum ab festgestellt worden, weshalb für den Zeitraum Jänner 2019 bis Jänner 2021 die Voraussetzungen für den Erhöhungsbetrag nicht gegeben seien.

Am wurde von der Bf. folgender Vorlageantrag eingebracht:

"Die Beschwerdevorentscheidung betreffend die Beschwerde vom , gegen den Abweisungsbescheid vom , ist nicht nur inhaltlich falsch, sie verkennt darüber hinaus auch das hier anwendbare Recht.

Wie das Finanzamt Österreich in seiner Beschwerdevorentscheidung richtig ausführt, besteht gemäß § 8 Abs 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 ein Anspruch auf den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung, wenn der Grad der Behinderung mindestens 50vH beträgt und die Behinderung nicht bloß vorrübergehend ist, sondern mehr als 3 Jahre andauert.

Im vorliegenden Fall leidet der Sohn der Beschwerdeführerin am sogenannten Asperger-Syndrom. Dabei handelt es sich um eine angeborene Erkrankung, welche nicht nachträglich erworben wurde, sondern von Geburt an besteht.

Der Sohn der Beschwerdeführerin hat sohin das Asperger-Syndrom nicht erst im Jahr 2021 erworben (was medizinisch schlichtweg unmöglich ist), vielmehr sind die Beeinträchtigungen zu viel früheren Zeitpunkten aufgetreten und bestand die Erkrankung bereits von Geburt an. Dies ist auch durch das Gutachten, auf welches das Finanzamt selbst verweist, bestens dokumentiert.

Wenn das Finanzamt Österreich nun auf das Gutachten verweist und feststellt, dass erst mit Stichtag der Grad der Behinderung bei über 50vH gelegen hätte, so ist dies nicht nur medizinisch unmöglich, es zeigt darüber hinaus auch, dass das Gutachten offensichtlich nicht verstanden wurde, zumal es sowohl allgemein bekannt als auch wissenschaftlich bestens dokumentiert ist, dass das Asperger-Syndrom nicht erst in späteren Lebensjahren auftritt, sondern von Geburt an vorliegt.

So ist im Gutachten (Seite 9) nicht nur festgehalten, dass der Sohn der Beschwerdeführerin über Auffälligkeiten in allen 3 mit Autismus assoziierten Symptombereichen verfügt und sohin am Asperger-Syndrom leide. Diese Diagnose, so das Gutachten weiter, sei auch als rückwirkend geltend zu betrachten.

Das Gutachten selbst spricht sohin von einer angeborenen Erkrankung, welche durch eine Abweichung in der Hirnentwicklung erfolgt Ist. Ein Stichtag, wie vom Finanzamt Österreich behauptet, findet sich sohin nachweislich nicht in dem zugrundeliegenden Gutachten respektive belegt dieses eine Erkrankung von Geburt an.

Die Abweisung der Beschwerde ist sohin zu Unrecht erfolgt.

Hinzu kommt gem § 8 Abs 5 FLAG, dass der vorliegende Grad der Behinderung nur dann mindestens 50vH betragen muss, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Auch dies liegt jedoch hier vor, zumal der Sohn der Beschwerdeführerin sowohl Zeit seines noch jungen Lebens außerstande war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, als auch in Zukunft nicht in der Lage sein wird, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die Bezugnahme des Finanzamtes Österreichs auf die angeblich vom Gutachten festgestellte Schwelle von 50vH kann sohin im hier gegenständlichen Fall nicht keine Relevanz haben, sie ist darüber hinaus auch nachweislich falsch und läuft dem nur gesetzlichen Wortlaut zuwider, welcher klar auf die Fähigkeit, sieh selbst den Unterhalt zu abstellt. Dies wurde vom Finanzamt Österreich jedoch in seiner Beschwerdevorentscheidung gar nicht erst thematisiert, womit diese auch aus diesem Grund fehlerhaft und folglich aufzuheben ist.

Da es sich beim Asperger-Syndrom um eine bekanntlich angeborene Erkrankung handelt, hat die Beschwerdeführerin sohin nicht erst ab dem Zeitpunkt der Diagnose Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe, sondern ab demjenigen Zeitpunkt, zu dem die Erkrankung aufgetreten sei. Dies ist im hier gegenständlichen Fall somit ab der Geburt.

Das Finanzamt Österreich hätte sohin der Beschwerde vom stattzugeben gehabt.

Die Beschwerdeführerin stellt sohin den Antrag, der Beschwerde vom stattzugeben und die erhöhte Familienbeihilfe rückwirkend mit dem Monat der Geburt, sohin dem , auszuzahlen, jedenfalls aber rückwirkend mit Jänner 2019 die erhöhte Familienbeihilfe entsprechend der gesetzlichen Bestimmungen auszubezahlen."

Da der Vorlageantrag von der Bf. nicht unterschrieben war, wurde die Bf. mit Mängelbehebungsauftrag vom aufgefordert, den Mangel zu beheben und wurde dem Ersuchen von der Bf. fristgerecht nachgekommen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Feststellungen:

Im Zuge des Antrags- und Beschwerdeverfahrens wurde der am geborene Sohn zwei Mal untersucht und folgende Gutachten erstellt:

Im Gutachten vom stellte Dr.in Dok1, Ärztin für Allgemeinmedizin, die Diagnose Asperger Syndrom und reihte die Erkrankung unter die Pos.Nr. der Einschätzungsverordnung mit einem Grad der Behinderung von 50 vH.

Der Rahmensatz wurde wie folgt begründet: Autismus-Spektrum-Störung, einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, Zwangsgedanken und Handlungen; Wahl dieser Position mit unterem Rahmensatz, da Psychotherapie und soziales Kompetenztraining etabliert, weitere Abklärung geplant.

Der Grad der Behinderung von 50 vH wurde rückwirkend ab Februar 2021 bescheinigt.

Im Gutachten vom reihte Dr. Rainer Dok2, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, die Erkrankung von A. ebenfalls unter die Pos.Nr. . der Einschätzungsverordnung. Dr. Dok2 wählte den unteren Rahmensatz mit folgender Begründung: gute kognitive Begabung, jedoch zusätzlich ADHS.

Der Grad der Behinderung wurde von Dr. Dok2 ebenfalls rückwirkend ab Februar 2021 bescheinigt.

Rechtsgrundlagen und rechtliche Würdigung:

Gemäß § 2 Abs 1 lit a FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

Gemäß § 10 Abs 1 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe nur auf Antrag gewährt und ist die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs 4 leg. cit.) besonders zu beantragen.

Gemäß § 10 Abs 3 FLAG 1967 werden die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs 4 FLAG) höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.

Gemäß § 8 Abs 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes erheblich behinderte Kind. Als erheblich behindert gilt ein Kind gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren.

Als erheblich behindert gilt gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 ein Kind, bei dem eine nicht nur vor-übergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesa-mtes für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind (für Begutachtungen nach dem Stichtag ) § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Grundlage der Einschätzung

§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.

(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.

Ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf (im Beschwerdefall erhöhte) Familienbeihilfe erfüllt sind oder nicht, bestimmt sich nach den Verhältnissen im Anspruchszeitraum ().

Gutachten Allgemeines:

Ein Gutachten ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhaltes durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen, verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen, stützen. Alleine die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmter Sach-verhalt vorgelegen sein könnte, reicht dabei keinesfalls aus, diesen Sachverhalt gutachterlich als gegeben anzusehen und zu bestätigen (vgl. z.B. ; ).

Diagnoseerstellung durch die sachverständigen Ärzte des Sozialministeriumservice:

Die sachverständigen Ärzte des Sozialministeriumservice ziehen für ihre zu treffenden Fest-stellungen (Höhe des Grades der Behinderung, Zeitpunkt des Eintrittes des Behinderungsgrades, allenfalls Feststellung, ob und seit wann eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt) neben der Anamnese und Untersuchung die Kenntnisse der Medizin und ihr eigenes Fachwissen heran. Weiters sind für die zu treffenden Feststellungen in den meisten Fällen Befunde, Arztbriefe oder sonstige Unterlagen, aus denen Rückschlüsse gezogen werden können, seit wann eine Erkrankung besteht oder wie hoch das Ausmaß der Beeinträchtigung in der Vergangenheit war, unerlässlich.

Fehlen derartige Befunde, warum auch immer, können die vom Sachverständigen getroffenen Feststellungen nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen.

Bindung an die Gutachten des Sozialministeriumservice:

Der Grad der Behinderung und die Feststellung, ob bzw. ab wann eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt, ist gemäß den Bestimmungen des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice auf Grund eines ärztlichen Sachver- ständigengutachtens nachzuweisen.

Das nach dieser Bestimmung abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren hat Feststellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Be-hinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten (vgl. , ) und bildet die Grundlage für die Entscheidung, ob die erhöhte Familienbeihilfe zusteht.

Bei der Antwort auf die Frage, in welcher Höhe der Behinderungsgrad vorliegt (bzw. ob eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr oder allenfalls während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetreten ist, sind die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) zugrunde liegenden Gutachten gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen (vgl. zBVwGH , 2009/16/0307 und 2009/16/0310, ).

Ein Abweichen ist nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung möglich (, ).

Die Feststellung des Behinderungsgrades eines Kindes, für welches erhöhte Familienbeihilfe nach § 8 Abs 4 FamLAG beantragt wurde, hat nach den Bestimmungen des § 8 Abs 6 FLAG 1967 auf dem Wege der Würdigung ärztlicher Sachverständigengutachten zu erfolgen, ohne dass den Bekundungen des anspruchswerbenden Elternteils dabei entscheidende Bedeutsamkeit zukäme ().

Ein Gutachten ist

• vollständig, wenn es die von der Behörde oder dem Gericht gestellten Fragen beantwortet (sofern diese zulässig waren)

• nachvollziehbar, wenn das Gutachten von der Beihilfenstelle und vom Gericht verstanden werden kann und diese die Gedankengänge des Gutachters, die vom Befund zum Gutachten führten, prüfen und beurteilen kann und

• schlüssig, wenn es nach der Prüfung auf Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit immer noch überzeugend und widerspruchsfrei erscheint

Mitwirkungspflicht bei Begünstigungsvorschriften - Möglichkeiten des Antragstellers:

Nach der Judikatur des VwGH besteht bei Begünstigungsvorschriften und in Fällen, in denen die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde eingeschränkt sind, eine erhöhte Mitwirkungspflicht.

Wichtig ist, dass der Antragsteller/die Antragstellerin im Zuge der Untersuchung im Sozial-ministeriumservice Befunde, Arztbriefe, Bestätigung über Spitalsaufenthalte, etc., soweit vorhanden, beibringt.

Der Antragsteller hat auch die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl. , ).

Asperger Syndrom

Das Asperger Syndrom zählt zum breiten Spektrum autistischer Störungen. Es hat großen Einfluss auf die kommunikativen und sozialen Fähigkeiten der betroffenen Kinder und Jugendlichen und beeinflusst stark deren kognitive und emotionale Entwicklung.

Der Verwaltungsgerichtshof stellte im Erkenntnis vom , 2013/16/0170, in einem Fall, wo die Tochter der Beschwerdeführerin am Asperger Syndrom leidet, fest, dass eine Behinderung iSd § 8 Abs. 5 FLAG mit einen Grad von mindestens 50 v.H. durchaus die Folge einer Krankheit sein könne, die schon seit längerem vorliege (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiere. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche einen Grad von mindestens 50 v.H. aufweise, sei der Tatbestand des § 8 Abs. 5 FLAG erfüllt. Mithin komme es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußere, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend) einer Behinderung führe. Maßgeblich sei der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintrete, welche einen Grad von mindestens 50 v.H. erreiche (vgl. auch , ).

Gutachten im Bereich des Familienbeihilfenrechts sind Beweismittel in einem gerichtlichen Verfahren. Sie unterliegen, wie alle anderen Beweismittel, der freien behördlichen/-richterlichen Beweiswürdigung (vgl. ).

Das Bundesfinanzgericht hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. für viele ) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzu-nehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.

Im vorliegenden Fall wurden seitens des Sozialministeriums zwei Gutachten erstellt und beim Sohn der Bf. übereinstimmend die Diagnose Asperger Syndrom mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 vH gestellt. Die rückwirkende Einschätzung dieses Behinderungsgrades von 50 vH wurde rückwirkend ab Februar 2021 auf Grund der von der Bf. vorgelegten Befunde festgesetzt.

Den Gutachten kann durch diese Einschätzung aber nicht die Schlüssigkeit abgesprochen werden, da von der Bf. keine Befunde vorgelegt wurden, die darauf schließen hätten lassen, dass bereits zu einem früheren Zeitpunkt ein Behinderungsgrad von 50 vH bestanden hat.

Kinder mit Asperger-Syndrom leiden zweifellos unter psychosozialen Beeinträchtigungen, welche sich auf verschiedenste Lebensbereiche, erstrecken. Daraus kann jedoch nicht zwingend der Schluss gezogen werden, dass bereits seit Geburt ein Behinderungsgrad von 50 vH bestanden hat.

Das Gericht nimmt es daher in freier Beweiswürdigung als erwiesen an, dass die Feststellungen in den zwei Gutachten des Sozialministeriumservice, wonach beim Sohn der Bf ein Behinderungsgrad von 50 vH rückwirkend erst ab Februar 2021 vorliegt, mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht.

Zum Vorbringen der Bf., dass es sich bei der Erkrankung Asperger-Syndrom um eine angeborene Erkrankung handelt, welche nicht nachträglich erworben wurde, sondern von Geburt an besteht, was medizinisch schlichtweg unmöglich sei und die Beeinträchtigungen zu einem viel früheren Zeitpunkt aufgetreten sind und die Erkrankung bereits seit Geburt an besteht, ist auf die obigen Ausführungen, insbesondere auf das bereits zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2013/16/0170, zu verweisen.

Verwiesen wird auch darauf, dass Zweck der erhöhten Familienbeihilfe, deren Gewährung eine erhebliche Behinderung voraussetzt, ist, die besonderen Bedürfnisse, die aus der Behinderung folgen und im Verhältnis zu den Kosten der Lebensführung nicht behinderter Personen einen finanziellen Mehraufwand auslösen, zumindest teilweise abzudecken.

Informativ wird mitgeteilt, dass gemäß § 34 Abs. 6 EStG 1988 u.a. Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, soweit sie die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen, ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes (§ 34 Abs. 4 EStG 1988) abgezogen werden (vgl. 2012/13/0039, ).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Unzulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der Frage, unter welcher Voraussetzung der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe zusteht, ergibt sich aus den bezughabenden Gesetzesbestimmungen. Bei der Frage, ob bzw. ab wann ein bestimmter Grad der Behinderung vorliegt, handelt es sich um eine Tatfrage und ist das BFG an die vom Sozialministeriumservice erstellten Gutachten gebunden sofern diese schlüssig sind. Da sohin keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen war, ist eine Revision nicht zulässig.

Wien, am

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