TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 08.02.2023, RV/7100137/2023

erhöhte Familienbeihilfe; auf Grund fehlender Befunde konnte keine Erwerbsunfähigkeit festgestellt werden (Bindung an 3 gleichlautende Gutachten)

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag. Heidemarie Winkler über die Beschwerde des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Dr. Wolf Dietrich Mazakarini, Gaullachergasse 15/1/12, 1160 Wien, vom , gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , betreffend Abweisung des Antrages Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages ab April 2021, zu Recht:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der für den Beschwerdeführer (Bf.), geb. 1987, mit Beschluss des BG Leopoldstadt vom bestellte Erwachsenenvertreter brachte am einen Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe sowie des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung (psychische Erkrankung) ab April 2021 ein.

Der Bf. wurde im Zuge des Antragverfahrens am von Dr.in Dok1, Fachärztin für Psychiatrie, untersucht und am folgendes Gutachten erstellt:

"Anamnese:

Bei dem Antragsteller ist eine langjährige Suchterkrankung vorbekannt. Im Alter von 7 Jahren habe er das erste Mal Zigaretten geraucht. Mit 12 oder 13 Jahren habe er begonnen Alkohol zu konsumieren. Weitere Substanzen (Ecstasy etc.) seien im Alter von 15 bzw. 16 Jahren dazugekommen. Ab dem 17. Lebensjahr habe der Antragsteller Kokain und Heroin konsumiert.

Ab dem 17. Lebensjahr sei laut Angaben des Antragstellers erstmalig eine suchtspezifische Behandlung über den Dialog in Anspruch genommen worden. Er sei damals auf eine Substitution mit Subutex eingestellt worden. In weiterer Folge sei der Antragsteller mehrfach, unter anderem wegen Diebstahlsdelikten, in Haft gekommen. Immer wieder habe es Weisungen zu suchtspezifischen Behandlungseinrichtungen gegeben (Zukunftsschmiede, 5 Monate Grüner Kreis 2012, 8 Monate Grüner Kreis 2016). 2020 sei ein freiwilliger 3-monatiger suchtspezifischer Aufenthalt am Grünen Kreis erfolgt. Der gesamte Behandlungsprozess sei von wiederkehrenden Rückfällen, insbesondere bzgl. Heroinkonsum, geprägt gewesen. Auch aktuell werde neben der laufenden Substitution mit L-Polamidon auch Heroin-Beikonsum betrieben. Zusätzlich regelmäßiger Konsum von 3-4 Bier pro Tag. Anamnestisch sei ein Kinder-Jugendpsychiatrischer stationärer Aufenthalt in der 1. Klasse HS erfolgt, es sei in diesem Zusammenhang ein ADHS diagnostiziert worden. Keine stationärpsychiatrischen Akutaufnahmen im Erwachsenenalter.

Derzeitige Beschwerden:

Sozialanamnese:

Der Antragsteller lebt selbstständig in eigenem Haushalt in einer Gemeindewohnung. 1 Hund. Aufrechte Erwachsenenvertretung. Aufgrund von Verhaltensauffälligkeiten in der Pflichtschule teilweise nach Sonderschullehrplan unterrichtet. Mehrere Haftstrafen. Derzeit am AMS gemeldet. Zuletzt 2019 kurzzeitig für eine Übersiedlungsfirma gearbeitet.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Clearing Bericht Vertretungsnetz (undatiert): 1/21 Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters für die Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten angeregt. Anamnestisch seit dem 15. Lebensjahr Drogenabhängigkeit und Probleme im Umgang mit Geld. Diverse Rückstände. Nach eigenen Angaben im 13. Lebensjahr Alkoholkonsum, später weitere Drogen. Er nimmt eine Substitutionstherapie in Anspruch, konsumiert darüber hinaus auch Heroin. Mehrere längerfristige stationäre Therapieaufenthalte beim Grünen Kreis. Insgesamt 69 Monat Haft, letzte Verurteilung vor 5 oder 6 Jahren, meist ging es um Diebstahl oder Einbruch. Zu Beginn der HS nach seinen Angaben ADHS diagnostiziert. Damals stationärer Aufenthalt Kinderpsychiatrie. Pflichtschulabschluss mit Beurteilung nach dem ASO- Lehrplan in Mathematik, Deutsch und Englisch. AMS Leistungen konnte er während der Haft erarbeiten. Bezug von Notstandshilfe (…) War nie in der Lage einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, außer während seiner Zeit in der Haft.

Untersuchungsbefund: …

Es ist kein Grad der Behinderung zu ermitteln.

Begründung:

Auf Grund von fehlender Vorlage medizinischer Befunde konnte kein Grad der Behinderung ermittelt werden.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung: --

Stellungnahme zu Vorgutachten:

Erstgutachten

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:

X ja

GdB liegt vor seit:

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:

Herr ***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Auf Grund von fehlender Vorlage medizinischer Befunde ist keine Einschätzung der Selbsterhaltungsfähigkeit möglich."

Das Finanzamt wies auf Grund der in dem Gutachten getroffenen Feststellung, dass keine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliege, den Antrag mit Bescheid vom ab.

In der Beschwerde vom brachte der Erwachsenenvertreter vor, dass sehr wohl eine erhebliche Beeinträchtigung des Einschreiters festgestellt werden habe können. Es lägen daher die Voraussetzungen der Gewährung erhöhter Familienbeihilfe vor. Diesbezüglich sei es auch erforderlich gewesen, im Erwachsenenalter für den Betroffenen/Einschreiter einen Erwachsenenvertreter zur Seite zu stellen, um diesen in den wichtigsten behördlichen und finanziellen Angelegenheiten zu unterstützen.

Das Finanzamt veranlasste auf Grund der Beschwerde eine weitere Untersuchung des Bf.
Dr.in Dok2, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, untersuchte den Bf. am und stellte im Gutachten vom fest, dass keine medizinischen Befunde vorliegen und keine neuen Unterlagen beigebracht worden seien. Es sei kein Grad der Behinderung zu ermitteln.

Begründend stellte die Fachärztin fest, dass bei anamnestisch langjähriger Suchterkrankung keine früheren oder aktuellen Befunde vorlägen und auch keine Bestätigung der aktuellen Therapie (anamnestisch zu erhebende Substitutionstherapie). Daher sei ein Grad der Behinderung nicht eindeutig zu bestätigen. Es ergäbe sich keine Änderung zum psychiatrischen Vorgutachten vom . Der Antragsteller sei voraussichtlich nicht dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Nach der Anamnese sei eine Suchterkrankung mit Beginn in die Jugend zurückreichend zu erheben. Es lägen keine medizinischen fachspezifischen Befunde vor, insbesondere auch keine, die eine psychische Erkrankung mit schwerwiegenden Funktionseinschränkungen in einem solchen Ausmaß dokumentieren, dass eine daraus resultierende anhaltende Selbsterhaltungsunfähigkeit vor dem 18./21. LJ eingetreten ist. Es seien anamnestisch mehrfache Haftstrafen (insgesamt von ca. 2006 - ca. 2015: 69 Monate) zu erheben und mehrfache Entwöhnungsbehandlungen. Weiteres fände sich ein Hinweis, dass in der Haft AMS Zeiten erarbeitet hätten werden können. Insgesamt könne daher keine rückwirkende Selbsterhaltungsunfähigkeit bestätigt werden.

Das Finanzamt wies die Beschwerde unter Zugrundelegung der in dem Gutachten getroffenen Feststellungen, wonach keine Erwerbsunfähigkeit festgestellt habe werden können, mit Beschwerdevorentscheidung vom mit der Begründung ab, dass für ein volljähriges Kind die Familienbeihilfe zustehe, wenn das Kind wegen einer erheblichen Behinderung voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig sei. Die Erwerbsunfähigkeit müsse vor dem 21. Geburtstag, oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag eingetreten sein.

Der Erhöhungsbetrag wegen einer erheblichen Behinderung werde als Zuschlag zur allgemeinen Familienbeihilfe gewährt. Stehe die allgemeine Familienbeihilfe nicht zu, könne auch der Erhöhungsbetrag nicht gewährt werden.

Die Feststellung eines Behinderungsgrades, einer dauernden Erwerbsunfähigkeit, erfolge in einem eigenen Verfahren durch eine(n) vom Sozialministeriumservice ermächtigten ärztliche(n) Sachverständige(n). Das Ergebnis dieses Sachverständigengutachtens sei für die Finanzbehörde betreffend Beurteilung eines Anspruches auf Familienbeihilfe bindend.

Am sei ein neues ärztliches Sachverständigengutachten erstellt worden. Da - wie bereits im Gutachten vom - eine dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht festgestellt worden sei, sei ein Anspruch auf Familienbeihilfe sowie des Erhöhungsbetrages wegen erheblicher Behinderung für den Antragsteller ab dem Zeitpunkt der Antragstellung (April 2021) nicht gegeben.

Der Erwachsenenvertreter stellte mit Schreiben vom einen begründungslosen Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht.

Der Bf. wurde über Antrag des Finanzamtes von Dr. Dok3, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, am neuerlich untersucht. Dr. Piatti hielt in seinem Gutachten vom fest, dass auf Grund fehlender Vorlage medizinischer Befunde kein Grad der Behinderung ermittelt habe werden können.

Bei anamnestisch langjähriger Suchterkrankung würden keine früheren oder aktuellen Befunde vorliegen und auch keine Bestätigung der aktuellen Therapie (anamnestisch zu erhebende Substitutionstherapie). Daher sei ein Grad der Behinderung nicht eindeutig zu bestätigen.

Auf Grund seiner Befragung habe der Antragsteller angegeben, dass auch heute keine medizinischen Befunde vorliegen würden. Es sei nochmals besprochen worden, dass diese, wie in den beiden Vorgutachten, unbedingt notwendig seien, um einen adäquaten Grad der Behinderung zu bestimmen. Mit dem Betreuer der Erwachsenenvertretung sei besprochen worden, dass er den letztvorliegenden Befund des stationären Aufenthaltes vom Grünen Kreis 2020 besorgen solle. Der Antragsteller habe berichtet, dass er erstmalig mit 11 Jahren wegen einer ADHS Symptomatik in der Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgenommen gewesen sei (5 Wochen), danach sei er in die Sonderschule gewechselt, teilweise ins Internat, dann auch ins Heim. Er sei in Substitution mit Methadon 60 mg pro Tag. Diesbezüglich sei kein Befund vorliegend. Der Antragsteller habe auch bei der dieser Untersuchung keine Befunde beigebracht. Somit sei eine adäquate Einschätzung des Grades der Behinderung dadurch nicht möglich gewesen. Der Antragsteller sei voraussichtlich nicht dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Anamnestisch bestehe eine Abhängigkeitssymptomatik, die mit Methadon substituiert sei, es lägen keine medizinischen, fachspezifischen Befunde vor. Eine adäquate Einschätzung bezüglich dauernder Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, könne auf Grund fehlender Befunde nicht erfolgen.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde mit Vorlagebericht vom dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte darin die Abweisung des Rechtsmittels.

Am erfolgte die Anforderung der bislang nicht im Akt aufliegenden Gutachten durch das BFG.

Diese wurden am übermittelt.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt

Der für den Bf., geb. 1987, mit Beschluss des BG Leopoldstadt vom bestellte Erwachsenenvertreter brachte am einen Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe sowie des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung (psychische Erkrankung) ab April 2021 ein.

Der Bf. wurde im Zuge des Beihilfenverfahrens drei Mal vom Sozialministerium untersucht. Demnach liegen drei Sachverständigengutachten vor, und zwar

  1. das Gutachten von Dr.in Dok1, Fachärztin für Psychiatrie, vom ,

  2. das Gutachten von Dr.in Dok2, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, vom und das

  3. Gutachten von Dr. Dok3, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom .

In allen drei Gutachten wurde festgehalten, dass eine Feststellung des Grades der Behinderung und die Feststellung einer Selbsterhaltungsunfähigkeit auf Grund fehlender Befunde nicht möglich ist.

Mit Bescheid vom wurde der Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag abgewiesen, da der Grad der Behinderung bzw. die Selbsterhaltungsunfähigkeit/dauernde Erwerbsunfähigkeit aufgrund fehlender Vorlage medizinischer Befunde nicht festgestellt werden konnte.

Beweiswürdigung

Die Bestellung zum Erwachsenenvertreter ergibt sich aus dem Beschluss des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom .

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Bf. beruhen auf den durchgeführten Anamnesen und der Untersuchungen des Bf. durch die 3 Sachverständigen des SMS (Dr.in Dok1, Fachärztin für Psychiatrie, vom , Dr.in Dok2, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, vom und Dr. Dok3, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom ).

Das Bundesfinanzgericht erachtet die in den drei Gutachten getroffene, übereinstimmende Feststellung, dass auf Grund fehlender Befunde kein Grad der Behinderung und keine Selbsterhaltungsunfähigkeit festgestellt werden konnte, als vollständig, nachvollziehbar und schlüssig.

Gesetzliche Grundlagen und rechtliche Beurteilung:

§ 2 Abs. 1 lit c FLAG 1967 lautet:

Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen;

§ 10 FLAG 1967 lautet:

(1) Die Familienbeihilfe wird, abgesehen von den Fällen des § 10a, nur auf Antrag gewährt; die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs 4) ist besonders zu beantragen.

(2) Die Familienbeihilfe wird vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchs­voraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrundhinzukommt.

(3) Die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs 4) werden höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.

Nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

§ 6 Abs. 5 FLAG 1967 normiert:

"Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3)."

§ 8 Abs. 4 FLAG 1967 legt fest, in welchem Ausmaß sich die Familienbeihilfe bei einem erheblich behinderten Kind erhöht.

Nach § 8 Abs. 5 erster Satz FLAG 1967 gilt als erheblich behindert ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundes-amtes für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr: Sozialministeriumservice) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behindertenein-stellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Gemäß § 8 Abs 7 FLAG 1967 gelten die Abs 4 bis 6 sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 Anspruch auf Familienbeihilfe haben.

Rechtliche Beurteilung

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht (vgl. Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8, Rz 5).

Der Grundbetrag steht bei einem volljährigen Kind bis zum 25. Lebensjahr zu, wenn es sich in Berufsausbildung befindet.

Befindet sich ein volljähriges Kind nicht in Berufsausbildung und wird die Familienbeihilfe und der Erhöhungsbetrag beantragt, dann ist der Behinderungsgrad ohne jede Bedeutung.

Voraussetzung für den Bezug der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages ist in diesem Fall, dass bei der den Antrag stellenden Person eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. (bzw. vor dem 25. Lebensjahr bei Berufsausbildung) eingetreten ist (vgl. Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 21).

Ein Gutachten ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhaltes durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen, verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen, stützen. Alleine die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmter Sach-verhalt vorgelegen sein könnte, reicht dabei keinesfalls aus, diesen Sachverhalt gutachterlich als gegeben anzusehen und zu bestätigen (vgl. z.B. ; ).

§ 8 Abs. 6 FLAG 1967 regelt, dass der Grad der Behinderung und die Feststellung, ob bzw. ab wann eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt, gemäß den Bestimmungen des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen ist.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat im Erkenntnis , ausgeführt, dass der Gesetzgeber die Frage des Grades der Behinderung, und die (damit ja in der Regel unmittelbar zusammenhängende) Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt habe, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution (nämlich das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, nunmehr: Sozialministeriumservice, kurz: SMS) eingeschaltet werde und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spiele. Der Gesetzgeber habe daher mit gutem Grund die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit jener Institution übertragen, die auch zur Beurteilung des Behinderungsgrades berufen sei. Die Beihilfenbehörden hätten bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und könnten von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen.

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat sich seitdem in seiner ständigen Judikatur (vgl. zB ; ) der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes angeschlossen; daraus folgt, dass auch das BFG für seine Entscheidungsfindung die im Wege des Sozialministeriums erstellten ärztlichen Sachverständigengutachten heranzuziehen hat, sofern diese als schlüssig anzusehen sind. Es ist also im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens zu überprüfen, ob die erstellten Sachverständigengutachten diesem Kriterium entsprechen.

Im Fall, dass ein volljähriger Antragsteller die erhöhte Familienbeihilfe beantragt, haben sich die Feststellungen darauf zu erstrecken, ob die Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetreten ist (vgl. etwa ).

Andere als behinderungskausale Gründe (wie z.B. mangelnde oder nicht spezifische Ausbildung, die Arbeitsplatzsituation, Arbeitsunwilligkeit, oÄ) dürfen für die Beurteilung ebenso wenig herangezogen werden wie eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes (etwa auch durch Folgeschäden) nach Vollendung des 21. Lebensjahres.

Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem die Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eine Erwerbsunfähigkeit bewirkt hat. Es kommt weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt (vgl. , , ).

Es genügt nach den maßgebenden Bestimmungen des FLAG 1967 nicht, dass das betreffende Kind vor Vollendung des 21. (25.) Lebensjahres an einer körperlichen oder geistigen Behinderung gelitten oder dass eine spätere Behinderung in dieser Zeit ihren Anfang genommen hat, sondern diese körperliche oder geistige Behinderung muss bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres ein derartiges Ausmaß angenommen haben, dass zum damaligen Zeitpunkt davon auszugehen sein musste, dass infolge dieser Behinderung das Kind voraussichtlich dauernd außerstande sein werde, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Ein Leiden, das zwar vor dem 21. Lebensjahr bestanden hat, sich aber erst nach dem 21. Lebensjahr derart verschlechtert, dass von einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit auszugehen ist, vermag einen aus § 6 Abs. 5 FLAG 1967 i.V.m. § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 abgeleiteten Familienbeihilfenanspruch nicht zu begründen ().

Der VwGH stellte zB im Erkenntnis vom , 99/12/0236, und vom , 2003/12/0174, zum Begriff der Erwerbsfähigkeit im Pensionsgesetz fest, dass dieser im allgemeinen Sprachgebrauch bedeute, in der Lage zu sein, durch eigene Arbeit einen wesentlichen Beitrag zum Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Fähigkeit sei nach der Rechtsprechung zwar abstrakt zu beurteilen (dh, es sei nicht entscheidend, ob die in Frage kommenden Tätigkeiten gerade am Arbeitsmarkt verfügbar seien oder nicht, es müsse sich aber um eine Beschäftigung handeln, die grundsätzlich Gegenstand des allgemeinen Arbeitsmarktes sei); es komme aber sehr wohl darauf an, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Einsatzfähigkeit für bestimmte Tätigkeiten (Berufsbilder) vorliegen. Hierbei sei weiters zu berücksichtigen, ob die Einsatzfähigkeit auch im Hinblick auf die üblichen Erfordernisse in der Arbeitswelt (zB Einhaltung der Arbeitszeit oder Fähigkeit zur Selbstorganisation) noch gegeben sei (vgl. das Erkenntnis des BVwG vom , GZ. W228 2136072-1, unter Verweis auf das Erkenntnis des ).

Für die rückwirkende Beurteilung der Frage, wann eine psychische Erkrankung eingetreten ist und insbesondere wann diese Erkrankung ein Ausmaß erreicht hat, dass eine Erwerbstätigkeit, mit der sich der Patient selbst den Unterhalt verschaffen kann, nicht mehr möglich ist, gestaltet sich naturgemäß sehr schwierig und kann immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit und nie mit Sicherheit festgestellt werden (vgl. Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Tz 32, vgl. auch , ).

Die sachverständigen Ärzte des SMS ziehen, wenn eine volljährige Person die erhöhte Familienbeihilfe beantragt, für die zu treffende Feststellung, wann die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, neben der durchgeführten Anamnese und Untersuchung des Antragstellers die Kenntnisse der Medizin und ihr eigenes Fachwissen heran. Unerlässlich für die Feststellung, wann die dauernde Erwerbsunfähigkeit voraussichtlich eingetreten ist, sind jedenfalls Befunde, Arztbriefe oder sonstige Unterlagen, die auf eine Erwerbsunfähigkeit ab einem bestimmten Zeitpunkt schließen lassen (vgl. , , , Ro 2017/16/0009).

Die Beihilfenbehörden (Finanzamt), und auch das Gericht, haben bei ihrer Entscheidung von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und sind an die Gutachten des SMS gebunden. Ein Abweichen ist nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung möglich (vgl. zB , ).

Die Beihilfenbehörden und das Gericht dürfen die Gutachten nur insoweit prüfen, ob diese vollständig, nachvollziehbar und schlüssig sind und im Fall mehrerer Gutachten oder einer Gutachtensergänzung nicht einander widersprechen (vgl. ; ; Erkenntnisse VwGH jeweils vom , 2009/16/0307 und 2009/16/0310). Erforderlichenfalls ist für deren Ergänzung zu sorgen (; ; ).

Im gegenständlichen Fall hatte der Bf. hinreichend Gelegenheit und diese wurde von ihm auch wahrgenommen, an der Erstellung der drei Sachverständigengutachten etwa durch Vorlage seiner Befunde und Darlegung seiner Leidenszustände mitzuwirken.

Nach der ständigen Judikatur des VwGH bestehen weiters bei Begünstigungsvorschriften und in Fällen, in denen die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde bzw. der Gerichte eingeschränkt sind, erhöhte Mitwirkungspflichten: "Es dürfte wohl nicht zu bestreiten sein, dass die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde eingeschränkt sind, wenn Sachverhalte zu beurteilen sind, die teilweise Jahrzehnte zurückliegen... Auch der Sachverständige kann aufgrund seines medizinischen Fachwissens ohne Probleme nur den aktuellen Gesundheitszustand des Erkrankten beurteilen. Hierauf kommt es aber nur dann an, wenn der derzeitige Behinderungsgrad zu beurteilen ist oder die Feststellung, ob eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt, zeitnah zum relevanten Zeitpunkt erfolgen kann. Der Sachverständige kann in den übrigen Fällen nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden, Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt eine erhebliche Behinderung eingetreten ist. Dies ist besonders bei psychischen Krankheiten problematisch, die häufig einen schleichenden Verlauf nehmen. Somit wird es primär an den Berufungswerbern, allenfalls vertreten durch ihre Sachwalter, liegen, den behaupteten Sachverhalt, nämlich ihre bereits vor der Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels nachzuweisen." (Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 32 mwN)".

Im vorliegenden Fall waren die drei Sachverständigen mangels Vorlage von geeigneten Unterlagen (ärztliche, fachspezifische Befunde etc.) nicht in der Lage, eine Feststellung darüber zu treffen, dass eine Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. (25.) Lebensjahr vorliegt bzw. eine adäquate Einschätzung des Grades der Behinderung vorzunehmen.

Das Gericht war daher nicht gehalten, ein ergänzendes Gutachten einzuholen, weil sich kein Anhaltspunkt dafür ergeben hat, dass im Wege einer weiteren Untersuchung festgestellt hätte werden können, dass eine Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. (25.) Lebensjahr eingetreten ist.

Die Gutachten unterliegen, wie alle anderen Beweismittel, der freien richterlichen Beweiswürdigung.

Das BFG hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO). Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH (vgl. für viele ) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.

Die medizinische Beurteilung in Verbindung mit den von der höchstgerichtlichen Judikatur aufgestellten und im Beschwerdefall beachteten Erfordernissen, wonach Gutachten eingehend die Art und das Ausmaß der Leiden und die konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbstätigkeit in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise zu behandeln haben, lässt die in den vorliegenden Gutachten nicht feststellbare Selbsterhaltungsunfähigkeit und Behinderung somit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit als richtig erscheinen.

Nach Ansicht des BFG sind im vorliegenden Beschwerdefall die Gutachten, denen zu Folge beim Bf. keine Erwerbsunfähigkeit vorliegt, allesamt ausführlich, schlüssig und nachvollziehbar.

Es würde den Gutachten vielmehr an Schlüssigkeit fehlen, wenn die untersuchenden Sachverständigen den Beginn der Erwerbsunfähigkeit ohne Untermauerung durch entsprechende Befunde zu einem bestimmten, in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt, festgestellt hätten (vgl. zB ). Schlüssig ist vielmehr, den Beginn der Erkrankung unter Zuhilfenahme vorliegender Befunde oder anderer geeigneter Nachweise zu bestimmen.

Es kann daher mit höchster Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die zeitliche Festlegung der dauernden Erwerbsunfähigkeit nicht vor dem 21. Lebensjahr (bzw. 25. Lebensjahr bei Berufsausbildung) den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht. Daher steht weder der Grundbetrag noch der Erhöhungsbetrag an Familienbeihilfe zu.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit der Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Der Gesamtgrad der Behinderung bzw. die Erwerbs(un)fähigkeit ist seitens des Sozialministeriumservice festzustellen; das BFG ist an die diesbezüglich erstellten ärztlichen Gutachten gebunden. Da es sich dabei um eine nicht reversible Tatfrage handelt, liegt gegenständlich keine Rechtsfrage von "grundsätzlicher Bedeutung" vor. Eine Revision ist daher nicht zulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at