Erhöhte Familienbeihilfe- Kein Nachweis der Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. LJ.
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***RIS*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Familienbeihilfe 05.2022 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin (Bf.) brachte am einen Eigenantrag auf Gewährung der Familienbeihilfe sowie auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe ein.
Mit Bescheiden jeweils vom wurde sowohl der Antrag auf Familienbeihilfe sowie der Antrag auf Erhöhungsbetrages wegen erheblicher Behinderung ab 05/2022 abgewiesen, da angeforderte Unterlagen seitens der Bf. nicht beigebracht worden seien.
In der dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerde vom führt die Bf. begründend aus:
Eine 50%ige Behinderung sei vom Sozialministerium bereits 2012 festgestellt worden. Sie sei im September 2009 im Rahmen eines Umschulungsprogrammes zwangspensioniert worden. Die ersten Symptome habe sie bereits als 3-4jähriges Mädchen gehabt. In den 70er Jahren habe niemand von Schizophrenie etwas wissen wollen. Auf Grund der Aktenlage beim Sozialministeriumservice werde um baldige positive Beschlüsse ersucht.
Im über Ersuchen der belangten Behörde und im Auftrag des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (kurz: "Sozialministeriumservice") erstellten ärztlichen Sachverständigengutachten vom wurde wie folgt festgestellt:
Grad der Behinderung liegt vor seit: 06/2021
Grad der Behinderung 40 % liegt vor seit: 05/2021
Die Bf. ist voraussichtlich nicht dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Die belangte Behörde wies die Beschwerde in der Folge als unbegründet ab. Laut ärztlicher Bescheinigung des Sozialministeriumservice vom sei ein Grad der Behinderung von 40 % ab Mai 2021 und 60 % ab Juni 2021 festgestellt worden. Eine dauernde Erwerbsunfähigkeit werde mit der Begründung - keine Fachbefunde zur Erwerbsunfähigkeit vorliegend - nicht bescheinigt. Die Voraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe lägen daher nicht vor.
Das Schreiben vom wurde als Vorlageantrag gewertet und der Akt dem Bundesfinanzgericht in der Folge am zur Entscheidung vorgelegt. Das Schreiben wurde wie folgt begründet: Dem Sozialministeriumservice seien aktuelle Befunde vorgelegt worden, auf Grund der schweren Lebensgeschichte der Bf. (Gewalterfahrung in der Familie und im Berufsalltag, Alkoholexzesse, paranoide Schizophrenie seit frühester Kindheit, Gewalterfahrungen in der Ehe) werde um Gewährung der Familienbeihilfe gebeten.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Auf Basis des oben geschilderten Verwaltungsgeschehens und der aktenkundigen Unterlagen wird folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt:
Die Bf. ist am ***Datum*** 1970 geboren und vollendete am ***Datum*** 1991 das 21. Lebensjahr.
Laut diesbezüglicher Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen liegt ein Grad der Behinderung von 60 v.H. seit Juni 2021 bzw 40 v.H. seit Mai 2021 vor.
Es ist nicht feststellbar, dass eine voraussichtliche dauernde Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist.
2. Beweiswürdigung
Dieser als erwiesen angenommene Sachverhalt beruht auf dem seitens des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen erstellten Gutachten.
Zur Begründung warum diese beiden Gutachten als Beweismittel heranzuziehen sind:
Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis , ausgeführt, dass sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 8 Abs. 6 FLAG ergebe, dass der Gesetzgeber nicht nur die Frage des Grades der Behinderung, sondern (bereits seit 1994) auch die (damit ja in der Regel unmittelbar zusammenhängende) Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt habe, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet werde und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spiele. Dem dürfte die Überlegung zugrunde liegen, dass die Frage, ob eine behinderte Person voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nicht schematisch an Hand eines in einem bestimmten Zeitraum erzielten Einkommens, sondern nur unter Berücksichtigung von Art und Grad der Behinderung bzw. der medizinischen Gesamtsituation der betroffenen Person beurteilt werden könne. Damit könne auch berücksichtigt werden, dass gerade von behinderten Personen immer wieder - oft mehrmals - Versuche unternommen werden, sich in das Erwerbsleben einzugliedern, bei denen jedoch die hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sie aus medizinischen Gründen auf längere Sicht zum Scheitern verurteilt sein würden. Der Gesetzgeber habe daher mit gutem Grund die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit jener Institution übertragen, die auch zur Beurteilung des Behinderungsgrades berufen sei. Die Beihilfenbehörden hätten bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und könnten von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seiner Rechtsprechung (sh. zB , und ) der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes angeschlossen; daraus folgt, dass auch das Bundesfinanzgericht für seine Entscheidungsfindung die ärztlichen Sachverständigengutachten heranzuziehen hat, sofern diese als schlüssig anzusehen sind. Es ist also im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens zu überprüfen, ob die erstellten Sachverständigengutachten diesem Kriterium entsprechen.
Die Gutachterin hat bei ihrer Einschätzung sämtliche ihr vorliegenden Unterlagen gewürdigt und hieraus die entsprechenden Schlüsse gezogen.
Die Lebensgeschichte der Bf. - Gewalterfahrungen in der Familie, Alkoholmissbrauch in der Familie und am Arbeitsplatz, Gewalterfahrung in der Ehe, sowie die seit der Kindheit bestehende paranoide Schizophrenie - ist in das Gutachten eingeflossen, vermochten allerdings an der Einschätzung der Gutachterin im Hinblick auf die geforderte - vor vollendetem 21. Lebensjahr vorliegende - Erwerbsunfähigkeit nichts zu ändern.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt.
Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gilt als erheblich behindert ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungs-gesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Das Bundesfinanzgericht hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO iVm § 2a BAO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. für viele ) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.
Wie unter Punkt 2 ausgeführt, besteht eine Bindung der Abgabenbehörden und auch des Bundesfinanzgerichtes an die im Wege des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 erstellten Gutachten, sofern diese schlüssig sind. Wie oben dargestellt, ist die Schlüssigkeit des Gutachtens im gegenständlichen Verfahren erstellten Sachverständigengutachten nicht in Zweifel zu ziehen.
Immer dann, wenn eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice, wonach eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist, nicht vorgelegt werden kann und daher der Eintritt einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres nicht festgestellt werden kann, trifft die Beweislast denjenigen, zu dessen Gunsten die entsprechende Tatsache wirken würde: Das Finanzamt hat die Beweislast für Tatsachen zu tragen, die einem Anspruch auf Familienbeihilfe und/oder den Erhöhungsbetrag entgegenstehen oder einschränken, der Antragsteller für Tatsachen, die den Anspruch auf Familienbeihilfe und/oder den Erhöhungsbetrag begründen oder ausweiten. Bescheinigt das Sozialministeriumservice lege artis den Eintritt einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres (vor Abschluss einer Berufsausbildung, aber vor Vollendung des 25. Lebensjahres) nicht, geht dies zu Lasten des Antragstellers (vgl ).
Der Einwand der Bf., dass sie 2009 zwangspensioniert worden sei und eine 50 %ige Behinderung bereits seit 2012 dem Sozialministeriumservice bekannt sein müsste, kann der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen, da nicht ein bestimmter Grad der Behinderung anspruchsvermittelnd ist, sondern die Feststellung der dauernden Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres (sohin im März 1991).
Der Nachweis einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres der Bf. eingetretenen voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit konnte nicht erbracht werden.
Somit steht der Bf. weder der Grund - noch der Erhöhungsbetrag an Familienbeihilfe zu, weshalb der Beschwerde kein Erfolg beschieden sein konnte.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Diese Voraussetzung liegt im Beschwerdefall nicht vor. Sowohl VfGH als auch VwGH bejahen eine Bindung an die im Wege des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen erstellten Gutachten. Die vom Bundesfinanzgericht durchzuführende Schlüssigkeitsprüfung betrifft keine Rechtsfrage, sondern ist Ausfluss der dem BFG obliegenden freien Beweiswürdigung.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 8 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.5100727.2022 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at